Protokoll der Sitzung vom 28.05.2004

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will nicht auf alles Gesagte eingehen, aber einige Punkte bedürfen der Erläuterung.

Seit die Bundesagrarministerin Künast den entsprechenden Gesetzentwurf zur Reform der gemeinsamen Agrarpolitik eingebracht hat, haben wir im Plenum darüber noch nicht gesprochen und diskutiert. Wenn dies möglicherweise die tief greifendste Reform in der Agrarpolitik der Nachkriegszeit ist, dann ist sie es wert, darüber im Plenum zu diskutieren.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Das halte ich schon im Hinblick auf unsere Landwirte in Schleswig-Holstein für erforderlich.

Wir haben diese Anträge in der Tat im Agrarausschuss sehr konstruktiv beraten und Kollege Harms hat es eben schon gesagt: Auch der FDP-Antrag lag im Agrarausschuss vor, allerdings findet er sich jetzt nirgendwo wieder. Insofern besteht mit diesem Antrag die Chance, die Diskussion fortführen zu können.

Herr Minister, sie wählten gerade die Worte „scheinheilig“ und „unredlich“. Gerade dieser Agrarausschuss hat am 13. Mai einen Beschluss gefasst, in dem es unter anderem in Punkt 1 im vorletzten Absatz heißt:

„Es ist anzustreben, die Milchprämie zu 100 % betriebsindividuell bis 2013 zuzuweisen.“

Mir liegt jetzt ein Antrag aus dem Bundesrat vom 14. Mai vor, in dem genau dieses - wenn auch etwas schwammig - gefordert wird. Da steht:

„Dazu sind die Möglichkeiten einer Weitergewährung der betriebsindividuellen Milchprämie bis 2013 einschließlich der sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die anderen Bereiche der Agrarproduktion zu überprüfen.“

Allerdings vermisse ich bei diesem Antrag leider den Namen des Landes Schleswig-Holstein. Dieser Antrag ist von Sachsen, Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachen und Thüringen gestellt worden. Ich hätte es wenigstens begrüßt, wenn sich das Land Schleswig-Holstein oder die Landesregierung Schles

(Günther Hildebrand)

wig-Holstein diesem Antrag angeschlossen hätten; dann wäre es nämlich konform mit dem Beschluss des Agrarausschusses.

(Beifall bei FDP und CDU)

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Ich schließe damit die Beratung.

Es ist Abstimmung in der Sache beantragt worden. Wer dem Antrag der Fraktion der FDP zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag mit den Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU und FDP abgelehnt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde Ihnen jetzt den aktuellen Stand der weiteren Beratungen mitteilen. Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, dass die Tagesordnungspunkte 11 und 36 ohne Aussprache behandelt werden. Der Tagesordnungspunkt 18 wird im Juni aufgerufen und jetzt fahren wir mit Tagesordnungspunkt 26 zur Europapolitik fort.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:

Europapolitik ist Landespolitik

Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 15/3437

Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. - Mit diesem Antrag wird ein mündlicher Bericht in dieser Tagung erbeten.

Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dies ist einstimmig so beschlossen.

Dann lasse ich zunächst durch die Landesregierung den Bericht erteilen. Ich erteile Frau Ministerpräsidentin Heide Simonis das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Europäische Union steht vor einer neuen Phase in ihrer Politik. Mit der geplanten Verfassung, der Erweiterung um zehn neue Länder seit dem 1. Mai und dem ehrgeizigen Ziel, bis 2010 zum dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu werden, wagt die EU den größten Entwicklungssprung in ihrer Geschichte.

Mit der europäischen Verfassung wird ein Prozess in Gang gesetzt, der mit dem Jahrhundertprojekt der Wirtschafts- und Währungsunion vergleichbar ist.

Diese Entwicklung hätten wir noch vor ein paar Jahren nicht für möglich gehalten. Die neu Hinzugekommenen berichten mir, was es für sie bedeutet hat, den mittlerweile 80.000 Seiten umfassenden Acquis communaitaire einzuarbeiten. Von daher freuen sie sich auf die europäische Verfassung, weil diese leichter zu überblicken ist als diese riesigen bürokratischen Berge.

Gott sei Dank ist diese Entwicklung noch schneller gelaufen, als wir es uns gewünscht haben, denn alle wollten mitmachen. Die Verfassung, die hoffentlich noch in diesem Jahr verabschiedet wird, wird nicht alle Wünsche erfüllen, aber sie wurde auch nicht hastig, sondern in aller Ruhe diskutiert. Hier habe ich Herrn Ministerpräsident Teufel aus Baden-Württemberg zu danken, der dort als unser Ländervertreter unsere Interessen eingebracht hat. Er hat auch nicht alles geschafft, aber immerhin ist das, was uns wichtig war, mit hineingekommen.

(Beifall der Abgeordneten Ulrike Rodust [SPD] und Dr. Heiner Garg [FDP])

Die Verfassung ist ein Kompromiss. Sie wirkt jetzt aber für die Europäerinnen und Europäer, die nach einer Umfrage, über die ich gerade heute Morgen gelesen habe, am Gang zur Europawahl kein großes Interesse haben. Hoffentlich wird dies dazu beitragen, Europa ein wenig durchschaubarer und verstehbarer zu machen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Damit würden auch Entscheidungsprozesse stärker in den Blick der Öffentlichkeit geraten. Ein weiter gestärktes EU-Parlament wird zur Demokratisierung von Entscheidungsprozessen beitragen. Der Verfassungsentwurf beendet die Geheimdiplomatie der Räte. Wir brauchen nicht mehr darauf zu warten, wie müde die Damen und Herren morgens um 4 Uhr aussehen, die nachts gesessen haben, um irgendetwas zu erfinden. Wir können dies jetzt verfolgen. Die Entscheidungen in öffentlicher Ratssitzung sind für Bürgerinnen und Bürger allemal leichter zu verstehen als in der Zeitung zu lesen, dass einer mit einer Lokomotive in ein Verfahren hereinkam und mit einer Nähmaschine wieder heraus.

Ein starker Kommissionspräsident mit Richtlinienkompetenz, ein für jeweils zweieinhalb Jahre gewählter hauptamtlicher Ratspräsident und ein europäischer Außenminister sollen Europa ein neues erkennbares Gesicht verleihen. Dass all dies überfällig ist, wissen wir. Nun kommt es, da wollen wir vergessen, wie lange es gedauert hat. Wir sollten gemeinsam in die Zukunft gucken.

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

Vor wenigen Wochen haben wir das historische Ereignis der Erweiterung gefeiert. Durch diesen Schritt öffnet sich die Union von der westeuropäischen Gemeinschaft mit starker Südlastigkeit zu einer gemeinschaftlichen Verantwortung für den gesamten Kontinent. Europa wird Europa.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben nun neue Nachbarn: Russland, Weißrussland, Frau Präsidentin, und auch die Ukraine kommen uns näher. Schleswig-Holstein hat in der Vergangenheit zur Einbindung Russlands in die europäische Entwicklung weiß Gott seinen Beitrag geleistet. Hierzu gehört unter anderem auch die Partnerschaft mit Kaliningrad. Hierzu gehört auch die Tätigkeit einzelner, die immer wieder neu angefangen haben, dieses ganz dicke Brett zu bohren. Ich hoffe, dass Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, es mir hier erlauben, dass ich mich bei der Frau Landtagsvizepräsidentin bedanke, denn Sie gehört zu den ganz wenigen Dickbrettbohrern an dieser Stelle.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir kriegen zwar etwas Neues, aber das bedeutet, wir müssen uns auch anstrengen und neu definieren, was wir zu tun haben und wie wir den Prozess gestalten können, damit er auch uns zum Positiven gereicht. Europa-, Bundes-, Ostsee- und Landespolitik verschränken sich immer stärker. Wir werden den Menschen zu erklären haben, dass Richtlinien nicht bedeuten, dass man sich danach richten kann oder nicht. Das Wort Richtlinien ist ein anderes Wort für europäische Gesetze.

Wir sehen an der Tagesordnung durch Punkte wie den Bologna-Prozess, Hochschul- und Agrarpolitik und so weiter, dass all dies Themen sind, die die Menschen hier im Land als Landespolitik bewegen, die aber später auch durch Europa beeinflusst werden. Deswegen ist es unsere Strategie, diese Bereiche stärker als bisher miteinander zu verzahnen, damit es nicht so aussieht, als ob man sich hinter Europa verstecken würde, wenn man die europäischen Richtlinien zitiert. Wir müssen alle verstehen, was in so einer Richtlinie steht. Manches, was da definiert wird, ist nicht ganz richtig. Heute Morgen habe ich gelesen, dass die Elbestuare dazu führen würden, dass der Hamburger Hafen verschlicken und daher als Hafen von der Landkarte verschwinden würde. Da weiß man, dass das falsch ist, es schreibt sich aber so schön. Es ist unsere Aufgabe, dies den Menschen klar zu machen.

Wir werden uns frühzeitig mit unseren Interessen auf den verschiedensten Ebenen einbringen müssen, da

mit wir nicht herunterkippen, wenn alle anderen schon angekommen sind. Wir werden versuchen, effektive deutsche Mitwirkung an europäischen Entscheidungen so zu gestalten, dass wir mit dabei sind. Ich kenne meinen Kollegen Stoiber, der über nichts so gern redet, und zwar negativ, wie über Europa. Dann baut er sich dort ein Haus mit 90 Leuten hin, die alle Pötte daraufhin absuchen, ob nicht etwas davon nach Bayern zu leiten ist. Ganz so wollte ich es nicht machen, aber es zeigt: Man kann mit einer gewissen Geschicklichkeit zwei sehr unterschiedliche Bilder vermitteln. Ich finde das nicht ganz richtig, aber Töpfe abzugreifen, halte ich immer für richtig. Das sollten wir versuchen, von ihm zu lernen.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden unser Hanse-Office, das übrigens eine der ältesten Vertretungen deutscher Länder in Brüssel ist, ausbauen, und zwar gemeinsam. Es wird in der Struktur anders aussehen. Ich behaupte, dass die alte Struktur besser war, aber das macht nichts. Wenn wir uns darauf einigen können, dass die neue Struktur von uns gemeinsam positiv vertreten wird, dann kann man auch mit der leben. Ich möchte mich bei unserem langjährigen Leiter des Hanse-Office, Franz Froschmaier, der am 31. März seine Tätigkeit beendet hat, bedanken. Das Land Schleswig-Holstein hat ihm viel zu verdanken. Seine Eleganz, mit der er seine alten Netzwerke zum Wohle Hamburgs und SchleswigHolsteins ausgenutzt hat, ohne dass es jemand gemerkt hat, wobei es uns trotzdem etwas gebracht hat, ist schon wirklich gekonnt gewesen. Wir haben ihm hier zu danken.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Zu danken habe ich auch Frau Abgeordneter Ulrike Rodust, die im Ausschuss der Regionen sitzt und dafür sorgt, dass Schleswig-Holstein immer da ist, was mir nicht immer gelungen ist. Die Arbeitsteilung zwischen uns beiden ist sehr gut. Ich freue mich, dass ich mit ihr eine sehr kundige Mitstreiterin und Vertreterin gefunden habe.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist aber nicht nur die Politik, sondern es sind auch Wirtschaft und Wissenschaft, die Institutionen, die Verbände und die Kommunen gefordert, sich jetzt aktiv für Europa einzusetzen und auf die veränderten Bedingungen einzugehen. Ein gutes Beispiel hierfür ist der „Baltic Media Summit“ der schleswig-holsteinischen Zeitungsverlage und ihrer Partner rund um die Ostsee, der am 14. Mai auf Gut Schierensee

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

stattgefunden hat. Anwesend waren der Präsident der Europäischen Zentralbank, der Präsident der Estnischen Zentralbank und der estnische Finanzminister. Es waren aus allen politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Teilen rund um die Ostsee 150 Menschen gekommen, um die Schierensee-Erklärung abzugeben. Der Ort Schierensee wird einmal eine große Rolle im Rahmen der Ostseezusammenarbeit spielen.

Es war interessant, zu sehen, wie sich Herr Genscher, unser ehemaliger Außenminister, und Uffe EllemannJensen, der ehemaligen dänische Außenminister, gemeinsam bemüht haben, eine Erklärung zu finden, hinter die sich alle stellen konnten, mit der man arbeiten kann, die man nach Brüssel schicken kann und mit der sich das Land Schleswig-Holstein auch identifizieren kann. Wenn die Leute in ein paar Jahren unter Schierensee-Vertretungen sozusagen die Geburt eines Bündnisses erahnen, das wir damit geschaffen haben, dann könnten wir darauf sehr stolz sein.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die großen Aufgaben der Europapolitik werden es sein, nicht nur die Währung zusammenzuhäkeln, die im Übrigen eine der stärksten Währungen der Welt geworden ist. Sie ist in nahezu allen Ländern, in denen früher der Dollar war, zur Ersatzwährung geworden. Wir müssen Arbeit, Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung so zusammenbringen, dass wir langsam aber sicher - und nicht Hals über Kopf - gemeinsam in eine Wirtschaftsstruktur hineinkommen, in der wir nicht nur den Euro als etwas Gemeinsames betrachten, sondern auch die Fragen: Wie viel Arbeitslose wir haben? Was wir tun müssen, um sie zu bekämpfen? Was müssen wir tun, um die soziale Sicherheit der Menschen zu garantieren? Was müssen wir tun, um wettbewerbsfähig zu sein? Das alles fragen wir für 450 Millionen Menschen. Dabei hat der Euro auch eine große Rolle zu spielen. Er ist aber nicht allein von Bedeutung. Europa ist mehr als die Summe aller Euros, die jetzt ausgegeben werden.