Protokoll der Sitzung vom 28.05.2004

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen uns die Größenordnung dieses Defizits einmal bildlich vorstellen. Es handelt sich um die Kosten für 10.000 Lehrer und Lehrerinnen. Das sind 40 % unserer gesamten Lehrerstellen. Selbst wenn wir alle Polizisten entlassen würden, hätten wir erst 300 Millionen € eingespart. Auch der Vorschlag der CDU, bis zu 2.000 Menschen aus dem öffentlichen

Dienst zu entlassen, wäre nicht ausreichend. Nicht einmal die Vorschläge des Steuerzahlerbundes, der von der Polizeistärke über die Klassengrößen in Schulen bis hin zum Datenschutz alles infrage stellt, würde dieses Finanzlücke schließen können.

Wenn sich die Opposition in ihrer Kritik an der Landesregierung so gern dem Landesrechnungshof anschließt - auch das ist wieder erwähnt worden -, so muss die CDU ehrlicherweise auch sagen, dass der Landesrechnungshof auch vorschlägt, die Polizeireform zum Stellenabbau bei der Polizei zu nutzen und die Personalausgaben im Bildungsbereich zu verringern. Doppelzüngigkeit gilt also nicht. Die CDU kann nicht mehr Geld für Polizei und Bildung versprechen und gleichzeitig das Einsparlied des Landesrechnungshofs singen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Deshalb muss es unser gemeinsames Interesse sein, ein parteiübergreifendes Signal nach Berlin zu senden: So geht es nicht weiter. Wenn sich die Situation nicht grundlegend ändert, werden wir auf Jahre hinaus keinen verfassungskonformen Haushalt aufstellen können. Ich halte dies im Interesse der zukünftigen Generation für verantwortungslos.

(Rainer Wiegard [CDU]: Das sind schöne Sprüche!)

Wir sollten uns einig sein, dass alle Parteien im Vermittlungsausschuss die Aufgabe haben, Subventionen abzubauen und Steuerschlupflöcher zu schließen. Wer den Bundesrat noch immer als parteipolitisches Blockadeinstrument versteht, hat noch nicht verstanden, dass wir uns taktische Spielchen nicht mehr leisten können.

Aber auch im Land müssen wir mit unserer Strukturreform weitermachen. Wenn sich Abgeordnete vor Ort wie Don Quichotte vor jedes aufzulösende Amt stellen, werden wir keine schlanken Verwaltungsstrukturen erhalten. Wir müssen uns der Diskussion öffnen, wie wir durch eine grundlegende Neuordnung von Landes- und kommunalen Aufgaben einschließlich der Frage von Kreisgrenzen und der Neuorganisation von Ämtern mehr Effizienz und Bürgernähe schaffen. Auch hier war der Besuch des Finanzausschusses in Dänemark sehr interessant und, hoffe ich, auch hilfreich. Dänemark wird seine Gemeindegrößen auf bis zu 30.000 Einwohner und Einwohnerinnen vergrößern und nur noch vier bis fünf Regionalkreise haben, was im Gegenzug dazu führt, dass die Gemeinden noch mehr Aufgaben und noch mehr Selbstständigkeit erhalten. Die Regionen sind dann nur noch für den Gesundheitsbereich zuständig.

(Monika Heinold)

Meine Damen und Herren von der Opposition, polemisieren Sie nicht gegen eine tief greifende kommunale Verwaltungsreform, sondern stellen Sie sich der Herausforderung, anhand einer Aufgabenanalyse neue Lösungswege zu finden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - Widerspruch bei der CDU)

Wir müssen die Strukturen im Land straffen, unseren Sparkurs insbesondere bei den Förderprogrammen durchhalten und bundesweit für unser Steuerkonzept werben. Was uns nicht voranbringt, ist eine Vollbremsung bei den Investitionen oder eine Reduzierung der Bildungsausgaben. Gute Bildung ist das Kapital unseres Landes. Es ist die Grundlage für unsere Wettbewerbsfähigkeit.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unser Investitionsprogramm stellt sicher, dass Unternehmen in Schleswig-Holstein die Chance haben, Aufträge der öffentlichen Hand zu erhalten und damit Arbeitsplätze zu schaffen.

Zuletzt eine eher rhetorische Frage. Geht es uns in Schleswig-Holstein, in Deutschland wirklich schlecht? Ich glaube, nicht. Wenn ich mir anschaue, womit andere Länder auf dieser Welt zu kämpfen haben, von Naturkatastrophen bis hin zu Kriegen, wenn ich mir vergegenwärtige, dass Deutschland mit seiner gut ausgebildeten Bevölkerung und mit seiner hohen sozialen Sicherheit für alle Bürgerinnen und Bürger zu den privilegierten Ländern in dieser Welt gehört, dann weiß ich, es geht uns noch immer verdammt gut. Aber ich weiß auch, dass wir uns endlich zusammenraufen müssen, gemeinsam zukunftweisende Entscheidungen zu treffen, damit es auch unseren Kindern und Enkeln noch gut geht. Packen wir doch alle miteinander endlich an, verändern wir unsere Gesetzgebung so, dass Lasten gerecht verteilt werden, dass Arbeit und Dienstleistung in Deutschland wieder bezahlbar sind, dass unsere sozialen Sicherungssysteme zukunftstauglich sind.

Meine Fraktion ist bereit, auch öffentlich quer zu denken. Ich habe es dargestellt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, machen Sie mit!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das Wort für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich jetzt seiner Sprecherin, Frau Abgeordneten Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Hochschuldebatte gestern sagte die Bildungsministerin sinngemäß, dass sie die Rede des Kollegen de Jager auch hätte singen können. Ich will nicht verhehlen, dass auch mir bei der heutigen Debatte zeitweise das Gefühl kam, dass wir die Beiträge der jeweils anderen Fraktion hätten singen können. Ob daraus jetzt ein Chor entstanden wäre, will ich einmal als fraglich betrachten. Mit anderen Worten: Ich wünsche mir wirklich, dass wir einmal lernen könnten, im Chor zu singen. Das wäre dem Thema angemessen.

(Lothar Hay [SPD]: Wir können in Flens- burg anfangen!)

- Das machen wir dann auch. - Es sollte nicht jeder aus seiner Ecke argumentieren, sondern dem Thema angemessen. Keiner soll hier heute sagen, dass er die Weisheit mit Löffeln gegessen hat, dass er die Lösung aller Probleme in der Tasche hat.

(Beifall beim SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zahlen der MaiSteuerschätzung sind - Sie wissen es, es ist heute schon in jedem Redebeitrag gesagt worden - jenseits von Gut und Böse. Insgesamt fehlen Bund, Ländern und Gemeinden im Verhältnis zur letzten Steuerschätzung vom November 2003 bis 2007 fast 50 Milliarden € an Steuereinnahmen. Wieder mussten die Steuerschätzer die Wirtschaftsprognosen für dieses und die nächsten Jahre nach unten korrigieren. Wieder einmal sind die Folgen für die öffentlichen Haushalte fatal. Auch die Ausnahme bestätigt in diesem Fall die Regel. So bekommen die Kommunen in diesem Jahr zwar 2,2 Milliarden € Mehreinnahmen, aber eine wirkliche Gewerbesteuerreform, wie sie beispielsweise auch von der Landesregierung - das will ich deutlich hervorheben - vorgeschlagen wurde, wäre den großen finanziellen Problemen der Kommunen besser gerecht geworden.

Der Landeshaushalt ist ebenfalls von den neuesten Zahlen der Steuerschätzer betroffen. Es ist zwar positiv, dass wir für 2004 mit Mehreinnahmen von circa 19 Millionen € rechnen können, aber die langfristigen Steuerausfälle ab 2005 von jährlich fast 500 Millionen € sind natürlich dramatisch. Dem Landtag stellt sich daher die Frage: Wie sollen wir auf diese neuen Steuereinbrüche reagieren? Der SSW fordert die Landesregierung auf, trotz sinkender Steuereinnahmen Kurs zu halten und einen möglichen Aufschwung im Lande nicht durch ein neues Sparpro

(Anke Spoorendonk)

gramm zu gefährden. Wir brauchen keine Haushaltssperre oder einen Nachtragshaushalt für 2004.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insbesondere die beschlossenen Investitionen im Landeshaushalt für 2004 und 2005 dürfen aus Sicht des SSW nicht angetastet werden. Es macht auch keinen Sinn, jetzt panikartig massive Kürzungen beispielsweise bei Landesverwaltung oder Personal vorzunehmen, so wie es die CDU gefordert hat. Die notwendigen Verwaltungs- und Strukturreformen werden nur gelingen, wenn sie gemeinsam mit den Beschäftigten kontinuierlich weitergeführt werden. Solange die großen Parteien nicht einmal den Mut haben, die kleinteilige kommunale Struktur in SchleswigHolstein zu ändern, wäre dies eine kontraproduktive Politik.

(Beifall beim SSW)

Eine wirkliche finanzielle Entlastung des Landes - das wissen wir alle - ist nur durch Reformen auf Bundesebene zu erreichen, die den Ländern und Kommunen wieder Luft zu Atmen bringen. Wir wissen ja auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass mindestens 95 % unseres Landeshaushalts in Beton gegossen sind. Das heißt, unser Spielraum ist wirklich gering. Im Moment sieht es leider so aus, als wolle der Bund uns praktisch ersticken lassen. Dabei bin ich der festen Überzeugung, dass die Bundesregierung Schiffbruch erleiden wird, wenn sie nicht bald einen klaren Kurs absteckt. Der Bundesfinanzminister segelt zur Zeit aber in zwei Weltrichtungen gleichzeitig, wenn er einerseits die Maastricht-Kriterien einhalten und andererseits neue Wachstumsimpulse geben will. Beides zugleich geht aus unserer Sicht nicht.

Die Erfahrungen mit der Agenda 2010 zeigen auch, dass diffuse Steuersenkungen nicht mehr Wachstum und Beschäftigung bringen. Damit verschärft man im Gegenteil nur die Krise der öffentlichen Haushalte. Wenn die katastrophale Arbeitslosigkeit beseitigt werden soll, dann brauchen wir auch keine neuen Sparmaßnahmen, sondern Investitionen in Bildung, Verkehrsinfrastruktur und neue Technologien.

Auch ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Gespräche hinweisen, die der Finanzausschuss bei seinem Besuch in Kopenhagen vor 14 Tagen über die erfolgreiche Finanzpolitik der dänischen Regierung während der letzten zehn Jahre geführt hat. Dänemarks Staatshaushalt erzielt seit 1996 jährlich Überschüsse in Milliardenhöhe und in Dänemark kann sogar ein großer Teil der Staatsschulden abgezahlt werden.

(Martin Kayenburg [CDU]: Dann lassen Sie uns das doch so machen!)

- Lieber Kollege Kayenburg, die Pointe dieser Gespräche war, dass man sich zusammensetzte, dass man aus den verschiedenen Beiträgen gewissermaßen einen Chor machte.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese positiven finanziellen Eckdaten sind das Ergebnis einer gezielten, ich sage es noch einmal: schon in den 80-er Jahren parteiübergreifend beschlossenen Finanzpolitik, die mit dem Regierungswechsel 1993 weiter ausgebaut wurde. Der damaligen Wirtschaftskrise - und diese war massiv - begegnete die neue sozialdemokratisch geführte Regierung mit einem Mix aus expansiver Finanzpolitik, die das Ziel hatte, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, und einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, die insbesondere auf Aus- und Weiterbildung der Arbeitslosen setzte.

In einem Artikel unter der Überschrift „Cleverer als die Deutschen“ am 13. Mai dieses Jahres in der „Zeit“ würdigte der Autor eben diese Politik. Ich zitiere aus diesem Artikel:

„Die Dänen betreiben eine stark antizyklische Fiskalpolitik. Soll heißen, sie haben im Aufschwung die Staatsausgaben im Zaum gehalten und sie dafür in der Abschwungphase erhöht. Was dann wiederum die Krise milderte. Eine Strategie, die sie vor allem von den Deutschen unterscheidet, die im Aufschwung meist das Geld mit vollen Händen ausgeben. Dafür haben sie dann in Krisenzeiten versucht zu sparen. Ein ökonomisch zweifelhaftes Konzept. Ein Land kann sich nicht aus der Verschuldung heraussparen, es kann nur herauswachsen.“

So der Bonner Wirtschaftsprofessor Jürgen von Hagen.

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg?

Im Moment noch nicht, weil ich noch nicht überblicken kann, ob ich Zeit genug habe.

So ähnlich sieht das inzwischen auch das Mitglied des Sachverständigenrates Professor Peter Bofinger, der sogar vor einer Finanzpolitik à la Reichskanzler Brüning warnt. Die zukünftige Finanzpolitik ist auch

(Anke Spoorendonk)

ein Kampf zwischen zwei verschiedenen ökonomischen Denkschulen. Vereinfacht gesagt, lieber Kollege Garg, haben wir auf der einen Seite die Monetaristen und auf der anderen Seite die Keynesianer. Das ist jetzt zwar vereinfacht dargestellt, aber diese beiden Richtungen erkennen wir immer wieder. Daran halte ich fest. Ich frage mich allerdings wirklich allen Ernstes, warum in Deutschland immer noch überwiegend die neoliberalen Finanzwissenschaftler in der öffentlichen Meinung wahrgenommen werden, wenn die Ergebnisse dieser Politik in den letzten 20 Jahren so katastrophal waren und eine Massenarbeitslosigkeit die Folge war, wie wir sie seit dem Krieg nicht mehr erlebt haben. Diese neoliberale Politik ist doch auch am Ende ihrer Kunst angelangt.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Laut Pressemitteilungen von Anfang Mai wollte Bundesfinanzminister Eichel angesichts der neuesten Steuerschätzungen endlich den gordischen Knoten durchschlagen und sich den Vorschlägen der Landesregierung von Schleswig-Holstein zur Umsteuerung in der Finanzpolitik anschließen. Angeblich hatte eine Abteilung im Bundesfinanzministerium bereits ein konkretes Konzept erarbeitet, das eine Mehrwertsteuererhöhung auf den europäischen Durchschnitt von 21 % bei gleichzeitiger massiver Senkung der Lohnnebenkosten vorsah. Leider hatten Bundeskanzler Schröder und SPD-Chef Müntefering nicht den Mut, diese Vorschläge umzusetzen, die die Arbeitskosten der Unternehmen drastisch gesenkt und somit neuen wirtschaftlichen Schwung und vor allem neue Arbeitsplätze gebracht hätten.

So bleibt uns aus Landessicht in der jetzigen Lage nur, insbesondere darauf zu drängen, dass die Föderalismus-Kommission von Bundestag und Bundesrat so schnell wie möglich Vorschläge erarbeitet, die endlich zukunftsfähige Aufgaben- und Finanzrelationen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sichern. Denn eines dürfte auch klar sein: Unter den jetzigen Bedingungen kann praktisch kein Bundesland seinen Haushalt allein sanieren.

Natürlich steht Schleswig-Holstein auf den ersten Blick im Ländervergleich bei der Pro-Kopf-Verschuldung als letztes der westdeutschen Flächenländer nicht sehr gut oder, anders gesagt, sehr schlecht da. Dennoch ist die finanzielle Situation aller Bundesländer miserabel und kann nicht allein mit der Farbe der Regierung erklärt werden. Ich habe gelesen, dass der niedersächsische Ministerpräsident Wulff der Opposition in seinem Lande einen Allparteienpakt zur Finanzpolitik vorgeschlagen hat. Er ist mit seinem finanzpolitischen Latein eben auch am Ende, genau

wie die Mehrzahl der Ministerpräsidenten. Auch die Umsetzung der Haushaltsanträge von CDU und FDP hier im Landtag seit 1996 hätte keine grundlegend andere finanzpolitische Ausgangslage für den Landeshaushalt geschaffen.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)