Protokoll der Sitzung vom 27.01.2005

Die EU-Vorgabe, eine Koexistenz im Landbau zu ermöglichen, wurde gleichsam in ihr Gegenteil verkehrt. Wie schön, wenn dem Landwirt deshalb wenigstens das Gefühl vermittelt werden soll, er habe sich freiwillig für eine gentechnikfreie Region Schleswig-Holstein entschieden.

„Wir müssen nur aufpassen, dass SchleswigHolstein bei einem solchen Vorverständnis nicht in Zukunft bei Dritte-Welt-Läden vermarktet wird.“

Treffender, als es dieses Mal ausnahmsweise IHKPräsident Driftmann getan hat, kann ich diese rotgrüne Vorgehensweise auch nicht kommentieren.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt dem Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn eine Zweidrittelmehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher Beschlusskraft hätte, wäre der deutsche Markt schon lange frei - frei von gentechnisch veränderten Lebensmitteln.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Bei den Landwirten sieht es nicht viel anders aus: Die meisten wollen nachweislich keine Genpflanzen anbauen - und das nicht erst, seit das Gentechnikgesetz novelliert wurde.

Wenn wir dieser Tatsache ins Auge schauen, also den Willen von Anwendern und ihrer Kundschaft ernst nehmen, dann haben wir keine Wahl: Wir müssen alle Kräfte in Bewegung setzen, um die Einführung gentechnisch veränderten Saatgutes zu verhindern.

Ein konsequenter Schritt in diese Richtung wäre die Einrichtung zusammenhängender gentechnikfreier Regionen.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Allerorten engagieren sich Verwaltungen, Kirchen, Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen,

Landwirte, Waldbesitzer und nicht zuletzt auch Kommunal- und Landespolitiker aus allen Lagern gegen die Ausbringung der „ach so fortschrittlichen“ Gensaaten.

Bereits jetzt haben sich über 11.000 Landwirte in Deutschland mit einer bewirtschafteten Fläche von 430.000 ha - das sind 4.300 km2 - selbst dazu verpflichtet, keine Gentechnik auf ihren Äcker zuzulassen. Wenn man die Waldflächen noch dazu addiert, handelt es sich bereits fast um 1.000.000 ha Land.

Diese Haltung zieht sich quer durch alle gesellschaftlichen Gruppen. Warum sollte sich dann nicht auch ein Land beziehungsweise eine Region in Europa dazu verpflichten, Gentechnik außen vor zu halten? - Unser Land wäre als Rapsanbaugebiet par excellence ganz besonders davon betroffen, wenn sich ungewollt Gene auskreuzen würden.

Wir müssen auch an die Vielzahl der Imker denken, die mit ihren Bienenvölkern eigens für den so leckeren Rapshonig nach Schleswig-Holstein wandern. Ich bezweifle, dass die 70 % der der Gentechnik kritisch gegenüber stehenden Verbraucherinnen und Verbraucher gerne den mit einem GVO-Logo gekennzeichneten Honig vernaschen würden. Das Gegenteil ist der Fall.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Daher begrüße ich ausdrücklich den Schritt der Landesregierung, dem „Netzwerk gentechnikfreie Regionen“ beizutreten.

(Günter Neugebauer [SPD]: Sehr gut!)

Dieses Bündnis zielt auf die Sicherung von Qualitätsstandards und ökologischer Anbaumethoden.

Prominente Produkte wie zum Beispiel der Parmaschinken brauchen den Schutz vor der schleichenden, ich möchte fast sagen, Kontaminierung durch artfremde Gene. Wer von den hier im Raum Anwesenden möchte nicht unser Gütesiegel langfristig als solches sichern? Wer würde dem ökologischen Landbau und den genannten Imkern in die Suppe spucken wollen? Mittels einer klaren Entscheidung, dass Schleswig-Holstein eine gentechnikfreie Region werden soll, würden wir unseren Landwirten und auch den genannten Imkern Rechtssicherheit geben. Aber Schleswig-Holstein ist keine Insel. Eine Verunreinigung gentechnikfrei produzierter Lebensmittel des biologischen Landbaus mit gentechnisch veränderten Organismen ist auf lange Zeit nur zu verhindern, wenn die EU endlich EU-weit verbindliche Regelungen zur Sicherung gentechnikfreier Produktion wie in der Koexistenzregel eigentlich gefordert, und

(Detlef Matthiessen)

einen möglichst niedrigen Schwellenwert zur Saatgutverunreinigung verabschiedet.

Meine Damen und Herren, nach derzeitiger Rechtslage ist die Einrichtung von gentechnikfreien Regionen in der EU noch nicht möglich. Aus diesen Gründen fordern wir die Landesregierung auf, sich dafür einzusetzen, auf Bundesebene alles Erdenkliche zu tun, um die rechtlich abgesicherte Einrichtung gentechnikfreier Regionen in der EU für die Wahlfreiheit der Menschen hierzulande auf allen Ebenen zu ermöglichen. Jeder muss wissen, was er isst, auf die Landwirte bezogen, was er anbaut und erntet.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Das Wort für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich dem Herrn Abgeordneten Lars Harms.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gentechnik in der Landwirtschaft ist ein heikles Thema, das durchaus emotional diskutiert wird, nicht nur in der Landwirtschaft. Das ist durchaus nachvollziehbar, denn die einen sehen erhebliche Risiken für Mensch und Natur im Zusammenhang mit gentechnisch veränderten Organismen, und die anderen stellen das Innovationspotenzial der Gentechnik in den Vordergrund und sehen darin große Chancen. Beide Seiten haben Recht und beide Seiten haben ihre Berechtigung. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Gentechnik bereits vor Jahren ihren Einzug in die Landwirtschaft gehalten hat. Agro-Gentechnik ist somit bereits Realität. Daher ist es nur folgerichtig, dass wir uns intensiv mit diesem Thema befassen, um beide Seiten in dieser Diskussion zu beleuchten.

Mit dem Gentechnikgesetz hat die Bundesverbraucherschutzministerin ein Gesetz erlassen, das insbesondere von den Genbefürwortern in der Landwirtschaft, aber auch von einigen Bundesländern durchaus kritisch gesehen wird. Das Gesetz sieht unter anderem strengere Haftungsregelungen vor, wenn Pollen von Genpflanzen das Feld eines benachbarten Landwirts verunreinigen. Hier sehen sich die GenLandwirte in ihrem Handlungsspielraum eingeschränkt. Diese Kritik ist aus Sicht der Befürworter von Agro-Gentechnik durchaus nachvollziehbar. Es kann hierbei jedoch nicht darum gehen, der Gentechnik in der Landwirtschaft aus ökonomischen und innovativen Gründen Tür und Tor zu öffnen, ohne die gentechnikfreie Landwirtschaft entsprechend zu be

rücksichtigen und zu schützen. Daher begrüßen wir dieses Gesetz, da es den Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft gewährleistet.

Hierbei möchte ich deutlich machen, dass zur gentechnikfreien Landwirtschaft nicht nur die ökologisch wirtschaftenden Betriebe zählen, sondern auch die landwirtschaftlichen Betriebe, die nach der guten fachlichen Praxis wirtschaften, also die konventionellen Betriebe. Damit dieser Schutz gewährleistet werden kann, bedarf es Regionen, die frei von gentechnisch veränderten Pflanzen sind. Im Umkehrschluss bedeutet dies im Hinblick auf die Haftungsregelung, dass es auch Regionen geben muss, in denen die Landwirtschaft gentechnisch veränderte Pflanzen anbauen darf. Nur so lässt sich ermöglichen, dass die Chancen und Risiken der Gentechnik berücksichtigt werden. Nur wenn entsprechende Regionen eingerichtet werden und zwar freiwillig, besteht die Möglichkeit, gentechnisch veränderte und gentechnikfreie Lebensmittel zu produzieren, und nur so kann sich der Verbraucher für oder gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel entscheiden.

Hierbei spielt aber natürlich auch die Kennzeichnungspflicht von gentechnisch veränderten Lebensmitteln eine Rolle. Für uns ist wichtig, dass der Schwellenwert für die Kennzeichnungspflicht so niedrig wie möglich ist. Mit der Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel - die Grenze liegt derzeit bei 0,9 % - wird mehr Transparenz eingeführt und schafft somit die notwendige Wahlfreiheit für die Verbraucher. Diese Wahlfreiheit ist derzeit nicht bei Produkten von Tieren gegeben, da hierfür keine Kennzeichnungspflicht besteht. Es besteht also auch bei dem bestehenden Gesetz, das wir jetzt haben, Nachbesserungsbedarf.

Es lässt sich also feststellen, dass das Gentechnikgesetz nicht nur die gentechnikfreie Landwirtschaft schützt, es sichert vorrangig die Wahlfreiheit für die Verbraucher. Darauf kommt es unserer Meinung nach an. Das Gentechnikgesetz regelt aber auch den Schutz ökologisch sensibler Gebiete, denn auch hier gilt, dass die Auswirkungen nicht hinlänglich bekannt sind, wenn derartige Flächen durch gentechnisch veränderte Organismen verunreinigt werden. Es geht nicht nur um die Wirtschaft, sondern auch um die gesamte Landwirtschaft in diesem Fall. Da müssen die entsprechenden Naturschutzbehörden die Möglichkeit haben, bei einer Beeinträchtigung der schutzwürdigen Flächen einzugreifen. Die Sicherung ökologisch wertvoller Flächen hat nach Auffassung des SSW genauso ihre Berechtigung wie der Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft. Aus diesem Grund sind wir der Auffassung, dass wir diese klaren

(Lars Harms)

Regelungen im Zusammenhang mit Gentechnik veränderten Organismen benötigen.

Ich möchte noch etwas zur Forschung sagen. Wir sind in Schleswig-Holstein Spitze sowohl was die Erforschung der Gentechnik angeht wie auch in der Erforschung dessen, inwiefern man durchsetzen kann, eine gentechnikfreie Landwirtschaft zu betreiben. Dieses Miteinander, diese Koexistenz ist das, was auf EU-Ebene beschlossen worden ist, und das ist das, was jetzt auf gesetzlichem Wege umgesetzt wird. Man sollte bei dieser ganzen Diskussion etwas weiter weg von der Ideologie gehen und mehr auf die Einzelbetrachtung gerade der Gentechnik setzen.

Wir haben vor einiger Zeit von der ttz eine Einladung bekommen - das ist schon zwei oder drei Jahre her -, wo wir uns das einmal ansehen konnten, wie das vonstatten geht, welche Hintergründe das hatte. Das war sehr erhellend, sehr interessant, und ich glaube, das ist etwas, was sich jeder einmal antun sollte, um da etwas wertfreier auch mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln umgehen zu können. Das heißt nicht, dass ich diesen das Wort rede, das heißt nur Koexistenz. Man muss beides in Ruhe betrachten, muss eine Technikfolgenabschätzung machen und am Ende zu einer Entscheidung kommen. Das Wichtige ist, dass der Verbraucher das Entscheidungsrecht hat. Es muss gekennzeichnet werden, und dann möge der Verbraucher entscheiden, was er haben will. Das ist immer noch der beste Weg.

(Beifall beim SSW)

Das Wort für die Landesregierung erteile ich dem zuständigen Landesminister Müller.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Mit dem Wegfall des Zulassungs- und Anbaumoratoriums in der Europäischen Union stehen jetzt gentechnisch veränderte Nutzpflanzen kurz vor ihrem kommerziellen Anbau, auch in Deutschland und auch in Schleswig-Holstein. Aber, und das war gut so, der Bundestag hat rechtzeitig ernste, strenge Regelungen geschaffen, die eine gentechnikfreie Landwirtschaft schützen und eine schleichende Ausbreitung gentechnisch veränderter Pflanzen in der Landwirtschaft unterbinden können. Damit sind sie im Einklang mit den allermeisten Landwirtinnen und Landwirte bei uns im Land.

Doch das neue Gentechnikgesetz - ich sage das auch deutlich - macht aus Deutschland keine gentechnik

freie Region. Auch wenn die Opposition und der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Herr Sonnleitner, von einem Gentechnikverhinderungsgesetz sprechen. Gleichzeitig ist ein großer Agrarchemiekonzern, die Firma Monsanto, schon jetzt dabei, für den Startschuss des kommerziellen Anbaus von gentechnisch verändertem Mais für das Jahr 2005 zu werben. Gleichzeitig unterstützt dieser Konzern Landwirte darin, diesen Mais anzubauen, auch durch Abnahmezusagen, auch Abnahmezusagen für eventuell kontaminierte Chargen der benachbarten Flächen. Das heißt, diejenigen, die hier etwas an die Wand malen, predigen an dieser Stelle pure Ideologie.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Viele Landwirte und Verbraucher wollen aber - meines Erachtens zu Recht - die Region, in der sie leben, gänzlich frei vom Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Man muss einräumen, selbst mit dem neuen Gesetz sind noch viele Frage ungeklärt: Reichen die Sicherheitsabstände zwischen den Feldern aus? Reicht der Haftungsmechanismus, den das Gesetz vorsieht, um wirklich die Schäden auszugleichen? Was ist mit dem Imageschaden für konventionell oder biologisch wirtschaftende Landwirte, wenn die Genpollen dem Nachbarn ins Feld geweht sind? Wenn Sie mit den Einzelhandelskonzernen reden, wenn Sie sich die Verträge ansehen, dann werden Sie sehen, dass die hart und rigide sind. In dem Moment, wo ein Landwirt gentechnisch veränderte Nahrungsmittel anliefert, wird er seine Produkte nicht mehr absetzen können, wird er seinen Arbeitsplatz verlieren. Insofern ist das, was Sie predigen, eine Gefahr für die Arbeitsplätze unserer Landwirte in SchleswigHolstein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Herr Hopp, ich habe Verständnis dafür, dass Sie vielleicht nicht auf dem aktuellen Stand der Gespräche zwischen der Bundesregierung und der EUKommission sind. Die EU-Kommission hat mehrmals nachgefragt und die Bundesregierung um Begründungen dafür gebeten, warum sie die Regelungen erlassen hat. Das ist etwas grundlegend anderes als das, was Sie gerade unterstellt haben.

Vielleicht haben Sie auch die neue EU-Kommissarin Frau Fischer-Boel in Berlin gehört? Die hat einige neue nachdenklich Töne angeschlagen, weil die Einschätzung, den Mitgliedstaaten die Koexistenzregeln

(Minister Klaus Müller)

Herausgegeben vom Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags - Stenographischer Dienst