Protokoll der Sitzung vom 20.06.2012

Lieber Herr Licht, jetzt führe ich mit Ihnen, aber auch mit Frau Klöckner eine andere Diskussion. – Ich habe im Rahmen dieser Debatte häufig gehört: Wenn man innerhalb Europas anderen Ländern hilft – Griechenland ist immer das Land, das man dabei vor Augen hat –, müssen das Prinzip von Leistung und Gegenleistung und das Prinzip, dass Hilfe keine Einbahnstraße sein darf, gelten. Herr Hering hat das so gesagt. Aber ich habe von dieser Seite des Parlaments auch immer gehört, dass Solidarität dazukommt. Das bedeutet eine Hilfe, die sich nicht immer nur nach ökonomischen Maßstäben bemessen lässt.

Frau Klöckner, Sie haben vier- oder fünfmal die Eurobonds erwähnt und darauf hingewiesen, wie schlimm es ist, wenn wir die Zinslasten von anderen mittragen. Sie sagen Sätze wie: Wir dürfen Wohltaten nicht mitfinanzieren. – Herr Licht hat vorhin dazwischengerufen: Man muss auch gucken, wie die Krise entstanden ist.

Herr Hering hat etwas sehr Kluges gesagt, was Sie, Herr Baldauf, zum Lachen fanden. Herr Hering hat erklärt, dass, wer Solidarität verlangt, auch Solidarität in seinem eigenen Staat leben muss, nämlich im Hinblick auf die Kommunen. Ich hatte stark den Eindruck, dass Sie darüber lachen mussten, als er gesagt hat, die Leute auf der kommunalen Ebene müssten mitgenommen werden und das spüren; denn nur so fänden wir Akzeptanz dafür, dass wir anderen europäischen Staaten helfen würden. Herr Hering, so habe ich Sie wenigstens verstanden.

Ich unterstelle niemandem in diesem Parlament, dass er für die Griechen kein Mitgefühl hat. Mir ist nur diese Diskussion – das sage ich als überzeugter Ökonom – manchmal zu ökonomistisch.

(Baldauf, CDU: Sie sind doch nicht der Bundesempörungsbeauftragte!)

Die Griechen machen 2,2 % der Bevölkerung der EU aus. Es wird sie erstaunen, dass sie nur für 3 % der Schulden in der EU verantwortlich sind. Das ist ein relativ kleiner Anteil. Vielleicht sollte man, wenn man Hilfspakete für die Griechen schnürt, manchmal darüber nachdenken, ob man diese Hilfen, die aufgrund der explodierenden Zinsbelastung offensichtlich immer dazu führen, dass die Griechen im nächsten Moment wieder vor dem Abgrund stehen, nicht etwas bedingungsloser gewähren sollte – auch um das für Europa zu bereinigen. Ich will keinen konkreten Vorschlag machen,

(Baldauf, CDU: Das wäre aber ganz gut!)

aber ich will daran erinnern, dass Deutschland zweimal in einer ähnlichen Situation war. 1989 und 1990 haben wir uns durchaus bereit erklärt, anderen – ohne dabei auf das Prinzip von Verschuldung und Gegenleistung zu verweisen – unter die Arme zu greifen, um sie einfach erst einmal wieder auf die Füße zu stellen, damit sie vorankommen können. Ich glaube, die Bundesrepublik Deutschland, die 1949 entstanden ist, hat wie kein anderes Land von Solidarität profitiert.

Deutschland hat zwei Weltkriege angezettelt und einen fürchterlichen Holocaust zu verantworten. Da haben sich einige wie Barbaren benommen, und die meisten haben den Barbaren zugeschaut. Dann hat Deutschland in Schutt und Asche gelegen. Alle anderen Länder, deren Tote auf den Schlachtfeldern lagen, hätten doch sagen können: Lasst die in ihren Trümmern ersticken. – Das haben sie aber nicht gemacht. Relativ bedingungslos – die einzige Bedingung war, dass wir Demokraten werden – haben die Amerikaner den Marshall-Plan entwickelt und die Franzosen den Schuman-Plan.

1952 gab es eine Schuldenkonferenz in London. Auf dieser Schuldenkonferenz wurden die Schuldentilgungen für Deutschland festgelegt. Das ist genau das, worüber wir jetzt im Hinblick auf andere Länder reden.

(Licht, CDU: Wir reden jetzt nicht von einem Krieg!)

Ich rede jetzt nicht von einem Krieg, Herr Licht. Ich nenne Ihnen gleich den Unterschied zwischen Deutschland, Griechenland, Spanien und Portugal. – Deutschland hat diese Schulden abbezahlt. Wissen Sie, wann das war? Die letzten Schulden hat der deutsche Staat im Jahr 2010 zurückgezahlt.

(Baldauf, CDU: Glauben Sie, dass die Amerikaner 50 Jahre lang Solidarität gezeigt hätten, wenn wir nichts gemacht hätten?)

Das ist ein Hinweis darauf, dass man offensichtlich sehr moderate Entschuldungsregeln festgelegt hatte.

Herr Licht, die Griechen, die Portugiesen und die Spanier haben keinen Krieg geführt und waren auch keine Barbaren. Sie wurden in den 60er- und in den 70erJahren von Diktaturen regiert. Es gibt einen Unterschied zu Deutschland: Sie haben sich selbst aus der Diktatur befreit. Sie haben nicht alles richtig gemacht. Bei den Griechen gab es sicherlich viel Selbstbedienung, insbesondere im öffentlichen Sektor. Man hat die Reichen

keine Steuern zahlen lassen, und dann hatten die Normalverdiener auch keine Lust mehr, Steuern zu zahlen.

All das ist nicht in Ordnung. Aber die Frage ist: Muss man mit diesen Ländern jetzt nicht ein Stück weit generös umgehen, um ihnen aus einer mal ein bisschen mehr, mal ein bisschen weniger selbstverschuldeten Krise herauszuhelfen?

(Licht, CDU: Durchaus!)

Die Anhänger der Aufklärung nennen es Brüderlichkeit, die Christen nennen es Nächstenliebe, die Sozialdemokraten und andere nennen es Solidarität. Ein bisschen mehr davon – auch in den Diskussionen über Europa – würde uns guttun.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf weitere Gäste im Landtag begrüßen: die Seniorengruppe des Turn- und Sportvereins Winzenheim, Mitglieder des SPDOrtsvereins Vulkaneifel und Mitglieder des CDUOrtsverbands Grafschaft. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im Hause)

Aufgrund der Rede des Vertreters der Landesregierung stehen der Fraktion der CDU weitere 13 Minuten Redezeit zu und den Regierungsfraktionen 6,5 Minuten.

Frau Klöckner, bitte schön.

Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Herr Minister Kühl, ich fand Ihren Redebeitrag, auch wenn wir nicht in jedem Punkt einer Meinung sind, konstruktiv. Er ist durchaus eine Grundlage, auf der man sich miteinander auseinandersetzen kann. Das fand ich wohltuend. Es ist etwas anderes als das, was zuvor aus dem Regierungslager abgeliefert worden ist.

Das habe ich bewusst deshalb gesagt, weil Sie ein paar bestimmte Punkte angesprochen haben. Thema „Grundsicherung“: Ich finde das richtig und wichtig. Sie wissen, wie die Debatte rund um das Thema „Grundsicherung“ lief. Sie haben von den 4 Milliarden Euro gesprochen. Aber zur Ehrlichkeit gehört dazu, darauf hinzuweisen – natürlich sind das Tranchen –, dass sich das addiert. Das wird nicht in einem Jahr abgezahlt, sondern es addiert sich, und der Bund ist da in der Pflicht.

Sie sprachen das sogenannte „Bouffier-Papier“ und das Präsidium an. Im Präsidium wurde dieses Papier nicht erarbeitet. Sie haben gesagt, ich könnte vor einer Präsidiumssitzung die Landesregierung fragen, was sie mir denn für die Sitzung mitgeben wolle. Umgekehrt lade ich

Sie herzlich dazu ein – Sie haben meine Nummer –, mir etwas für die Sitzung mitzugeben. Sie wissen, wann die Präsidiumssitzungen stattfinden.

(Zurufe von der SPD)

Ich finde, da gilt das Prinzip „Do ut des“. Man kann beides tun. Wenn man die eine Seite anspricht, muss man auch sagen, dass es eine zweite Seite des Ganzen gibt.

Wir haben einen Wissenschaftlichen Dienst. Es gibt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes, das just diese Fragen behandelt. Das fängt mit der Herleitung der Schuldenbremse an. Wenn man sich das durchliest, stellt man fest, dass die letzten drei Seiten spannend sind. Dort steht das Fazit, und es wird auf die drei Punkte verwiesen, auf die die Länder achten müssen, wenn sie in Verhandlungen mit dem Bund treten. Darum geht es. Zur Haushaltsautonomie der Länder stehe ich. Dazu brauche ich nicht Landespolitikerin zu sein. Dafür bin ich unabhängig davon, wo ich mich befinde. Auch im Europaparlament würde ich mich immer in einem föderalen Staat bewegen. Ich würde mich absolut für die Autonomie der Länder auch im Budgetrecht einsetzen.

Wenn ich Kritik daran übe, dass Rheinland-Pfalz nicht überzeugend seine Hausaufgaben gemacht hat, dann heißt das aber, dass man nicht alles infrage stellt. Es gehört doch schon dazu – ich glaube, es ist auch die Aufgabe einer Opposition –, nicht lediglich das Weihrauchfass zu schwenken, sondern auf Themen hinzuweisen, die ihnen persönlich oder auch der Landesregierung unangenehm sind.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Beck)

Natürlich gibt es solche Themen. Natürlich wird darüber nicht geredet. In über einer halben Stunde sprach der Herr Ministerpräsident von den Kommunen, die wegen des Bundes verschuldet sind,

(Ministerpräsident Beck: Das ist doch gar nicht wahr!)

aber nicht darüber, dass wir in Rheinland-Pfalz im Vergleich zu anderen Bundesländern überdurchschnittlich stark verschuldet sind. Auch das gehört zur Ehrlichkeit.

(Beifall der CDU)

Wenn wir dabei sind, uns gegenseitig zu sagen, was wir alles falsch gemacht haben, sollte das auch erlaubt sein.

Herr Kühl, dass alles ganz toll ist, das habe ich nie gesagt. Mich würde es eher erschrecken, wenn es eine einheitliche B-Länder-Haltung gibt. Wir müssen uns dann Sorgen machen, wenn alle zur gleichen Zeit das gleiche denken und sagen. Ich konnte nur über die BLänder-Seite reden, weil ich mit der A-Länder-Seite lange nicht so vertraut bin, wie Sie es sind. Deshalb habe ich von der B-Länder-Seite gesprochen.

Die B-Länder-Seite hat Punkte verfasst. Es gibt übrigens nichts Öffentlicheres wie geheime Sitzungen und nichts Geheimeres wie öffentliche Sitzungen. Ich verrate

nichts, wenn ich erläutere, dass in der Präsidiumssitzung einige Kollegen – unter anderem auch ich – beim Bundesfinanzminister die Thematik angesprochen haben, was es denn für die Bundesländer heißt, wenn wir einem Fiskalpakt zustimmen, der die Schuldenbremse nach der Ratifizierung anders implementiert, und zwar letztlich auch für die Länder, die bisher verpflichtend keine Stufen haben. Das war ein Thema.

Die Landtagsfraktion hat mit der Bundeskanzlerin darüber diskutiert. Ich glaube, deshalb ist das ein Punkt, über den wir reden sollten, damit wir nicht in eine Schwarz- oder Weißmalerei kommen. Das werfe ich Ihnen übrigens nicht vor.

Ich nenne das Stichwort „Propaganda“. Ich würde die Propaganda der Bundesregierung oder der CDU/CSUFraktion übernehmen.

Lieber Herr Kühl, Beispiele für Propaganda haben wir in Rheinland-Pfalz genug. Da müssen wir nicht in Richtung Berlin schauen.

(Beifall der CDU)

Sie haben leider nichts zum Thema „Konnexitätsprinzip“ gesagt.

Herr Minister, ich erinnere mich an ein Interview – ich glaube, Sie haben es der „Allgemeinen Zeitung“ oder der „Rhein-Zeitung“ gegeben –, in dem es um die Beurteilung des Verfassungsgerichtsurteils zu den Kommunen ging. Sie hatten ein längeres Interview gegeben und sagten, das läge daran, weil der Bund seinem Konnexitätsprinzip nicht nachkomme.

Wir beide wissen, dass es kein Konnexitätsprinzip des Bundes zu den Kommunen gibt. In der FöderalismusKommission wurde auch Wert darauf gelegt, dass der Bund kein direktes Konnexitätsprinzip zu den Kommunen hat. Sie haben es eingefordert. Das finde ich spannend. Wenn wir uns die Protokolle anschauen, können wir sehen, dass die A-Länder – auch B-Länder – die Wortführer waren, die in der Föderalismus-Kommission Wert darauf gelegt haben, dass der Bund keine direkte Finanzbeziehung zu den Kommunen hält.

(Ministerpräsident Beck: Das hat doch damit gar nichts zu tun! Mein Gott! Nehmen Sie uns auf den Arm, oder argumen- tieren Sie? Furchtbar!)