Protokoll der Sitzung vom 28.09.2000

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zeitschrift „Brigitte“ berichtet in ihrer neuesten Ausgabe von einem deutschen Mädchen, das in Köln geboren wurde und in Deutschland mit Pippi Langstrumpf und Benjamin Blümchen, mit Barbiepuppen und allem, was dazu gehört, aufgewachsen ist, aber eine braune Hautfarbe hat, weil ihr Vater aus Kenia stammt. Dieses Mädchen hat ein wohl geordnetes Umfeld, lebt in einem gutbürgerlichen Stadtteil Berlins, hat Freundinnen, mit denen sie gut auskommt, aber erlebte einmal, dass sie im Bus angemacht wurde. Jemand fragte sie bedrohlich, woher sie komme. Aus Angst sagte sie, sie komme aus Afrika, obwohl sie Deutsche ist und in Deutschland aufgewachsen ist. Als ihre Mutter sie nach dem Grund fragte, sagte sie: Ich dachte, das müsste ich sagen.

Dieses Mädchen sollte seine Großmutter in Hamburg besuchen und es gab in der Familie eine Diskussion darüber, ob es ausreichen würde, in der ersten Klasse der Bahn zu fahren, oder ob man besser eine Flugkarte kaufen sollte. Schließlich fuhr die Großmutter von Hamburg nach Berlin, um das Mädchen abzuholen. Ihre Eltern haben ihr abgeraten, vor allem abends auf eine Kirmes zu gehen. Als sie mit Freunden an einen See in der Nähe Berlins fahren wollte, ist die Mutter vorher heimlich hingefahren und hat sich dort die Gegend angeguckt. Mit Erschrecken stellte sie fest, dass dort eine Gruppe von Glatzköpfen saß, die ausländerfeindliche Sprüche machten. Daraufhin verbot sie dem Mädchen, dorthin zu fahren. - Das ist ein Beispiel dafür, was in Deutschland passiert. Es beschreibt keine Gewalt, sondern einfach ein Lebensgefühl.

Ein weiteres Beispiel: Im Ostharz gibt es ein Forschungsinstitut, in dem eine überwiegend internationale Wissenschaftlergemeinschaft aus aller Herren Länder arbeitet. An diesem Ort gibt es eine Gruppe von Skins. Das sind wenige Jugendliche, die es sich zum Vergnügen machen, vor dem Eingang dieses Instituts zu warten und die Wissenschaftler zu beschimpfen, wenn sie rauskommen, und ihnen zu sagen: Haut ab! Dies hat zum Ergebnis, dass von den Wissenschaftlern kaum noch einer zu Fuß geht, sondern sich praktisch nur noch mit dem Auto bewegt. - Leben in Deutschland.

(Karl-Martin Hentschel)

Ein weiterer Fall, den ich selber erlebt habe: Im Kreis Pinneberg gibt es am Rande von Hamburg eine Gemeinde, die heißt Halstenbek. Da marschierten vor ein paar Jahren Jugendliche mit Bomberjacken und Springerstiefeln jeden Samstag um 10 Uhr vor einem Supermarkt mit einer Reichskriegsflagge hin und her und übten das Marschieren. Sie machten Leute an und zwangen Omas „Heil Hitler“ zu sagen.

Dann bildete sich im Ort eine Gruppe; ein Pastor war dabei, ein Schülersprecher, Polizisten, Gemeindevertreter, Leute vom Sportverein. Die haben beraten, was sie tun sollen, und sie haben dann Folgendes gemacht. Sie haben beschlossen, dass alle Leute, die sie erreichen konnten - das waren dann so etwa 30 Leute -, immer dann, wenn die Glatzköpfe am Sonnabend dort auftauchten, hingingen, sie direkt ansprechen, sie gewissermaßen umzingeln, sie nach ihren Namen fragen oder sie - wenn sie den Namen kennen - mit ihrem Namen ansprechen und so weiter. Zweimal war das notwendig; danach war die Sache vorbei.

Das Problem liegt nicht allein darin, dass es in diesem Lande 10 % Menschen gibt, die verrückt oder rechtsradikal denken; das Problem ist vielmehr, dass es sich diese Gesellschaft nicht gefallen lassen darf, dass diese Minderheit beginnt, das Leben in dieser Gesellschaft zu prägen. Das ist das Problem!

(Lebhafter Beifall im ganzen Haus)

Ich denke, wir haben auch eine Verantwortung für unsere Sprache. Darin unterscheide ich mich auch von Ihnen, Herr Kubicki. In Amerika gibt es das Wort von der „political correctness“; bestimmte Dinge sagt man nicht, zumindest nicht, wenn man in verantwortlicher Position steht. Man widerspricht auch, wenn solche Dinge gesagt werden.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Dann müssen Sie die Satire abschaffen!)

Ich meine, dass viele Dinge in diesem Land gesagt worden sind - Sie haben ja selbst darauf hingewiesen -, wie „Ausländerflut eindämmen“, wie „das Boot ist voll“, oder es ist über Inder geredet worden, was mich besonders getroffen hat, weil ich eine indische Freundin habe, die mit ihrer Tochter hier in Deutschland lebt. Ich denke, dass die Verantwortung für das, was wir in diesem Zusammenhang sagen, sehr groß ist, weil die Erfahrung zeigt, dass dann, wenn auch jemand, der in Verantwortung steht, solche Dinge sagt, dies als Verstärker wirkt. Deswegen müssen wir uns dieser Verantwortung bewusst sein.

Ich möchte ganz ausdrücklich hervorheben, dass ich mich über die klaren Worte in diesem Zusammenhang - gerade auch von Herrn Kayenburg hier - sehr gefreut habe.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, CDU und SSW)

Es ist gut, dass wir uns in dieser Frage einig sind. Ich finde auch, dass derjenige Recht hat, der gesagt hat ich weiß nicht mehr, wer es war -, dass die Erfahrungen dieses Landtages in den vier Jahren zuvor, als wir noch nicht in diesem Landtag vertreten waren, sicherlich ebenfalls für die Einigkeit eine Rolle spielen, die hier im Landtag in dieser Frage herrscht, sich gemeinsam so zu verhalten. Alle, die diese Erfahrungen gemacht haben - das spüre ich einfach an dem Geist, mit dem diese Diskussion geführt wird; das beeindruckt mich auch -, alle also, die diese Erfahrungen gemacht haben, haben einen Erfahrungshintergrund, der sicherlich ebenfalls dieses Klima prägt.

Ich stimme mit denen überein, die gesagt haben, dass der Rechtsstaat nicht abgebaut werden darf, um Rechts zu bekämpfen. Wir können jetzt nicht anfangen, Gesetze zu verschärfen und Demokratie abzubauen, weil wir meinen, wir müssten die Rechten besonders scharf bekämpfen. Das kann nicht der Weg sein. Die Gesetze reichen aus. Es kommt darauf an, sie zu nutzen; es kommt darauf an - das hat die Landesregierung ja gemacht -, die Zusammenarbeit von Justiz und Polizei und dort, wo es notwendig ist, auch mit anderen Institutionen zu verstärken. Es kommt darauf an, vor Ort an runden Tischen Leute zusammenzubringen, die sich gemeinsam Gedanken machen, wie man auf die jeweilige Situation vor Ort reagieren kann. Es sind häufig ganz wenige Jugendliche vor Ort und die sind oft auch bekannt. Die Leute kennen sie; sie wissen, wer das ist. Aber es wird nichts gemacht. Man muss sich hinsetzen, man muss darauf reagieren und muss in diesen Punkten zusammenarbeiten. Ich denke, dass wir mit dem, was hier diskutiert und beschlossen worden ist, auf dem richtigen Weg sind.

Wir müssen aber vielleicht auch den Begriff „Demokratie“ für uns neu buchstabieren. Wir haben einfach nicht das Bewusstsein dafür, dass die Rechte der Einzelnen, die Freiheit hart und blutig erkämpfte Errungenschaften der modernen Welt sind, die sehr neu sind. In Deutschland sind sie besonders neu. Es hat viele Jahrhunderte der Geschichte gegeben, in denen es diese Rechte und diese Freiheit nicht gegeben hat. Diese individuelle Freiheit, die wir erkämpft haben, ist ein Gut, das die Amerikaner ganz anders schätzen als wir hier in Deutschland. Wir müssen also viel mehr darauf achten, dass wir dieses Gut, diese Errungenschaft auch weiter vermitteln, wir müssen deutlich machen, dass wir selbst stolz darauf sind, und diesen Stolz auch unseren Kindern vermitteln. Das ist

(Karl-Martin Hentschel)

eine wichtige erzieherische Aufgabe, die wir in diesem Zusammenhang haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, CDU und SSW)

Lassen Sie mich mit dem Appell schließen, das Thema des Neofaschismus nicht mit der heutigen Debatte abzuhaken, vielleicht hier und da noch ein paar Mark mehr einzufordern, sondern wir müssen diese Dinge aus dem Plenarsaal heraus weiter persönlich nach außen transportieren. Das heißt auch, gegen die täglichen Nadelstiche, die man im Umfeld hört, die man in der Fußgängerzone oder in der Kneipe hört - Sie kennen die Sprüche -, anzugehen und auch dort als Demokraten das Bewusstsein, das wir hier vertreten, weiter zu vertreten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich freue mich über die deutlichen und klaren Aussagen aller hier im Landtag vertretenen Parteien, die sich wohltuend von manchem Populismus unterscheiden, den man auch gelegentlich erlebt. Wir werden uns unsere Demokratie nicht kaputtmachen lassen.

(Beifall im ganzen Hause)

Frau Abgeordnete Spoorendonk, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rechtsextreme Gewalt und Agitation sind auch in Schleswig-Holstein seit Jahren wieder zu einem Teil des Alltags geworden. Daher ist es höchste Zeit, dass die gesamte Gesellschaft erkennt, dass die rechtsextremistische Gefahr nicht von selbst wieder verschwindet. Es ist allerhöchste Zeit, mit Taten deutlich zu machen, dass rechtsradikales Gedankengut und rechtsradikale Taten nie wieder in Schleswig-Holstein Fuß fassen werden. Dafür werden wir sorgen.

Wir alle wissen, wie der Rechtsextremismus die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes unterdrückt, verfolgt und ermordet hat. Die Botschaft der heutigen Debatte muss also sein: Das machen wir ganz bestimmt nicht noch einmal mit. Denn wir, die Demokratinnen und Demokraten in diesem Land, sind stärker.

(Beifall im ganzen Haus)

Gerade deshalb besteht auch kein Grund dazu, nach härteren Strafen, schärferen Gesetzen und Verboten zu rufen. Selbstverständlich sollen rechtsextreme Taten und rechtsextreme Propaganda streng und vor allem

schnell verfolgt werden. Aber es ist wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren.

Auch wenn wir alle keine Toleranz für Rechtsextreme haben, müssen die Mittel in einem angemessenen Verhältnis zu den Zielen stehen. Die Forderung, das Demonstrationsrecht für Rechte einzuschränken, ist deshalb falsch. Es wäre katastrophal, wenn die Feinde unserer freiheitlichen Verfassung mit ihrem Wahnsinn erreichen würden, dass Grundrechte eingeschränkt werden.

(Starker Beifall im ganzen Haus)

Darum ist es auch immer wieder wichtig, darauf hinzuweisen, dass unsere Polizei genau dies zur Aufgabe hat, wenn sie bei Demonstrationen eingesetzt wird. Dass wir den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten für ihre geleistete Arbeit danken, ist eine Selbstverständlichkeit, finde ich.

Auch ein Parteiverbot der NPD bringt uns nicht wirklich weiter. Es erreicht die angestrebte Wirkung höchstens kurzfristig, bis sich neue Strukturen verfestigen. Die Problemlösung sollte nicht auf die Strukturen zielen, sondern auf die Menschen. Gerade hier kann ein Verbot nichts verändern. Gleichzeitig kann es aber erhebliche Probleme verursachen, weil Aktivisten erst einmal in den Untergrund verdrängt werden und sich Sympathisanten wahrscheinlich eher noch mehr von der Demokratie entfernen.

Selbstverständlich will auch der SSW, dass rechte Straftäter schnell und effektiv gefasst und bestraft werden. Trotzdem darf aber bei aller Bekämpfung des Rechtsextremismus nicht in Vergessenheit geraten, dass eine politische Debatte mit Argumenten geführt werden muss. Es reicht nicht aus, rechtsextreme Schläger und Agitatoren zu ächten und zu bestrafen. Denn ein erschreckend großer Teil der Bevölkerung teilt mittlerweile die ausländer- und minderheitenfeindlichen Ansichten. Wir reden eben nicht nur über junge Straftäter und ewig Gestrige. Das fremdenfeindliche Gift der Rechten ist in die Mitte der Gesellschaft gesickert. Deshalb müssen wir uns einer seriösen inhaltlichen Debatte über diese Themen stellen.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Menschen zeigen und sie davon überzeugen, dass wir nicht von Ausländern überschwemmt werden, dass Ausländer nicht den anderen die Arbeit wegnehmen, dass Asylbewerber auf der Flucht nicht Schmarotzer sind, dass Ausländer nicht krimineller als Deutsche sind und dass Menschen aus verschiedenen Kulturen

(Anke Spoorendonk)

respektvoll miteinander zusammenleben können, ohne etwas zu verlieren.

(Beifall im ganzen Hause)

Alle Menschen haben ein Recht auf die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Das gilt auch für Ausländer und für soziale Minderheiten wie Behinderte, Obdachlose oder Lesben und Schwule. Alle Menschen sind gleich viel wert. Dies müssen wir jeder und jedem klarmachen. Wir können alle dazu beitragen, indem wir uns mit den Menschen auseinander setzen, die das Gegenteil glauben. Die besseren Argumente haben wir.

(Beifall im ganzen Hause)

Aber eines ist sicher: Wir werden mit noch so vielen Argumenten und Strafen nicht weiterkommen, wenn die soziale Ungleichheit in unserem Land weiter wächst. Soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit müssen wieder ganz oben auf der politischen Tagesordnung stehen. Wenn man den Rechtsradikalismus verhindern will, dann muss man den Menschen die Unsicherheit nehmen, dann muss man gute Lebensbedingungen für Kinder und Jugendliche sichern, dann muss man, soweit es geht, gleiche Zugangschancen zu Bildung und Ausbildung sicherstellen, dann muss man eine vernünftige finanzielle Grundsicherung für alle gewährleisten. Zur Bekämpfung des Rechtsradikalismus gehört auch, dass in unserer Gesellschaft die Stärkeren für die Schwächeren Verantwortung übernehmen und solidarisch die größten Lasten tragen. Soziale Sicherheit ist eine grundlegende Voraussetzung für die Demokratie.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Wer nicht die Ressourcen hat, um den Alltag zu bewältigen, der wird in der Regel kaum die Kräfte haben, sich aktiv in das demokratische Zusammenleben einzubringen. Davon lebt aber eine demokratische Gesellschaft.

Noch eines ist sicher: Wir von der Politik und den Parteien müssen auch viel tun, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger wiederzugewinnen. Da ist in den letzten Jahren so manches verloren gegangen. Die Politik muss sich auf politische Inhalte konzentrieren und nach gemeinsamen Lösungen suchen, statt die Parteitaktik in den Vordergrund zu stellen. Wir brauchen vertrauensbildende Maßnahmen, wir brauchen einen transparenten Staat. Politische Entscheidungen müssten so weit wie möglich dezentral, das heißt bürgernah und vor Ort, getroffen werden. Die Bürger müssen auch zwischen den Wahlen Einfluss nehmen können. Deshalb ist es begrüßenswert, dass die De

batte über Volksabstimmungen in Deutschland jetzt wieder geführt wird. Nur eine soziale und bürgernahe Demokratie, die den Menschen Sicherheit gibt, kann verhindern, dass sich die Menschen wieder nach undemokratischer Autorität sehnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den letzten zehn Jahren in unserem Lande schon einmal erlebt, dass die Rechten auf dem Vormarsch waren. Als die DVU Anfang der neunziger Jahre in den Landtag einzog, konnten sich alle demokratischen Fraktionen darauf einigen, diese Brandstifter gemeinsam zu entlarven. Dies kann und wird wieder gelingen. Das zeigt der vorliegende gemeinsame Antrag, für den wir allen Beteiligten danken.

Das Thema Rechtsextremismus muss für den Landtag ein Dauerthema werden. Insofern steht die gemeinsame Resolution am Anfang und nicht am Ende einer Zusammenarbeit der demokratischen Parteien in dieser Frage. Wir alle, alle Kolleginnen und Kollegen, sind jetzt aufgerufen, innerhalb und außerhalb dieses Hauses eine gemeinsame und deutliche Sprache gegen den Rechtsextremismus zu sprechen. Wir müssen mit Worten und Taten klarmachen, dass wir uns vor diejenigen stellen, die von tumber rechter Gewalt bedroht sind. Wir brauchen wieder eine Gemeinschaft der Demokratinnen und Demokraten, die den Rechtsradikalen zeigt, dass sie bei uns keine Zukunft haben, und wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam erklären, dass die von den Rechtsextremen geschürten Ängste nicht begründet sind und dass wir die besseren Argumente haben.

Wir rufen alle demokratischen Kräfte in SchleswigHolstein auf mitzumachen. Alle müssen daran mitarbeiten, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen und eine offene, tolerante und solidarische Kultur in unserem Lande zu fördern.

(Lebhafter Beifall im ganzen Hause)

Ich erteile der Frau Ministerpräsidentin das Wort.