Protokoll der Sitzung vom 17.06.2004

„Der Landtag wolle beschließen: Die Landesregierung wird aufgefordert, sich auf Bundesebene für eine Bleiberechtsregelung einzusetzen, die es ermöglicht, langjährig geduldeten Menschen ausländischer Herkunft in Schleswig-Holstein ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu gewähren.“

Wer diesem Antrag in der Sache seine Zustimmung geben will, den darf ich um sein Handzeichen bitten. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich darf feststellen, dass der Antrag in der neu gefassten Form mit den Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW sowie FDP gegen die Stimmen der CDU die notwendige Mehrheit des Hauses gefunden hat und somit angenommen ist. - Tagesordnungspunkt 20 ist damit erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf.

Sicherung der Unterrichtsqualität im Rahmen der „Verlässlichen Grundschule“

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 15/3504

Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 15/3526

Wird das Wort zu Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der FDP dem Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit unserem Antrag wollen wir, die FDP, verhindern, dass aus der verlässlichen Grundschule eine vernachlässigende Grundschule wird.

(Zurufe von der SPD: Oh, oh!)

Genau diese Gefahr - auch wenn Sie es nicht hören wollen - steht inzwischen ins Haus.

Im Kreis Stormarn sind an zehn von 18 Grundschulen Förderstunden, Arbeitsgemeinschaften, Stunden für Integration und Erziehungshilfe entweder abgeschafft oder deutlich reduziert worden.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Unglaublich!)

In Quickborn - so die Aussage eines Schreibens, das die dortigen Schulelternbeiratsvorsitzenden der Grundschulen an die bildungspolitischen Sprecher gerichtet haben - gibt es nur noch an einer von drei Grundschulen Förderstunden.

Ein wesentliches Element der Bildungsqualität geht damit an vielen Grundschulstandorten verloren. Diese Begleiterscheinung des rot-grünen Renommierprojekts verlässliche Grundschule ist - wie ich finde - erschreckend: außen eine lackierte Oberfläche, eine schöne Verpackung, innen ein fauler Kern. Wieder einmal bewirkt eine gut gemeinte Reform durch die Art ihrer Umsetzung oft das Gegenteil dessen - das müssen Sie registrieren -, was eigentlich erreicht werden sollte.

(Beifall bei der FDP)

Denn wenn es eine Erfahrung aus der PISADiskussion gibt, dann ist es doch diese: Schulen müssen spezielle Förderangebote für Schülergruppen vorhalten, die Nachteile haben, Handicaps in die Schule mitbringen, Teilleistungsschwächen aufweisen. Dass solche Förderangebote, wie es sie in Schulsystemen anderer Staaten viel umfangreicher gibt als in Deutschland, ein ganz wesentliches Element bei

(Dr. Ekkehard Klug)

der Sicherung der Bildungsqualität darstellen, ist eine Quintessenz der Auswertung der Ergebnisse der Vergleichsstudie in den einzelnen europäischen Staaten.

(Beifall bei der FDP)

Wir erleben, dass unter dem Segel der verlässlichen Grundschule die in unserem Schulsystem in Deutschland ohnehin viel zu wenig ausgeprägten Förderangebote jetzt noch weiter eingeschränkt werden oder sogar an Schulstandorten völlig verschwinden. Das ist kontraproduktiv und stellt eine Senkung der Bildungsqualität dar, die wir für nicht hinnehmbar halten.

Wir dürfen es nicht zulassen, meine Damen und Herren, dass Grundschulen auf diese Art und Weise mit steigendem Anteil von Klassenzusammenlegungen, Parallelunterricht, Betreuung durch Eltern oder ältere Schüler immer mehr von Bildungs- zur Aufbewahrungsanstalten werden.

Der zweite Punkt unseres Antrags bezieht sich auf die so genannten kombinierten Systeme von Grund- und Hauptschulen und in Einzelfällen auch von Grund-, Haupt- und Realschulen. An diesen Schulen, die unterschiedliche Altersstufen und Schularten zu berücksichtigen haben, sieht die Situation folgendermaßen aus: Bei der Einführung der verlässlichen Grundschule und im Zusammenhang mit der Vorgabe „jede Stunde zählt“ hat man im Hamburger Umland festgestellt, dass es zu einer Verlagerung von Unterrichtskapazität von Lehrkräften aus dem Hauptschulbereich in den Grundschulbereich kommt.

Auch dies ist den bildungspolitischen Sprechern bekannt. Die bildungspolitischen Sprecher sind von einer Reihe von Schulen eingeladen worden, sich das vor Ort anzuschauen. Ich bin in Norderstedt an der Grund- und Hauptschule Friedrichsgabe gewesen. Ich weiß nicht, welche Schulen die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen besucht haben. Schriftlich liegt uns die Stellungnahme des Arbeitskreises Hauptschule vor. Dort wird detailliert dargelegt - das wird bestätigt durch das, was ich bei meinem Schulversuch in Norderstedt festgestellt habe -, dass es an dieser Schule zu einer Einschränkung des Bildungsangebots im Hauptschulbereich gekommen ist.

Diese Entwicklung ist genauso problematisch wie das, was ich vorhin geschildert habe. Denn wir haben an den Hauptschulen in Schleswig-Holstein die Situation - das ist vorhin schon einmal um 15 Uhr bei einem anderen Tagesordnungspunkt angesprochen worden -, dass wir im Vergleich zum Bundesdurchschnitt der Stundentafel einen Rückstand von 342 Lehrerstellen in diesem Land haben. De facto bekommen Hauptschüler in Schleswig-Holstein etwa

ein Jahr weniger an Unterricht, als das in anderen Ländern zum Teil der Fall ist.

Auch diese Situation muss man berücksichtigen. Wir können es nicht zulassen, dass sich durch eine solche Vorgabe im Rahmen der verlässlichen Grundschule das Bildungsangebot im Hauptschulbereich weiter verschlechtert. Dem wollen wir mit unserem Antrag entgegenwirken.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort für die Fraktion der SPD erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Henning Höppner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Klug, wir haben es erwartet, es gibt Probleme. Dennoch kann man sagen, dass die Einführung der verlässlichen Grundschule in Schleswig-Holstein ein Markstein ist. Neben der Festlegung der verlässlichen täglichen Unterrichtszeiten und der Festlegung des Mindestumfangs des zu erteilenden Unterrichts ist es gelungen, die quantitative Unterrichtsversorgung deutlich zu verbessern. Auch das haben Sie immer gefordert, dagegen können Sie gar nichts haben.

Wir haben es endlich erreichen können, dass der pädagogisch nie hinterfragte Grundsatz der Einteilung des Schultages in 45-Minuten-Häppchen durch eine kindgerechte Rhythmisierung der Lernzeiten überwunden werden kann.

(Sylvia Eisenberg [CDU]: Ist das das Ziel? - Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das ist das Ziel, Frau Ei- senberg!)

Trotz zahlreicher Befürchtungen bei Elternvertretungen, Lehrerkollegien und trotz der Unkenrufe der Opposition ist nach einem Schuljahr klar geworden, dass die Einführung der verlässlichen Grundschule an den 106 Grundschulen im Hamburger Rand funktioniert und für die Schülerinnen und Schüler und deren Familien ein Gewinn ist.

Seit 50 Jahren kennen wir alle den Schulalltag als eine Abfolge von 45-minütigen Unterrichtshäppchen mit Pausenfrequenzen von fünf, zehn und 15 Minuten. Alles, was es in den letzten fünf Jahrzehnten an Veränderungen gab, hat sich notwendigerweise in dieses Zeitraster einordnen müssen. Die innere Organisationsstruktur von Schule ist eigent

(Dr. Henning Höppner)

lich uralt, so alt wie unser gegliedertes Schulsystem auch sonst.

(Zurufe von der CDU)

Ähnlich traditionell sind die Vorstellungen von Eltern, von Lehrerverbänden, aber auch von Bildungspolitikern über das, was denn die Qualität von Unterricht ausmachen soll. Neuerdings hören wir aus den konservativen Kreisen oft den Begriff des so genannten qualifizierten Unterrichts. Ich weiß nicht, was anderer Unterricht sein soll.

(Zurufe von CDU und FDP)

Ganz wesentlich entwickelt sich das Meinungsbild, je mehr man von diesen 45-Minuten-Blöcken aufeinander häuft, desto mehr wird die Qualität steigen und der Schulerfolg für die Schülerinnen und Schüler sicherer.

Meine Damen und Herren, wenn ich mich an mein Pädagogikstudium erinnere, an meine eigene Schulzeit denke oder die Erfahrungen, die ich über 17 Jahre als Elternteil gemacht habe, dann habe ich einen etwas anderen Ansatz als Sie, Herr Dr. Klug. Die Qualität von Unterricht ist ganz wesentlich abhängig von einem zentralen Curriculum, von der Unterrichtsvermittlung oder vom Unterricht der Lehrerin und des Lehrers. Hier - das zeigen die Erfahrungen eines jeden Erwachsenen - ist die Bandbreite von Qualität ausgesprochen groß. Das hat mit dem schulorganisatorischen Rahmen relativ wenig zu tun.

Allein die Tatsache, dass ein Stundenplan und die Zeitgestaltung verlässlich wird, führt doch noch lange nicht dazu, dass der Lehrer oder die Lehrerin einen qualitativ schlechteren Unterricht erteilt. Das ist doch nicht der faule Kern, den Sie beschreiben!

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch bei CDU und FDP)

- Doch, er behauptet, dass die Einführung der Verlässlichkeit die Qualität senkt.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Ja, weil die För- derstunden alle gestrichen worden sind!)

- Das ist weit hergeholt, lieber Kollege!

(Weitere Zurufe von CDU und FDP)

Wir kriegen ja in der Regel immer die gleichen Schreiben, Herr Dr. Klug. Sie haben natürlich wieder einmal - wie Sie das auch sonst machen - ein Schreiben zum Anlass genommen, hier einen Antrag zu stellen. Wenn man das Ganze allerdings hinterfragt und sich mit den Betroffenen unterhält, zum Beispiel über den Fall Quickborn - -

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Sie kneifen doch bei Veranstaltungen! Sie gehen gar nicht mehr dahin!)

Ich nenne einmal den Fall Quickborn. Wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass es hier bei der Einführung der verlässlichen Grundschule ganz besondere Bedingungen gegeben hat. Es ist nämlich so gewesen, dass es in den drei Schulen dort ein Betreuungsangebot gegeben hat von einer Betreuungsinitiative, die hauptamtlich Beschäftigte hatte. Die hauptamtlich Beschäftigten sind zusätzlich im Unterricht eingesetzt worden, im Zeitraster des Unterrichtes - etwas, was eigentlich nicht vorgesehen ist und was eigentlich auch das Konzept der verlässlichen Grundschule nicht vorsieht.

Dies ist eine besondere Situation, die man aus Sicht der Eltern ja verstehen kann. Dass eine zusätzliche Kraft im Unterricht natürlich ein Qualitätsgewinn sein kann, für diese Einstellung habe ich Verständnis. Das ist aber nicht Teil der Schule und nicht Teil des Konzeptes. Es kann auch nicht eine Aufgabe des Landes sein, hier zusätzliches Personal in eine Unterrichtsstunde zu stecken, mehr als den vorgesehenen Lehrer oder die vorgesehene Lehrerin.

(Werner Kalinka [CDU]: Warum denn nicht?)