Zweitens ist auch klar, dort, wo 15.000 Menschen auf die Straße gehen, weil sie Sorge haben vor der Zukunft – ob es nun begründet oder unbegründet ist –, müssen wir doch als allererstes hinhören und müssen uns die Mühe machen, genau hinzuschauen und hinzuhören, was der Grund dafür ist.
Ich glaube, wir müssen auch deutlich machen, wo wir als Politiker alle miteinander Fehler gemacht haben, wo wir vielleicht nicht genügend erklärt haben, was das Asylrecht bietet und weshalb Menschen verfolgt werden. Es ist geradezu diffus, dass man just in diesen Teilen unseres Landes oder in den Teilen Deutschlands, wo wir überhaupt keinen so hohen Ausländeranteil haben, Angst vor Überfremdung hat, dass man just das Asylrecht oder die neuen Flüchtlinge, die zu uns kommen, als Argument dafür heranzieht, dass wir eine Islamisierung in diesem Land haben. Es sind zumeist Christen, die auf der Flucht sind, weil sie vor Islamisten geschützt werden wollen.
(Beifall der CDU – Pörksen, SPD: Das müssen Sie uns doch nicht erzählen! Erzählen Sie das einmal Frau Kohnle-Gros!)
Ich glaube, all dies muss man im Blick haben, und es zeigt doch gerade die Irrationalität von Gefühlen und Ängsten der Menschen.
Ich glaube, genau das ist der Grund dafür, weshalb Frau Kohnle-Gros es sehr breit angelegt hat, weil sie ein tiefgehendes Wissen hat und eben nicht an der Oberfläche bleibt. Dies ist unser Anlass heute, dankbar dafür zu sein, dass Sie diese Aktuelle Stunde angekündigt haben. Herr Schweitzer, ich habe jedoch nur den Hinweis gemacht – und ich glaube, das kann man auch gemeinsam ertragen –, dass es nicht so gut war, in einer Pressemitteilung zu sagen, sie sei Anlass für die CDU, sich nun endlich einmal von Pegida zu distanzieren. Ich sage noch einmal, Pegida hat auch Ziele – und sei es die direkte Demokratie –, die auch andere Parteien haben, und ich würde mich davor hüten, jemals von anderen zu verlangen, dass sie sich deshalb von etwas distanzieren müssten. (Glocke des Präsidenten)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ging mir wie dem Kollegen Schweitzer: Nachdem alle Fraktionsvorsitzenden und auch Frau Ministerpräsidentin Dreyer gesprochen hatten, dachte ich, es würde uns gelingen, ein gemeinsames Signal für den Erhalt unserer freiheitlichen, demokratischen und offenen Werte aus diesem Hohen Hause zu senden.
Es ging nämlich in dieser Aktuellen Stunde gar nicht darum, dass sich jemand von etwas distanziert oder zu etwas bekennt,
Das ist unklarer geworden als vor der Debatte. Wenn Frau Kohnle-Gros davon spricht, ob die jetzt rechts oder links sind, oder wenn Sie Herrn Putin als Kronzeugen dafür aufführen, dass es eine linke Bewegung sein könnte, dann muss ich Ihnen sagen, das, was damit propagiert wird, können Sie links nennen, Sie können es rechts nennen, meine Damen und Herren. – Ich sage Ihnen, was es ist: Es ist Quatsch, es ist rückständig, es ist nicht weltoffen, oder – um es mit den Worten von Heiko Maas zu sagen –, es ist eine Schande für Deutschland!
Meine Damen und Herren, natürlich ist es so, dass das nicht alles stramme Nazis oder Verrückte sind. Ja, es sind auch Bürgerinnen und Bürger der – ohnehin schon ein schlimmer Begriff – sogenannten Mitte dabei. Natür
lich können auch diese Menschen ihre Probleme artikulieren oder ihren Frust herauslassen, dafür haben wir das Demonstrationsrecht. Aber ich erwarte von diesen Menschen auch, dass sie, wenn sie auf die Straße gehen, in ihrem Frust nicht nur nach unten schauen, sondern dass sie auch den Kopf heben und einmal nach rechts und nach links schauen, wer sonst noch alles mitläuft, von strammen braunen NPD-Mitgliedern über rechtsextremen Kadern bis hin zu den Zündlern von der AfD.
(Baldauf, CDU: Das ist wie bei der Demonstration gegen die Bundeswehr! Dort war es doch ähnlich! – Frau Schneider, CDU: Das müssen gerade Sie sagen!)
Das erwarte ich von diesen Menschen, und auch dazu brauchen Sie, glaube ich, eine klare Position, meine Damen und Herren von der CDU.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Baldauf, CDU: Bei der Bundeswehrdemonstration war es doch ähnlich!)
Aber mir ist nun auch klar geworden, weshalb Sie diese Aktuelle Stunde als Angriff empfunden haben. Sie haben sie als Angriff empfunden, weil Sie vielleicht noch nicht verstanden haben, was Ihre Verantwortung ist aus der gesellschaftspolitischen und staatspolitischen Debatte dessen, woran ich zu Beginn der Debatte erinnerte, was Anfang der 90er-Jahre in Deutschland passiert ist. Ich frage mich auch: Wie ist dazu Ihre Position? Ist es noch so wie nach dem Asylkompromiss, wo der CDUBundesinnenminister Kanther sich sinngemäß zu der Äußerung hat hinreißen lassen, dass die öffentlichen Auseinandersetzungen im Jahr 1992 in der Sache weitergeholfen hätten und es bedauerlich sei, dass es ein paar Hitzewallungen gegeben habe?
Meine Damen und Herren, damals sind 18 Menschen gestorben, damals haben Flüchtlingsheime gebrannt, und ich glaube, wir müssen einmal darüber reden, ob Sie Ihre Position überhaupt schon dazu geklärt haben, dass wir doch in den letzten zwei Jahrzehnten glücklicherweise alle zusammen weitergekommen sind und heute eigentlich gemeinsam von Weltoffenheit und Toleranz sprechen können, damit so etwas nie wieder vorkommt.
Tun wir doch nicht so, als wäre seitdem alles in Ordnung! 2007 sind acht Inder von Nazis in Mügeln verfolgt worden, sie sind durch die Straßen gehetzt worden. Viele von uns haben aus guten Gründen über die Bedrohung islamistischen Terrors gesprochen und haben nicht gemerkt, dass ein Jahrzehnt lang mit dem NSU eine rechtsextremistische Mörderbande durch Deutschland gezogen ist und willkürlich Menschen umgebracht hat. Nein, es war noch viel schlimmer, es wurde eine Sonderkommission „Bosporus“ eingerichtet, und der Boulevard hat von „Döner-Morden“ gesprochen. Das ist
doch der offene Rassismus, auch aus der Mitte der Gesellschaft heraus, und auch den gilt es zu thematisieren, und auch dazu verlange ich eine Klärung des Verhältnisses der CDU zu diesem Rassismus, der aus der Mitte der Gesellschaft heraus kommt und die Stichworte vorgibt für diejenigen, die ganz rechts außen die Brände legen, meine Damen und Herren.
In diesem Zusammenhang müssen wir, auch bei aller Einigkeit, über unsere globale Verantwortung nachdenken, auch was Flüchtlinge anbelangt, und müssen schauen, wie wir miteinander kommunizieren. Dabei muss man auch aufpassen, inwieweit man die Flüchtlingsthematik und die damit verbundenen Herausforderungen immer wieder als „Problem“ in die politische Diskussion einbringt.
Man sollte nicht von Flüchtlingsströmen und Flüchtlingsschwemmen reden, weil es eben diffuse Ängste unterstützt. Man sollte auch klare Worte finden, was den Islam angeht. Ja, der Zwang zur Vollverschleierung ist eine frauendiskriminierende Angelegenheit, die wir in einem freiheitlichen, den Menschenrechten verpflichteten Land nicht dulden und tolerieren dürfen. Das müssen wir offen kritisieren dürfen.
(Frau Klöckner, CDU: Ach, ich dachte, es gibt gar keinen Zusammenhang! – Zuruf des Abg. Bracht, CDU)
Aber der Zwang zur Vollverschleierung durch die Burka ist heute schon nach dem Strafgesetzbuch in Deutschland verboten, das muss man auch sagen. Man muss sich auch fragen lassen dürfen, was es bedeutet, in so einem Klima und in so einem Umfeld eine solche Debatte anzuzetteln, meine Damen und Herren.
Zu guter Letzt, als dritten Punkt sage ich Ihnen, liebe CDU Rheinland-Pfalz, klären Sie Ihr Verhältnis zum Islam. Der Islam gehört zu Deutschland, und die Muslime gehören zu Rheinland-Pfalz. Diese Klärung erwarte ich von Ihnen, und dann können wir auch die kritischen Fragen an die Orthodoxen und zu Recht auch an diejenigen stellen, die ihre Frauen in den Familien unterdrücken; aber dazu gehört auch das Bekenntnis: Ihr seid nicht die da draußen, mit denen wir ein Problem haben, sondern, ihr gehört zu uns.
Die Probleme, die wir haben, sprechen wir auf Augenhöhe offen an, damit wir zu Lösungen kommen. So funktioniert eine tolerante offene Gesellschaft, indem man zuerst einmal sagt, ihr gehört dazu, aber wir haben Kritik und Probleme, das gehen wir gemeinsam an, und diese Probleme lösen wir. Aber die lösen wir nicht, indem wir hier die Stichworte für die 15.000 in Dresden und vor allem für deren Anführer geben, die viel
Schlimmeres im Sinne haben. Das ist gefährlich. Das muss klar gesagt werden, meine Damen und Herren.
Man muss nicht so weit gehen, wie Sascha Lobo auf „SPIEGEL ONLINE“, aber ich mag dies einmal zitieren: „Das politische Gelaber, dass Deutschland ein ‚weltoffenes und gastfreundliches Land‘ sei, quoll aus Hunderten Mündern in Tausende Mikrofone, während auch durch die politischen Beschlüsse deutscher Regierungen an Europas abgeriegelten Grenzen Tausende zerschellten oder ertranken. Politische Stunts wie die ‚AusländerMaut‘ oder der alltägliche, absurde, menschenverachtende Umgang mit Flüchtlingen sind der ständige Beweis, dass der gleiche Mechanismus wie bei Pegida funktioniert, auch ohne dumm oder ungebildet oder Nazi zu sein: aus dem eigenen Gelaber keinerlei Konsequenzen zu ziehen.“
Wie gesagt, so drastisch und schwarz-weiß muss man die Welt nicht sehen, aber es ist ein wahrer Kern darin. Es reicht nicht, wenn wir in Sonntagsreden von Weltoffenheit, Toleranz und Verantwortung sprechen, sondern wir müssen in unserem ganz konkreten Handeln, in unserer politischen Kommunikation und in unserer Sprache, auch wenn es schwierig ist und darum geht, Ängsten zu begegnen, immer verantwortungsvoll, lösungsorientiert und weltoffen sein.
Das ist übrigens etwas, was die Wirtschaft von uns erwartet. Wir reden überall über Zuwanderung und dass es eine Frage des Standortfaktors geworden ist, wie weltoffen ein Land heutzutage ist. Wir reden über unsere gesellschaftliche und humane Verantwortung, dass wir aus der Geschichte gelernt haben, nicht nur aus der älteren, sondern eben leider auch immer wieder aus der jüngeren Geschichte, und wir für das, was wir tun, Verantwortung haben, indem wir darauf achten, dass das, was wir sagen, nicht die Stichworte für die gibt, die wir alle gemeinsam nicht wollen, und dass das, was wir sagen, auch in konkretes Handeln mündet, damit diese Gesellschaft gerechter, humaner, offener wird und die Toleranz dazu aufbringt, kritische Diskurse gemeinsam im Dialog zwischen Kulturen, Gruppen und den Menschen zu führen.
Es liegt eine weitere Wortmeldung vor. Für die Landesregierung spricht Frau Ministerpräsidentin Dreyer.
Entschuldigung, ich möchte ganz gerne noch einmal drei Sätze sagen, weil Frau Kohnle-Gros so getan hat, als
hätten wir nur über Weihnachten gesprochen. Sie können die Rede gerne im Protokoll noch einmal nachlesen.