Protokoll der Sitzung vom 04.09.2017

Es geht bei der Debatte um die Aussetzung des Famili

ennachzugs auch nicht um einen uneingeschränkten Familiennachzug, wie Sie hier suggerieren. Im Aufenthaltsgesetz steht klar, es handelt sich um die Kernfamilie. Mit Ihrer grundlegenden Infragestellung des Familiennachzugs rütteln Sie am Völkerrecht, an humanitären Verpflichtungen unserer Verfassung und an Menschenrechten. Der Familiennachzug an sich verändert übrigens auch den Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention nicht, aber ich bezweifle ohnehin, dass Sie sich damit einmal auseinandergesetzt haben.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das sind nur die rechtlichen Aspekte; mit moralischen will ich bei Ihnen gar nicht erst anfangen. Selbst Sie können die Augen vor dem integrativen Aspekt des Familiennachzugs nicht verschließen,

(Abg. Joachim Paul, AfD: Frau Kollegin, da hat Herr Wissing aber anderes vor der Wahl gesagt!)

doch – ich korrigiere mich – Sie könnten das.

Meine Damen und Herren, einmal mehr zeigt eine Möchtegern-Rechtspartei ihre Doppelmoral, indem sie mit der Forderung, den Familiennachzug dauerhaft auszusetzen, zum Rechtsbruch aufruft. Hier im Haus kann das nicht mehr überraschen. Wir haben es oft genug erlebt. Ja, auch das bewegt die Gesellschaft. Das Recht in Deutschland ist das höchste Gut. Zum Rechtsbruch aufzurufen, ist unanständig.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Christian Baldauf, CDU)

Es bleibt zu hoffen, dass das heute noch einige Wähler wahrgenommen haben.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Binz das Wort.

(Unruhe im Hause – Glocke des Präsidenten)

Zwischendialoge können in der Lobby geführt werden. Frau Abgeordnete Binz hat jetzt das Wort.

Danke schön.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Für Geflüchtete mit einem subsidiären Schutz wurde 2016 mit dem Asylpaket II eine Wartezeit von zwei Jahren beim Familiennachzug eingeführt. Das bedeutet, alle, die ihren subsidiären Schutzstatus erst im März 2016 erhalten haben, müssen

bis zum März 2018 und länger warten, um einen Antrag auf Familiennachzug zu stellen.

Geflüchtete mit subsidiärem Schutz kommen vor allem aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. Hierbei ist zu beachten, dass seit dem Jahr 2016 das BAMF auf einmal wesentlich mehr Menschen aus diesen Ländern nur noch einen subsidiären Schutz zugesprochen hat, als dies noch 2015 der Fall war.

Dies zeigt sich laut Pro Asyl besonders drastisch bei den Menschen aus Syrien. Während 2015 noch 99,7 % aller Geflüchteten aus Syrien einen vollen Flüchtlingsschutz zugesprochen bekommen haben, bekamen 2016 ganze 42 % nur noch den subsidiären Schutz. Das ist eine Entscheidungspraxis des BAMF, die aus unserer Sicht zu Recht Fragen aufwirft; denn die Entscheidungen sollen sich nach der Situation im Heimatland richten, die sich von 2015 zu 2016 nicht geändert hat.

(Zuruf der Abg. Marlies Kohnle-Gros, CDU)

Durch die geänderte Entscheidungspraxis des BAMF sind nun auf einmal sehr viele Menschen vom Aussetzen des Familiennachzugs betroffen.

Was es bedeutet, die eigenen Kinder, die Frau, den Mann – die Kernfamilie ist schon mehrfach angesprochen worden, und um nichts anderes geht es beim Familiennachzug – in einem Kriegsgebiet zurückzulassen, ist für uns alle kaum vorstellbar. Viele der hierher Geflüchteten verzweifelen regelrecht an dieser Situation, und viele von ihnen schämen sich auch, weil sie selbst in Sicherheit sind. Die Folgen dieser emotionalen Belastung sind kaum zu erfassen. Auch sind sie ein großes Hemmnis für die Integration dieser Menschen.

Sie können sich in dieser ungewissen Lage nur schwer auf das konzentrieren, was wir von ihnen erwarten, nämlich den Erwerb der deutschen Sprache, unsere Regeln und Umgangsformen zu erlernen und zu versuchen, auf den eigenen Füßen zu stehen. Ich finde, dies sollte im Vordergrund stehen, wenn wir diese Diskussion führen, und nicht die teilweise absurden Zahlen, die von der AfD – was einen prognostizierten Familiennachzug angeht – ins Feld geführt werden.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei SPD und FDP)

Wenn wir uns die realen Zahlen aus Rheinland-Pfalz anschauen, dann liegt der Faktor des Familiennachzugs bei 0,25 Personen, die hinterher kommen, und nicht bei mehr. Wenn sie dann noch die Personen beim Familiennachzug abziehen, die gar nicht hierher eingewandert sind, sondern schon hier geboren sind, dann liegt dieser Faktor nur noch bei 0,2.

Die Zahl, die Sie selbst angeführt haben, der Bund prognostiziert – nämlich eine Person, die pro Person nachkommt – und von der Sie gesagt haben, sie wäre unrealistisch und an den Haaren herbeigezogen, ist ein Erfahrungswert aus den Zahlen seit 1997. Ich glaube, sie ist nicht einfach ausgedacht.

(Zurufe von der AfD)

Wenn Sie heute davon sprechen, dass Sie die Familien gnädig in ihrem eigenen Land zusammenführen wollen – denn sie haben nur subsidiären Schutz und können deswegen bestimmt schnell wieder zurück –, dann empfehle ich Ihnen einen sehr realistischen Blick in die entsprechenden Herkunftsländer. Wir haben es doch bei den Konflikten im Irak, in Syrien und auch in Afghanistan nicht mit kriegerischen Auseinandersetzungen zu tun, bei denen wir ernsthaft prognostizieren können, dass sie bald vorbei sind, die Länder dann sicher sind und die Menschen sofort wieder zurückgehen können. So einfach ist doch die Lage dort nicht.

Besonders in Syrien, dem Hauptherkunftsland, ist die Lage auch nach sechs Jahren Krieg vollkommen unklar und sehr kompliziert. Wir haben das Assad-Regime, dem krasseste Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Wir haben oppositionelle Rebellengruppen, die für die unterschiedlichsten Ziele kämpfen. Wir habe den IS, der zwar an Einfluss verliert, aber immer noch stark ist. In dieser Situation zu sagen, wir können die Familien in diesen Herkunftsländern wieder zusammenführen, ist zynisch und blauäugig.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei SPD und FDP)

Integration gelingt besser, wenn man die eigenen Liebsten in Sicherheit weiß und sie bei einem sind. Deswegen darf der Familiennachzug nicht weiter ausgesetzt werden, sondern er muss wieder ermöglicht werden. Ich bin froh, dass die Landesregierung das auch so sieht und sich dafür einsetzt.

Geschätzter Herr Kollege Kessel von der CDU, wenn Sie das als ideologisch und dogmatisch brandmarken, dann frage ich Sie, wie Sie dann gegenüber den Kirchen und auch der Diakonie stehen, die das Gleiche wie wir fordern.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Wir dürfen Gäste im rheinland-pfälzischen Landtag begrüßen: Mitglieder des SPD-Gemeindeverbands Kirn-Land und den Frauenkreis Niederheimbach. Herzlich willkommen bei uns!

(Beifall im Hause)

Für die Landesregierung spricht Frau Staatsministerin Spiegel.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt einen besonders tragischen Fall, der zeigt, warum es unmenschlich ist, den Familiennachzug zu lange auszusetzen. Pro Asyl hat von diesem Fall berichtet.

Es geht dabei um Salah, der 2015 aus Syrien geflohen ist, um nicht in Assads Armee dienen zu müssen. Nach langer Wartezeit erhielt er nur den subsidiären Schutz, und ein Familiennachzug war somit ausgeschlossen. Seine Frau und seine beiden Kinder harrten monatelang in der Türkei aus; dann war es aber finanziell für sie nicht mehr möglich, dort durchzuhalten. Sie stiegen in ein Schlauchboot mit 19 anderen Menschen. Das Schlauchboot kenterte auf der Ägäis, und die Familie von Salah starb.

Meine Damen und Herren, es gibt eine Abmachung, dass diese Regelung, die Tausende Familien auseinanderreißt und insbesondere Menschen aus Syrien betrifft, nur bis März kommenden Jahres gilt. Ich habe den Bundesinnenminister aufgefordert, sich daran zu halten, und auch die Ministerpräsidentin hat sich dahin gehend geäußert. Ich glaube, jeder kann verstehen, diese Menschen sorgen sich um das Wohl ihrer Ehefrau, ihres Ehemanns oder ihrer Kinder.

Die Kalkulation, diese harren zwei Jahre in ihrem Herkunftsland – beispielsweise in Syrien – aus, geht nicht auf. Stattdessen machen sich viele gerade aus Syrien auf den oft lebensgefährlichen Fluchtweg nach Europa.

(Zuruf des Abg. Matthias Joa, AfD)

Es besteht für anerkannte Flüchtlinge ein Rechtsanspruch auf Familiennachzug. Das sagt nicht nur unser Ausländerrecht, sondern das ist auch eine völkerrechtliche Verpflichtung. Flüchtlingsanerkennung und Flüchtlingsnachzug sind untrennbar miteinander verbunden. Familien das Zusammenleben zu verweigern, widerspricht dem besonderen Schutz der Familie, unserem Grundgesetz und auch der UN-Kinderrechtskonvention.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und FDP)

Der Familiennachzug zu subsidiär geschützten Personen ist eine tragende Säule unseres Ausländerrechts und eine bewusste Entscheidung. Sie ist richtig und wichtig; denn sie stärkt die Integration. Die vorübergehende Aussetzung des Familiennachzugs wird hoffentlich im März nächsten Jahres ihr Ende finden. Eine Verlängerung der Aussetzung würde bedeuten, einen wichtigen Grundsatz des Ausländerrechts in sein Gegenteil umzukehren.

Wie können wir Personen, beispielsweise aus Syrien, Schutz gewähren, ihnen aber zugleich sagen, dass ihre Kinder, ihre Ehefrau oder ihr Ehemann den Gefahren weiter ausgesetzt bleiben müssen? Wollen wir humanitäre Tragödien, die ohnehin schon gravierend genug sind, noch weiter verschärfen? Wir hätten schon längst mit der Integration der Familien der subsidiär Schutzberechtigten beginnen können.

Meine Damen und Herren, zu den Szenarien, die sich bestimmte politische Richtungen zurechtfantasieren, wie viele Menschen zu uns im Rahmen des Familiennachzugs kommen würden, kann ich nur sagen: Die einzige seriöse Quelle, aus der gewisse Schlussfolgerungen über den umfänglich zu erwartenden Zuzug gezogen werden könnten, ist die Visa-Statistik des Auswärtigen Amts. Auch hier gibt es nur Schätzungen, aber wenn man diese Schätzungen

nach dem Königsteiner Schlüssel auf Rheinland-Pfalz herunterbrechen würde, dann könnte man von etwa 5.000 Anträgen für Rheinland-Pfalz sprechen. Das ist eine Größenordnung, die angesichts des starken Rückgangs der Flüchtlingszahlen insgesamt gut zu handeln ist.

Ich betone es noch einmal: Seine Familie um sich zu haben, ist gut für die Integration. Daher macht es nur Sinn, den Familiennachzug wieder zuzulassen.

Herzlichen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)