Protokoll der Sitzung vom 29.04.2004

Ein Nordverbund, vor allem mit Hamburg, kann sich als Wachstumsregion Nord unter Nutzung der Wachstumspotentiale Hamburgs überdurchschnittlich entwickeln.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD - Zurufe der Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP] und Veronika Kolb [FDP])

Dabei spielen die Entwicklungsachsen gen Norden - ich habe sie eben aufgezeigt - eine besondere Rolle. Hier muss es vermehrt Kooperationen geben, das muss unser Ziel sein. Und um es deutlich zu sagen, erlaube ich mir, darauf hinzuweisen, dass für eine solche von mir aufgezeigte Entwicklung ein Nordstaat keine Rolle spielt.

Wenn Schleswig-Holstein es schafft, sich dauerhaft als innovative Region zu profilieren,

(Martin Kayenburg [CDU]: Sagen Sie mal, wie Sie das schaffen wollen!)

dann wird es gleichzeitig für hoch qualifizierte und innovative Menschen attraktive Arbeitsplätze bieten können.

Im Standortvergleich hat Schleswig-Holstein viele Stärken, die wir ausbauen müssen: gut qualifizierte

(Lothar Hay)

Arbeitskräfte, ein niedriges Kostenniveau für Arbeitnehmer, eine gute Wirtschaftspolitik und -förderung sowie ein gutes Gründerklima.

(Veronika Kolb [FDP]: Darauf warten wir!)

Das von der Bertelsmann Stiftung durchgeführte umfassende Ranking der Bundesländer hat - das hören Sie nicht so gerne - auf die erfolgreiche Stärkung des Mittelstandes durch unsere Wirtschaftspolitik abgehoben. Wir haben gute Chancen für Gründer geschaffen. Unsere Arbeitsmarktpolitik ist richtig ausgerichtet. Wir haben die richtigen technologischen Schwerpunkte gesetzt und neue Wachstumsfelder wie die Gesundheitswirtschaft entwickelt.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Mit Sicherheit liegen wir richtig, wenn wir unsere wirtschaftspolitischen Perspektiven auf dem Meer, mit dem Meer und am Meer weiter entwickeln. Darin liegt eine große Chance für unsere Politik, für unsere Wirtschaft in Schleswig-Holstein. Das werden wir in den nächsten Wochen und Monaten vorantreiben.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es steht fest: Die Menschen leben gern in Schleswig-Holstein. Sie arbeiten gern bei uns, und sie machen gern Urlaub in Schleswig-Holstein. Wir sollten, auch wenn es der Opposition nicht passt und sie keine eigenen Vorstellungen hat, alles dafür tun, dass dies auch im Jahre 2020 noch für uns alle gilt.

(Anhaltender Beifall bei SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Aschmoneit-Lücke das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem wir gestern vom Kollegen Hentschel das Theorem vom nicht mehr zum Friseur gehenden VW-Arbeiter hören durften, hat uns Herr Minister Professor Rohwer heute eine Vorlesung der Theorie der praktischen Wirtschaftspolitik für SchleswigHolstein gehalten. Ich gebe zu, Herr Minister, dass Ihre Ausführungen wesentlich mehr Tiefgang hatten.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das stimmt!)

Dazu gehört allerdings auch nicht sehr viel.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Entschuldigung, Frau Abgeordnete. - Meine Damen und Herren, ich darf darum bitten, unbedingt notwendige Plaudereien vor den Plenarsaal zu verlegen!

Dennoch liegt eine gewisse Tragik in dieser Debatte, meine Damen und Herren. Der Wirtschaftsminister, der vor 16 Jahren als junger, kluger Kopf in die Denkfabrik berufen wurde, denkt jetzt immer noch oder erneut darüber nach, was in weiteren 16 Jahren passieren sollte.

(Wolfgang Baasch [SPD]: Denken an sich ist ja nicht schlecht!)

- Herr Baasch, würden Sie zugeben, dass auch für Sie gilt: Denken ist nicht grundsätzlich schlecht, nicht einmal für Politiker?

(Beifall der Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP] und Martin Kayenburg [CDU])

Ich fürchte nur, in diesem Tempo wird SchleswigHolstein den Wettlauf der Regionen nicht gewinnen.

Meine Damen und Herren, der Wirtschaftsminister hat wieder einmal eine Strategie angekündigt. Wenigstens das kann er gut. Wir sind uns einig, Herr Kayenburg: Herr Rohwer ist der Super-Ankündigungsminister. Hinter dieser Strategie stehen allerdings zwei ganz andere Strategien. So möchte der Minister davon ablenken, dass er bereits Vieles angekündigt und Weniges erreicht hat. In Vergangenheit und Gegenwart hat er versagt. Deswegen schreibt und spricht er jetzt über das Jahr 2020.

Verstehen kann ich das ja, Herr Minister. Sie empfinden es bestimmt als unangenehm, neun Monate vor der Landtagswahl wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisch mit leeren Händen dazustehen. Niemand räumt gern seinen eigenen Misserfolg ein.

(Beifall bei FDP und CDU)

Sie wissen auch, dass Sie in den nächsten neun Monaten nichts mehr beschicken können.

(Günter Neugebauer [SPD]: Sie haben ja nicht einmal Alternativen!)

- Lieber Herr Kollege Neugebauer, da wäre es ja geradezu verwerflich und verschwendete Zeit, über die Gegenwart von Wirtschaft, Arbeit und Verkehr in Schleswig-Holstein zu reden. Außerdem würden Sie

(Christel Aschmoneit-Lücke)

das zutreffende Bild Ihres Versagens in der Öffentlichkeit verstärken.

(Günter Neugebauer [SPD]: Bitte etwas niedriger hängen!)

- Vielleicht sollten Sie sich Folgendes doch einmal anhören: Unter Rot-Grün verfällt die Infrastruktur, unter Rot-Grün fehlt das Wachstum und unter RotGrün herrscht Massenarbeitslosigkeit, die höchste Massenarbeitslosigkeit seit 1952.

(Rolf Fischer [SPD]: Machen Sie doch Vor- schläge!)

- Wenn Sie dauernd dazwischenquaken, wir sollten Vorschläge machen, sage ich Ihnen: Lesen Sie doch einmal das Strategiepapier Ihres Ministers. Das besprechen wir heute und nicht unser Programm.

(Beifall bei FDP und CDU - Zurufe von der SPD)

Angesichts dessen verstehe ich wirklich gut, dass Sie, Herr Minister, der Tristesse, Ihrer alltäglichen Arbeit lieber entfliehen und über die ferne Zukunft fabulieren möchten. Deswegen heißt das Strategiepapier ja auch „Wachstum und Beschäftigung für SchleswigHolstein“; denn Wachstum und Beschäftigung sind gerade das, was Schleswig-Holstein unter der derzeitigen Landesregierung immer dringender braucht. Das ist das Problem Schleswig-Holsteins und das größte Hindernis für dessen Lösung ist Rot-Grün. Deswegen träumt Minister Rohwer vom Jahr 2020. Spätestens 15 Jahre nach dem Ende von Rot-Grün in SchleswigHolstein sollen wir hier wieder dauerhaft angemessenes Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung haben. Wir möchten das früher erreichen!

Meine Damen und Herren, eigentlich möchte der Wirtschaftsminister das ja auch. Das ist die zweite Strategie, die er mit diesem Papier verfolgt: Er will zeigen, dass endlich Schluss sein muss mit der Politik auf Pepita-Niveau. Deshalb reiste er Anfang dieses Jahres durchs Land und forderte, die Landespolitik müsse sich nun endlich daran ausrichten, dass Schleswig-Holstein mehr Wachstum braucht. Das zeigt zweierlei: Erstens war der Minister offensichtlich bis Mitte März mit der Grundrichtung der Politik seiner Landesregierung unzufrieden und traute sich auch, das öffentlich zu sagen. Sonst hätte er nicht gefordert, dass sich die Politik der Landesregierung grundlegend ändern müsse.

(Heiterkeit des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Zweitens hat sich Mitte März aber offensichtlich etwas verändert. Entweder hat der Minister seine

Ansichten über die Arbeit seiner Kollegen geändert oder seine Kollegen haben ihn auf Linie getrimmt. Wahrscheinlich Letztes. Schließlich war es für den Rest des Kabinetts und andere rot-grüne Amts- und Würdenträger bestimmt unangenehm, ständig vorgehalten zu bekommen, der Landessuperminister behaupte, die rot-grüne Landesregierung mache zu wenig Politik für Wachstum und Beschäftigung. Der so Getrimmte hat dann Mitte März seinen Wunsch nach sinnvoller Politik einfach als Vision ins Jahr 2020 verschoben.

Wir können das Papier des Ministers in drei Schritten entschlüsseln: Erstens ersetzen wir 2020 durch 2005. Warum sollte das, was 2020 gut ist, 2005 nicht gut sein? Zweitens ersetzen wir in allen Sätzen mit politischen Forderungen das Subjekt „Schleswig-Holstein“ durch „die rot-grüne Landesregierung“. Denn RotGrün hat ja noch die politische Mehrheit im Land, Rot-Grün stellt noch die Landesregierung.

(Zurufe von der SPD)

- Aus Ihrer Sicht schon, aber aus unserer nicht, und die Fraktionen von SPD und Grünen folgen Heide Simonis und ihrem Kabinett so gläubig wie einst die Kinder dem Rattenfänger von Hameln. Drittens leiten wir aus den erhobenen Forderungen den ihnen jeweils zugrunde liegenden Missstand ab. Denn warum sollte der Minister etwas fordern, wenn alles gut wäre?

So betrachtet ist dieses Strategiepapier des Wirtschaftsministers eine vernichtende Kritik an 16 Jahren rot-grüner Politik in Schleswig-Holstein. Man braucht sich nur einmal die Top 30 seiner Mängelliste anzusehen. - Ich werde sie nicht alle aufzählen. - Einiges wiederholt er ab und zu, aber das soll seine Kritik sicherlich nur verdeutlichen. Folgendes sind alles Forderungen des Ministers. Sie können sie im Strategiepapier nachlesen.

Erstens. Die rot-grüne Landesregierung erhält zu viele bürokratische Hemmnisse aufrecht. Zweitens. Die rot-grüne Landesregierung hat die Wirtschaftsförderung zu wenig auf den Mittelstand ausgerichtet. Drittens. Die rot-grüne Landesregierung setzt sich beim Bund und bei der EU zu wenig für mittelstandsfreundliche Rahmenbedingungen ein. Viertens. Die rot-grüne Landesregierung arbeitet zu wenig mit Hamburg zusammen. Fünftens. Sie konzentriert die Infrastrukturinvestitionen nicht genug im Hamburger Rand und entlang der A 7 und der A 1. Sechstens. Die rot-grüne Landesregierung vernachlässigt die Hochschulen. Sie macht jährlich zu viele neue Schulden. Die rot-grüne Landesregierung gibt zu viel Geld für Konsum und zu wenig für Investitionen aus. Sie hat

(Christel Aschmoneit-Lücke)