Protokoll der Sitzung vom 15.11.2000

Landtagsbeschluss vom 13. Juli 2000 Drucksachen 15/190 und 15/253

Bericht der Landesregierung Drucksache 15/509

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Möller das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Landtag hat am 13. Juli dieses Jahres beschlossen, dass die Landesregierung einen Bericht erstellt, der sich mit den Auswirkungen der Vereinbarungen über den Ausstieg aus der Atomenergie und auf die Energiepolitik des Landes Schleswig-Holstein befasst. Dieser Bericht liegt Ihnen heute vor. Aus der Tatsache, dass der Ältestenrat mir fünf Minuten Redezeit zugestanden hat, schließe ich, dass ich den Bericht erstens nicht vorlesen soll und dass es mir zweitens nicht möglich sein wird, auf alle Aspekte dieses Berichts einzugehen.

Ich freue mich deshalb, dass wir am 27. November mit den energiepolitischen Sprechern verabredet sind, um ausführlicher diskutieren zu können. Im Verlauf dieses Gesprächs möchte ich Sie - und den Ausschuss - über die Gespräche der Ministerpräsidenten mit den Energieversorgungsunternehmen über den Stand der Umsetzung zu informieren. Auf Einzelheiten werde ich jetzt nicht eingehen können.

Bei der Umsetzung des Konsenses geht es zu einem gewichtigen Teil darum, im wahrsten Sinne des Wortes Altlasten zu beseitigen, und zwar - wie es das Atomgesetz fordert - im Sinne des bestmöglichen Bevölkerungsschutzes. Das gilt sowohl für die Entsorgung abgebrannter Brennelemente als auch für die geordnete Stilllegung und Beseitigung der noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke. Die vereinbarten Restlaufzeiten haben manche - mich eingeschlossen - nicht zu Jubelstürmen veranlasst.

(Lars Harms [SSW]: So ist es!)

Wichtig ist aber vor allem, dass mit der Vereinbarung ein Zeichen gesetzt worden ist. Es geht jetzt nicht mehr um Sofortausstiegsforderungen der einen Seite oder Durchhalteappelle der Befürworter. Es ist richtig, was wir gesagt haben. Das richtige Signal ist der Einstieg in den Ausstieg. Es ist nicht so wichtig, wann das letzte Kernkraftwerk stillgelegt wird.

(Beifall der Abgeordneten Günter Neugebau- er [SPD], Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Lars Harms [SSW])

Insofern war die vorzeitige beabsichtigte Stilllegung von Stade ein richtiges Signal.

Es geht ausschließlich darum, die Abwicklung der Kernenergie zu organisieren und geordnet durchzusetzen. Es ist doch so: Die Entsorgungskrise, in der wir uns heute befinden, war vorprogrammiert. Noch immer ist kein Endlager für hoch radioaktives Material in Sicht. Gegen Gorleben gibt es begründete Zweifel, die dazu geführt haben, dass aufgrund der Vereinbarung ein Moratorium festgelegt worden ist, damit zahlreichen Sicherheitsfragen nachgegangen werden kann, bevor es an dem Standort zu weiteren Milliarden Fehlinvestitionen kommt.

Niemand kann heute sagen, wie es um die Sicherheit des einzigen deutschen Endlagers mittelund schwachradioaktiver Stoffe in Morsleben wirklich bestellt ist.

(Konrad Nabel [SPD]: Schlecht!)

Ich will Presseberichte nicht dramatisieren.

(Konrad Nabel [SPD]: Ganz schlecht!)

Auch hier gibt es heute - Sie kennen die Schlagzeilen ernst zu nehmende Bedenken.

Aus Frankreich werden aufgrund gültiger Verträge in den nächsten Jahren rund 300 Castorbehälter mit hoch radioaktiven Kokillen zurückgeführt werden müssen. Sechs Behälter lagern dort, wie zu hören ist, bereits illegal, da die Rücknahmeverpflichtung nicht eingehalten worden ist.

Die Bundesregierung führt hier schwierige Verhandlungen auf höchster Ebene - der Bundeskanzler, Chefsache -, damit ein Weg aus dem Dilemma gefunden wird, aus einem Dilemma indes, das die jetzige Bundesregierung keineswegs verursacht hat. Das sage ich auch sehr deutlich.

Wir stehen erst am Anfang eines dynamischen Prozesses, der erfolgreich sein wird, wenn in Politik und Wirtschaft alle Beteiligten, auf die es ankommt, an einem Strang ziehen und ein gemeinsames Ziel vor Augen haben, nämlich die Neuordnung der Energie

(Minister Claus Möller)

versorgung in Deutschland im Sinne von Effizienz, Umweltfreundlichkeit und Klimaschutz.

In welchen Zeiträumen dies tatsächlich geschehen wird, kann heute niemand endgültig beantworten. Die sich ständig verschärfende Entsorgungsproblematik, auf die ich hingewiesen habe, wie auch die noch von der alten Bundesregierung durchgesetzte Liberalisierung der Strommärkte können durchaus dazu führen, dass die Energiewirtschaft schon aus ökonomischen Gründen beziehungsweise im Interesse der Aktionäre Kernkraftwerke früher vom Netz nimmt, als dies auch nach dem Wortlaut des Atomkonsenses geplant ist.

(Martin Kayenburg [CDU]: Das müssen Sie noch erläutern!)

Lassen Sie mich Folgendes einfügen. Ein vorläufiges Ergebnis der Gespräche der Ministerpräsidentin mit den Energieversorgungsunternehmen ist, dass diese zugeben, dass sie erhebliche Überkapazitäten haben und die Neubauten, die, wie in Lübeck und in Brunsbüttel, vertraglich eigentlich vereinbart worden sind, sicherlich nicht in den Zeiträumen realisiert werden wie vorgesehen.

(Martin Kayenburg [CDU]: Welche Verträge und welche Produktionsstätten sind denn da zugrunde gelegt?)

- Bitte?

(Martin Kayenburg [CDU]: Welche Verträge und welche Produktionsstätten sind denn da zugrunde gelegt, Herr Möller?)

- Sie wissen ja, dass es, was Lübeck angeht, einen Vertrag der Stadt Lübeck mit e.on gibt. Was Brunsbüttel angeht, wird es in den nächsten Jahren vermutlich auch keine aktuellen Entscheidungen geben.

Die Landesregierung hat seit 1988 - dafür ist sie von Ihnen manchmal gescholten worden - immer gesagt: Solange Kernkraftwerke am Netz sind, haben die Bürger einen Anspruch darauf, dass die Überwachungsbehörden nach dem Grundsatz „Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit“ arbeiten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Glocke des Präsidenten)

Darf ich an die vereinbarte Redezeit erinnern?

Ja. - Das gilt auch unter den Bedingungen des Energiekonsenses. Deshalb ist auch die Änderung des Atomgesetzes wichtig.

Ich darf Ihnen erstens sagen, dass unsere Aufsichtspraxis in einem Bericht der EU-Inspektoren eindrucksvoll bestätigt worden ist. Staatssekretär Voigt hat das vergangene Woche um Umweltausschuss berichtet. Uns ist im Hinblick auf Krümmel das penible Nachgehen möglicher Ursachen von Leukämie ausdrücklich bestätigt worden. Sie haben uns hier diffamiert und gesagt, das sei ausstiegsorientierte Sicherheitspolitik.

Zweitens. Wir verstehen uns nach wie vor als Anwalt der Betreiber, dass, solange Kernkraftwerke laufen, sie sicher laufen. Im Rahmen der Liberalisierung kann man die Frage stellen, ob es eigentlich noch einer Preisaufsicht bedarf. Solange diese Preisaufsicht durch Bundesgesetz besteht, werden wir sie im Interesse der Verbraucher auch anwenden. Das heißt, dass nicht, wie in anderen Ländern, jeder Antrag auf Strompreiserhöhung für den Normalverbraucher genehmigt wird. Dies geschieht nur, wenn die Notwendigkeit dazu wirklich belegt ist.

Ich hoffe sehr, dass wir im Gespräch mit den energiepolitischen Sprechern und im Ausschuss wesentlich mehr Zeit haben, über diesen Bericht, über alle Facetten dieses Berichtes zu sprechen als heute in der Debatte. Ich hoffe, dass wir zumindest in Teilaspekten zu einem Konsens kommen. Der Atomkonsens an sich ist natürlich Bundessache. Atomrecht ist Bundesrecht. Ich denke aber, es ist richtig, was die Ministerpräsidentin gemacht hat, nämlich im norddeutschen Raum zu versuchen festzustellen, was das für uns bedeutet. Genau das sollten wir über Parteigrenzen hinweg in den Fachausschüssen miteinander diskutieren. Ich hoffe dann auf ein gerüttelt Maß an Übereinstimmung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD])

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, weise ich darauf hin, dass die Landesregierung die vereinbarte Redezeit um drei Minuten überschritten hat

(Widerspruch)

und damit - nur zur Klarstellung - den Fraktionen nach der Geschäftsordnung ein entsprechendes zusätzliches Redekontingent zur Verfügung steht.

(Zuruf von der SPD)

- § 56 Abs. 6 der Geschäftsordnung!

(Vizepräsident Thomas Stritzl)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat jetzt der Herr Abgeordnete Dr. Graf Kerssenbrock.

(Friedrich-Carl Wodarz [SPD]: Ihr müsst nicht länger reden!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf Folgendes auch einmal an die Adresse des Ältestenrats richten. Wissen Sie, wenn wir über die Bedeutungsverluste der Landesparlamente nachdenken und dann derartige Themen von einer gewissen Bedeutungsschwere in Fünf-Minuten-Beiträgen notwendigerweise in oberflächlichster Weise abhandeln müssen, dürfen wir uns über gar nichts wundern.

(Beifall der Abgeordneten Konrad Nabel [SPD] und Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Damit ist aber die friedliche Übereinstimmung mit der Regierung beendet.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU und Beifall bei der F.D.P.)

Erstens. Um innerhalb von sieben Tagen einen 50seitigen Bericht halbwegs substantiiert abzuarbeiten, ist das eine zu kurze Zeit. Wie geht eigentlich die Regierung mit uns, den Parlamentsfraktionen um?

(Zuruf des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD])

Ich finde, das ist nicht in Ordnung. Das ist eine zu kurze Zeit.