Protokoll der Sitzung vom 16.05.2019

Die Probleme der Kinderarmut und die Ursachen dafür sind seit Jahren, seit Jahrzehnten bekannt. Die von Ihnen geforderten Lösungen sind nicht wirklich neu. Sie sind aber offensichtlich nicht oder noch nicht finanzierbar.

Grundsicherung, Grundrente, bedingungsloses Grundeinkommen – das auch noch für Jedermann – sowie imaginäre Steuerzahler und kommunale Budgets, die das alles bezahlen sollen. Die FDP spielt im gesetzlich manifestierten Umverteilungsstaat mit.

Meine Damen und Herren, verstehen Sie mich nicht falsch, auch ich würde gern vieles besser gemacht sehen. Zum Beispiel könnte ich mir eine ehrliche Subsidiarität vorstellen, bei der man nicht nur bei den Ausgaben die Kommunen vor das Loch schiebt, sondern ihnen auch die Einnahmen lässt. Vorstellbar wäre zum Beispiel eine Nettoeinkommensteuerrechnung, bei der die Kommunen definierte Sozialleistungen von der Bruttoeinnahme abziehen dürfen, bevor mit Bund und Land geteilt werden muss. Vielleicht würde das den Heißhunger mancher Landes- und Bundespolitiker nach immer mehr Transferleistungen zum Erlöschen bringen.

Auch könnte man über eine negative Einkommensteuer für jeden Staatsbürger in einer Größenordnung von 700 bis 800 Euro nachdenken. Das wäre dann die unbürokratischste und familienfreundlichste Lösung und würde nicht nur Kinderarmut, sondern auch jede andere Form von Armut bekämpfen und zugleich Einkommen jeder Art fair honorieren.

Allein die Forderung aufzustellen, bringt jedoch keine Lösung. Das ist auch das Problem, welches ich mit Ihrem Antrag habe. Eine Landesregierung bewegt gar nichts, wenn sie sich von den eigenen regierungstragenden Fraktionen im Landtag schöne Forderungen vortragen lässt, welche in der eigenen Bundespartei offensichtlich als nicht durchführbar gelten und in den Kommunen nicht finanzierbar sind. Das gilt übrigens auch für Teile des CDU-Alternativantrags.

Der Landtag sollte eher feststellen, dass die bereits seit Jahren erhobenen Forderungen zur quasi unbegrenzten Ausweitung der Transferleistungen im Sozialstaat an den finanziellen Realitäten gescheitert sind und auch in Zukunft

scheitern werden.

Meine Damen und Herren der Ampel und auch der CDU, nehmen Sie doch endlich zur Kenntnis, dass Ihre maßlose Weltenrettungspolitik die Ressourcen verschlingt, welche für einen vernünftigen gesellschaftlichen Ausgleich benötigt würden und zudem noch die Preise für Energie und Wohnen permanent in die Höhe treiben. Grassierende Armut ist eben ein Ergebnis verfehlter Gesellschaftspolitik und nicht Ergebnis mangelnder Umverteilung. Das beweist unser aktuelles Sozialstaatsbudget. Es war nie größer als heute, aber die Armut im Land wächst trotzdem. Irgendetwas müssen Sie in der Vergangenheit wohl falsch gemacht haben, meine Damen und Herren.

(Beifall der AfD)

Die AfD-Fraktion fordert die Landesregierung daher auf, sich vor allem für die Entlastung von Familien mit Kindern bei Steuern, Sozialabgaben und Gebühren einzusetzen. Für die Kinder, welche dann trotzdem noch arm sind, können wir dann gerne eine Grundsicherung einführen. Darüber können wir gerne reden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der AfD)

Nächster Redner ist der Abgeordnete Wink für die Fraktion der FDP.

Verehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe – das als Beispiel – im letzten Jahr im Dezember eine Familie mit drei Kindern, Vater und Mutter kennengelernt. Der Vater geht arbeiten. Allerdings reicht das Geld nicht aus, und sie müssen über die sogenannte Hartz-IV-Aufstockung ihr Einkommen verbessern.

Diese Familie hat mir berichtet, dass die Leidtragenden darunter oftmals die Kinder seien. Man kann auf den Jahrmarkt gehen, aber das Riesenrad ist eben nicht drin. Es gibt dann das unangenehme Gefühl dieser Eltern – das darf man einmal klar sagen –, auf das Amt zu gehen und sich mit diesem komischen Gefühl in sich – salopp gesagt – auf dem Amt bloßzustellen.

Dann kommt das nächste Problem. Es gibt so viele Transferleistungen, bei denen keiner mehr durchblickt, was es gibt, wie viel es gibt und wo es diese Leistungen gibt. Welchen Antrag muss ich ausfüllen? Wie muss ich den Antrag ausfüllen? Wo gebe ich den Antrag ab? Dann wird A auf B angerechnet, aber B nicht auf C und C ein bisschen auf A. Das ist ein Riesendschungel an Leistungen, der zur Verfügung steht.

Studien besagen, dass 21 % der Kinder in Deutschland dauerhaft oder wiederkehrend in Armut leben. Beispielsweise nutzen nur ca. 30 % der Berechtigten in Deutschland den Kinderzuschlag. Das Gleiche gilt für das Bildungs- und Teilhabepaket. Die Leistungen existieren zwar, sie kom

men momentan aber nicht dort an, wo sie es sollen.

Armut bedeutet immer, dass diese Kinder in vielen, vielen Dingen Defizite haben, sei es materiell, sei es kulturell, sei es sozial, psychisch oder physisch. Ich darf in aller Deutlichkeit sagen, ich möchte – auch als Vater zweier Kinder, wie viele andere hier im Raum –

(Abg. Heribert Friedmann, AfD: Ich habe fünf!)

in Rheinland-Pfalz oder in Deutschland in einem Land leben, in dem Kinder unabhängig vom Einkommen oder vom Status der Eltern ein selbstbestimmtes Leben führen und voll und ganz an der Gesellschaft teilhaben können.

Es kann nicht sein, dass ein Kind vielleicht Fußball spielen möchte und es nicht geht, weil die Eltern sich den Vereinsbeitrag nicht leisten können.

(Abg. Simone Huth-Haage, CDU: Das gibt es nicht! – Zuruf der Abg. Hedi Thelen, CDU)

Natürlich gibt es das!

(Abg. Hedi Thelen, CDU: Bildungs- und Teilhabepaket!)

Genau das habe ich doch eben gesagt. Das kennt doch keiner. 30 % nutzen es.

(Abg. Martin Haller, SPD: Das kennt doch keiner, Steven, absolut richtig!)

Wo sind die anderen 70 % der Berechtigten? Es kommt zurzeit doch gar nicht an.

(Abg. Martin Haller, SPD: So sieht es aus!)

Aber darauf will ich gar nicht hinaus. – Ich bin letztendlich froh, dass wir in der Ampelkoalition einen gemeinsamen Antrag gefunden haben. Es geht in diesem Fall nicht um Umverteilung, Herr Dr. Böhme.

(Abg. Dr. Timo Böhme, AfD: Um was denn sonst?)

Nein, geht es nicht, es geht nicht um Umverteilung. Ich sage Ihnen, wir wollen, dass die bisherigen kindbezogenen Leistungen zu einer einzigen Transferleistung gebündelt werden.

(Abg. Dr. Timo Böhme, AfD: Das ist nicht zum Nullpreis zu haben!)

Das ist eine Vision, die meiner Meinung nach – wenn man das politisch möchte – umsetzbar ist. Die Vision sieht konkret so aus: Es gibt e i n e n Antrag und e i n e Leistung, und die Familie hat e i n e n Ansprechpartner.

Ich betone noch einmal, dass es sich hier um eine Vision handelt. Die Hürden werden abgebaut, und man implementiert niedrigschwellige Ansätze. Ich kann die Bürokratie in diesem Bereich abbauen. Ich kann die Verwaltungsverfahren vereinfachen, damit die Berechtigten die Hilfe bekommen, die ihnen zusteht. Ich kann in diesem Moment auch die Jobcenter entlasten, die momentan viel mit Berechnun

gen oder Bescheiden zu tun haben, und sie in Bezug auf die Beratung weiter stärken, damit sie ihren eigentlichen Auftrag erfüllen können.

Nichts von dem, was ich seit Beginn meiner Rede, also in den vergangenen 4 Minuten und 33 Sekunden, erzählt habe, hat etwas mit Umverteilung zu tun. Außerdem sollten auch die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket ausgeweitet und die Beantragung einfacher gestaltet werden.

Meine Damen und Herren, wir alle wollen, dass Kinder die Grundlagen für ein selbstbestimmtes Leben in sozialer Verantwortung erhalten und an der Gesellschaft vollumfänglich teilnehmen können. Wir können uns streiten, wie wir das machen, aber im Ziel sollten wir uns einig sein.

Dem Antrag der CDU könnte ich in diesem Format nicht zustimmen.

(Glocke des Präsidenten)

Sie sagen, Sie wollen das Kindergeld erhöhen. Das kann man tun, aber Familien, die von Hartz IV leben oder eine Aufstockung erhalten, haben von der Kindergelderhöhung nichts.

Sie wollen eine Steuerreform. Ja, dann nehmen Sie aber bitte auch Ihre Kollegen auf Bundesebene mit. Über die Vereinfachung der Bürokratie etc. haben Sie in Ihrem Antrag gar nichts geschrieben.

Deswegen bitte ich Sie: Stimmen Sie unserem Antrag zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun erteile ich das Wort dem Abgeordneten Köbler für die Fraktion BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Kinder dürfen kein Armutsrisiko sein. Das ist in Deutschland aber leider so. Für Familien mit Kindern ist das Armutsrisiko viermal höher als für Familien ohne Kinder. Allein 3 Millionen Kinder in Deutschland sind auf staatliche Transferleistungen angewiesen. Das ist jedes fünfte Kind. Nach Berechnungen des Deutschen Kinderschutzbunds leben in Deutschland 4,4 Millionen Kinder in Armut. Das ist ein beschämender Rekord für ein so reiches Land wie Deutschland.

Aber das Gravierendste ist doch, dass die meisten Kinder, die in Armut aufwachsen, auch in Armut bleiben. Wer als Kind arm ist, der lebt auch häufig als Erwachsener in Armut. Eine Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbands hat ausgerechnet, dass zwei Drittel der Kinder, die im Kindesalter Armutserfahrungen machen, dauerhaft oder wiederkehrend auch als Erwachsene in Armut leben. Deswegen verfestigt sich bei uns Armut.

Diese Spirale müssen und wollen wir brechen; denn wer als Kind ohne Frühstück in die Schule kommt, wer sich keinen Kinobesuch leisten kann und wer auch dem Fußballverein nicht beitreten kann, weil für den Mitgliedsbeitrag das Geld fehlt, der hat von Anfang an nicht nur weniger ökonomische, sondern auch soziale und kulturelle Ressourcen und damit weniger Teilhabechancen.

Das heißt, die Chancen, in Deutschland aufzusteigen und gut aufzuwachsen, sind extrem ungleich verteilt. Deswegen fordert eine Vielzahl von Verbänden im „Bündnis Kindergrundsicherung“ nicht erst seit gestern, sondern seit über zehn Jahren eine existenzsichernde Grundsicherung, die alle Kinder und Familien vor Armut schützen kann.

Wir wollen mit unserem Antrag die Landesregierung – das Sozialministerium, aber auch das Familienministerium – unterstützen, die auf vielfältige Weise auf Bundesebene und im Bundesrat für Mehrheiten für eine Kindergrundsicherung in Deutschland, die wirklich vor Armut schützt, kämpft.