Wir setzen die 5. Tagung fort. Bevor wir zu Tagesordnungspunkt 22 kommen, möchte ich der Kollegin Monika Schwalm zum heutigen Geburtstag gratulieren.
Außerdem möchte ich mitteilen, dass nach Erklärung der Fraktion die Abgeordneten Thorsten Geißler und Herlich Marie Todsen-Reese beurlaubt sind. Wegen dienstlicher Verpflichtung auf Bundesebene sind Ministerpräsidentin Heide Simonis und Minister Claus Möller beurlaubt.
In der Loge darf ich Herrn Abgeordneten Kayayerli begrüßen, Vorsitzender der Freundschaftsgruppe deutsch-türkischer Parlamentarier im türkischen Parlament,
in Begleitung von Mitgliedern der türkischen Gemeinschaft und der türkischen Gemeinde. Herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!
Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, CDU, F.D.P., BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 15/422
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag hat Frau Abgeordnete Hinrichsen.
(Lothar Hay [SPD]: Was ist denn auf der Re- gierungsbank eigentlich los? Sind die schon in den Ruhestand getreten? - Unruhe)
Herr Präsident! Guten Morgen, meine Damen und Herren! Wir haben in unserer Gesellschaft mittlerweile ausgeklügelte rechtliche Regelungen, um mit Gewalt umzugehen. Trotzdem tun wir uns immer noch schwer damit, wenn Gewalt in Partnerschaften und
Familien vorkommt, insbesondere im häuslichen Bereich. Lange Zeit hat sich der Gesetzgeber der Verantwortung entzogen, wenn es um Gewalt in der Privatsphäre ging. Glücklicherweise ist in den letzten Jahren die Einsicht gewachsen, dass wir die Opfer nicht allein lassen können, nur weil die Gewalt innerhalb der Familie bleibt und dort häufig verschwiegen wird.
Mit dem heute vorliegenden Antrag soll noch ein wichtiger Schritt in diese Richtung getan werden. Es soll ein Weg versucht werden, mit dem Problem umzugehen, dass Täter und Opfer unter einem Dach wohnen. Es kann nicht sein, dass Frauen mit ihren Kindern die Flucht ins Frauenhaus ergreifen müssen, wenn der Mann das Prügeln anfängt. Wer prügelt, geht. Das muss ganz klar sein.
In Österreich hat man gute Erfahrungen damit gemacht, Gewalttätern im Falle häuslicher Gewalt durch einen polizeilichen Platzverweis die rote Karte zu zeigen. Wer Frau, Lebensgefährtin, Kinder oder andere Angehörige schlägt, wird aus der gemeinsamen Wohnung gewiesen und darf sich für einen bestimmten Zeitraum nicht mehr blicken lassen. Dies hat mehrere Vorteile. Den Tätern wird deutlich gemacht, dass ihre Gewalt Konsequenzen hat. Den Opfern wird gezeigt, dass sie mit ihren Problemen nicht allein gelassen werden.
Die bisherigen Erfahrungen in Österreich haben gezeigt, dass dies auch wirken kann: Die Opfer werden geschützt und bekommen die Möglichkeit, neue Lebensperspektiven zu entwickeln; die Täter werden verwarnt und bekommen die Möglichkeit, sich mit ihren Gewaltproblemen auseinander zu setzen. Der Platzverweis wird so zum Einstieg in eine dauerhafte Konfliktlösung.
Dass dies ein nachahmenswerter Ansatz ist, hat als erstes in Deutschland das Bundesland BadenWürttemberg erkannt. Dort läuft seit dem Frühjahr ein Modellversuch mit einem Wegweiserecht, der unter Berücksichtigung des bestehenden Landesrechts durchgeführt wird. Die Maßnahmen umfassen in Anlehnung an das österreichische Modell einen Dreiklang aus polizeilichem Platzverweis, Beratungs- und Betreuungsangeboten. Erste Fallbeispiele zeigen, dass dies auch funktioniert.
Es steht deshalb Schleswig-Holstein gut zu Gesicht, wenn wir das zweite Bundesland werden, das den Betroffenen häuslicher Gewalt auf diese Weise helfen kann.
unsere Initiative bei allen Fraktionen auf Gegenliebe gestoßen ist. Durch den Abstimmungsprozess konnten noch einige Verbesserungen in den Antrag eingebracht werden. Dafür möchte ich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen ausdrücklich bedanken.
Vor allem die Einbettung in das Kooperations- und Interventionskonzept, „KIK“, ist sinnvoll, um eine Integration in die Hilfen für Gewaltopfer zu erreichen. Hier können die Opfer auch während und nach der Wegweisung beraten, betreut und begleitet werden.
Der Umgang mit der Gewalt hat zwei Seiten: Natürlich können wir Gewalt dadurch verhindern, dass wir potentielle Opfer und Täter räumlich trennen. Das kann aber staatlicherseits immer nur zeitlich befristet geschehen. Eine wirksame Prävention von Gewalt muss dafür sorgen, dass die Täter ihre Aggressionen nicht mehr in Gewalt ausleben. Deshalb gehört zu einem Konzept zur Vermeidung häuslicher Gewalt auch, dass man dem Täter die Möglichkeit eröffnet, an sich zu arbeiten. Gerade dieses soziale Training für gewalttätige Männer ist auch ein Bestandteil des „KIK“.
Das Wegweiserecht im Falle von Gewalt im sozialen Nahraum soll auch eine Unterstützung für die Polizistinnen und Polizisten sein, die täglich in häusliche Konflikte eingreifen müssen. Es gehört sicherlich zu den häufigsten, aber auch schwierigsten Aufgaben im polizeilichen Alltag, vor Ort in häusliche Konflikte eingreifen zu müssen. Sie haben mit dem Wegweiserecht ein Instrument, um diese Aufgabe zu bewältigen. Aber gerade deshalb gibt der Antrag vor, dass diese Maßnahmen in Zusammenarbeit mit der Polizei zu entwickeln sind. Sie sind diejenigen, die vor Ort arbeiten.
Der gesamte Landtag sendet heute ein deutliches Signal: Gewalttäter sollen in Zukunft wissen, dass Gewalt gegen ihre Nächsten deutliche Konsequenzen haben wird. Sie müssen nämlich gehen. Die Opfer sollen in Zukunft wissen, dass sie nicht allein sind. Wir erwarten, dass die Landesregierung dafür sorgt, dass dies in unserem Land schnell Wirklichkeit wird. Wir hoffen natürlich auch, dass sich viele Städte und Kommunen daran beteiligen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als es in meiner Fraktion bei der Arbeitsverteilung für diese Landtagstagung um den Antrag Wegweiserecht bei häuslicher Gewalt ging, hieß es ohne Zögern: Frauenthema. Aber, Kolleginnen und Kollegen, das stimmt so nicht. Gewalt gegen Frauen und Kinder - darum handelt es sich ja in der Regel, wenn wir über häusliche Gewalt sprechen -, das ist kein Frauenthema, das ist kein Frauenproblem. Es ist ein Problem unserer Gesellschaft und unseres Rechtsstaats. Denn nicht nur Nachbarn sehen und hören weg, wenn es nebenan wieder einmal kracht. Auch staatliche Institutionen haben in der Vergangenheit häusliche Gewalt nicht nur missbilligt, sondern geradezu toleriert.
Schon die Bezeichnung häusliche Gewalt ist an sich eine Irreführung, eine Verniedlichung, die verharmlost, was sich hinter dem Begriff verbirgt, nämlich: Körperverletzung, Psychoterror, Vergewaltigung, Folter, Freiheitsberaubung, Totschlag - mit einem Wort: Menschenrechtsverletzungen. Wir sprechen also nicht über Kavaliersdelikte. Und was sich gewalttätig in den eigenen vier Wänden abspielt, ist keine Privatangelegenheit. Es wird aber oft so damit umgegangen, als wäre es eine Privatangelegenheit. Viele Frauen vertrauen nicht auf ein staatliches Eingreifen zu ihren Gunsten, oder sie haben dieses Vertrauen verloren. Sie flüchten!
Im Jahr 1999 haben rund 2.500 Frauen und Kinder in den Schleswig-Holsteinischen Frauenhäusern Schutz gesucht, und zwar in der Regel erst, nachdem sie wiederholt geschlagen worden waren. Das ist untragbar. Nicht die Opfer sollen fliehen müssen, der Schläger muss gehen.
Deshalb bin ich froh, dass wir es - trotz einiger Diskussionen über Spiegelstriche noch am vergangenen Mittwoch Nachmittag - geschafft haben, diesen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen zu formulieren. Ich hoffe, damit werden wir in der Sache ein Stück weiterkommen.
Die Bundesregierung hat einen Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen auf den Weg gebracht und wir sollen und wollen unseren Landesanteil erbringen. Ein Punkt, der in unsere Zuständigkeit fällt, ist, die Wegweisung von Gewalttätern aus der gemeinsamen Wohnung durchzusetzen. Dazu ist es nötig, die schon bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten noch konsequenter auszuschöpfen. Das heißt auch, die Beteiligten bei Polizei und Justiz für diese Probleme zu sensibilisieren und entsprechende Fortbildungen anzubieten. Denn es erfordert in der Tat oft
einen Spagat für die Beamten, etwa zwischen dem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung und einem Eingriff zugunsten von bedrängten Frauen und Kindern abzuwägen.
Wichtig und hilfreich in diesem Zusammenhang - das haben die Erfahrungen im Ausland und in BadenWürttemberg bereits gezeigt - ist die enge Zusammenarbeit zwischen der Polizei und Einrichtungen, die Erfahrungen in der Beratung von betroffenen Frauen haben. Und wichtig - da möchte ich ausdrücklich meine Vorrednerin unterstützen - ist auch die Arbeit mit den Tätern, damit der Teufelskreis der Gewalt nicht immer weitergeht mit der bisherigen Partnerin und auch nicht neu beginnt mit der nächsten Partnerin.
Diese Zusammenarbeit der Institutionen, die Fortbildung, ist bereits im Konzept „KIK“ erprobt, das nach einer Modellphase in Kiel inzwischen auf das Land ausgedehnt worden ist. Ich bin davon überzeugt, dass bei „KIK“ auch die Aufgabe gut angesiedelt ist, mit dem bestehenden Instrument des Platzverweises effektiver umzugehen beziehungsweise aufzuzeigen, wo Handlungsbedarf besteht. Auf jeden Fall muss aber sichergestellt werden, gegebenenfalls durch neue und eindeutigere rechtliche Regelungen, dass dieser Platzverweis so ausreichend terminiert ist, dass es den Frauen möglich ist, rechtliche Hilfe in der Zeit der Abwesenheit des gewalttätigen Partners in Anspruch zu nehmen.
Meine Damen und Herren, Herr Präsident, wir beantragen die Abstimmung in der Sache. Wir hoffen, dass wir in den Ausschüssen bald etwas über erste Schritte zur Umsetzung hören werden.
Ich begrüße jetzt auf der Tribüne Schülerinnen und Schüler der Gustav-Johannsen-Skole aus Flensburg. Herzlich willkommen!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Häusliche Gewalt ist keine Privatangelegenheit. Gewalt gegen Frauen und Kinder ist ein schweres Vergehen und darf nicht als Kavaliersdelikt angesehen werden. Daher ist es richtig, alles zu versuchen, den Schutz der Betroffenen zu verbessern. Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir auch den gemeinsamen Antrag mit unterschrieben.