Protokoll der Sitzung vom 26.08.2004

Innerhalb eines Schuljahres ist es uns in enger Zusammenarbeit mit den Schulträgern, den Vereinen und den Verbänden gelungen 112 Schulen in offene Ganztagsschulen umzuwandeln. Weitere Anträge liegen vor, sodass die Zahl laufend steigt. Zu diesen 112 offenen Ganztagsschulen kommen 23 gebundene und 50 weitere Schulen mit Ganztagsangeboten hinzu. Das heißt, dass wir in Schleswig-Holstein schon fast an einem Fünftel der Schulen ganztägige Angebote haben. Die Tendenz ist steigend.

Natürlich hat das Investitionsprogramm des Bundes hier einen hohen Anreiz geschaffen; das ist ganz klar. Die Gemeinden wollen ein Stück davon abhaben. Landauf, landab stelle ich aber fest, dass es ein hohes Engagement bei den Schulträgern gibt, wirklich etwas daraus zu machen und auf die Beine zu stellen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Daneben gibt es auch ein hohes Engagement bei den vielen Verbänden, die dabei mitmachen wollen. Ich finde, das ist eine äußerst positive Entwicklung.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Bericht zur Unterrichtssituation belegt auch, dass wir keinen Mangel an Nachwuchslehrkräften und an ausgebildeten Lehrkräften haben. Die Bewerberzahlen für den Vorbereitungsdienst und für die Laufbahnen übersteigen die Zahl der verfügbaren Stellen nach wie vor deutlich. Es gibt immer mehr jüngere Kolleginnen und Kollegen. Natürlich darf man aber auch nicht verschweigen, dass es schon seit Jahren fachspezifische und regionale Engpässe gibt, da in diesen Bereichen einfach weniger nachgefragt wird. Durch zentrale Vorgaben müssen wir hier nach wie vor steuernd eingreifen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist natürlich die Schulentwicklungsplanung. Sie spielt deshalb eine so zentrale Rolle, weil wir mit erheblichen demografischen Veränderungen rechnen müssen, die auch schon spürbar sind. Das belegt auch der von der Landesregierung in Auftrag gegebene Bericht zur demo

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

grafischen Entwicklung. Er zeigt die unterschiedliche Entwicklung in den Städten und in den Kreisen auf und er zeigt, dass ein Bevölkerungszuwachs nicht notwendigerweise mit wachsenden oder gleich bleibenden Schülerzahlen einhergehen muss und dass weniger Geburten eben nicht eins zu eins mit weniger Schülern und einem geringeren Lehrerbedarf und so weiter gleichzusetzen sind. Wir sehen hier eine sehr differenzierte Entwicklung vor uns.

Die Geburtenrückgänge wirken sich im Bereich null bis sechs Jahre, also auf die Kitas, relativ unmittelbar aus. Im Schulsystem befinden sich jetzt und noch ein ganzes Jahrzehnt lang aber starke Jahrgänge. Deshalb steigen die Schüler-, Ausbildungs- und Studierendenzahlen bis 2015 auf etwa 115 % des Iststandes von 2002. Darüber müssen wir uns sehr bewusst sein. Aber auch hier wird es regional natürlich deutliche Unterschiede geben.

Für die Bildungspolitik bedeutet das, dass wir nach wie vor quantitativ hohe Ressourcen vorhalten müssen. Das ist so, wenn man nicht einen Qualitätsverlust erleiden will.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und FDP)

Das bedeutet zugleich, dass alle Beteiligten ihre Anstrengungen für mehr Qualität und für eine vorausschauende Schulentwicklungsplanung erhöhen müssen.

Unsere Aufgabe ist es, in allen Teilen des Landes ein qualitativ hochwertiges und wirtschaftlich verantwortbares Schulangebot zu sichern. Man muss das immer in diesem Zweiklang sehen. Dies wird in einzelnen Regionen - ich behaupte, dass das in weiterer Zukunft generell der Fall sein wird - nur durch eine intensivere Kooperation und durch die Zusammenführung von Schulen und Schularten - das sage ich sehr deutlich - möglich sein.

(Lothar Hay [SPD]: Sehr gut!)

Ich sage Ihnen voraus, dass es dort mit Sicherheit zu flexibleren Lösungen kommen wird, als Sie es sich in Ihrer programmatischen Ängstlichkeit und zum Teil ideologischen Verbohrtheit derzeit vorstellen können.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das sage ich in aller Ruhe und Sachlichkeit. Sie haben das wieder einkassiert und sind zurückgezuckt, bloß weil sich ein Verband oder einzelne Menschen im Lande das aus grundsätzlichen ideologischen Gründen überhaupt nicht vorstellen können. Wissen Sie: Ich finde das einfach feige. Die Notwendigkeit

für solche Lösungen ist da. Man muss ja gar kein Vertreter des skandinavischen Schulsystems sein. Noch einmal: Die Notwendigkeit für solche Lösungen ist da. Ich sage Ihnen voraus: Zu ihnen wird es im Lande sehr viel mehr noch, als wir sie bisher schon haben, kommen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Weil dies so ist und weil dies ein drängendes Problem ist, stehen wir natürlich in engem Kontakt mit den Schulträgern, und zwar zunächst mit denen, die von der Entwicklung am stärksten betroffen sind. Nach dem Bericht des Landesrechnungshofes ist das ja absehbar. Darüber hinaus wird der Staatssekretär in den kommenden Wochen und Monaten in allen Kreisen und kreisfreien Städten Gespräche über eine vorausschauende und zukünftige Entwicklungsplanung führen.

(Werner Kalinka [CDU]: Das ist doch ganz klar!)

- Herr Kalinka, Sie sind herzlich eingeladen, dabei zu sein. Vielleicht kann man dann auch ein bisschen sachlicher diskutieren, als Sie das hier so lieben. - Zu diesen notwendigen Strukturveränderungen können und müssen wir gemeinsam beitragen. Ich sage das in aller Deutlichkeit. Mit „gemeinsam“ meine ich, dass die Schulträger, die Schulaufsicht, die Landesregierung und auch das Parlament mitwirken müssen.

An vielen Stellen sind in Zukunft Konsense erforderlich. Es ist nicht fair, wenn man heute sein Pferd vor den Karren „Bessere Unterrichtsversorgung, mehr Ressourcen und mehr Effizienz“ und morgen vor den gegenläufigen Karren „Rettet die Schule in XY“ spannt. So kann es in Zukunft natürlich nicht laufen. Das richte ich als Appell übrigens an alle Beteiligten hier.

Meine Damen und Herren, die Zeiten, in denen die Bildungspolitik nur nach dem Input von Geld und Stellen betrachtet wurde, sind längst vorbei. Im Übrigen: Wer sich heute hier oder auch im Wahlkampf hinstellt und das „zu wenig“ beklagt und „ein mehr“ von allem fordert - mehr Geld, mehr Stellen -, der muss vor allen Dingen zugleich auch sagen, wo es denn herkommen soll, von welcher Position aus es umverteilt werden soll oder wie er es im Schulbereich selbst erwirtschaften will.

Schule und Unterricht sind heute schwieriger denn je. Die Erwartungen der Gesellschaft sind zugleich höher als jemals zuvor. In diesem Spannungsfeld bewegen sich die Lehrerinnen und Lehrer heute. Ich finde, sie brauchen deshalb Unterstützung und auch Wertschät

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

zung. Sie brauchen dies nicht abstrakt mit guten Worten, sondern ganz konkret als Anerkennung für die Veränderungen, die Reformbereitschaft und die Bereitschaft, die Qualität an unseren Schulen wirklich zu verbessern. Dazu können Sie alle einen Beitrag leisten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion der CDU erteile ich der Frau Abgeordneten Sylvia Eisenberg das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie jedes Jahr erhalten wir am Ende des Schuljahres den Bericht der Landesregierung zur Unterrichtssituation des abgelaufenen Schuljahres; diesmal allerdings mit auffälligen Änderungen. Umfasste der Bericht 2002 noch 68 Seiten, so finden wir 2003 nur noch 57 und 2004 ganze 22 Seiten. Verzichtet wird diesmal auf alles, was Schleswig-Holstein als Baustelle im Bildungsbereich ausweisen könnte, denn das ist Schleswig-Holstein in diesem Bereich. Der Bildungsbereich ist eine ständige Baustelle, dem das Fundament fehlt und dessen Bausteine - als so genannte Reformen deklariert - ohne Gesamtplan durcheinander purzeln.

Frau Erdsiek-Rave, ich frage Sie: Was ist eigentlich mit G 8? Was geschieht an den Berufsschulen hinsichtlich der regionalen Bildungszentren? Wo ist das so genannte Bezirksfachklassenkonzept? Welche Konsequenzen werden aus EVIT gezogen?

Gute Lehrer braucht das Land. Diese Feststellung ist richtig. Wird die Qualität der Lehrerausbildung aber tatsächlich dadurch verbessert, dass alle examinierten Studenten an den Schulen unterrichten dürfen, ohne dass sie von Mentoren ausreichend vorbereitet und von Fachleitern begleitet werden? Die Einführung von Englisch in der Grundschule wird mit großem Pomp gefeiert, ohne dass die Schülerinnen und Schüler auch nur eine Stunde mehr Unterricht erhalten. Es gibt noch nicht einmal ein einheitliches Konzept für die Einführung von Englisch in der Grundschule. Der einzelnen Schulkonferenz wird es überlassen, zu entscheiden, auf welche Art die Schule den Forderungen des Bildungsministeriums gerecht werden muss.

Frau Erdsiek-Rave, auch hier muss ich ein wenig Wasser in den Wein gießen: Die so genannte Verlässliche Grundschule wird eingeführt, ohne dass die Unterrichtsversorgung sichergestellt ist. Das geschieht auch noch zu Lasten der dringend notwendi

gen Förderungs- und Differenzierungsmaßnahmen. Auch das hat der Landesrechungshof gerade in seinem Bericht vom 4. Juni bestätigt. Was diese Art von Verlässlichkeit bedeutet, zeigen Schreiben von Eltern, die uns erreicht haben. Ich zitiere aus einem Schreiben vom 17. August 2004 aus dem Kreis Pinneberg. Ich kann Ihnen das Schreiben gern zukommen lassen. Dort steht:

„Ein weiteres Ärgernis ist die so genannte Verlässliche Grundschule. Meine beiden Kinder haben keine gleichmäßigen Eingangs- und Ausgangszeiten. Meine Tochter, vierte Klasse, hat zweimal die Woche zur zweiten Stunde, dreimal zur ersten Stunde und mittags unregelmäßige Ausgangszeiten zwischen 11.40 Uhr und 12.45 Uhr. Bei meinem Sohn in der ersten Klasse verhält es sich ähnlich. Außerdem musste unsere Schule natürlich auch die vom Land angebotene 10 %-prozentige Kürzung der Unterrichtsstunden in Anspruch nehmen, um den verlässlichen Stundenplan umsetzen zu können.“

Diese Aussagen sprechen für sich. Ich glaube nicht, dass ich sie noch groß kommentieren muss. Zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung fehlen Ihnen, Frau Erdsiek-Rave und liebe Kolleginnen und Kollegen von der linken Seite, der Mut oder das Geld und zu Umschichtungen innerhalb des Landeshaushaltes ist diese Landesregierung nicht fähig. Lieber wird auf Pump finanziert, wie zum Beispiel beim Vertretungsbudget. Allerdings weiß jeder, dass zu wenig Grund- und Hauptschullehrer da sind und auf der Straße stehen, um qualifizierten Vertretungsunterricht, notwendig gerade für diesen Bereich, Sie haben es bestätigt, geben zu können. Auch hier muss man Wasser in den Wein gießen. Der Landesrechungshof hat auch diese Aussage bestätigt, Frau Erdsiek-Rave.

Kommen wir zum Bericht zur Unterrichtssituation! Der Vergleich mit anderen Bundesländern hinsichtlich der von Lehrkräften erteilten Unterrichtsstunden pro Schüler verweist Schleswig-Holstein im Bereich der Grundschulen nach wie vor auf den Rangplatz 14; und das seit Jahren, Frau ErdsiekRave! Lagen die Hauptschulen im Bericht 2003 noch auf Platz 10, so finden wir sie jetzt auf Platz 11 wieder. Die Sonderschulen für Lernbehinderte, 2002 noch Platz 14, sind jetzt auf dem vorletzten Platz. Sie sind auf Platz 15 abgerutscht. Es geht weiter: Die Gymnasien sind von Platz 6 auf Platz 9 gerutscht. Die Beruflichen Schulen in Vollzeitform sind von Platz 10 auf Platz 12 gerutscht. Lediglich die Unterrichtsversorgungen in den Realschulen, von Platz 8

(Sylvia Eisenberg)

auf Platz 6, den Beruflichen Schulen in Teilzeitform, von Platz 5 auf 4, und in den Integrierten Gesamtschulen, man höre und staune, von Platz 10 auf 8, haben sich leicht verbessert.

Bezogen auf die Unterrichtsversorgung pro Klasse erreichten die Schularten lediglich einen Versorgungsgrad von 81 % - das gilt für die Förderschule - bis 94 % - das gilt für die Integrierte Gesamtschule. Dies bezieht sich auf die Durchschnittswerte der Bundesländer.

Auch diese Zahlen sprechen für sich und zeigen, dass sich die Unterrichtssituation im Vergleich zu anderen Bundesländern nicht verbessert, sondern seit Jahren verschlechtert hat, Frau Erdsiek-Rave. Sie zeigen auch, dass Sie, Frau Erdsiek-Rave, seit Jahren keine Konsequenzen aus den immer wieder mahnenden Berichten des Landesrechnungshofs gezogen haben.

(Beifall bei der CDU)

Auf Seite 42 des Berichts des Landesrechnungshofs steht, es sei dem Bildungsministerium nicht gelungen, den Abstand zum Durchschnittswert der Bundesländer merklich zu verringern.

Was nun die rot-grünen bildungspolitischen Gedankenspiele hinsichtlich einer gemeinsamen Schule für alle Schüler bis zur neunten oder zehnten Klasse oder das Durchreichen der Schüler ohne Sitzenbleiben bis zur neunten Klasse betrifft, so erteilt der Landesrechnungshof diesen Befürwortern schon aus finanziellen Gesichtspunkten eine klare Absage. Die Landesregierung stellt dazu allerdings lapidar fest, dass diese Maßnahmen, von ihr im Parlament angeregt, nicht zu ihren konkreten bildungspolitischen Zielsetzungen gehören. Frau Erdsiek-Rave, ich frage mich allerdings: Waren Sie auf dem bildungspolitischen Kongress der SPD im März anwesend oder nicht? Wenn doch, wie haben Sie sich dort geäußert? Ich glaube, das wäre nicht nur für das Erkennen der bildungspolitischen Ziele führender SPD-Nochregierungsmitglieder von erheblicher Bedeutung, sondern mit Sicherheit auch für die Wähler im Jahr 2005.

Zum Abschluss möchte ich noch einmal aus dem bereits erwähnten Brief der betroffenen Mutter zitieren:

„Ich könnte die Liste der Versäumnisse und Ärgernisse noch endlos weiterführen, möchte aber Ihre Zeit nicht weiter in Anspruch nehmen. Nur noch eine Bitte: Nehmen Sie meine Ängste ernst und versuchen Sie, spätestens im nächsten Jahr eine Änderung herbeizuführen. Mehr und bessere Bildung für unsere Kinder!“

Diesem berechtigten Wunsch wird sich eine CDUgeführte Landesregierung ab 2005 nicht verschließen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die Fraktion der SPD erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Henning Höppner das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht zur Unterrichtsversorgung ist in den vergangenen Jahren hier im Parlament eher eine parlamentarische Pflichtübung gewesen. Wir haben im Bildungsausschuss ausführlich über diese Angelegenheit debattiert. Heute aber erreicht dieser Tagesordnungspunkt auf Ihren Wunsch hin eine neue Dimension. Es gibt - leider am Ende eines Tages - eine 60-minütige Debatte. Warum das so ist, ist klar. Seit vergangenem Sonnabend stehen die Mitglieder der Schattenmannschaft des Herrn Carstensen fest. Sie befinden sich seit vergangenem Sonnabend in der Pflichtkür.