Protokoll der Sitzung vom 14.11.2003

Dem von der Landesregierung abgegebenen Bericht über die aktuellen Entscheidungen zur Umorganisierung der Verwaltung lag ein Berichtsantrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zugrunde. Nachdem die Landesregierung hier den Bericht gegeben hat, gehe ich davon aus, dass der Antrag damit erledigt ist. - Auch das ist vom Haus einvernehmlich so beschlossen.

Bevor ich jetzt Tagesordnungspunkt 38 a aufrufe, möchte ich geschäftsleitend darauf hinweisen, dass sich das Haus heute Morgen verständigt hat, einen weiteren Dringlichkeitsantrag als Punkt 38 b in die Tagesordnung aufzunehmen mit dem Betreff „Weihnachtsgeldzahlungen für Ministerinnen und Minister“, Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Das Präsidium ist dahin gehend informiert, dass dieser Dringlichkeitsantrag nicht mehr vor, sondern unmittelbar nach der Mittagspause, um 15 Uhr, beraten werden soll.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 38 a auf:

a) Keine Ausbildungsplatzabgabe!

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 15/3032

b) Ausbildungsplatzumlage

Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 15/3035

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort für die antragstellende Fraktion der FDP erteile ich der Frau Abgeordneten Christel AschmoneitLücke.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selbst nach zwölf Jahren in diesem Landtag erlebt man hin und wieder noch Überraschungen. Nachdem alle Fraktionen der Dringlichkeit unseres Antrages zugestimmt haben - vielen Dank dafür -, wurde mir ganz überraschend erst richtig klar, warum das Thema Ausbildungsplatzabgabe unbedingt in dieser Sitzung unseres hohen Hauses öffentlich beraten werden muss.

Ich sagte in meiner Begründung der Dringlichkeit, einem solchen katastrophalen Vorhaben könne nicht früh genug entgegengetreten werden. Ich dachte, es gäbe in der Landesregierung wenigstens einen Vernünftigen: den Wirtschaftsminister. Er hatte in seiner Pressemitteilung vom 11. November 2003 unmissverständlich festgestellt, die Ausbildungsplatzabgabe sei der falsche Weg, und dies auch gut begründet.

Dann las ich am selben Tag in der „taz“ ein Interview von einem gewissen Bernd Rohwer, der sagte - ich zitiere -:

(Christel Aschmoneit-Lücke)

„Wenn es aber zu einer Regelung kommt, die regionale Aspekte berücksichtigt, dann könnte ich mit der Abgabe leben.“

Am Foto erkannte ich, dass es sich tatsächlich um unseren Wirtschaftsminister handelte.

Zum Glück wurde der Tagesordnungspunkt so weit nach hinten geschoben, dass Herr Dr. Rohwer sich auch noch bei uns im Lande auf den pressewirksamen Ausweg aus seinem Dilemma zwischen kanzlertreuer Parteiräson und wirtschaftspolitischer Vernunft begeben konnte. Das unsinnige Ergebnis seines Eiertanzes konnten Sie alle heute Morgen in den „Kieler Nachrichten“ lesen.

Die Parteiräson hat gewonnen, die wirtschaftspolitische Vernunft leider verloren.

(Beifall bei FDP und CDU)

Heute Morgen war kein Wort des Parteigenossen Rohwer gegen die Ausbildungsplatzabgabe mehr zu lesen. In Schleswig-Holstein ist sie offenbar nur deshalb überflüssig, weil bei uns kaum noch Ausbildungsplätze fehlen. Schließlich steht ein SPDParteitag vor der Tür.

Volkswirtschaftsprofessor Dr. Rohwer hält bei Ausbildungsplatzmangel eine Steuer auf Ausbildung für sinnvoll. Ich wünsche mir, dass Sie, Herr Dr. Rohwer, diese These einmal in Ihren wirtschaftspolitischen Vorlesungen an der Kieler Universität zur Diskussion stellen.

Aber so kennen wir ihn ja, unseren Professor Dr. Rohwer: Erst ein forsches Wort ans Publikum, eine tiefe Verbeugung vor der Wirtschaft mit einer kernigen Ankündigung, und dann haut er heimlich, still und leise ab durch die sozialdemokratische Hintertür.

(Beifall bei FDP und CDU)

Aber auf die Dauer wird sich schon herumsprechen, Herr Minister, dass Sie es lieben, Sand in die Augen zu streuen. Der Versuch, es allen Seiten recht zu machen, ist schon immer gescheitert.

Ich möchte, ich will heute hier von Ihnen hören, Herr Minister, dass die Ausbildungsplatzabgabe - ohne Wenn und Aber - der falsche Weg ist,

(Beifall bei FDP und CDU)

dass diese Zwangsabgabe die Probleme auf dem Ausbildungsmarkt nicht löst, sondern verstärkt, dass sie kontraproduktiv ist und potenzielle Arbeitsplätze vernichtet, dass sie zu einer unerträglich aufgeblähten zusätzlichen Bürokratie führt, dass es sich um eine zusätzliche Steuer handelt, die die Arbeitskosten er

höht, dass schon die Androhung dieser Abgabe die Wirtschaft verunsichert und gerade in der derzeitigen Situation verheerend ist.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Ich möchte, dass Sie, Herr Minister, sich aus all diesen Gründen persönlich mit allem Nachdruck und auf allen Ebenen gegen die Einführung dieser Abgabe insgesamt einsetzen, und zwar nicht nur für Schleswig-Holstein, sondern für die ganze Bundesrepublik Deutschland;

(Beifall bei FDP und CDU)

denn Sie, Herr Minister, sind als verantwortlicher Politiker dieses Landes auch verpflichtet, Schaden für die deutsche Wirtschaft insgesamt abzuwenden. Sie können Schleswig-Holstein nicht einfach vom Rest der Welt abkoppeln; das wissen Sie auch. SchleswigHolstein ist nicht die Insel der Seligen, von der Sie manchmal träumen. Herr Minister, helfen Sie, die Debatte um die Ausbildungsplatzabgabe schnell zu beenden und die Abgabe zu verhindern. Sonst kommen die sozialdemokratischen Sozialisten unter der Führung von Herrn Schröder und Herrn Müntefering doch noch auf die Idee, eine weitere Arbeitsplatzabgabe einzuführen, wenn die Unternehmen nicht über Bedarf Arbeitslose einstellen.

(Zuruf des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD])

- Sehr geehrter Herr Kollege Nabel, das müssen wir verhindern. Das, was Sie hier heute veranstalten, ist mit dem Wort Eiertanz kaum noch richtig zu bezeichnen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das ist ein Kniefall in sämtliche Richtungen, dem man kaum noch mit den Augen folgen kann. Ich hoffe, dass Ihnen bei dem Kniefall - hin und her und vor und zurück - und den Verbeugungen nach rechts und links und allen Seiten nicht auch noch schwindelig wird.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort für die Fraktion der SPD erteile ich jetzt dem Abgeordneten Bernd Schröder.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Bernd Schröder)

„Ausbildung ist ohne Frage eine wichtige Investition in die Zukunft. Der Wirtschaft kann es nicht erlaubt werden, sich aus der Ausbildungsverantwortung zurückzuziehen, sondern sie muss zu der getroffenen Vereinbarung zurückkehren. Diese lautet: Jeder, der einen Ausbildungsplatz sucht und ausbildungsfähig ist, muss einen Ausbildungsplatz bekommen.“

Diesen Auszug aus der Rede des Bundeskanzlers vom 14. März 2003 kann sicher auch in diesem hohen Hause jeder unterschreiben.

(Beifall des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

In unserem anerkannten dualen System tragen Wirtschaft und Politik eine hohe Verantwortung dafür, dass junge Menschen nach der Schule durch einen Ausbildungsplatz überhaupt eine Zukunftsperspektive haben. Eine gute Ausbildung ist von zentraler Bedeutung für die Zukunftschancen der jungen Menschen.

Die Zahlen aber belegen, was eigentlich nicht sein darf: 30 % der Unternehmen in Deutschland bilden aus, viele sogar über Bedarf. 70 % aber entziehen sich ihrer sozialen und im Übrigen auch ihrer ökonomischen Verantwortung. Denn wo sollen die Fachkräfte in ein paar Jahren herkommen, wenn ausbildungswillige und ausbildungsfähige junge Leute heute auf der Straße sitzen bleiben?

In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, dass sich in unserem dualen System die Wirtschaft für die Ausbildung verantwortlich zeichnet, eine Verantwortung - darauf pochen ihre Verbandsvertreter -, die sie sich auf keinen Fall nehmen lassen will. Wer sich jedoch aus dieser Verantwortung davonstiehlt, muss sich im Klaren darüber sein, dass er die Verantwortung dem Staat zuschiebt und damit der Politik die Pflicht zu handeln.

Er liefert auch denen Argumente, die fordern, die Betriebe, die nicht ausbilden, mit einer Ausbildungsplatzumlage zu belegen. Um es klar zu sagen: Eine Ausbildungsplatzumlage ist das allerletzte Mittel. Es darf nur dann eingesetzt werden, wenn nicht genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen. Die Unternehmer stehen also in der Pflicht und sollten sich auf die Vorzüge des dualen Systems besinnen.

Mit der Verpflichtung, Ausbildungsplätze anzubieten, haben sie gleichzeitig die Möglichkeit, gemeinsam mit den Gewerkschaften als den Vertretern der Arbeitnehmerseite die Modalitäten der beruflichen

Ausbildung weitestgehend festzulegen. Dies spricht für eine praxisnahe und bedarfsgerechte Ausbildung.

Die Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN legen deshalb einen Änderungsantrag zum FDP-Antrag vor, weil sie eine differenzierte Lösung haben möchten. Wir erkennen an, dass es bundesweit leider immer noch nicht genügend Ausbildungsplätze gibt. Weil dies so ist, muss die Politik - wie von mir geschildert - dann auch handeln.

(Beifall bei der SPD)

Die Wirtschaft hat sich in vielen Bereichen Deutschlands eben nicht an die getroffenen Verabredungen gehalten und ist ihrer Ausbildungsverantwortung nicht gerecht geworden. Im Oktober 2003 standen fast 40.000 Bewerberinnen und Bewerbern ohne Ausbildungsplatz 13.800 offene Stellen gegenüber. Aus den Vorjahren gibt es noch eine Zahl von 120.000 bis 150.000 Jugendlichen, die immer noch keinen Ausbildungsplatz haben. Diese Zahlen, die nicht weggeredet werden können, machen deutlich, dass gehandelt werden muss.