Protokoll der Sitzung vom 29.09.2000

(Monika Schwalm)

Allerdings gibt es aus Sicht der Innen- und Rechtspolitik auch einige kritische Anmerkungen. Ich werde mich auf diese Punkte - nicht nur im Hinblick auf den heutigen Zeitplan - beschränken. Es ist ja auch nicht nötig, dass wir in der Sache alle dasselbe sagen.

Erstens. Durch den polizeilichen Verweis aus der Wohnung der Familie wird der Betroffene in einem besonders empfindlichen, grundrechtlich intensiv geschützten Bereich seiner Privatsphäre getroffen. Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist grundgesetzlich geschützt. Daher müssen wir darauf achten, dass die Kompetenzen der Polizei nicht auf Kosten der Justiz ausgeweitet werden. Hier kann es nur darum gehen, eine akute Gewaltsituation zu beenden, gewalttätige Männer sofort aus der Wohnung zu entfernen.

(Vereinzelter Beifall bei CDU und F.D.P.)

Aus unserer Sicht ist es unerlässlich, dass sich an eine solche Maßnahme eine gerichtliche Kontrolle und eine abschließende Entscheidung anschließen. Frau Ministerin, insofern begrüßen wir ausdrücklich Ihre Initiative, auf Bundesebene eine gemeinsame Arbeitsgruppe der Justiz- und Innenminister einzurichten, die den Auftrag hat, gesetzliche Formulierungen zu finden, die diese Eilkompetenz der Polizei auf eine zweifelsfrei rechtsstaatliche Grundlage stellen.

(Beifall im ganzen Haus)

Zweitens. Man kann auch ein Fragezeichen setzen, ob es denn zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll und dringend notwendig ist, einen eigenen Modellversuch hier in Schleswig-Holstein durchzuführen. Wir hätten auch gut damit leben können, zunächst einmal die Ergebnisse des Modellversuchs in Baden-Württemberg abzuwarten, der erst wenige Monate läuft.

Und drittens sollten wir im Auge behalten, dass dies auch wieder eine neue Herausforderung für unsere Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten ist. Sicher, unsere Polizei ist hervorragend ausgebildet. Aber in diesem konfliktbeladenen Bereich kommt der Fortbildung eine besondere Bedeutung zu. Aus unserer Sicht ist die Broschüre aus Baden-Württemberg „Handreichung für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte für polizeiliches Einschreiten bei Gewaltkonflikten im sozialen Nahraum“ - so heißt sie nämlich - eine hervorragende Grundlage.

Wie gesagt, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Bedenken haben wir heute zurückgestellt, denn Gewalt gegen Frauen und Kinder ist keine Privatangelegenheit.

(Beifall im ganzen Haus)

Das Wort für die F.D.P.-Fraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Günther Hildebrand.

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Frau Schlosser-Keichel, auch wir haben natürlich in der Fraktion darüber gesprochen und sind zu dem Ergebnis gekommen: Das ist ein Männerthema!

(Beifall bei der F.D.P. sowie der Abgeordne- ten Jutta Schümann [SPD] und Anna Schlos- ser-Keichel [SPD])

Zum Inhalt des Antrages und zum Verfahren ist jetzt schon hinreichend etwas gesagt worden. Die Fraktionen sind sich einig, hier in Schleswig-Holstein einen Modellversuch durchzuführen. Deshalb hier nur noch einige wenige Anmerkungen!

Das Wegweiserecht wurde - wie schon gesagt - in Österreich -

(Zurufe: „Wegg“!)

- „Wegg“, Entschuldigung, das Wegweiserecht! Der Herr Präsident hat dazu schon etwas gesagt. Dem ist eine gewisse Logik nicht abzusprechen.

Das Wegweiserecht wurde in Österreich im Jahr 1997 eingeführt, Baden-Württemberg hat - wie schon gesagt - sich inspirieren lassen und einen eigenen Modellversuch gestartet. Er wird in mehr als 40 Städten und Gemeinden in Baden-Württemberg durchgeführt.

Der Antrag überträgt die Aufgabe der Entwicklung des Modells allein auf die Exekutive und weist dem Parlament nur die Aufgabe der begleitenden Kontrolle in Form der Entgegennahme von Zwischenberichten zu. Dieser Weg ist in einem Modellversuch gangbar und entspricht dem Willen der Antragstellerin, die möglichst rasch zu einer Umsetzung gelangen möchte. Die F.D.P.-Fraktion hätte sich mehr parlamentarische Beteiligung in der Konzeptionsphase gewünscht, respektiert aber selbstverständlich im Sinne des gemeinsamen Antrages den Willen der Antragstellerin.

Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass in SchleswigHolstein das Rad nicht neu erfunden werden muss. Die Erfahrungen aus Österreich und Baden-Württemberg müssen die Grundlage des Konzepts in SchleswigHolstein bilden.

(Beifall bei der F.D.P. und der Abgeordneten Silke Hinrichsen [SSW])

Dabei ist insbesondere auf zwei Dinge zu achten. Erstens ist die erfolgreiche Anwendung dieses Instruments der Wegweisung auf eine gut funktionierende

(Günther Hildebrand)

Koordination aller beteiligten Behörden und Einrichtungen angewiesen. Dies muss gerade in der Erprobungsphase, in der alle Beteiligten Neuland betreten, gewährleistet sein.

Zweitens gehören Auseinandersetzungen im so genannten sozialen Nahraum für die Polizistinnen und Polizisten zu den schwierigsten Einsätzen. Frau Schwalm hat bereits darauf hingewiesen. Eine umfassende Schulung und eine gute Information zum Thema sind unbedingt notwendig, um den Modellversuch erfolgreich zu gestalten, damit wir ihn anschließend flächendeckend einführen können, was wir ja sicherlich auch alle wollen.

(Beifall bei F.D.P., SPD und SSW)

Die F.D.P. regt deshalb an, den Polizistinnen und Polizisten frühzeitig Informationsmaterial speziell zu diesem Thema zur Verfügung zu stellen. Eine Orientierung an der Praxis von Baden-Württemberg Frau Schwalm sagte es schon; dort gibt es eine entsprechende Broschüre - sollte hier erfolgen. Wir können uns nur wünschen, dass dieser Modellversuch wirklich zum Erfolg führt und wir hier im Bereich der häuslichen Gewalt zu einem befriedigenden Ergebnis kommen.

(Beifall im ganzen Haus)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt Frau Irene Fröhlich.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über die Ermöglichung einer Maßnahme, die nach meinem Gerechtigkeitsverständnis eigentlich selbstverständlich sein sollte. Zum Glück wird sie in unserem Lande längst - zumindest mit dem Modell „KIK“ hier im Kieler Raum - praktiziert.

(Beifall der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD])

Selbstverständlich sollte es sein, dass dann, wenn in einer Lebensgemeinschaft einer der beiden Partner diese Lebensgemeinschaft durch Gewalttätigkeit gefährdet, er die gemeinsame Wohnung verlassen muss. Der Täter muss gehen, nicht das Opfer.

(Beifall im ganzen Haus)

Und doch sieht es in der Realität anders aus. Noch sind es zumeist die Frauen, die nach Misshandlungen aus Furcht die Wohnung verlassen. Selbst diese Möglichkeit, dass Frauen gehen können, ohne auf die Auf

nahme durch Verwandte oder Freunde angewiesen zu sein, ist erst seit vergleichsweise kurzer Zeit vorhanden, nämlich seit es Frauenhäuser und Anlaufstellen für Frauen in Not gibt. Diese haben wir zum Glück in diesem hohen Hause immer mit großer Aufmerksamkeit bedacht und haben sie in Schleswig-Holstein bundesweit einmalig hervorragend gesichert.

(Beifall der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD] und Renate Gröpel [SPD])

Sehr geehrte Damen und Herren, mit der Frauenbewegung der Siebziger- und Achtzigerjahre wurde das Phänomen „Gewalt in der Familie und in der Beziehung“ zum ersten Mal öffentlich thematisiert. Damit kam endlich etwas Licht in eines der größten Dunkelfelder des Kriminalitätsgeschehens. Ein weiterer Meilenstein im Kampf gegen Männergewalt in engen persönlichen Beziehungen war Mitte der Neunzigerjahre die Einführung des Straftatbestandes der Vergewaltigung in der Ehe.

Im Jahre 1996, kurz nachdem ich das erste Mal in den Landtag gewählt wurde, hatten wir im Hohen Hause eine lebhafte Debatte um das Widerspruchsrecht der Ehefrau gegen die Strafverfolgung. Diese Debatte endete in großer Einstimmigkeit. Das war für mich eine sehr frühe Sternstunde dieses Parlaments; denn das entstand hier im Laufe der Debatte. So etwas wünsche ich mir öfter einmal.

Die Schaffung eines gesicherten rechtlichen Instruments zum Verweis des Gewalttäters aus der gemeinsamen Wohnung ist ein weiterer wichtiger Schritt gegen Gewalt in der Familie, egal, ob dies durch einen neuen Paragraphen oder die Anwendung der vorhandenen Regelung geschieht. Immer noch ziehen viele misshandelte Frauen ihren einmal gestellten Strafantrag zurück oder verweigern die Aussage. Dies geschieht in der Regel aus Angst vor weiterer Gewalt oder in dem Moment, in dem der gewalttätige Mann Besserung gelobt.

Die Bereitschaft, diesen Beteuerungen zu glauben, wird sicherlich gesteigert, wenn hierin die einzige Möglichkeit besteht, wenigstens kurzfristig in die eigene vertraute Wohnung zurückzukehren. Häufig sind da ja auch noch die Kinder. Ich muss das nicht weiter ausführen; Sie können sich das alle sicherlich sehr gut vorstellen.

Ich bin sehr froh, dass wir mit dem „KIK“, dem Kieler Interventionskonzept, bereits vor einigen Jahren die Situation misshandelter Frauen und Kinder wesentlich verbessern konnten. Wir waren uns auch einig, dass wir dieses Modell landesweit ausdehnen wollten, weil es sich bewährt hatte.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Irene Fröhlich)

Insofern war aus unserer Sicht ein Modell gar nicht mehr erforderlich. Ich denke, dass bei den Koordinatorinnen des „KIK“, des Kieler Interventionskonzepts, die Entwicklung eines Konzeptes für den Platzverweis in guten Händen ist.

Lassen Sie mich unter dem Eindruck der gestrigen Rechtsextremistendebatte noch Eines hinzufügen. Die Bekämpfung von Gewalt - besonders Männergewalt in der Familie ist nicht nur ein Schritt zum Schutz der Frauen, es ist zugleich auch ein Beitrag zur Kriminalitätsprävention angesichts der Gewaltkriminalität in unserer Gesellschaft. Das in der Familie erlebte Aggressionspotential prägt die Kinder in ihrem eigenen Gewaltverhalten in der Schule, gegenüber alten Menschen, aber auch als künftige Eltern. So jedenfalls stellte es Generalstaatsanwalt Erhard Rex im Oktober 1997 anlässlich einer Kampagne gegen Männergewalt dar.

Ich freue mich, dass sich heute nicht nur alle Fraktionen hinter diesen Antrag gestellt haben, sondern dass offenbar jetzt auch alle Fraktionen da angekommen sind, wo wir schon lange meinten hin zu müssen, nämlich dass private Gewalt ein öffentliches Ereignis ist, und ich freue mich besonders, dass offenbar auch unsere männlichen Kollegen bei der Erkenntnis angekommen sind, dass es sich hier um keine Privatangelegenheit und um keine Frauenangelegenheit handelt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, F.D.P. und SSW)

Das Wort für die Landesregierung erhält Frau Ministerin Lütkes.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr froh, dass heute im Landtag eine gesellschaftliche Debatte über Gewalt gegen Frauen und Kinder - zusammengefasst unter dem etwas merkwürdigen Begriff der häuslichen Gewalt - stattfand, die zu einem gemeinsamen Diskussionsstand führte, der akzeptiert wie es eben schon ausgeführt worden ist -, dass diese Art der Männergewalt keine Privatsache und insbesondere keine Frauensache ist.

Gemeinsam mit dem Herrn Innenminister möchte ich übereinstimmend deutlich machen, dass die Landesregierung sehr intensiv daran arbeitet, das, was Sie hier als Modell vorschlagen, in die Praxis umzusetzen. Sie haben sich auf „KIK“ bezogen. „KIK“ ist nicht nur ein Modellversuch, sondern „KIK“ ist auch ein richtiger Schritt hin zu einer intensiven Zusammenarbeit im

ganzen Land. Insofern hat Schleswig-Holstein im Verhältnis zu den anderen Bundesländern schon einen ganz bedeutenden Schritt nach vorn getan. Glauben Sie mir als - wenn ich es einmal so sagen darf - „alter“ Fachfrau, dass ich das aus dem Blick der anderen Bundesländer gut beurteilen kann.