Protokoll der Sitzung vom 17.11.2000

Herr Abgeordneter, ich habe Sie gebeten, zum Schluss zu kommen.

Ich denke, wir befinden uns -

Herr Abgeordneter Höppner, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

(Heiterkeit - Beifall bei der SPD)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Klug das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die F.D.P.-Landtagsfraktion hat bereits im August 1995 also in der vorletzten Wahlperiode - einen Antrag Drucksache 13/2934 vorgelegt, in dem es heißt:

„Die Landesregierung wird aufgefordert, an schleswig-holsteinischen Grundschulen nach dem Beispiel anderer Bundesländer ein pädagogisch geeignetes Unterrichtsangebot im Bereich der Fremdsprachen zu schaffen.“

Wir freuen uns, dass dieses Anliegen nun - fünf Jahre später - von anderen Fraktionen hier im hohen Hause durch entsprechende Initiativen aufgegriffen worden ist.

Eine bessere Vermittlung moderner Fremdsprachen - insbesondere natürlich der Weltsprache Englisch - ist nicht nur ein wichtiges bildungspolitisches, sondern auch ein gesellschaftspolitisches Ziel. Die Begründung der wesentlichen Punkte hat die Landesregierung in der Vorbemerkung zum Bericht zusammengefasst. Frau Ministerin Erdsiek-Rave ist auch darauf eingegangen. Ich erspare mir, diese Punkte zu wiederholen.

Andere europäische Staaten - das ist zweifellos richtig - sind uns in Deutschland in dieser Beziehung - und das gilt speziell auch für Schleswig-Holstein - weit voraus.

(Beifall bei der F.D.P.)

(Dr. Ekkehard Klug)

In Österreich wird von diesem Schuljahr an Englischunterricht für die Grundschüler ab der ersten Klasse allgemein praktiziert. Bestrebungen gibt es auch in anderen Ländern. In Dänemark hat sich kürzlich der dänische Industrieverband dafür eingesetzt, an den Grundschulen von der ersten Klasse an generell ein entsprechendes Angebot an Englischunterricht einzuführen. In Deutschland machen es die Waldorfschulen auch von Anfang an.

Ich verweise darauf, dass der Verein für frühe Mehrsprachigkeit in Schleswig-Holstein im Rahmen einer bundesweiten Umfrage ermittelt hat, dass wir hier im Vergleich zu anderen Bundesländern einen Rückstand haben. Anderenorts ist es vielfach so, dass man ab der ersten oder zumindest von der dritten Klasse an sehr viel systematischer mit dem Englischunterricht operiert, als das bei uns der Fall ist. Wir haben Nachholbedarf.

Der Bericht der Landesregierung und die Initiative der CDU-Fraktion bieten eine Grundlage für das weitere Vorgehen, unseren Nachholbedarf in SchleswigHolstein alsbald auszugleichen und im Bildungsausschuss darüber zu diskutieren.

Ich bin der Auffassung, dass Fortschritte nur im Rahmen eines Stufenkonzeptes realisiert werden können. Die Frage ist, wie das aussehen sollte.

Realistischerweise ist davon auszugehen, dass es zunächst wohl nur ab Klasse 3 eine systematischere Englischvermittlung in den Grundschulen geben kann. Das ergibt sich aus der Ausstattung der Schulen mit Lehrkräften. In den nächsten fünf Jahren haben wir extrem wachsende Schülerzahlen im Bereich der weiterführenden Schulen - also an den Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien -.

Es wird nicht möglich sein, aus dem Bereich der Sekundarstufe I Lehrpersonal für eine Verstärkung des Fremdsprachenunterrichts an den Grundschulen abzuziehen. Das ist in den nächsten fünf, sechs Jahren angesichts der Entwicklung der Schülerzahlen einfach nicht vertretbar und darstellbar. Das sagt der Bericht ja auch zu Recht, denn das hieße, jede Verbesserung durch zusätzliche Ressourcen in den nächsten Jahren mit einer Anschubausstattung zu versehen.

Die Regierung stellt in ihrem Bericht fest, dass allein eine Stunde Englisch ab der 3. Klasse 110 zusätzliche Lehrerstellen erfordern würde. In Anbetracht der finanziellen Situation des Landes ist das ein großes Stück Holz. Man muss sich darüber unterhalten, wie wir zu diesem unbedingt zu erreichenden Zielen möglichst rasch kommen - auf welchem Wege, über welche Schritte, über welche Stufen.

Ich halte es allerdings für unbegründet, wenn in Ihrem Bericht auf Seite 7 festgestellt wird, ein neues Fach mit zusätzlichen Unterrichtsstunden in der Grundschule würde zu einer Überforderung der Grundschüler führen. Tatsächlich ist es heute doch so, dass nicht einmal die bestehende Stundentafel an den Grundschulen unterrichtet wird, das heißt, dass Grundschüler vielfach unterfordert oder nicht ausreichend gefördert werden, wie es nach den Stundentafeln eigentlich vorgesehen ist. Auch das Beispiel anderer Länder belegt, dass ein zusätzliches Fach eine denkbare Möglichkeit ist.

Zum Schluss möchte ich auf einen für mich wesentlichen Punkt hinweisen. Es kommt entscheidend darauf an, dass der Übergang von der Grundschule in den Bereich der weiterführenden Schule im Auge behalten wird, Herr Höppner hat es bereits angesprochen. Es kann nicht angehen - das ist die kritische Diskussion, die in letzter Zeit in Hamburg geführt worden ist -, dass die weiterführenden Schulen Schüler aus Grundschulen mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen in der englischen Fremdsprache aufnehmen und dass diese massiven Niveauunterschiede in der 5. Klasse der weiterführenden Schulen erst einmal ausgeglichen werden müssen. Das würde den Erfolg einer Frühvermittlung von Englischkenntnissen teilweise wieder konterkarieren, weil man in den weiterführenden Schulen Probleme hat, dies zu bewältigen.

(Beifall bei der F.D.P.)

Das ist für mich ein ganz entscheidender Punkt. Herr Höppner hat Recht, das bunte Bild, dieser bunte Flikkenteppich, der heute in punkto Englischunterricht im Grundschulbereich existiert, muss zu einer einheitlicheren Regelung entwickelt werden.

(Glocke des Präsidenten)

- Das ist der letzte Satz, Herr Präsident! - Es muss klar sein, was die Grundschulen als Voraussetzung für die weiterführenden Schulen mitbringen müssen.

(Beifall bei der F.D.P. und des Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU])

Ich erteile Frau Abgeordneter Birk das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht nur Europa, sondern die ganze Welt rückt in einem noch vor wenigen Jahren ungeahnten Tempo zusammen. Der Siegeszug des Internet, aber auch Tourismus und natürlich die Migration sind Motor dieser Entwicklung. Immer mehr Firmen sind Global

(Angelika Birk)

Players, das heißt, dass Betriebsteile in der ganzen Welt verstreut sind und die Menschen auf unterschiedlichen Plätzen zusammenarbeiten und gemeinsame Projekte kommunizieren müssen.

Die Voraussetzung dafür ist die Beherrschung von Fremdsprachen und die Kenntnis kultureller Besonderheiten und Unterschiede. Schon heute kann sich keine Arbeitnehmerin und kein Arbeitnehmer mehr leisten, auf einem qualifizierten Arbeitsplatz ohne eine Fremdsprache zu arbeiten. Und das Surfen macht ja auch keinen Spaß, wenn wir nicht verstehen, was wir dort finden.

Wie bedeutsam dieses Thema ist, wird durch die interfraktionelle Initiative deutlich. Die Landesregierung hat den Bericht rasch erstellt. Das freut uns. Er ist sehr knapp, aber dafür sehr informativ ausgefallen. Dafür herzlichen Dank!

Die rot-grüne Landesregierung hat die Notwendigkeit, aber auch den pädagogischen Wert erkannt, Grundschülerinnen und Grundschüler mit fremden Sprachen und Kulturen vertraut zu machen. Ich begrüße ausdrücklich, dass die von der Landesregierung dazu gewählte Form keine Benotung vorsieht und damit auf weiteren Leistungsdruck verzichtet.

Mit der in den Fachunterricht integrierten 10- bis 15minütigen Fremdsprachenbegegnung pro Woche wird eine positive und erlebnisreiche Erstbegegnung mit der fremden Sprache ermöglicht, dann folgt das intensive Lernen in der 5. Klasse.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Wir sollten allerdings die Ergebnisse des Schulversuchs an der Klaus-Rixen-Schule in Altenholz und die Erfahrungen aus den anderen Ländern sehr sorgfältig auswerten. Hierin stimme ich der Ministerin ausdrücklich zu. Sollte sich herausstellen, dass dort doch eine Überforderung entsteht oder dass die Organisation nicht klappt, so müssen wir dies frühzeitig vermeiden lernen. Solange aber diese Ergebnisse nicht vorliegen, Herr Klug und Herr de Jager, halte ich es für fahrlässig, jetzt - holterdiepolter - eine Entscheidung zu treffen: Fachunterricht ab Klasse 3. Das sage ich nicht nur wegen der Finanzen. Sie mogeln sich ja wieder um die Frage des Geldes herum; das kennen wir von Ihnen ja.

(Widerspruch des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [F.D.P.])

Heißt das denn sonst, dass wir, wie in Bayern, den Deutschunterricht reduzieren sollen? Ich glaube, gerade das Gegenteil brauchen wir.

Damit lassen Sie mich auf einen Aspekt eingehen, der in dem Bericht aus meiner Sicht unterentwickelt ist. Wir finden auch, 2004/2005 ist sehr spät für eine flächendeckende Einführung dieses Fremdsprachenunterrichts, und wir sollten gemeinsam darüber nachdenken, wie dies ohne zusätzliche Bereitstellung riesiger Mittel - das können wir nicht - beschleunigt werden kann.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Trotzdem herzlichen Dank an alle die Lehrerinnen und Lehrer und an die Eltern, die die bisherige Entwicklung möglich gemacht haben.

Nun komme ich zu dem Punkt, der mir in dem Bericht unterentwickelt zu sein scheint. Wir müssen uns ja klar machen, 30 % aller Kinder in Deutschland - ich betone: 30 %! - haben mindestens einen Eltern- oder Großelternteil mit Migrationshintergrund und der Anteil ist steigend. Es ist keine kleine Minderheit in wenigen Problemstadtteilen, es ist inzwischen eher die Regel als die Ausnahme, dass die Biografie nicht nur auf Deutschland verweist.

Wenn wir ein Einwanderungsland sind - das sind wir; wir haben ja gestern und vorgestern ausdrücklich darüber gesprochen -, dann muss sich das natürlich auch im Unterricht niederschlagen. Wir können nicht so tun, als würde die Mehrzahl der Kinder Deutsch unmissverständlich gut als Muttersprache mitbringen. Das heißt, wir müssen in den Schulen erstens den Deutschunterricht für alle Kinder verlässlich anbieten, das heißt auch dem Fremdsprachencharakter des Deutschen deutlich Rechnung tragen - das muss ein verlässliches Angebot sein -, und wir müssen zweitens darüber nachdenken, wie auch der herkunftsprachliche Unterricht in unsere Grundschulen Eingang findet; Herkunftssprache heißt hier Türkisch, Spanisch, Griechisch oder Russisch. Das muss gewürdigt werden; da müssen wir tatsächlich etwas tun, damit interkulturelles Lernen nicht nur eine leere Worthülse ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Eine Schule, die eine solche interkulturelle Bildung bereits beispielhaft in Schleswig-Holstein leistet, ist die Albert-Schweitzer-Schule in Wedel. Zu Recht hat die Ministerin sie in einer Sonderveröffentlichung der ortsansässigen Tageszeitung gewürdigt. Es werden dort Kinder aus 20 Nationen unterrichtet, die in dem Stadtviertel wohnen, in dem auch diese Grundschule steht, und es werden dort die interkulturellen Ansätze hervorragend zusammengebracht und es wird auch gemeinsam Englisch gelernt - sehr lebensnah.

(Angelika Birk)

Für ein solches Konzept müssen wir aber auch an die Sprachen denken. Nicht zu Unrecht hat der türkische Elternvertreter dieser Schule die Lehrer und Eltern dafür sensibilisiert, was es heißt, in der Grundschule nicht gut Deutsch zu können. Wir werden also auch dieses Thema im Ausschuss vertieft diskutieren. Es ist wichtig, sich auf Englisch verständigen zu können. Für das soziale Miteinander in unserer Gesellschaft ist es aber nicht weniger wichtig, sich mit der dänischen Nachbarin - Frau Spoorendonk! - und mit der türkischen verständigen zu können. In diesem Sinne: Interkulturelle Bildung heißt mehr als Englisch lernen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Das war ja genau auf den Punkt beendet.

Jetzt hat Frau Abgeordnete Spoorendonk das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon seit Jahren beherrschen Schlagworte wie Globalisierung und vereintes Europa die öffentliche Debatte in der Bundesrepublik. Diese Wortbildungen müssen als Begründung für allerlei Strukturänderungen oder sogar für viele Kürzungen im Sozialbereich herhalten. Oft benutzen wir diese Wörter auch, um Veränderungen in den Wirtschaftsprozessen zu erklären oder zu vermitteln.