Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir vor fünf Monaten den Bericht der Landesregierung zur „Weiterentwicklung der Drogenpolitik“ diskutierten, haben wir bemängelt, dass darin eine wirkliche konzeptionelle Weiterentwicklung der Drogenpolitik in Schleswig-Holstein fehlt. Insofern gibt es hier heute eine Nachhilfestunde.
In der Drogenpolitik gibt es in vielerlei Hinsicht Entwicklungsbedarf. Der vorliegende Antrag zeigt - dies ist ein gemeinsamer Antrag von SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - auf, wo einige der dringlichsten Handlungsfelder liegen. Dabei ist klar - dies betonte auch Kollegin Tengler in ihrer Rede -, dass die Prioritäten von den jeweils einzelnen Fraktionen unterschiedlich gesetzt werden.
Für den SSW ist es ein besonderes Anliegen, dass die Hilfen für Kinder und Jugendliche verbessert werden. Obwohl wir wissen, dass die Probleme häufig in diesem Alter entstehen, sind die Hilfen für drogenabhängige Minderjährige alles andere als gut ausgebaut. Immer wieder hören wir aus der Praxis, dass gerade diese Altersgruppe in der heutigen Drogenhilfe durch das Netz fällt.
Die Erfahrungen zeigen, dass Suchtkarrieren schon im Kindes- und Jugendalter ihren Anfang nehmen. Deshalb müssen wir an die Betroffenen herankom
men, bevor sie als Heranwachsende und Erwachsene mit schier unüberwindlichen medizinischen und sozialen Problemen in den Einrichtungen der Drogenhilfe ankommen.
Bisher gibt es aber keine Instanz, die wirklich dafür zuständig ist. Zu selten gibt es jemanden, der sich um diese Altersgruppe kümmert oder in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen frühzeitig Hilfe leistet und Schlimmeres verhindert.
Wir meinen, dass der richtige Ansatzpunkt hierfür die kinder- und jugendärztlichen Dienste der Kreise und kreisfreien Städte sind. Durch ihre schulärztlichen Aufgaben kommen sie früh mit den Kindern in Kontakt und sind ein natürlicher Ansprechpartner für die Lehrkräfte. Sie können frühzeitig intervenieren, wenn sie auf Probleme aufmerksam werden und dann in Zusammenarbeit mit den örtlichen Drogenhilfe- und Jugendhilfeeinrichtungen entsprechende Hilfe veranlassen. Aber an dieser Vermittlung zwischen Gesundheitsdiensten, Drogenhilfe und Jugendhilfe hapert es noch erheblich.
Das wurde ja auch im Bericht der Landesregierung deutlich. Er weist zu Recht darauf hin, dass diese Vernetzung regional stattfinden muss, also dort, wo die praktische Arbeit geleistet wird und wo auch die politische Kompetenz für die Jugendhilfe liegt.
Trotzdem: Es ist nicht genug, wenn sich das Land mit Verweis auf die lokale Zuständigkeit aus der Verantwortung zurückzieht. Das Land muss konzeptionelle Unterstützung für eine bessere Vernetzung vor Ort bieten. Und das Land muss deutliche Anreize für die Verzahnung der Hilfen für drogengefährdete und -abhängige Kinder und Jugendliche setzen, wie sie auch in den Anhörungen des Sozialausschusses mehrfach gefordert wurden.
Viele Punkte des Antrages berühren Probleme, die die Landesregierung nicht allein lösen kann. Es geht darum, die Kreise, den Bund, die Krankenkassen, die Rehabilitationsträger und die Träger der freien Wohlfahrtspflege davon zu überzeugen, eine größere inhaltliche oder finanzielle Verantwortung zu übernehmen. Wir wissen alle, dass dies nicht einfach ist. Trotzdem hat die Landesregierung hier lange Zeit eine Vorreiterrolle gespielt. Der ideologiefreie und sachliche Umgang mit diesem stark polarisierenden Thema war nicht zuletzt ein Markenzeichen und das Verdienst von Heide Moser.
(Beifall bei SSW, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Herlich Marie Todsen-Reese [CDU])
Wir erwarten, dass die Landesregierung wieder den Mut aufbringt, die Drogenpolitik auf dieser Spur weiterzuentwickeln. Dies gilt nicht nur für den strafrechtlichen Bereich, in dem nach wie vor keine Konsequenz aus der Erkenntnis gezogen wird, dass die Kriminalisierung des Drogenkonsums weder im Sinne der Suchtvorbeugung noch im Sinne der Überwindung von Abhängigkeit besonders effektiv ist. Dass die Landesregierung mehr Mut zeigen muss, gilt ebenso für eine Reihe von Lücken in Verbindung mit der Beratung und der Therapie von Sucht. Dass sie die Probleme vielfach richtig erkannt hat, zeigt der Bericht. Daraus folgen aber auch die Verantwortung und die Verpflichtung, sich mit Ausdauer dafür einzusetzen, dass diese Probleme beseitigt werden. Dies schulden wir den betroffenen Menschen und ihren Familien!
An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen - Frau Ministerin Trauernicht-Jordan, dies möchte ich gern auf dänisch sagen -: Ich wünsche Ihnen „held og lykke med det nye embede“.
Das Präsidium geht davon aus, dass das herzlichen Glückwunsch und willkommen heißen sollte. Zu ihrem ersten Redebeitrag im Schleswig-Holsteinischen Landtag darf ich jetzt Frau Sozialministerin Dr. Trauernicht-Jordan das Wort erteilen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich mehr als nur ein Zufall, dass ich meine erste Rede hier in diesem hohen Haus zu einer Thematik halten darf, die in Schleswig-Holstein, aber auch bundesweit, mit dem Namen meiner Vorgängerin Heide Moser verknüpft ist. Sie haben darauf hingewiesen. Auch bundesweit ist klar, dass sie es war, die mit unbeugsamem Mut und mit persönlicher Integrität das Drogenthema aus der Schmuddelecke herausgeholt hat.
Für diesen Mut und für diese Pionierleistung gebühren ihr mein Respekt und mein Dank. Dies möchte ich in diesem Haus ebenso wie Sie deutlich machen. Das Ziel der Drogenpolitik ist klar. Das Risikopotenzial der unterschiedlichen Substanzen, das Suchtver
halten, das Lebensumfeld und die jeweilige Geschichte der Substanzen und der persönlichen Biographien sollen Maßstab und Grundlage unseres politischen Handelns sein. Wir müssen ideologiefrei, glaubwürdig, ehrlich und nachvollziehbar möglichst frühzeitig an die Entstehung von Drogenkarrieren und potenziellen Suchtentwicklungen herankommen. Das Prinzip lautet: Je früher desto besser. Das ist unsere Orientierung. Das heißt, dass Hilfen zur Umkehr und zum Ausstieg aus den unterschiedlichen Stufen einer Suchtkarriere ebenso erforderlich sind wie nacharbeitende Hilfen.
Sie haben es hier in den unterschiedlichen Beiträgen zum Ausdruck gebracht: Ich habe den Eindruck, dass der Boden dafür in Schleswig-Holstein in besonderer Weise bereitet ist. Ich glaube aber auch, dass es zur politischen Ehrlichkeit gehört, wenn ich sage: Der Problemberg ist noch riesig. Der Handlungsbedarf ist es auch.
Nachdenklichkeit und Offenheit in der Drogenpolitik sind immer noch angezeigt. Das einmal Erreichte und politisch Beschlossene muss vor dem Hintergrund neuer Erkenntnisse immer wieder auf den Prüfstand. Gerade aktuelle Entwicklungen der letzten Zeit machen mich besorgt. Einige Stichworte sind hier gefallen. Ich nenne hier die Stichworte Alkohol und Unfallgefahr. Ein weiteres Stichwort lautet Partydrogen. Nicht zuletzt ist auch das immer weiter absinkende Einstiegsalter beim Tabak- und Alkoholkonsum ein Problem, das wir noch nicht bewältigt haben. Ein weiteres Problem ist die Tatsache, dass immer mehr Mädchen zu den Drogen greifen. Das haben wir uns unter Emanzipation nicht vorgestellt!
Ich glaube auch nicht, dass das Problem mit den ohne Frage richtigen Maßnahmen wie Altershinweise und Verteuerung der Alcopops schon gelöst ist. Das Problem ist, dass hier der Markt und die Wirtschaft greifen und dass unverhohlen auf die Zielgruppe der Jugendlichen gesetzt wird. Ich fürchte, dass sich die Industrie weitere - möglicherweise sogar als perfide zu bezeichnende - Verkaufsstrategien einfallen lässt, um diese Zielgruppen zu erreichen.
Wir müssen die weitere Entwicklung sorgfältig beobachten. Weichen die Jugendlichen auf andere alkoholische Getränke aus? Was bietet der Markt an? Welche Möglichkeiten haben wir, hier durchaus eine
härtere Gangart in Gang zu setzen? Vor allen Dingen besteht die Frage: Nutzen wir die Chancen, die wir haben? Wir hätten sie beim Thema Tabak. Ich wünsche mir hier ein umfassendes Werbeverbot.
Beim Tabak ist meine Toleranz sehr gering. Das hat nichts damit zu tun, dass ich schon immer Nichtraucherin war.
Nein, das Problem ist, dass wir alle wissen, dass es einen risikoarmen Konsum von Tabak nicht gibt. Wir wissen, dass Rauchen die größte, aber letztlich vermeidbare Gesundheitsgefahr ist.
Wir sind alle gefragt und gefordert. Es gilt, unser aller Verhalten und unser eigenes, oftmals unkritisches und bedenkenloses Tabak- und Alkoholkonsumverhalten zu hinterfragen. Wir sind als Erwachsene als Vorbilder für die Jugend gefordert, einerlei ob wir in der Rolle von Eltern, Lehrern oder Politikern sind. Hier ist unsere Vorbildfunktion vonnöten.
All diese Überlegungen sind meines Erachtens in dem Antrag der Regierungsfraktionen und des SSW berücksichtigt. Er erlaubt uns, die schleswig-holsteinische Sucht- und Drogenpolitik vor dem Hintergrund des Ende letzten Jahres vorgelegten Berichtes weiter zu entwickeln. Ich freue mich, dass Sie sich alle auf den Bericht bezogen haben. Offensichtlich ist er eine gute Basis für eine politische Debatte. Das ist für eine Landesregierung und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die diesen Bericht erstellt haben, sehr erfreulich. Ich glaube auch, dass der Änderungsantrag der CDU-Fraktion bedenkenswerte Positionen und Vorstellungen enthält. Ich freue mich über die gemeinsamen Grundpositionen, die hier zum Tragen kommen.
Das Thema ist zu ernst, als dass wir uns über Differenzierungen, die sicherlich auch noch zu Tage treten oder schon zu Tage getreten sind, auseinanderdividieren. Das gemeinsame Vorgehen ist bei dieser sehr ernsten politischen Problematik - so glaube ich - der richtige Weg. Darüber freue ich mich und dafür bin ich dankbar.
Vielleicht rückt jetzt sogar ein Antrag aller Fraktionen in greifbare Nähe. Das wäre ein schöner politischer Erfolg im Interesse der schleswig-holsteinischen Kinder und jungen Menschen.
Ich glaube, es gibt einige Grundprinzipien. Diese Grundprinzipien sollten wir uns immer wieder vergegenwärtigen. Suchtmittelabhängigkeit ist Krankheit. Krankheit braucht Prävention, Behandlung und Nachsorge. Krankheitsbehandlung ist im Grundsatz von den Krankenkasse zu zahlen. Deshalb müssen wir die Krankenkassen hier auch zur Kasse bitten. Das ist noch ein längerer Weg, den wir vor uns haben.
Kommunen, Länder und Bund sind für präventive Arbeit zuständig. Präventive Arbeit setzt voraus, dass wir Lebenslagen von jungen Menschen, von Frauen und von Migranten zur Kenntnis nehmen. Sie haben dies angesprochen. All diese Lebenskontexte verursachen andere Formen des Umgangs mit Sucht und haben andere Folgen. Ich verweise nur auf das Thema Suchtabhängigkeit von Männern und Gewalt in der Familie gegen Frauen und Kinder. Das ist bei anderen Suchtmitteln und anderen Zielgruppen nicht das zentrale Thema. Es bedarf also einer differenzierten Betrachtung. Sie haben es schon gesagt: Alle gesellschaftlichen Bereiche müssen zusammenarbeiten. Weder das Elternhaus noch die Jugendhilfe oder die Schule schaffen es allein. Wir müssen hier zu übergreifenden Ansätzen kommen.
Ein weiteres Grundprinzip ist, dass die Selbsthilfe gestärkt werden muss. Der Schutz der Minderjährigen muss erhöht werden. Nicht zuletzt muss die Entkriminalisierung der Drogenabhängigen und Kranken bei gleichzeitiger konsequenter Verfolgung der Hintermänner, Drahtzieher und Straftäter erfolgen.
Auf dieser Basis sehe ich eine hohe Übereinstimmung zwischen der bisherigen Politik der Landesregierung und den Forderungen der Regierungsfraktionen und denen des SSW, aber auch von denen der CDU und - wie ich gerade vernommen haben - der FDP. Die Drogenpolitik auf eine breite politische Basis zu stellen und auf ein fraktionsübergreifendes Vorgehen zu setzen, wäre ein weiteres Signal, das von SchleswigHolstein aus in die Bundesrepublik gehen könnte. Ich