Protokoll der Sitzung vom 24.09.2015

Lassen Sie mich in dieser ersten Beratung drei Grundbotschaften des Gesetzes näher erläutern:

Erstens. Wir vertrauen in die Einrichtung. Wir setzen auf die Verantwortung der Träger von Einrichtungen und der Anbieter von Leistungen in den Einrichtungen und Wohngruppen.

Für die Qualität, die in Einrichtungen vorzuhalten, zu erbringen oder weiterzuentwickeln ist, sind die Träger und die Leistungserbringer verantwortlich. Diese haben die sachund fachgerechte Erbringung ihrer jeweiligen Leistungen nach den geltenden fachlichen Standards sicherzustellen.

Darauf vertrauen wir; denn wir wissen, dass Qualität nicht durch die Prüfungen der Beratungs- und Prüfbehörden nach dem LWTG in die Einrichtung hineindirigiert oder gar hineingeprüft werden kann.

Diesen Prozess der Qualitätssicherung und Weiterentwicklung wird die Beratungs- und Prüfbehörde künftig mit abgestimmten Beratungsbesuchen begleiten. Unangemeldete jährliche Regelprüfungen wird es damit nicht mehr geben.

Damit verändert sich die Zusammenarbeit zwischen Einrichtung und Beratungs- und Prüfbehörde grundlegend. Sie bietet nunmehr die Voraussetzung einer partnerschaftlichen Begegnung auf Augenhöhe, zum Beispiel auf der Grundlage von gemeinsamen Zielvereinbarungen.

Nicht, dass wir falsch verstanden werden, bei Hinweisen auf Mängel oder bei Beschwerden wird die Beratungs- und Prüfbehörde selbstverständlich nach wie vor unangemeldete Prüfungen durchführen. Wenn deutlich wird, dass eine Einrichtung unser Vertrauen missbraucht hat, greifen ordnungsrechtliche Maßnahmen mit all ihrer Härte, die für solche Fälle uneingeschränkt zur Verfügung stehen.

Zweitens. Hier geht es um die Abgrenzung der Wohnformen. Mit den Abgrenzungskriterien zu verschiedenen Wohnformen haben wir viele Fragen aus der Praxis der letzten fünf Jahre aufgegriffen.

So haben wir die Tendenz festgestellt, dass Pflegedienste, Träger im weitesten Sinne oder Initiatoren bestrebt waren, kleine Wohnformen so zu konstruieren, dass sie die bisher in § 6 LWTG genannten Bedingungen der Selbstorganisation erfüllen, obwohl das Merkmal der Selbstorganisation nicht gegeben war.

Diesen Fehlanreiz haben wir aus dem Gesetz herausgenommen. Mit der Streichung des § 6 LWTG und der Aufnahme der selbstorganisierten Wohngemeinschaften in die Regelung des § 3 unter Absatz 3 LWTG wird nun

eindeutig definiert, dass die gesamte Steuerung und Vergabe von zu erbringenden Leistungen in der Hand der Mitglieder der Wohngemeinschaft bzw. deren Angehörigen oder Betreuern verbleiben muss. Eine Auslagerung dieser Verantwortlichkeit an Dritte gilt immer als eine Wohnform, die durch einen Träger gesteuert wird und damit unter das Gesetz fällt.

Wir haben bei der Beschreibung der Einrichtungen mit einer besonderen konzeptionellen Ausrichtung die Wohnangebote für Menschen mit Intensivpflegebedarf und schweren kognitiven Einschränkungen explizit benannt und eine Angleichung der Platzzahlen in betreuten Wohngruppen für pflegebedürftige volljährige Menschen und für volljährige Menschen mit Behinderung vorgenommen.

Unser Anliegen ist es, mit diesen Regelungen auch neue gemeinsame Lebensformen zu entwickeln und zu stützen. In der Folge haben wir auch die Verantwortlichkeit des Trägers und der Anbieterinnen und der Anbieter von Dienstleistungen neu beschrieben. Es wird nun deutlich, dass nicht der Träger einer betreuten Wohngruppe für alle Leistungen, die in dieser erbracht werden, verantwortlich ist, sondern die jeweiligen Dienstleister selbst für die von ihnen erbrachten bzw. zu erbringenden Leistungen die Verantwortung tragen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme zur dritten Grundbotschaft:

Drittens. Dieser Punkt betrifft die Gewinnerwartung und die Transparenz, wobei ein weiterer Kernpunkt dabei die Regelung eines Aufnahmestopps nach § 26 Nr. 2 LWTG ist. Danach hat der Träger einer Einrichtung einen ausreichenden Personaleinsatz sicherzustellen und dies auch monatlich zu überprüfen. Das heißt, konkret muss der Träger die letzten zwölf Monate prüfen, ob das vereinbarte Personal beschäftigt und die vereinbarte Fachkraftquote im Durchschnitt erfüllt war.

Das bedeutet, liegt der Jahresdurchschnitt darunter, muss so lange ein Aufnahmestopp erklärt werden, bis ein ausreichender Personaleinsatz wieder gesichert ist oder mit der zuständigen Behörde eine andere Vereinbarung getroffen wurde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für mich ist diese Regelung aus zwei Gründen so bedeutsam. Erstens: Sie steht in der Logik der Trägerverantwortung und des von uns darauf ausgerichteten Vertrauens; denn ein verantwortungsvoller Träger wird nur so viele Bewohnerinnen und Bewohner aufnehmen, wie es mit den Vorgaben für einen ausreichenden Personaleinsatz vereinbar ist.

Zweitens, ein mir ebenso wichtiger Aspekt ist hingegen die Frage der Gewinnerwartung. Nimmt ein Träger pflegebedürftige Menschen auf, ohne den entsprechenden, mit den Pflegekassen abgestimmten Personaleinsatz einzubringen, ist ihm letztlich der Vorwurf der Gewinnmaximierung auf Kosten sowohl der Bewohnerinnen und Bewohner als auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu machen.

Daher ist diese Regelung ein wichtiger Schritt in Richtung Transparenz. Mit einer weiteren Regelung versuchen wir, behutsam auch die Kommunen zu stärken. Alle Einrichtun

gen, die Neubauten, Erweiterungen und Wiederinbetriebnahmen von Einrichtungen nach den §§ 4 und 5 LWTG planen, müssen ihre Planung künftig mit der für die Pflegestrukturplanung zuständigen Kommune abstimmen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben mit diesem Gesetz vielfältige Interessen aufgenommen, vor allem im Zuge der Anhörung. Ich persönlich sehe in dem Änderungsgesetz eine hervorragende Möglichkeit, neue und am individuellen Hilfebedarf der Bewohnerinnen und Bewohner von Einrichtungen und wohnformorientierte Versorgungsangebote auf den Weg zu bringen.

Herzlichen Dank.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion hat Frau Kollegin Thelen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute geht es in der ersten Lesung um die umfangreiche Änderung des Landeswohnformen- und Teilhabegesetzes, das unter der damaligen Sozialministerin Malu Dreyer erarbeitet und von der alleinigen SPD-Mehrheit 2009 in diesem Landtag beschlossen wurde. Am 1. Januar 2010 ist das Gesetz in Kraft getreten.

Warum brauchten wir dieses neue Gesetz?

Als Folge der Föderalismusreform 2006 ist die Zuständigkeit für die Heimaufsicht auf die Länder übergegangen. Das bis zu einer Neuregelung in den Ländern weiter geltende Heimgesetz des Bundes entsprach einfach nicht mehr den Vorstellungen vom Leben älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen in Einrichtungen der Betreuung und Pflege.

Aus Sicht der CDU-Landtagsfraktion sollten alsbald die richtigen Weichen in Rheinland-Pfalz gestellt werden. Wegen der Untätigkeit von Sozialministerin Dreyer legten wir, die CDU, am 16. Januar 2009 einen Entwurf für ein Landesgesetz zur Förderung der Pflege-, Betreuungs- und Wohnqualität in Heimen und anderen Wohnformen vor, unser Heim- und Wohnformenqualitätsgesetz. Dabei haben wir das bisher geltende Bundesgesetz weiterentwickelt, besonders zur Verbesserung des Verbraucherschutzes, mit intensiveren Kontrollen, mehr Mitwirkung und mehr Qualitätstransparenz. Überflüssige Regelungen wurden gestrichen und neue Betreuungsformen nachhaltig ermöglicht.

Ich hätte jetzt gern die frühere Sozialministerin persönlich angesprochen, aber sie hat heute einen wichtigen Termin. Aber ich bin überzeugt, dass unser damaliges Gesetz eine derartige Generalüberholung wie Ihr altes Landeswohnformen- und Teilhabegesetz heute nicht bräuchte. Sie hätten uns damals besser zugestimmt.

(Beifall der CDU)

Die Sozialministerin Malu Dreyer wollte jedoch die Pflegewelt neu erfinden. Alte Begriffe wie „Heim“ oder „Teilstationäre Betreuung“ wurden abgeschafft und stattdessen neue Unterscheidungskriterien kreiert. Nun ist für die heimaufsichtlichen und anderen Folgen entscheidend, ob es sich um eine Einrichtung mit einem umfassenden Leistungsangebot, mit besonderer konzeptioneller Ausrichtung oder – zumindest jetzt noch – um selbst organisierte Wohngemeinschaften handelt.

Was die SPD-Regierung alles wollte, hat Frau Dreyer in einer Pressemeldung am 6. Mai so formuliert:

„Wir wollen für Rheinland-Pfalz ein innovatives Landesgesetz schaffen, das neue konzeptionelle Entwicklungen in der Unterstützung älterer Menschen und volljähriger Menschen mit Pflegebedarf und Behinderung erfasst und diesen gerecht wird.“ – Dies, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist gründlich daneben gegangen.

Der Evaluationsbericht, der im Juni 2013 vorgelegt wurde und der das Ergebnis einer über halbjährigen wissenschaftlichen Untersuchung der Wirkung und Umsetzung des Gesetzes war, belegt tatsächlich die Fehler, die hier gemacht worden sind. Es wurden umfangreiche Kritikpunkte aufgeführt, von denen ich heute nur einige zitieren möchte. Ich beginne auf Seite 36:

„Der Schwerpunkt der Anwendungsprobleme liegt demnach in den gegenüber dem alten Heimgesetz neu geordneten Differenzierungen von Einrichtungen (...).“

Des Weiteren heißt es auf Seite 68 des Berichts:

„Wie (...) deutlich wurde, ist die Ausgestaltung und insbesondere die Abgrenzung der Einrichtungstypen ein zentraler Kritikpunkt am Gesetz.“

Weiter heißt es auf dieser Seite:

„Noch viel mehr fordern die Beratungs- und Prüfbehörden klarere Definitionsmerkmale und Abgrenzungen. Dies bezieht sich auch auf Wohngemeinschaften nach § 6 LWTG, wo deutliche ablehnende Voten bezüglich der Selbstorganisation als alleinigem Definitionsmerkmal bestehen.“ An diesem Punkt entzündet sich eindeutig die von den Beratungsund Prüfbehörden wahrgenommene Verschlechterung der Rechtslage gegenüber dem alten Heimgesetz.

Ich zitiere weiter auf Seite 76:

„Es finden sich eine Reihe von Zielverfehlungen, Nachbesserungs- und Anpassungsbedarfe, die im Rahmen einer Novelle aufgegriffen werden sollten.“

Auf Seite 79 heißt es:

„Die staatlich supervidierte Qualitätsberichtserstattung, wie sie in § 12 LWTG vorgesehen ist, hat sich nicht bewährt.“ Die Befunde der Evaluation zeigen, dass die Innovationswirkung für selbst organisierte Wohngemeinschaften weitgehend ausblieb.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war ein zentrales Anliegen dieses Gesetzes, und wenn man diesen Eva

luationsbericht nicht als ein Verriss des alten Gesetzes betrachtet, dann weiß ich nicht, welche Kritik man sich noch einhandeln will. Es war ein klarer Verriss.

(Beifall der CDU)

Wir haben mehrfach im Ausschuss nach dem Ergebnis der Evaluation gefragt. Am 27. Oktober 2013 stellte dann der amtierende Sozialminister Schweitzer fest, das Gesetz habe sich nach dem Ergebnis der Evaluation bewährt. Sie wissen, was ich soeben gesagt habe. Er sagte, es habe sich bewährt. Die Analyse der Stärken und Schwächen des Gesetzes formuliere für einige gesetzliche Regelungen Nachbesserungen und Anpassungsbedarf. Alles werde noch mit den zahlreichen Partnerinnen und Partnern erörtert und der Bericht 2014 vorgelegt. Das ist auch im Juli 2014 geschehen.

Wir warteten dann auf die angekündigte Novelle. Am 26. Januar dieses Jahres – das ist auch schon wieder einige Monate her – lag dann endlich der Referentenentwurf vor. Im Juni dieses Jahres fragten wir im Ausschuss wieder nach dem Stand der Gesetzesänderung. Damals berichtete dann Herr Staatssekretär Langner, dass diese seit dem 27. Mai dem Justizministerium zur Prüfung vorliege. Heute, Ende September, können wir endlich in die parlamentarische Beratung eintreten, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Marlies Kohnle-Gros, CDU: Nach über einem Jahr!)

Das ist schlimm, und darauf komme ich auch noch zu sprechen.

Da es sich um eine umfassende Änderung handelt und uns bereits kritische Stellungnahmen vorliegen, werden wir natürlich im Ausschuss eine Anhörung beantragen, und ich gehe davon aus, dass das auch die Mehrheit mitträgt. Wir bitten auch aufgrund der Änderungen, die noch an dem Referentenentwurf vorgenommen worden sind, zu dem wir freundlicherweise eine Synopse bekommen haben, diese Synopse noch einmal mit den aktuellen Änderungen zu aktualisieren; das wäre sehr hilfreich.