Protokoll der Sitzung vom 17.04.2024

Frau Kollegin Dr. Köbberling, wenn tatsächlich nach im Einzelfall berechtigten Zahlen die Strategie der Ampelkoalition voll aufgeht, dann muss ich leider konstatieren, dass der Ampelkoalition ein Stück weit die Befähigung zur Selbstreflexion fehlt, weil wir nach wie vor auch in Rheinland-Pfalz und deutschlandweit ein Minus in den Zahlen haben. Ich glaube, dass im Kanzleramt mittlerweile längst der Hintern auf Grundeis geht.

Herr Präsident, ich glaube, „Hintern“ darf man sagen.

(Vereinzelt Heiterkeit im Hause)

Es gibt eine Richtlinie, was man sagen darf und was nicht.

Anders kann ich mir das nämlich nicht erklären. Herr Scholz war gerade erst in China. Mit Verlaub, die feministische Außenpolitik oder die Einhaltung der Menschenrechte waren dort nicht die Topagenda, sondern wer das verfolgt hat, der hat gesehen, dass ihn in erster Linie die Wirtschaftspolitik und die

Frage umgetrieben hat, wie die Handelsbeziehungen intensiviert werden können, weil wir gerade da Defizite haben. So viel zur Selbstreflexion.

Wenn man der ganzen Debatte hier etwas Positives abgewinnen kann, dann nehme ich einmal mit, Frau Ministerin Schmitt, dass Sie ofen sind, noch einmal in medias res zu gehen, was die Förderung der Start-up-Szene betrift. Dazu würde ich mich gerne noch einmal im Ausschuss oder bilateral über Details unterhalten, weil ich glaube, dass wirklich in den Details unabhängig von der Höhe der Summe der Förderung, aber wie diese ausgestaltet sind, der Teufel stecken kann. Da kann man das eine oder andere noch verbessern. Da biete ich Ihnen die Hilfe der Opposition an,

(Heiterkeit bei der AfD)

soweit Sie daran überhaupt ein Interesse haben.

(Beifall der FREIEN WÄHLER und bei der CDU)

Damit ist der erste Teil der Aktuellen Debatte bendet.

Ich rufe Punkt 1 b) der Tagesordnung auf:

Zweiter Teil der AKTUELLEN DEBATTE

Aus der Krise lernen – lessons learned aus Corona auf Antrag der Fraktion FREIE WÄHLER – Drucksache 18/9246 –

Für die antragstellende Fraktion spricht Abgeordneter Schwab.

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Sie können sich sicherlich noch gut an die 50. Plenarsitzung am 27. September 2023 erinnern. Damals stand unter anderem die Aufarbeitung der Maßnahmen im Rahmen der Corona-Pandemie auf der Tagesordnung, ohne dass diese Debatte mit einem greifbaren Ergebnis hätte abgeschlossen werden können.

Ich denke, wir sind heute ein gutes Stück weiter. Ich begrüße es ausdrücklich, dass wir uns inzwischen mehrheitlich darauf verständigt haben, die Aufarbeitung der Corona-Krise aus rheinland-pfälzischer Sicht zum Thema einer der nächsten Sitzungen des Gesundheitsausschusses möglichst ab dem 16. Mai zu machen.

Zumindest aus bundespolitischer Sicht hat sich in der Corona-Zeit so mancher nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Es wäre wahrscheinlich Gras über so manche Sache gewachsen, wenn nicht der Journalist und Publizist Paul

Schreyer seine Einsichtnahmen in die Corona-Protokolle des Robert-KochInstituts gerichtlich durchgesetzt hätte. Die Folge war, jetzt begannen auch die großen bekannten Medien unangenehme Fragen zu stellen. Lassen Sie mich exemplarisch die Beiträge in der WELT vom 27. März 2024 erwähnen.

Plötzlich stand die Frage im Raum: Hat sich die Politik über den Rat von Experten hinweggesetzt oder nur das berücksichtigt, was gerade aus welchen Gründen auch immer opportun war?

(Zuruf des Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD)

Wir könnten jetzt sagen, das ist doch eine Bundesangelegenheit, und uns entspannt zurücklehnen. Können wir das wirklich? – Ich meine nein. Im Zeitraum vom 19. März 2020 bis zum 30. September 2022 gab es insgesamt 34 Corona-Bekämpfungsverordnungen der Landesregierung. Dabei sei doch die Frage gestattet, ob dabei wirklich nur wissenschaftliche Erkenntnisse oder vielleicht auch Reaktionen auf den via Berlin ausgeübten Druck im Hintergrund standen.

Um dies vorwegzunehmen: Es geht mir nicht darum, einzelne Menschen an den Pranger zu stellen oder personelle Konsequenzen heraufzubeschwören. Ich habe den Eindruck, dass das Interesse an einer transparenten Aufarbeitung in den Jahren von 2020 bis heute auch bei uns in Rheinland-Pfalz zugenommen hat. Der bevorstehende gemeinsame Antrag der Ampelfraktionen, der CDU und von uns, eine öfentliche Sachverständigenanhörung durchzuführen, kommt nicht von ungefähr.

(Abg. Dr. Joachim Streit, FREIE WÄHLER: Genau!)

Wir sind aber auch der Überzeugung, dass es besser gewesen wäre, schon früher eine Expertenrunde zu etablieren. Die Voraussetzungen waren bereits erfüllt. Ich erinnere daran, dass es bereits von Juli bis Dezember 2020 eine Enquete-Kommission zum Thema „Corona“ gegeben hat. Wir als Freie Wähler waren damals noch nicht im Landtag in Rheinland-Pfalz vertreten. Dennoch meinen wir, die Landesregierung hat es damals versäumt, eine tragfähige Folgeeinrichtung zu dieser Enquete-Kommission zu schafen. Dabei wäre es seinerzeit sehr wichtig gewesen, sofort eine Institution zu etablieren, die weitere Corona-Maßnahmen unabhängig, transparent sowie – das ist besonders wichtig – öfentlichkeitswirksam begleitet und evaluiert. Alle Menschen in diesem Land haben eine vernünftige Aufarbeitung nicht nur verdient, sondern auch einen Anspruch darauf. Das vor allem dann, wenn sie heute noch unter den Folgen der Corona-Jahre leiden.

Wie das in der Praxis funktionieren kann, hat das Saarland vorgemacht. Zur Erinnerung: Am 5. und 6. September 2023 fand im Saarland eine Expertenanhörung statt. Das erklärte Ziel war, Erkenntnisse für den Umgang mit künftigen Pandemien zu gewinnen. Auch sollte herausgearbeitet werden, was in der Corona-Zeit gut oder nicht so gut gelaufen ist. Wir als FREIE WÄHLERLandtagsfraktion bleiben grundsätzlich bei der Haltung, dass das Saarländer Format auch bei uns in Rheinland-Pfalz gut funktionieren könnte. Wir freuen

uns darüber, dass wir mit dieser Ansicht neben der CDU nun auch mit den Ampelfraktionen nicht alleine stehen.

Der Anlass könnte aktueller nicht sein. Auch wenn man in Berlin und andernorts immer noch der Meinung ist, durch die Maßnahmen das Schlimmste verhindert zu haben, ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, über nachteilige Auswirkungen dieser Maßnahmen auch in Rheinland-Pfalz zu sprechen.

An dieser Stelle nur drei Beispiele: die Isolierung von Kindern und Jugendlichen in den elterlichen Wohnungen sowie die von Senioren in Pflegeeinrichtungen und Patienten in Krankenhäusern. Wissen wir doch alle, dass eine große emotionale Belastung zum sogenannten Broken-Heart-Syndrom führen kann, das im Extremfall sogar zum Tod führt. Auch die unsäglichen Ausgangssperren seien aber an dieser Stelle noch einmal erwähnt.

Gerade auch rechtliche Hintergründe und Konsequenzen bedürfen einer Nachbetrachtung, um für kommende Situationen besser gerüstet zu sein. Schon in der eingangs erwähnten Debatte am 27. September 2023 habe ich dies gesagt.

Mehr dazu im zweiten Teil.

Danke schön.

(Beifall der FREIEN WÄHLER)

Für die SPD-Fraktion spricht Abgeordneter Dr. Kusch.

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Erinnern Sie sich an die Vogelgrippe? Eigentlich eine Erkrankung, die bis in die 90erJahre nur von Vögeln auf Vögel übertragen werden konnte. 1996 kam es dann in Asien zu einer Mutation, bei der man Sorge hatte, sie könnte so weitermutieren, dass eine Übertragung von Mensch zu Mensch möglich sein könnte.

In den 10er-Jahren kam es weltweit zu vermehrten Erkrankungen von Menschen, und es wurde auch in Deutschland Vorsorge getrofen. Ich erinnere mich, dass in den Arztpraxen ähnlich wie bei der Corona-Pandemie Schutzausrüstung zur Testung ausgegeben wurde.

Das Virus mutierte glücklicherweise nicht weiter. Es wurden Fälle von Übertragung von Mensch zu Mensch vermutet, aber sie konnten nie nachgewiesen werden, und es konnte schnell zum normalen Vorgehen übergegangen werden.

Erinnern Sie sich an die Afenpocken? Zeitgleich zur Corona-Pandemie hatte

sich im Jahr 2019 ein Reisender wahrscheinlich über Bushmeat mit dem Afenpockenvirus infiziert und es von Nigeria nach Singapur mitgebracht und dort 23 Menschen angesteckt. Es wurden weltweit Schutzmaßnahmen durchgeführt, aber es kam zu keiner Pandemie.

Bei Corona war es zu Anfang ähnlich: Man hatte gehört, dass da in China etwas ist – wahrscheinlich eine Ansteckung von einem Menschen auf einem Markt für exotische Nahrungsmittel –, was aus den Wäldern Chinas kommt. Es wurden Schutzmaßnahmen eingeführt, aber hier mutierte das Virus auf eine Art, dass eine Ansteckung jetzt von Mensch zu Mensch möglich war. Wir hörten von Mitarbeitern einer bayerischen Firma, die infiziert aus China nach Deutschland kamen, und man dachte, durch geeignete Quarantäneund Hygienemaßnahmen dieses Virus eindämmen zu können, was aber nicht gelang, weil schon viele Infizierte kreuz und quer über den Globus flogen und so den Grundstock für die Pandemie legten.

Wir erinnern uns alle an den Ausbruch in Norditalien, wo die Leichenwagen der Corona-Toten lange Staus verursachten und auch eine Vielzahl der behandelnden Ärzte verstarb. Schnell wurden die AHA-Regeln eingeführt, und mit diesen einfachen Maßnahmen ließ sich die Infektionsgefahr beim Kontakt mit Infizierten um 80 % reduzieren. Das wurde schnell auch mithilfe der Universität Mainz und der Gutenberg COVID-19-Studie gelernt. Das haben wir gelernt: AHA-Regeln sind einfach und helfen viel.

Auch wurde in Mainz einer der Impfstofe entwickelt, schnell und unbürokratisch, immer unter Beachtung der notwendigen Sorgfalt. Es konnten damit Millionen Menschenleben gerettet werden. Das haben wir gewusst und erneut bestätigt: Impfen rettet Menschenleben.

Es wurden Kontaktbeschränkungen erlassen. Es wurden Spielplätze, Kindergärten und Schulen geschlossen. Im öfentlichen Leben wurden drastische Maßnahmen eingeführt, die wir alle noch gut vor Augen haben. Die Schließungen der Spielplätze, Kindergärten und Schulen wären in diesem Maße nicht notwendig gewesen und haben das Leben und Lernen der Kinder und Jugendlichen stark eingeschränkt, und Teile wären nicht erforderlich gewesen, da Kleinkinder keine Treiber der Infektion waren. Das hat man während der Pandemie schon gelernt, aber hauptsächlich in der Nachbetrachtung gesehen.

Ganz herzlichen Dank an alle Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer, die in der Pandemie vieles geleistet haben für die Schulen und die Kinder. Das haben wir gelernt: Die Schließung von Spielplätzen und Kindergärten wäre nicht notwendig gewesen. Die Digitalisierung muss vorangetrieben werden, damit alle Kinder gleiche Lernmöglichkeiten in einer pandemischen Situation haben.

Eine ebenfalls schwierige Abwägung zwischen Infektionsschutz und sozialen und psychischen Belastungen war in der Pflege, in sozialen Einrichtungen und beim Umgang mit Menschen mit Behinderungen zu trefen. Wir hatten

in Rheinland-Pfalz bereits sehr früh eine Enquete-Kommission. Diese hatte damals schon herausgearbeitet, wie wichtig es ist, auch gefährdeten Personen ein Mindestmaß an sozialen Kontakten zu gewähren, zum Beispiel durch Selbstquarantäne von Besuchern, Schnelltestungen und die konsequente Einhaltung von Hygienemaßnahmen. Künftig soll kein Mensch mehr allein im Altenheim versterben, ohne den Beistand von Angehörigen und Freunden.

Ich möchte mich auch an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich bei allen in der Pflege, bei allen Ärztinnen und Ärzten und bei allen in medizinischen Berufen und dem sozialen Miteinander tätigen Personen für die geleistete immense Arbeit während der Pandemie und für ihre hervorragenden Leistungen bedanken.

(Beifall der SPD, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und bei der CDU)

Wir haben gelernt, es ist wichtig, immer zwischen Infektionsschutz und psychosozialen Belastungen abzuwägen, zeitnah Änderungen möglich zu machen und transparent zu handeln. Wir haben auch gelernt, dass es nach einer Infektion durch das Virus nicht immer zu einer schnellen Heilung kommt und es Impfreaktionen gibt. Es wurden Post-COVID-Ambulanzen gegründet. Im Gesamten müssen wir noch sehr viel lernen, was im Immunsystem bei diesen Menschen weitere Krankheitssymptome auslöst und wie wir diese am besten behandeln können. Das Gesundheitsministerium hat diese Ambulanzen eingerichtet, und an der Uniklinik Mainz laufen aktuell Studien, auf deren Ergebnisse wir alle mit Spannung warten.

Bei der schon angesprochenen Anhörung im Gesundheitsausschuss bei unseren Nachbarn im Saarland zogen die AOK und der mitangehörte GKVSpitzenverband folgendes Fazit – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –: In Rheinland-Pfalz erfolgte eine kontinuierliche, regelmäßige Information über den Presseverteiler des Gesundheitsministeriums. Wöchentlich wurde über die Inzidenzen und weitere Themen der Versorgung transparent berichtet. – Dies wurde explizit als positiv herausgestellt.

Viele weitere Themen gibt es zu beachten: Gewalt in Familien und gegen Frauen, Hotellerie und Gastronomie, die Kulturlandschaft, Gottesdienste der verschiedenen Religionsgemeinschaften usw. Die Zeit reicht nicht aus, um alles aufzuzählen.