Protokoll der Sitzung vom 31.05.2017

Es ist aber mehr als verständlich, dass die Situation so, wie sie gerade ist, von den Flüchtlingshelferinnen und Flüchtlingshelfern in den Kirchengemeinden schwer zu akzeptieren ist und sich Menschen und Kirchengemeinden dafür einsetzen, dass die Folgen abgemildert werden.

Ich bin daher nochmals dankbar, dass es der Landesregierung gelungen ist, alle Beteiligten an einen Tisch zu holen und wir hoffnungsfroh sein können, dass mit den Fällen

von Kirchenasyl in Zukunft wieder kooperativ und auf einer Vertrauensbasis umgegangen werden kann.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und bei der FDP)

Für die SPD-Fraktion hat die Abgeordnete SchleicherRothmund das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Kirchenasyl kann auf eine alte und ehrwürdige Tradition zurückblicken. Lange bevor es staatliches Asylrecht gab, wurde Verfolgten und Bedrängten Asyl in Kirchenräumen gewährt. Heute ist das Recht auf Asyl in den modernen und demokratischen Staaten Teil des allgemeinen staatlich garantierten Rechtssystems. Zwischen Staat und Kirchen herrscht Einigkeit, dass das Kirchenasyl keine gesetzliche Grundlage hat. Es ist kein Rechtsinstitut.

Das Kirchenasyl hat auch nicht zum Ziel, den Rechtsstaat infrage zu stellen oder gar über das Kirchenasyl eine systematische Kritik am Dublin-Verfahren zu üben. Diese Auseinandersetzung ist dem politischen Raum überlassen. Frau Kollegin Binz hat vorhin darauf hingewiesen.

Kirchenasyl wird ausschließlich als Ultima Ratio gewährt. Darüber sind sich alle Beteiligten im Klaren. Für Heinrich Bedford-Strohm gilt: „Das Kirchenasyl ist eine gute humanitäre Tradition in unserem Land, die dem an Menschenwürde orientierten Geist unseres Rechts entspricht.“

Kardinal Marx formuliert es so: Es habe sich bewährt, in Grenzfällen noch einmal die Situation der Flüchtlinge zu überprüfen. Das wolle die Kirche in guter Weise und großer Verantwortlichkeit weiter tun: „Wir wollen nicht Staat im Staate sein.“

Es geht also um den Einzelfall, um den Fall, bei dem Zweifel an der Richtigkeit der ablehnenden Entscheidung der zuständigen Behörde auftauchen. Diese Zweifel müssen begründet sein. Sie sind auch keine Diskreditierung der Arbeit der Behörden, sondern sie beinhalten die Bitte, den Einzelfall noch einmal genauer zu überprüfen.

Mit der Gewährung des Kirchenasyls setzen sich Menschen dafür ein, Härten zu vermeiden. Wir kennen diese Fälle aus unseren Sprechstunden. Oftmals kann man mit normalen Einspruchsverfahren helfen, aber nicht immer. Kirchenasyl wird nicht leichtfertig gewährt. Nach meinem Kenntnisstand haben wir derzeit in Rheinland-Pfalz 13 Fälle von Kirchenasyl in evangelischen und drei in katholischen Gemeinden.

Der Gewährung von Kirchenasyl geht ein Abwägungsund Diskussionsprozess in den Gemeinden voraus. Dieser Prozess wird behutsam und verantwortungsvoll gemacht. Wir reden über christliches Handeln in gut geprüften besonderen Einzelfällen. Es gibt Handreichungen, die klar

beschreiben, was zu beachten ist: Was sind die Voraussetzungen? Wer entscheidet? Wer ist zu informieren? – Natürlich gibt es hier Abkommen zwischen Landesregierung und Kirchen.

Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass vonseiten der Behörden mit dem Kirchenasyl auch behutsam und respektvoll umgegangen werden muss. Wenn es jetzt innerhalb kurzer Zeit zu polizeilichen Durchsuchungen in Kirchenräumen kommt, ist dies nicht hinnehmbar. Die Fälle von Büchenbeuren, Budenheim und Ludwigshafen sind irritierend und haben aufgeschreckt.

Ministerin Spiegel hat es klar benannt: Die Räumung des Kirchenasyls anzuordnen, bedeutet eine Grenze zu überschreiten. – Ich bin der Ministerin, aber auch ihrem Kollegen Innenminister Lewentz sehr dankbar, dass sie sofort eine Gesprächsrunde zum Umgang mit dem Kirchenasyl in Mainz mit Vertreterinnen und Vertretern der Kirchen und der Kommunen einberufen haben.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist gut, dass man vereinbart hat, die bestehenden Verfahrensregelungen und Konfliktmechanismen auf ihre Wirksamkeit hin zu untersuchen und gegebenenfalls zu modifizieren, um die polizeiliche Auflösung von Kirchenasyl überflüssig zu machen. Danke.

Die Beteiligten zusammenzubringen und gemeinsam im Dialog nach Lösungen zu suchen, ist der richtige Weg. Minister Lewentz hat auch recht, wenn er sagt, dass es dem Vertrauen in den Staat schade, wenn einzelne Behörden und staatliche Ebenen mit ihren Entscheidungen einen bestehenden Konsens infrage stellen. Ich würde sogar weiter gehen: Ich finde, sie haben den Konsens leicht beschädigt.

Ich möchte mich an dieser Stelle aber auch bei den Kirchenvertretern dafür bedanken, dass sie klar Position bezogen haben. In der Maisynode der Evangelischen Kirche der Pfalz wurde mehrheitlich ein Antrag angenommen, der auffordert, mäßigend auf die Verantwortlichen vor Ort einzuwirken und dafür Sorge zu tragen, dass die Kommunikation unter den am Kirchenasyl beteiligten Parteien stattfindet und Absprachen eingehalten werden. Auf diesem Weg befinden wir uns jetzt, damit das Kirchenasyl seinen Platz als kostbares Gut in unserer christlich geprägten Gesellschaft behält.

Zum guten Schluss lassen Sie mich eine Bemerkung zur Verantwortung des BAMF machen. Das ist eine quantitative und eine qualitative Frage.

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Ja!)

Zur quantitativen Frage haben wir in der Vergangenheit schon oft diskutiert, dass es an Mitarbeitern mangelt. Die qualitative Frage müssen wir aber auch diskutieren, wenn es einem Deutschen gelingt, sich als Obsthändler aus Syrien zu verkaufen und es niemandem auffällt.

Dem Mann hätte man einfach sagen müssen, jetzt machen Sie einmal eine kleine Addition. – Dann passiert nämlich das Phänomen, dass jeder automatisch in seine Muttersprache verfällt. Er hätte nicht auf Arabisch gerechnet, und

er hätte auch nicht auf Französisch rechnen können. Dass solche kleinen Dinge noch nicht einmal einer Fachbehörde bekannt sind, ist erschütternd.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Joachim Paul, AfD – Unruhe bei der CDU)

Für die CDU-Fraktion hat Frau Dr. Ganster das Wort.

Meine Damen und Herren, das Kirchenasyl hat eine jahrtausendealte Tradition und sogar vorchristliche Wurzeln. Es ist eine Rechtstradition, über die wir heute sprechen. Ich hatte gedacht, wir sprechen heute eigentlich nicht über Dublin III und auch nicht über Obsthändler und Versäumnisse des BAMF, sondern über das Thema des Kirchenasyls. Dazu möchte ich gern etwas sagen; denn wir haben dazu in unserer Fraktion intensiv beraten.

Das Kirchenasyl ist, wie gesagt, aus der Geschichte heraus entstanden als ein Instrument, um Menschen in Bedrängnis und Notsituationen, auf der Flucht, und zwar auf der Flucht vor staatlichem Zugriff, vor der Willkür des Staates und auch vor willkürlicher Strafverfolgung, Zuflucht in sakralen Räumen zu gewähren.

So ist es vor über 2.000 Jahren entstanden. Meine Damen und Herren, wenn wir heute im Jahr 2017 in RheinlandPfalz, in der Bundesrepublik Deutschland in einer Demokratie und einem funktionierenden Rechtsstaat über Kirchenasyl sprechen, dann sprechen wir natürlich in einem anderen Kontext, als die Situation war, wie diese Rechtstradition entstanden ist.

(Beifall der CDU und bei der AfD)

Meine Damen und Herren, deswegen ist es wirklich sehr gut, dass wir uns beim Thema „Kirchenasyl“ immer wieder darauf verständigen, in welchem Rahmen diese Rechtstradition bei uns angewandt werden kann. Seit 2015 gibt es ein sogenanntes Dossierverfahren zwischen dem BAMF und den Kirchen, das Herr Innenminister de Maizière initiiert hat. Ich glaube, es ist genau der richtige Weg, dass sich die beteiligten Parteien, in diesem Fall Kirchen und das BAMF, auf ein verlässliches gemeinsames Verfahren verständigt haben.

(Beifall der CDU – Abg. Martin Haller, SPD: Jetzt reden wir ja doch über das BAMF!)

Dazu gehört natürlich, dass Menschen nicht in Kirchen versteckt werden, sondern dort Zuflucht bekommen, wenn dies aus Sicht der Verantwortlichen in den Kirchen wirklich notwendig ist. Wenn es also ihrer Meinung nach keinen anderen Ausweg mehr gibt, ist es ganz wichtig, dass auch gemeldet wird, wer sich dort befindet und wo er sich befindet. Verlässlichkeit ist beim Thema „Kirchenasyl“ ein ganz

wichtiges Stichwort.

(Beifall der CDU)

Meine Damen und Herren, dazu stehen wir auch als CDU. Das Kirchenasyl ist ein ganz wichtiges Instrument, eine ganz wichtige Rechtstradition, die wir beibehalten wollen. Wir müssen uns aber heute auch fragen, wie wir das in Zukunft gewährleisten können. Meine Damen und Herren, dazu müssen wir uns heute auch die Frage stellen, was ist, wenn das Dossierverfahren beendet ist, wenn es eine Entscheidung nach erneuter Prüfung und nochmaliger Überprüfung gibt, wenn ein Ergebnis am Ende eines solchen Verfahrens feststeht.

Wir reden hier über Einzelfälle – das ist richtig – und über wirklich ganz wenige Härtefälle, in denen Menschen in den Kirchen aus Gewissensgründen sagen, hier müssen wir irgendwie helfen, hier muss doch noch einmal geprüft werden. Wenn geprüft ist, wird in den allermeisten Fällen ein Ergebnis zugunsten desjenigen, der Schutz gesucht hat, festgehalten. In ganz wenigen Fällen, die vorhin angesprochen worden sind, lautet das Ergebnis dieses Dossierverfahrens anders, als man sich es vielleicht als Kirchengemeinde gewünscht hat, aber wir müssen uns doch heute in unserem Rechtsstaat fragen, wie wir mit einem solchen Ergebnis umgehen.

Unser Fazit als CDU: Kirchenasyl ist eine wichtige und richtige Rechtstradition, auch in unserem Rechtsstaat. Wir sind froh, dass wir es haben. Es muss aber sorgfältig geprüft werden und verantwortlich angewandt werden, und wir müssen Antworten geben können, wie wir in einzelnen Fällen damit verfahren, wenn ein Ergebnis heißt, eine Person muss zum Beispiel nach Italien überführt werden. Darauf müssen wir auch als Rechtsstaat eine Antwort geben können.

(Beifall der CDU)

Meine Damen und Herren, zum Schluss, genau das sind wir auch dem Kirchenasyl und dieser Tradition schuldig,

(Abg. Dr. Bernhard Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja, aber wer macht das denn anders? Macht das denn jemand anders?)

weil dieses Instrument eingeführt worden ist, um sich gegen Willkür durch einen Staat abzugrenzen, um Menschen vor Willkür zu beschützen. Auch wenn wir es heute nach allen Entscheidungen, nach allen Überprüfungen und allen erneuten Überprüfungen nicht sagen können, müssen wir auch zu Entscheidungen stehen, müssen diese, auf die wir uns im Verfahren mit den Partnern verständigt haben, mittragen, und müssen somit diese Tradition, dieses Kirchenasyl, auch umgekehrt vor Willkür schützen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, in diesem Sinne finde ich es wirklich sehr gut, dass es dieses Dossierverfahren gibt,

(Glocke des Präsidenten)

dass die Kirchen und das BAMF mit diesen erneuten Überprüfungen im Gespräch bleiben und Wege suchen.

(Glocke des Präsidenten)

Wir müssen aber auch letzte Antworten geben können.