Protokoll der Sitzung vom 28.04.2004

(Anke Spoorendonk)

lege Hentschel rechnet uns das ja immer wieder vor -, dass die skandinavischen Länder ihre hohen Sozialleistungen im Bereich Rente, Arbeitslosengeld oder Gesundheit durch eine im internationalen Vergleich relativ hohe Mehrwertsteuer finanzieren. So hat Dänemark eine Mehrwertsteuer von 25 %, während wir in der Bundesrepublik nur 16 % haben. Aber auch im europäischen Vergleich hat Deutschland einen der geringsten Mehrwertsteuersätze. Meines Wissens gibt es nur in Luxemburg eine niedrigere Mehrwertsteuer als bei uns.

Deshalb ist der Vorschlag der Landesregierung, die Erhöhung der Umsatzsteuer mit der Senkung der Lohnnebenkosten gesetzlich zu koppeln, eine entscheidende Voraussetzung, wenn es um die Glaubwürdigkeit des gesamten Konzeptes geht.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn bei der angestrebten Mehrwehrsteuererhöhung geht es eben nicht darum, die gesamte Steuer- und Abgabenlast in der Bundesrepublik zu erhöhen. Sie soll vielmehr innerhalb des Systems umverteilt werden. Die Vorschläge der Agenda 2010 haben doch deutlich gemacht, dass ein weiteres Herumdoktern am deutschen System keinen einzigen Menschen mehr in Arbeit bringt. Die Belastung des Faktors Arbeit muss nicht nur wie bei der Agenda 2010 um wenige Zehntelprozentpunkte gesenkt werden, sondern sie muss richtig heruntergesetzt werden, damit dies einen positiven Effekt auf dem Arbeitsmarkt hat.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Ursula Kähler [SPD])

Natürlich bleibt es in der jetzigen schwierigen Lage wichtig, dass die Umsatzsteuererhöhung zusammen mit der Senkung der Lohnnebenkosten über mehrere Jahre Schritt für Schritt durchgeführt wird. Man darf das zarte Pflänzchen Konjunktur heute nicht über Gebühr strapazieren. Aber die Richtung muss stimmen und das Ganze muss, wie von der Landesregierung vorgeschlagen, in einem Gesamtkonzept umgesetzt werden.

Wir brauchen also einen weitaus größeren steuerfinanzierten Anteil an der Finanzierung der Sozialkassen und das geht nur über eine mehrstufige Erhöhung der Mehrwertsteuer mindestens auf europäisches Durchschnittsniveau.

Um die soziale Balance zu erhalten, schlägt die Landesregierung weiter vor, den ermäßigten Umsatzsteueranteil zu senken und auf das Lebensnotwendige zu beschränken. Aus Sicht des SSW ist dies zu begrüßen

und muss insbesondere für die Mehrwertsteuer bei Lebensmitteln gelten. Denn gerade hier wäre eine Mehrwertsteuererhöhung kontraproduktiv, und dies nicht nur aus sozialen Gründen. Auch die Vorschläge zur Änderung des Ehegattensplittings sind aus unserer Sicht zukunftsweisend. Es macht heute wirklich keinen Sinn mehr, die Institution Ehe als solche steuerlich zu begünstigen. Dieser Teil des Steuersystems geht an der Lebensrealität von Millionen von Menschen vorbei.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Man schlägt doch sonst auch Verfassungsänderungen vor. Die Wirklichkeit hat sich verändert. Da muss man sie doch nicht als Heiligenschrein vor sich hertragen.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Von daher ist es richtig, stattdessen Haushalte mit Kindern steuerlich zu unterstützen. Ob die Eltern dieser Kinder verheiratet sind oder nicht, ist nun wirklich ihre Privatsache und sollte bei der Steuerfestsetzung keine Rolle spielen.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Holger Astrup [SPD]: Sehr richtig!)

Wichtig wird in Zukunft sein, dass Familien oder Alleinstehende mit Kindern vom Staat steuerlich begünstigt werden, damit man keine finanziellen Rückschläge zu befürchtet hat, wenn man Kinder bekommt. Auch vor dem Hintergrund der Diskussion um die zukünftige Finanzierung der Renten ist dies ein wirklich wichtiger Ansatz.

Entscheidend für ein gerechteres Steuersystems ist, dass auch Großunternehmen Steuern zahlen müssen. Es kann nicht angehen, dass die kleinen und mittleren Unternehmen, die nun wirklich das Rückgrat unserer Wirtschaft bilden, immer noch den weitaus größten Teil der Steuerlast tragen. Übrigens hat die große Unternehmensteuerreform der Bundesregierung aus dem Jahre 2000 diesen Zustand verschlimmert.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ach!)

Das darf man nicht verschweigen. Wir sehen dies an dem dramatischen Rückgang der Einnahmen aus der Körperschaftsteuer. Hier muss ich dann auch die Kritik am sonst guten Konzept der Landesregierung ansetzen. Denn aus Sicht des SSW geht aus dem Konzept der Landesregierung nicht klar hervor, wie

(Anke Spoorendonk)

erreicht werden soll, dass in Zukunft auch die großen Konzerne ihren gerechten Teil an der Steuerlast tragen. Realistisch gesehen wird dies wohl nur über eine EU-weite Regelung erreicht werden können, weil es europaweit einen starken Standortwettbewerb mit Steuernachlässen für Großkonzerne gibt. Dieser Zustand muss schnellstens beendet werden, wenn wir mehr Steuergerechtigkeit und auch mehr Steuereinnahmen für die öffentlichen Kassen wollen.

Zu guter Letzt brauchen wir selbstverständlich auch eine Vereinfachung des Steuersystems. Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass ein normaler Mensch seinen Steuerbescheid kaum verstehen kann. Bei der Komplexität unseres Steuersystems ist es kein Wunder, dass wir weltweit Spitzenreiter bei der von Steuerliteratur sind, was die Anzahl der Veröffentlichungen angeht.

Allerdings darf man den Bürgerinnen und Bürgern auch nichts vormachen: Auf einem Bierdeckel wird man auch in Zukunft seine Steuern nicht ausrechnen können. Die Befürworter eines solchen Systems wollen in Wirklichkeit jede soziale Gerechtigkeit aus dem Steuersystem heraus haben. Eine Steuerberechnung mit dem Bierdeckel würde nur die höheren Einkommen bevorzugen, weil man dann überhaupt keine sozialen Komponenten im Steuersystem berücksichtigen könnte.

Insgesamt würde ich mir wünschen, dass das Konzept der Landesregierung in der bundesdeutschen Debatte in seiner Gesamtheit gewürdigt wird. Das ist leider zurzeit nicht zu erwarten. Aber die Landesregierung hat die Unterstützung des SSW für ihren zukunftsweisenden Vorschlag, der, würde er auf Bundesebene umgesetzt, ein großer Schritt in Richtung eines gerechten Steuersystems und eines steuerfinanzierten Sozialsystems nach - ich sage es noch einmal - skandinavischem Vorbild wäre. Das fordern wir schon seit Jahrzehnten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche mir wirklich, dass einmal ein bisschen breiter gedacht wird und dass wir sagen: Hier haben wir etwas, was die Debatte auf Bundesebene nicht nur anreichert, sondern sie auch wirklich stimuliert und in die richtige Richtung befördert.

(Beifall bei SSW und SPD)

Ich begrüße an dieser Stelle neue Gäste auf der Tribüne: Damen und Herren der Leitstelle „Älter werden“ aus der Landeshauptstadt Kiel, Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer des Theodor-Storm-Gymnasiums in Husum und die Mitglieder

des Jugendweihevereins Hamburg. - Ihnen allen ein herzliches Willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Für die Landesregierung darf ich jetzt Frau Ministerpräsidentin Simonis das Wort erteilen.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Abgeordnete Garg hat mir eine ungewöhnliche Ehre zukommen lassen: Ich bin diejenige, die das Kapital aus Deutschland vertreibt und es vernichtet. Ich muss mit einer gewissen Bescheidenheit sagen: Wenn ich mir andere ansehe, muss ich zurücktreten vom Siegerpodest. Ich denke zum Beispiel an BMW/Rover, an DaimlerChrysler/Mitsubishi, an Leo Kirch, an den Flughafen Malaysia und die HypoVereinsbank, an die Versicherungskonzerne, die eine wunderbare Bauchlandung hinbekommen haben, ich denke an den New Market, den es überhaupt nicht mehr gibt, an Mobilcom und so weiter. Sie stehen meiner Meinung nach gerechterweise auf dem ersten Platz und nicht ich. Das, was sie schaffen, schaffe ich alles nicht. Das kann ich Ihnen, lieber Herr Garg, wirklich nicht erfüllen.

Bei Ihrer Rede habe ich mich übrigens die ganze Zeit gefragt: Where is the beef? Was will er mir eigentlich sagen, außer dass er nett formuliert hat? Als er vom Eifer der Jugend gesprochen hat, klang das ganz gut, aber ich konnte nicht viel damit anfangen.

Nach der Rede des Abgeordneten Wiegard allerdings, meine sehr verehrten Damen und Herren, verstehe ich jetzt deutlich, warum sich die CSU schleunigst von den Konzepten der CDU distanziert hat.

Gemessen an Frau Merkel und ihrer CDU ist Maggie Thatcher die Florence Nightingale der Arbeiterbewegung.

(Heiterkeit und Beifall bei SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Übrigen konstatiere ich, dass der Abgeordnete Wiegard der Letzte ist, der noch an die Prognosekraft der wirtschaftwissenschaftlichen Institute glaubt. Ich tue das schon seit Jahrzehnten nicht mehr, weil sie alles rauf und runter korrigieren, je nachdem, wie es ihnen in ihr Konzept passt. Mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das machen Sie mit Ihren Haushaltsdaten doch auch so!)

Eines möchte ich noch klarstellen: Der Vorschlag zur Besteuerung von Überstunden und Nachtarbeit, die

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

Sie gerade als Hemmnis für den Leistungswillen des deutschen Arbeitnehmers dargestellt haben, der nachts noch gerne arbeitet, kam von Ihnen und nicht von uns. Das müssen Sie sich dann schon in die eigenen Schuhe schieben.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Weiteres: Ich kenne keine Fraktion außer Ihrer in diesem Haus, die in allen politischen Bereichen einen finanzwirksamen Antrag stellt und uns verspricht, das mit Steuersenkungen zu bezahlen. Ich habe nie begriffen, wie das gehen soll. Aber Sie glauben offensichtlich daran.

Im Übrigen - last, but not least - zeigt Ihr Herumspaddeln hier, dass Sie sich eigentlich ärgern. Wir hatten nämlich regional und überregional eine wirklich gute Presse. Das macht Sie richtig ein bisschen gelb vor Neid.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf des Abgeordneten Wolf- gang Kubicki [FDP])

- Sie müssen doch zugeben, dass wir eine gute Presse haben. Das wenigstens kann ich ausschneiden und Ihnen schicken, Herr Kubicki. Wenn Sie das, was Gutes über uns in der Zeitung steht, immer nicht lesen, dann blenden Sie natürlich etwas aus. Aber das soll mir jetzt auch egal sein.

Die Landesregierung hat für ihr Konzept zur Steuervereinfachung, für die Eckpunkte für ein soziales, gerechtes und einfaches Steuersystem, das sie vorgelegt hat, viel Zustimmung bekommen. Unter Fachleuten war die Zustimmung groß. Merz hat den gleichen Gedanken aufgegriffen wie ich - beziehungsweise der Finanzminister und ich - mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer. Professor Rürup fand sie ausgesprochen richtig. Professor Driftmann konnte ihr etwas abgewinnen. Brauchen Sie noch mehr Zeitzeugen, die Ihnen beweisen, dass Sie auf dem Irrweg sind, und sich nicht besinnen wollen? Sie müssen einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass manches gegen Sie geht, auch wenn Sie sich schon auf der Siegerstraße wähnen. Schon mancher, der so gelaufen ist, ist auf den Bauch gefallen und der andere ist durchgekommen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen nach den gewaltigen Steuerentlastungen der letzten Jahre jetzt dafür sorgen, dass die gesamte Steuersystematik sozialer, gerechter, einfacher und klarer wird. Es geht nicht darum, die Steuern zu senken. Dafür ist kein Geld mehr da. Die Menschen

empfinden die heute bestehende Steuersystematik als ungerecht, nicht weil die Steuerlast zu hoch ist, sondern weil sie das Gefühl haben, dass diejenigen, die hohe Einkommen haben, zu viele - ich drücke es einmal vornehm aus - Gestaltungsmöglichkeiten im Steuerrecht haben, während ihnen selbst auf einem Streifen mitgeteilt wird, was sie zu zahlen haben, und das war es dann auch.

Wir müssen uns mit einer Reform des Steuerwesens in eine umfassende zukunftsorientierte Politik einpassen. Unsere Steuerreform geht davon aus, dass wir die sozialen Sicherungssysteme stabilisieren, sie aber auch um ein Konzept ergänzen müssen, das keine Flucht in Steuererhöhungen bedeutet, sondern Umschichtung. Das hat niemand von Ihnen bis jetzt in irgendeiner Form aufgegriffen.

Die rot-grüne Bundesregierung hat mit ihren verschiedenen grundlegenden Reformen unter anderem im Bereich der Steuern, der Rente und des Gesundheitswesens einen Reformstau aufgelöst, vor dem sich alle gedrückt haben: die CDU/CSU und die FDP mehr als 16 Jahre lang.