Protokoll der Sitzung vom 26.05.2004

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Meine Damen und Herren, für Forschungsaufgaben in der chemischen Industrie ist eine wissenschaftliche Qualifikation erforderlich, die über dem Bachelor liegt - so auch die Aussage einer Vertreterin der chemischen Industrie bei einer Diskussion, die kürzlich im April des Jahres im bildungspolitischen Arbeitskreis des Unternehmensverbandes Nord stattgefunden hat. Diese Differenzierung muss man schlicht und ergreifend sehen und man muss die Studienangebote und die Konzepte in den einzelnen Fächern auch darauf ausrichten.

Die Hochschulen stehen vor der Frage, welche Lehr- und Aufnahmekapazitäten sie jeweils den Bachelor- und den Master-Studiengängen zuordnen. Die Befürworter der gestuften Studiengänge - das ist schon erwähnt worden - gehen alle davon aus, dass ein erheblicher Teil der Bachelor-Absolventen am Ende bei diesem Examen bleibt und nicht bis zum Master weiterstudiert.

Das bedeutet zum Beispiel, dass für die Naturwissenschaften, bei denen seit Mitte der 90er-Jahre die Zahl der Diplom-Absolventen um ein Drittel zurückgegangen ist - wenn dort so ein Trichter erzeugt wird -, die Zahl der Absolventen, die ein vergleichbares Niveau haben, nämlich ein Master-Niveau, noch kleiner wird, als sie heute sowieso schon ist. Das hat dann zur Folge, dass in Fächern wie Chemie und Physik überhaupt keine beruflichen Anwendungsmöglichkeiten für Bachelor-Absolventen bestehen. Das ist völliger Irrsinn.

Deshalb wird man - das ist meine feste Überzeugung - ähnlich, wie wir das auf unserer Reise des Bildungsausschusses in England erlebt haben, in einer Reihe von Fächern sinnvollerweise zu dem Konzept eines grundständigen Master-Studiengangs übergehen müssen. Das ist meine feste Überzeugung. Es gibt diese Studiengänge in England. Wir haben sie an der Universität in Bath dort kennen gelernt. Und man ist auch nach meiner Kenntnis in Großbritannien durchaus gewillt, an solch einer sinnvollen Differenzierungsstrategie festzuhalten. Im Übrigen wird in den Vereinigten Staaten von Amerika über eine Reorganisation ingenieurwissenschaftlicher Studiengänge nach dem Vorbild des deutschen Diplomingenieurstudienganges diskutiert. Das, was hier in Deutschland jetzt im Zuge der gestuften Studienabschlüsse wegreformiert werden soll, wird da in den USA geradezu als Vorbild einer Studienreform in der Diskussion erörtert. Das sind wirklich kuriose Dinge.

Zwei Punkte: Die Fachhochschulen sind flächendeckend in Deutschland dabei, in sehr vielen Standorten

(Dr. Ekkehard Klug)

dabei, Praxisanteile, das heißt Praxissemester und im großen Umfang Praxisanforderungen, der FH-Studiengänge im Zuge der Umstellung abzuschaffen. Das hängt damit zusammen, dass sie nur drei plus zwei Studienjahre, also insgesamt fünf Jahre zur Verfügung haben, um Bachelor plus Master an den Fachhochschulen zu erreichen. Und da passt dann eben ein großer zeitlicher Umfang für Praxisanteile nicht mehr rein. Die fallen in großem Umfang weg.

(Glocke des Präsidenten)

Das ist ein Qualitätsverlust für bislang sehr gut auf dem Arbeitsmarkt funktionierende Studiengänge. Kleine Fächer werden überhaupt nicht in der Lage sein, die Module für beide Abschlüsse, Bachelor plus Master, anzubieten - an der FU Berlin viele Lehrämter nicht, in Flensburg wird es das Fach Friesisch mit Sicherheit nicht können.

(Glocke des Präsidenten)

Also, informieren Sie sich beispielsweise doch einmal vor Ort, wie in diesen Fächern die Umstellung in der Zukunft tatsächlich aussehen wird.

(Beifall bei der FDP)

Ich erteile Frau Abgeordneter Birk das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Bildungsministerin, Frau Erdsiek-Rave, vertritt alle Bundesländer auf EU-Ebene im Gestaltungsprozess neuer Hochschulabschlüsse. Wer in Brüssel und Straßburg in der ersten Reihe sitzt, muss auch vor Ort Flagge zeigen. Die Landesregierung hat deshalb in den Zielvereinbarungen mit den Hochschulen einen differenzierten und ehrgeizigen Zeitplan zur Einführung von Bachelor- und Master-Abschlüssen ausgehandelt. Das finden wir richtig.

Sie von der Opposition tragen hiergegen ausschließlich die Bedenken von Studierenden und Lehrenden, insbesondere übrigens Bedenken, die aus der CAU kommen, vor. Es wird befürchtet, dass die neuen Studiengänge ohne demokratische Beteilung zu einer bloßen Verschulung des Studiums führen und keine Akzeptanz in der Wirtschaft finden. Zu Letzterem hat die Ministerin Ausführungen gemacht. Und ich bin sicher, wenn der Zug erst einmal läuft, wird auch die kleine und mittelständische Wirtschaft in SchleswigHolstein wissen, was diese Abschlüsse bedeuten. Im Augenblick sind sie für sie wirklich noch im wahrsten Sinne des Wortes ein Fremdwort.

Es liegt wesentlich an den Hochschulen, ob sie sich als Bedenkenträger oder als Schrittmacher für eine moderne Lernkultur profilieren. Denn darum geht es.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Kähler [SPD])

Studierende in Deutschland studieren im internationalen Vergleich viel länger, ohne dass das jeweils ein Mehr an Qualität bedeutet. Das müssen Sie von der Opposition doch zur Kenntnis nehmen.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Im Gegenteil, in vielen Studienfächern sind Abbrecherquoten von 30 % die Regel. Was machen die ganzen Leute mit diesem abgebrochenen Studium? Das ist doch nicht sinnvoll. Sie sollen doch wenigstens das, was sie gelernt haben, nutzbringend in einen Beruf einbringen können und das auch angemessen dokumentiert bekommen. Es soll ihnen zukünftig die Perspektive gegeben werden, dass sie sich am Anfang des Studiums noch nicht entscheiden müssen, ob sie beim Bachelor bleiben oder bis zum Master gehen,

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und vereinzelt bei der SPD)

je nachdem, ob ihnen das Studium zusagt oder nicht.

Diese Offenheit, die es in anderen Staaten gibt, begrüße ich.

An dieser Stelle folgender Hinweis: Das Studium muss in Modulen angeboten werden und - das sage ich kritisch gegenüber dem, was ich bisher an Befürchtungen gehört habe - es müssen zum einen Grundqualifikationen gesichert werden und zum anderen schon beim Studienbeginn Wahlmöglichkeiten bestehen, um eigene Akzente setzen zu können. Eine völlige Verschulung des Studiums, bei der der nächste Schritt konsequent auf dem vorherigen Schritt aufbaut, ohne dass eigene Akzente gesetzt werden können, lehnen wir ab.

Auch das Bachelor-Studium soll zu wissenschaftlichem Arbeiten anhalten; das ist klar. Aber nicht jedes wissenschaftliche Arbeiten muss hinterher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler produzieren. Wissenschaftliches Arbeiten muss vielmehr für die Anwendung in einem nicht wissenschaftlichen Beruf zum Beispiel in der Industrie oder in der Schule gelernt werden. Es ist doch absurd, dass wir so tun, als ob die Hochschulen ausschließlich zukünftige Wis

(Angelika Birk)

senschaftlerinnen und Wissenschaftler ausbilden würden

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Karl- Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

und als ob sich die Aufmerksamkeit der Professorinnen und Professoren hauptsächlich auf die Studierenden konzentrieren würde, die sozusagen schon im ersten Semester den Doktorhut imaginär tragen. Sie müssen sich doch auf die konzentrieren, die ein breites Berufsspektrum anstreben. Und das erfordert ein Umdenken in Deutschland. Das ist tatsächlich eine kleine Revolution; darauf hat die Ministerin hingewiesen.

Es bedeutet für die Hochschulen auch mehr Autonomie in der Forschung und Lehre. Denn nicht das Bildungsministerium genehmigt die Qualität der Studiengänge und überprüft sie, sondern es gibt dafür Akkreditierungsagenturen. Da ist natürlich vieles im Umbruch und vieles läuft noch nicht rund; diesbezüglich sollten wir uns im Bildungsausschuss über Details unterhalten.

Auch hier weise ich wieder darauf hin: Evaluationen mit modernen Methoden müssen selbstverständliche Instrumente werden. Es soll kein neuer bürokratischer Moloch entstehen, sondern eine neue Lernkultur unter Einbeziehung der Studierenden.

An dieser Stelle gebe ich wie Kollege Weber den Hinweis auf unsere mangelnde Internationalität. Ich möchte es an einem kleinen Beispiel festmachen: Die Form, die Studierende aus anderen Ländern, die sich an der Fachhochschule in Kiel und anderswo bewerben, beim Studienkolleg als Entree vorfinden, ist nicht angemessen. Sowohl die Unterbringung als auch der Status dieser Menschen, die bereits eine Schullaufbahn abgeschlossen haben und sich als Studierende hier bewerben, müssen im Rahmen des Bachelor/Master-Prozesses anders werden. Wir müssen diese Menschen angemessen willkommen heißen. Dafür müssen wir Mittel und den Status bereitstellen.

Auch das Denken in den Universitäten und in den Hochschulen muss sich ändern. Diese ausländischen Studierenden sind nämlich wichtiger Botschafter für Deutschland in ihren Heimatländern. Wir müssen vermitteln, dass wir regelmäßig international zusammenarbeiten und dass dies nicht ein kleiner Luxus ist, den man sich in guten Zeiten leistet. Dieses Denken muss einkehren. Von daher bin ich sehr froh darüber, dass wir über viele Schrittmacher an den Hochschulen verfügen, die diesen Prozess eingeleitet haben. Sie

verdienen unseren Respekt und unsere Unterstützung. Über diese Menschen sollten wir reden.

Denn eines zeigt auch der Bologna-Prozess: Ein Erfolgsmodell in Schleswig-Holstein sind die Europaschulen. Die Schule ist in dem Punkt auf einem freiwilligen guten Wege, der wirklich nicht nach Punkten und Genehmigungen fragt. Da wird einfach losgelegt.

Schauen Sie sich beispielsweise an, was die ThomasMann-Schule in Lübeck auf die Beine gestellt hat: Das Durchspielen einer kompletten UNO-Konferenz fand mit internationaler Schülerbeteiligung in englischer Sprache statt!

(Glocke des Präsidenten)

- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.

Hierfür wurden Sponsoren eingeworben. Das ist doch vorbildlich und von diesen Europaschulen können die Hochschulen tatsächlich etwas lernen. Ich denke, das tun sie auch. In dem Sinne sollten wir den BolognaProzess positiv begleiten und nicht mit den Bedenkenträgern hinten anstehen.

Einen Satz noch, Herr Dr. Klug! Ich wundere mich, dass Sie in der Frage der Studienorganisation weit weniger liberal sind als der Kollege de Jager, der sich immerhin auf den neuen Prozess einlässt, obwohl er noch viele Kritikpunkte sieht.

(Glocke des Präsidenten)

Sie sind in dieser Frage wirklich kein guter Vertreter Ihrer Partei.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Spoorendonk das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was stimmt, das stimmt. Die Kollegin Birk hat Recht: Das, was Ekkehard Klug vorhin brachte, hatte eher den Charakter einer Trauerrede. Das muss ich schon sagen.

Von daher kann ich nur feststellen: Bologna ist nicht nur eine real existierende Stadt, sondern auch ein Bild dafür, dass wir in der Bundesrepublik in zehn Jahren eine ganz andere Hochschullandschaft als die heutige haben werden. Das ist so.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

(Anke Spoorendonk)

Statt zu trauern oder zu jammern, sollte man lieber fragen, wie wir diesen Prozess in Deutschland und auch im Zusammenwirken mit unseren europäischen Nachbarn mitgestalten können; denn sonst fährt der Zug ohne uns ab. Auch darauf müssen wir uns einstellen.

Der Bericht macht deutlich, dass sich SchleswigHolstein seit 1999 auf einem guten Weg befindet und dass die Entwicklung bei uns über dem Bundesdurchschnitt liegt. Das ist erfreulich.