Protokoll der Sitzung vom 16.02.2017

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Menschen pflegen, Fachkräfteinitiative 2.0, Pflegegipfel, Gemeindeschwesterplus, Geriatriekonzept, Demenznetzwerke, Masterplan zur Stärkung der ambulanten Versorgung, Aktion gegen Gewalt in der Pflege, Pflegemanager, Zukunftsprogramm Gesundheit und Pflege – 2020: Das sind die Schlagworte zu Initiativen, Aktionsplänen und Modellprojekten der Landesregierung zur Sicherstellung der Pflege in Rheinland-Pfalz.

(Zuruf der Abg. Kathrin Anklam-Trapp, SPD)

Die Regierung sagt: „Das Zukunftsprogramm ‚Gesundheit und Pflege – 2020‘ verfolgt durch innovative Ansätze, neue Maßnahmen und sektorenübergreifende Konzepte das Ziel der Sicherstellung einer guten medizinischen und pflegerischen Versorgung insbesondere auch in den ländlichen Räumen.“ Oder: Es „konnten wichtige Erkenntnisse über Entwicklungspotenziale sowohl in der ambulanten als auch in der stationären flächendeckenden Versorgung gewonnen werden.“ Als Fazit: „Gesundheit und Pflege – 2020 greift diese Erfahrungen auf, intensiviert und bündelt sie.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das waren Zitate der Landesregierung getreu dem Motto: Alles ist gut, oder es wird schon gut. – Nein, meine Damen und Herren, es ist nicht alles gut. Wir steuern auf einen Pflegenotstand hin, so sagen nicht wenige Experten.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Wir müssen uns heute fragen, was aus dieser Intensivierung und Bündelung in Pflege 2020 des Landes geworden ist. Dazu vier Feststellungen: Erstens, der rheinlandpfälzische Koalitionsvertrag 2016 bis 2021 geht in seinen Ausführungen zum Thema Pflege über bestehende und zu erwartende Defizite scheinbar spurlos hinweg. Zweitens, in der Haushaltsrede von Ministerin Ahnen haben nicht die Pflegenden einen Schwerpunkt verdient, sondern ein neuer Pflegemanager, dessen Aufgaben merkwürdigerweise noch gar nicht genau definiert und abgestimmt sind. Dafür stellt das Land 850.000 Euro bereit. Damit ist aber noch keinem Pflegebedürftigen am Bett geholfen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Drittens, auch die Regierungserklärung der Ministerpräsidentin vom 1. Juni 2016 widmete sich der Pflege unzureichend und ließ angemessene Analysen und Perspektiven vermissen. Viertens, das ist auch deshalb kritikwürdig, weil schon 2012 die Studie „112 – und niemand hilft“ für 2030 einen Fachkräftemangel in der Pflege prognostiziert hat, für Rheinland-Pfalz den höchsten aller Bundesländer mit 38,5 %. Das bedeutet, die demografische Entwicklung wird weitreichende gesellschaftliche Folgen für die pflegerische Versorgung in unserem Land haben. Nur durch baldige politisch richtige Weichenstellungen ist es möglich, den

Herausforderungen gerecht zu werden. Dazu brauchen wir eine „Pflegewende“.

Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer, zur Bestandsaufnahme und als Impuls für eine Weiterentwicklung der Pflegepolitik bzw. für eine Pflegewende in Rheinland-Pfalz hat die CDU-Landtagsfraktion eine Große Anfrage zur Situation und Entwicklung der Pflege gestellt, die jetzt mit der Drucksache 17/1878 beantwortet worden ist. In der Antwort stellt die Landesregierung es als Schwerpunkt der rheinland-pfälzischen Sozialpolitik dar, eine menschenwürdige, qualitativ hochwertige und wirtschaftliche pflegerische Versorgung der Menschen in unserem Land vorzuhalten und weiterzuentwickeln.

Die Erfolgsbilanz dieses erhobenen Anspruchs fällt hingegen ernüchternd aus. Es bedarf deshalb wesentlich konkreterer Anstrengungen im Rahmen einer gezielten Strategie, um die Zukunft der Pflege zu sichern und damit auch die menschenwürdige Pflege der Zukunft zu gewährleisten.

Ich komme zu den Zahlen und konkreten Entwicklungen im Pflegebedarf und bei den Pflegekräften. Wie sich aus der Antwort der Landesregierung ergibt, steigt die Zahl der Pflegebedürftigen in Rheinland-Pfalz bis zum Jahr 2020 voraussichtlich auf 113.000 und bis 2030 voraussichtlich auf 130.000 Personen, also ein Anstieg im Vergleich zu 2007 um 47,8 %.

Demgegenüber ergab sich für Rheinland-Pfalz bereits 2015 ein Saldo von 912 pflegenden Fachkräften in der Altenpflege. In der Gesundheits- und Krankenpflege fehlten im Jahr 2015 insgesamt 1.142 Kräfte. Lediglich in der Altenpflegehilfe lag im Jahr 2015 ein Überhang von 279 Fachkräften vor. In der Krankenpflegehilfe betrug dieser 59. Insgesamt bestand also 2015 eine Fachkräftelücke von fast 2.000 fehlenden Pflegekräften. Diese Fachkräftelücke beträgt 4 % des Berufsbildes im Beschäftigungsstand im Jahr 2015.

Bei der Zahl für 2020 wird von einem Fachkräftedefizit von insgesamt 2.751 Personen ausgegangen.

Für 2030 ergibt sich somit ein Defizit von beinahe 5.000 fehlenden Pflegekräfte. Diese Zahlen fallen zwar regional unterschiedlich aus. Sie verdeutlichen, dass differenziertere Maßnahmen zur Pflegekraftsicherung erforderlich sind.

(Beifall bei der CDU)

Offene Ausbildungsplätze in Rheinland-Pfalz gibt es in der Altenpflegehilfe nach Auskunft der Träger der praktischen Ausbildung in Höhe von 280. In der Gesundheits- und Krankenpflege bleiben fast 1.000 Plätze leer.

Meine Damen und Herren, was sind unsere Zukunftsaufgaben aufgrund dieser paar Zahlen, die ich aus der Anfrage genannt habe? Wir brauchen ein Krisenmanagement zur Pflegesicherung. Ob die vier geplanten Pflegegipfel der Landesregierung ausreichen, wird sich zeigen.

Die beabsichtigte Integration und Ausbildung weiterer ausländischer Pflegekräfte ist ein guter Ansatz, wobei wir alle wissen, welche kulturellen und sprachlichen Vorausset

zungen gegeben sein müssen. Ich erinnere an die unterschiedlichen Erfahrungen mit ausländischen Pflegekräften aus Osteuropa und Asien.

Unsere Devise aus diesen sieben Punkten ist, weniger Hochglanz, weniger reden, weniger probieren, mehr konkret handeln und jährlich berichten. Dann finden wir Antworten und Lösungen zur Pflege in guten Händen und zur sicheren flächendeckenden Versorgung. Dazu wird die CDU-Fraktion am 8. März eine Reihe von Fachveranstaltungen beginnen.

(Beifall der CDU)

Für die SPD-Fraktion spricht Frau Anklam-Trapp.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion steht den rund 44.000 beschäftigten Menschen in der Pflege mit höchster Wertschätzung gegenüber. Dieser höchst fachliche, sinnstiftende, verantwortungsvolle und empathische Beruf ist nach unserer Ansicht in der Gesellschaft höchst anerkannt und bietet Beschäftigungsaussichten im demografischen Spektrum und berufliche Sicherheit.

Bei allen Herausforderungen, die der Schichtdienst an körperlicher und seelischer Belastung in sich trägt, ist und bleibt es ein schöner und vielfältiger Beruf. Eine bessere Entlohnung für diesen Beruf sehen wir an dieser Stelle für absolut gegeben.

Das durchschnittliche Gehalt einer Krankenschwester – hier ein Beispiel aus der Universitätsmedizin Mainz – beträgt zwischen 2.250 Euro und 3.030 Euro im Monat bei Vollschicht mit Nachtarbeit und Wochenenden.

Anders als die CDU in ihrer Einleitung zu ihrer Großen Anfrage behauptet, gehen wir im Koalitionsvertrag sehr ausführlich auf das Thema Gesundheit und Pflegeausbau ein. Das sind Schwerpunkte in unserem Koalitionsvertrag mit den Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP.

Die Initiativen des Landes, die Herr Kollege Wäschenbach so deutlich aufgeführt hat, hätte ich selbst nicht besser nennen können. Herr Wäschenbach, ich danke dafür. Es ist richtig. Die Initiativen wirken.

Bereits seit 2002 mit der Initiative der damaligen Gesundheitsministerin Malu Dreyer „Menschen pflegen“ nahm Rheinland-Pfalz im Vergleich zu vielen anderen Bundesländern den Bereich des Fachkräftebedarfs sehr ernst.

Welche Maßnahmen sind seitdem ergriffen worden, und wie wirken sie? Seit 2012 stellt sich Rheinland-Pfalz mit der Ausbildungsinitiative, Fachkräfte- und Qualitätsinitiative insbesondere auf die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in der Pflege und auf die demografischen Bedarfe der Zukunft ein. Es ist gelungen, gemeinsam mit den

Partnern die Ausbildungsplatzkapazitäten über 20 % zu steigern. Das bestätigen unsere Studien, Rheinland-Pfalz im Krankenhausratingreport 2016.

Die Pflegeausbildung ist aufgrund der vielen Krankenhäuser in Rheinland-Pfalz gut gewährleistet.

Meine Damen und Herren, Programme wirken, und Probleme sind erkannt. Die Ausbildungszahlen der letzten zehn Jahre sind deutlich, und zwar um 55 % gestiegen. Im Jahr 2005/2006 konnten wir 5.024 Krankenschwestern/Krankenpfleger ausbilden. Heute, im letzten Berechnungsjahr 2015/2016 konnten sie auf 7.792 gesteigert werden. Das ist ein wichtiges Plus von 2.768 Mitarbeitern.

Aus unserer Sicht müssen wir dies ergänzen durch ein großes Potenzial und Angebot an Pflegehelfern und Altenpflegehelfern.

Auf Initiative der Landesregierung konnte mithilfe der Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit eine Steigerung um 30 % der Ausbildungsplatzzahlen geleistet werden.

Meine Damen und Herren, wir brauchen viele Instrumente, um den Beruf der Pflege zu verbessern. Ich möchte dazu sagen, auch die Pflege braucht Pflege.

Was ist aus Sicht der SPD-Fraktion absolut notwendig? Der Abbau von Arbeitsverdichtung und die Förderung von Arbeitsbedingungen gerade im gesundheitsförderlichen Bereich, der Abbau von Bürokratie in der Pflege, moderne Dienstplangestaltung, die auch die Bedürfnisse der Mitarbeiter berücksichtigt, Fortbildungsveranstaltungen für Mitarbeiter, die in Führungspositionen im Krankenhaus sind. Wir setzen uns auf Bundesebene deutlich für die generalistische Ausbildung in der Pflege, eine Aufwertung des Berufs und bessere Gehaltschancen ein.

Meine Damen und Herren, derzeit verdienen Altenpflegerinnen und -pfleger etwa 20 % weniger als ihre Berufskolleginnen und -kollegen im Krankenhaus. Wir begrüßen und unterstützen die Gründung der Pflegekammer in Rheinland-Pfalz, die die Interessen des Berufsstandes professionell vertritt. Die umfangreichen Initiativen des Landes zur Vermeidung von Pflege mit derzeit 135 Pflegestützpunkten, die ab 2017 umgewandelt und mit dem persönlichen Pflegemanager erweitert werden, sind zu nennen. Um dem Pflegebedarf vorzubeugen, stehen wir in sechs Modellkommunen, die noch evaluiert werden, zur Gemeindeschwester plus.

Meine Damen und Herren, Krankenpflege ist weiter weiblich. Stellenbesetzungsprobleme sind uns sehr wohl bekannt und ergeben sich oftmals durch den Eintritt in die Familienphase, durch Teilzeitarbeit als Ergänzung zum Hauptverdiener oder durch Abwanderungen in andere Berufe. Insbesondere die 448 ambulanten Pflegedienste im Land spüren das.

Meine Damen und Herren, 4 % – auch Herr Wäschenbach hat das bereits gesagt –, analog zu anderen Berufen im Handwerk.

(Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, Pflege ist in Rheinland-Pfalz eine Herausforderung. Wir werden uns ihr sehr gerne stellen.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einer Kurzintervention erteile ich Herrn Wäschenbach das Wort.

Frau Anklam-Trapp, Sie haben gesagt, die Probleme seien erkannt. Dieses Erkennen der Probleme reicht nicht aus. Wir haben erst am 26. Januar an dieser Stelle in der 21. Sitzung über das Problem des Fachkräftebedarfs gesprochen. Wir haben festgestellt, dass es signifikant viele unbesetzte Lehrstellen sind. Die können Sie hier nicht einfach leugnen. Es gibt die fehlenden Lehrer, die zu beklagen sind, und die hohe Abbrecherquote.

Überraschend haben wir festgestellt, als uns erstmals Zahlen durch die Pflegekammer zur Verfügung gestellt wurden, heute bereits sind 30 % der Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflegekräfte zwischen 51 und 60 Jahre alt. Das heißt, in den nächsten 15 Jahren wird fast jede dritte Pflegekraft aus dem Beruf ausscheiden. Deshalb können Sie nicht einfach sagen, die Probleme seien erkannt und die Konzepte würden greifen.

(Beifall bei der CDU)

Zu einer Erwiderung erteile ich Frau Anklam-Trapp das Wort.