Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir war es sehr wichtig, das noch einmal voranzustellen, auch, weil ich heute
Morgen im Radio die Vorberichterstattung des SWR zu unserer heutigen Sitzung gehört habe und ich den Eindruck gewinnen musste, als hätten wir uns in den letzten drei Jahren immer nur über die Absenkung von irgendwelchen Quoren unterhalten.
Noch einmal: Es ist ein kleiner Teilaspekt des Themas, aber bei Weitem nicht die entscheidende Frage. Die Vorstellung, dass mit der Absenkung von Quoren die Bürgerbeteiligung auf Landes- und kommunaler Ebene plötzlich explodiert, ist absolut illusorisch. Alle Absenkungen in Nachbarländern, aber auch in Rheinland-Pfalz belegen das Gegenteil. Warum ist das so?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben sehr konkrete Vorschläge zur informellen Beteiligung vorgelegt. Unser Schwerpunkt liegt hierbei klar auf der Landesebene. Übergeordnetes Ziel muss es sein, dass wir es auf Landesebene schaffen, noch umfassender und noch früher in Beteiligungsprozesse einzusteigen.
Als Mittel der Wahl bieten sich unserer Ansicht nach hierfür aleatorische Verfahren an und sind einer reinen Betroffenenbeteiligung – das haben eigentlich alle Anhörungen belegt – in der Regel vorzuziehen.
Wir haben uns als Enquete-Kommission die Arbeit gemacht, alle Beteiligungsverfahren, die im Rahmen der kommunalen Verwaltungsreform gemacht wurden, noch einmal anzuschauen. Die Erkenntnis hieraus war, dass das aleatorische Verfahren zu Beginn der Reform richtig war, die Schwächen und die Missverständnisse in der weiteren Folge aufgetreten sind: Unklarheit über die Möglichkeit der Bürgerbeteiligung, des Bürgerentscheids vor Ort, stark interessensgesteuerte Fragestellungen bei Abstimmungen und daraus resultierende Instrumentalisierung der Bürgerbeteiligung durch Parteien jeglicher Couleur, Verwaltungen und auch der Bürgerschaft. Das gehört zur Wahrheit unserer Bestandsaufnahme einfach dazu.
Was war denn der große Kritikpunkt? Der große Kritikpunkt seitens der Kommunen war, es fehlt an Beratung, und es fehlt an Hilfestellung. Das heißt nicht, dass es sie nicht gab. Nur war die Argumentationskette dann natürlich auch, einfach zu sagen: Das Land will die Reform,
Das ist auch ein Punkt, den wir in unserer Beratung immer wieder intensiv diskutiert haben. Wie können wir es als Land Rheinland-Pfalz, als Parlamentarier gewährleisten, dass es eine neutrale Beratung der Bürgerinnen und Bürger in Sachen Bürgerbeteiligung gibt? Hier können wir also besser werden und Hilfestellungen zur Verfügung stellen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir möchten deshalb eine Servicestelle für Bürgerbeteiligung, eine Stelle etablieren, die einen einheitlichen Instrumentenkasten und konkrete Unterstützung bieten kann, die neutral mit Pro und Kontra versehene Informationsgrundlagen für die Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung stellt und zur Versachlichung der Diskussion beitragen kann. Wir könnten uns vorstellen, dass eine solche Stelle an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften angesiedelt werden kann. Damit wären die Neutralität und die wissenschaftliche Begleitung gewährleistet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Empfehlungen für die informelle Beteiligung auf kommunaler Ebene fallen deutlich schmaler aus. Das ist aus gutem Grund so. Fast alle Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in unserem Land sind Experten in Sachen informelle Bürgerbeteiligung.
Im Abschlussbericht ist nachzulesen, wie viele informelle Verfahren die kommunale Ebene in unserem Land tagtäglich anwendet, und zwar nicht erst seit gestern, sondern seit vielen Jahren. Das ist nicht so, weil es den Leuten in den Kommunen langweilig wäre, sondern weil man vor Ort weiß, dass es nur so gehen kann. Wenn ich erfolgreich in einer Kommune gestalten möchte, dann ist die frühzeitige Einbindung der Bürgerinnen und Bürger das A und O. Nur so kann die Identifizierung und Akzeptanz für kommunale Maßnahmen gewährleistet werden.
Wir wollen gemeinsam mit den Kommunen und den kommunalen Spitzenverbänden Leitlinien für qualitativ gute Bürgerbeteiligung als Zielvereinbarung auf den Weg bringen. Hierbei geht es um noch bessere Verzahnung von formellen und informellen Verfahren. Das Rad müssen wir an dieser Stelle keineswegs neu erfinden.
Neben den informellen Verfahren gibt es natürlich auch die formellen Verfahren für die kommunale Ebene und die Landesebene. Hier haben wir vor allem Quoren, Negativkataloge und Unterschriftensammlungen in den Blick genommen. Für die direkte formelle Beteiligung auf Landesebene können wir uns vorstellen, dass wir die Zahl der notwendigen Unterschriften für ein Volksbegehren auf 3 % der Stimmberechtigten absenken, das wären ca. 100.000 Wahlberechtigte, eine Verlängerung der Eintragungsfrist für die Unterschriften auf sechs Monate vornehmen, die freie Unterschriftensammlung außerhalb der Gemeindeverwaltung und die digitale Unterschriftensammlung prüfen, die Mindestbeteiligung von 25 % bei Volksbegehren durch ein möglichst niedriges Zustim
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Bereich der formellen Verfahren seitens der Kommunen möchte ich auch mit Hinblick auf den anwesenden und von mir außerordentlich geschätzten Oberbürgermeister Kissel, der die Enquete-Kommission mit Argusaugen und Luchsohren begleitet hat, erneut bekräftigen, Bürgerbeteiligung geht immer nur gemeinsam. Kommune und Land müssen gemeinsam die Überlegungen der Enquete-Kommission zur Ausweitung der formellen Bürgerbeteiligung diskutieren und auf den Weg bringen.
Die Vorschläge der Enquete-Kommission sind meiner Ansicht nach maßvoll und gehen besonders auf die bisherige Regelung des Unterschriftenquorums und das damit einhergehende Ungleichgewicht der Städte ein. Die vorgeschlagene Staffelung sieht notwendige Unterschriften von 9 % bei 10.000 Einwohnern vor und 5 % bei allen über 100.000 Einwohnern. Das Zustimmungsquorum würden wir gerne bei 20 % bei 50.000 Einwohnern sehen und bei allen über 50.000 Einwohnern bei 15 %.
Natürlich haben wir auch den Negativkatalog und die Kostendeckungsvorschläge diskutiert. Da wird man im Gespräch bleiben müssen.
Wir denken, insgesamt haben wir maßvolle Vorschläge vorgelegt und freuen uns auf die parlamentarischen Beratungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wir möchten es natürlich nicht versäumen, uns beim Wissenschaftlichen Dienst für die umfassende und zuverlässige Betreuung der Enquete-Kommission zu bedanken. Ebenfalls geht ein großes Dankeschön an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktionen, ohne die unsere Arbeit sicherlich nicht zu bewältigen gewesen wäre, und an die Sachverständigen der Fraktionen, die unsere Diskussionen und Ergebnisse sehr bereichert haben. Nicht vergessen möchte ich die Landesregierung, die uns immer mit sehr ausführlichen Vorlagen versorgt hat und durch ihre Beiträge zum Erfolg dieser Enquete-Kommission beigetragen hat.
Für die Zusammenarbeit mit der CDU möchten wir uns als Koalition ebenfalls bedanken. Wir hatten zu 95 % konstruktive Diskussionen und immer ein sehr kollegiales Miteinander.
Zuletzt möchten wir uns als SPD-Fraktion bei der Vorsitzenden, Frau Schellhammer, ganz herzlich bedanken. Du hast die Enquete-Kommission stets vorbildlich geführt, in ganz maßgeblicher Art und Weise strukturiert und moderiert. Die Enquete-Kommission war für uns alle ein sehr bereichernder Prozess, anstrengend, aber hoch interessant, komplex, aber nie verkopft oder zu abstrakt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem die Sachverständigen komplett auf der Besuchertribüne anwesend sind, darf ich Sie sehr herzlich begrüßen, und zwar Herrn Universitätsprofessor Dr. Ulrich Karpen, Frau Valentina Kerst und Herrn Oberbürgermeister Michael Kissel. Herzlich willkommen und herzlichen Dank!
Ich darf weitere Gäste begrüßen, und zwar Schülerinnen und Schüler der Berufsbildenden Schule Montabaur. Herzlich willkommen!
Für viele, die diese Vereinigung nicht kennen, sage ich, das sind die Damen von Lions. Das hat mir meine Verwaltung gesagt.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute nach rund drei Jahren über den Abschlussbericht der Enquete-Kommission. Es gab unzählige Sitzungen und Anhörungen. Arbeitskreise haben stattgefunden.
Ich will mich zunächst an dieser Stelle bei allen Kolleginnen und Kollegen in der Enquete-Kommission für die durchaus konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Ich will das auch bei den Sachverständigen tun, die uns immer hilfreich zur Seite gestanden haben. Darüber hinaus will ich mich insbesondere bei meinen Kolleginnen von der CDU-Fraktion, die in der EnqueteKommission waren, Frau Marlies Kohnle-Gros, Frau Ellen Demuth, sowie bei den Kollegen Herrn Markus Klein, Herrn Wolfgang Reichel und Herrn Johannes Zehfuß und auch bei unseren beiden Sachverständigen Professoren, Herrn Professor Lohrig und Herrn Professor Karpen, bedanken.
Lassen Sie mich zu Anfang das Thema Bürgerbeteiligung mit drei Schlaglichtern kurz eingrenzen. Sie kennen auf der Internetseite des Landtags den Satz: „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Tyrannei auf.“
Ich nenne einen zweiten Punkt. Der Philosoph Karl Popper sagte einmal: „Eine Mehrheitsdiktatur kann für die Minderheit fürchterlich sein.“