Es ist doch völlig eindeutig, Herr Harms, dass die heutige Küstenlinie, deren Verlauf durch die Eindeichungen im letzten Jahrtausend geprägt ist, nur noch einen letzten Rest von Marschsalzwiesen aufweist.
Die durchschnittliche Breite der Salzwiesen an der nordfriesischen Küste liegt heute bei nur noch 230 m. Unter naturbelassenen Bedingungen könnte der Salzwiesenstreifen entlang der nordfriesischen Küste vielfach noch 600 bis 1.000 m Breite betragen. Allein das ist schon ein Beleg dafür.
Selbstverständlich ist der überwiegende Teil der heute verbliebenen Salzwiesenrestflächen erst durch Küstenschutzaktivitäten entstanden. Nur vereinzelte Flächen, die vorwiegend auf den Inseln liegen, weisen heute noch eine natürliche geomorphologische Entwicklung und Entwässerung durch mäandrierende Priele auf. Alle anderen sind von geraden Entwässerungsprielen durchzogen und durch mühsame Handarbeit entstanden. So viel sei zugestanden!
Aber dass die natürlichen Salzwiesen überhaupt verschwunden sind, ist eben einzig und allein auf die Landgewinnungsund Küstenschutzmaßnahmen der letzten Jahrhunderte zurückzuführen. Ganz besonders die Begradigung der Deichlinie und damit die Verhinderung von Buchtenbildung - hier sei noch einmal ausdrücklich an die letzte große Eindeichungsmaßnahme in der Nordstrander Bucht von vor nicht einmal 15 Jahren erinnert, der mehr als 3.000 ha Salzwiesen und Wattboden zum Opfer fielen - hat doch dazu beigetragen, dass heute 90 % der Salzwiesen an der Nordseeküste fehlen, Herr Harms.
Nur weil Sie das noch nicht miterlebt haben, müssen Sie uns jetzt nicht weismachen, Küstenschutz sei kein Eingriff in die Natur. Nicht immer ist Jugend eine Gnade, Herr Harms!
(Heiterkeit und Beifall der Abgeordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Konrad Nabel [SPD])
Sich heute hinzustellen und zu sagen, der Küstenschutz und der Deichbau seien keine Eingriffe in den Naturschutz, das können Sie uns wirklich nicht zumuten. Ihr Argument, verehrte Kolleginnen und verehrter Kollege vom SSW, der Küstenschutz würde zu teuer, wenn man für jeden Eingriff in die Natur einen Ausgleich zahlen müsse, denn Küstenschutz müsse ja nun einmal sein, wird wahrscheinlich mit Vergnügen von jeder Gemeinde, auch vom Bund und von uns als Land aufgegriffen werden, wenn wieder einmal Naturschutzausgleichsmaßnahmen finanziert werden müssen - zum Beispiel weil eine Straße gebaut wird; denn die muss ja schließlich auch sein, wird jeder, der sie haben will, sofort behaupten. Ebenso wird jeder Häuslebauer argumentieren. Alles ist notwendig und damit darf es nicht teurer werden, auch wenn die Natur betroffen ist.
Das in einer Zeit - ich erinnere einmal daran -, in der wir in der letzten Woche in der „FAZ“ eine Auflistung des Flächenverbrauchs in Deutschland lesen konnten! Die „FAZ“ ist ja nun wirklich nicht verdächtig, grünenfreundlich zu sein. Wir konnten dort lesen, dass in Deutschland jährlich eine Fläche von mehr als der Größe des Bundeslandes Bremen versiegelt wird. In einer solchen Zeit machen Sie uns einen solchen Vorschlag, Herr Harms! Na gut, ich will mich ja nicht echauffieren.
Das, was Sie hier tun, ist entschieden zu kurz gesprungen. Wir haben gerade im neuen Nationalparkgesetz erneut die restlichen verbliebenen Salzwiesen unter einen ganz besonderen Schutz gestellt, weil es eben nur noch so wenige sind und weil sie einen ganz wichtigen Beitrag zur Biodiversität in unserem Land leisten, wie wir sicher demnächst auch in dem Bericht aus dem Umweltministerium lesen werden, den die Kolleginnen und Kollegen der FDP angefordert haben.
Gleichzeitig verhandeln wir über die Schiffssicherheit auf internationaler Ebene, auch um unsere Küsten und damit auch die verbliebenen Salzwiesen zu schützen. Dieses Thema steht gleichfalls wieder einmal auf unserer Tagesordnung für den Landtag.
Nun wollen Sie auf der anderen Seite sagen: Wenn diese Salzwiesen von Deicherhöhungen betroffen sind und überbaut werden, dann ist das kein Eingriff in die Natur? - Das ist völlig widersinnig.
So wichtig es vielleicht auch ist, die Rahmenbedingungen für den Küstenschutz zu verbessern - darüber mag man ja nachdenken können -, die Finanzierung von Naturschutzprojekten mittels Ausgleichsmaßnahmen darf dadurch keinesfalls ausgehebelt werden, denn der Natur wird ein Schaden zugefügt. Landes- und Bundesnaturschutzgesetz müssen hierbei im Zusammenhang betrachtet werden. Daher ist es sinnvoll, zunächst die gerade erfolgende Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes abzuwarten.
Gerade auch noch einmal zum Bundesnaturschutzgesetz - es wurde hier schon gesagt, aber ich will es wiederholen - will ich sagen, dass die Ordnungsgemäßheit der Landwirtschaft, die immer so sakrosankt oben darüber gestellt wird, in die Debatte geraten muss, denn wir haben hier in den vergangenen Jahrzehnten Probleme gehabt. Das kann so nicht weitergehen.
Ich musste ein bisschen über die Begründung Ihres Antrages schmunzeln - das will ich zum Schluss auch noch sagen -, dass die Erhaltung der Kulturlandschaft durch die ordnungsgemäße Landwirtschaft den Zielen
des Landesnaturschutzgesetzes diene. Man könnte ja weitergehen und sich vorstellen - in der Folge davon -, dass wir demnächst gemeinsam die landwirtschaftlich intensiv genutzten Köge der nordfriesischen Marsch als Naturschutzgebiete ausweisen. Aber das wollten Sie uns vielleicht doch nicht vorschlagen, oder?
Ich kann Ihr Verständnis von Naturschutz an dieser Stelle wirklich nicht teilen. Ich denke, es ist allerhöchste Zeit, den Begriff „ordnungsgemäße Landwirtschaft“ zu definieren, es ist allerhöchste Zeit zu entscheiden, welche Art von Landwirtschaft wir künftig wollen und welche sich unsere Gesellschaft nach BSE und diversen Lebensmittelskandalen leisten will und wie diese mit den Ressourcen Boden, Wasser, Luft und Landschaft umzugehen hat und ihr nicht von vornherein unter dem Begriff „ordnungsgemäß“ einen Persilschein auszustellen - nicht der Landwirtschaft, aber auch nicht dem Küstenschutz.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin in einer noch etwas selteneren Situation als Frau Dr. Happach-Kasan. Ich habe nicht zwei Rednerinnen und Redner vor mir, denen ich in ihren Ausführungen zum Antrag des SSW zustimmen kann, ich habe sogar vier vor mir. Das heißt, dass alle vier Fraktionen dieses Landtags die Grundlinien einer Umweltpolitik und einer modernen Naturschutzpolitik hier im Hause teilen und über einem kurzfristigen Populismus stehen. Diesen Vorwurf kann ich dem SSW leider nicht ersparen. Das ist etwas, wofür sich ein Umweltminister nur bedanken kann.
Im Einzelnen gibt es noch einige Unterschiede. Frau Dr. Happach-Kasan konnte sich das nicht verkneifen.
Ich finde, dass dieser Grundkonsens an dieser Stelle deshalb wichtig ist, weil Umweltpolitik vor zwei ganz schwierigen Aufgaben steht. Es geht erstens darum, denen eine Stimme zu geben, die keine Stimme haben.
Es kann sich keine Natur, kein Tier und keine Pflanze dagegen wehren, ja nicht einmal die Stimme erheben, wenn ein Eingriff geschieht. Alle vier Rednerinnen und Redner haben festgestellt, dass Deichbaumaßnahmen und Küstenschutzmaßnahmen, die sinnvoll und notwendig sind, für Pflanzen und Tiere ein Eingriff sind.
Zweitens stehen Umweltpolitiker vor der Aufgabe, auch an zukünftige Generationen zu denken. Das tun sie in doppelter Hinsicht, denn Infrastrukturmaßnahmen können in vielfältiger Hinsicht notwendig sein und eine Berechtigung haben. Das ist auch für Umweltpolitikerinnen und Umweltpolitiker ein Tatbestand. Genauso gilt, dass wir an die Naturschutzinteressen zukünftiger Generationen denken müssen. Da, liebe Irene, ist Jugend manchmal schon hilfreich. Das ist wichtig. Lieber Lars Harms, auch wir wissen das doch und müssen deshalb die Eingriffsausgleichsregelung bewahren, die in der Tat eine tragende Säule unserer bundesdeutschen Umweltpolitik ist. Da kann ich meinen Vorrednerinnen und Vorrednern nur zustimmen.
Ich möchte trotzdem noch einige technische und rechtliche Ausführungen zu dem Antrag des SSW machen. Küstenschutz ist wichtig und unabdingbar in Schleswig-Holstein. Trotzdem dürfen wir geltendes Bundesrecht nicht infrage stellen oder verletzen. Wenn wir die Diskussion in Berlin angucken, dann stellen wir beide fest, dass dies weiter so bestehen bleiben wird. Lassen Sie uns da Realisten sein. Hinzu kommt, dass Ihr Antrag auch nicht zielführend und - wie gesagt falsch in der Sache ist.
Warum verstößt der Antrag gegen Bundesrecht? Die beantragte Streichung der Küsten aus der so genannten Positivliste ist durch den Verstoß gegen § 8 Abs. 8 Bundesnaturschutzgesetz bundesrechtswidrig. Dieser erwähnte Absatz ermächtigt die Länder zwar zur Feststellung, dass bestimmte Vorhaben nicht den Tatbestand des Eingriffs erfüllen. Es ist aber Voraussetzung, dass in der Mehrheit der vorstellbaren Fälle eine erhebliche oder nachhaltige Beeinträchtigung des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes nicht zu erwarten ist. So ist die geltende Rechtsprechung zu dieser Bestimmung. Wir haben alle festgestellt: Bei Küstenschutzmaßnahmen handelt es sich aber eindeutig um in der Mehrheit als Eingriff anzusehende Fälle, denn es wird sowohl in die Funktionsfähigkeit des Naturwasserhaushalts als auch in das Landschaftsbild eingegriffen. Bei allem Respekt vor dem Deich: Er ist nicht unsichtbar.
Eine Regelung wie unter Punkt 1 des Gesetzentwurfs vorgeschlagen, widerspricht also den genannten Vor
aussetzungen und wäre somit bundesrechtswidrig. Das gilt genauso für Punkt 2. Das Bundesrecht kennt allerdings keinen Privilegierungstatbestand zugunsten des Küstenschutzes, auch wenn hier über den Begriff der Bodennutzung versucht wird, eine Verbindung von Küstenschutz zu privilegierten Vorhaben zu erreichen. Bodennutzung ist aber nach allgemeiner Auffassung sowohl der Lehre als auch der Rechtsprechung nach nur die Bodenbearbeitung im Sinne der alltäglichen Wirtschaftsweise eines Landes, eines Forst- oder Fischereiwirts. Hierum geht es beim Küstenschutz wahrlich nicht.
Abgesehen von diesen Rechtsfragen, die vielleicht etwas technisch sind, will ich einmal an die Frage anknüpfen, was das, was Sie da machen, eigentlich impliziert. Gerade auch Ihr Finanzargument, im Küstenschutz würde das zu einer Verteuerung führen oder es ginge nicht schnell genug, lässt sich für einen Umweltpolitiker für jede Frage deklinieren. Immer hat Umweltpolitik das Problem, eine konservative, eine bewahrende Politik zu sein, die sich immer gegen andere Interessen durchsetzen muss.
Sie steht immer unter dem Legitimationszwang: Warum muss man dafür auch noch Geld ausgeben? Gerade in Zeiten knapper Kassen - und diese Situation wird nicht besser werden - ist deshalb eine Regelung, die einen Automatismus vorsieht, ein natürlicher Verbündeter; die Landwirtschafts- und Küstenschutzministerin, der Wirtschaftsminister und der Wohnungsbauminister werden zu Verbündeten des Naturschutzes für zukünftige Generationen und damit einer Generationengerechtigkeit.
Ich verstehe, dass der SSW Interesse daran hat, ab und zu einmal eigene Flagge zu zeigen. Das sei Ihnen auch gegönnt. Ob ein populistisches Thema wie Naturschutz und hier ein Angriff auf den Naturschutz das richtige Thema ist, wage ich in der Tat zu bezweifeln. Meine eindringliche Bitte wäre, sich ein anderes Feld für die Profilierung zu suchen als ein so gefährliches Thema wie das gegeneinander Ausspielen von Küstenund Naturschutz.
Mit Sicherheit nicht! - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da das Wort Populismus gefallen ist, glaube ich, das Recht zu haben, ein kurzes Statement abzugeben. Erstens. Es geht hier um den rechtlichen Begriff und nicht so sehr um die Sache, dass ein Eingriff geschieht. Das ist selbstverständlich, das geschieht bei jeder Nutzung, auch in den vom Bundesnaturschutz genannten Ausnahmefällen. Auch im Bereich von Landwirtschaft und Fischerei geschieht dies und wir wollen mit diesem Antrag darauf hinwirken, dass in der derzeitigen Diskussion auf Bundesebene die Chance für uns besteht, einwirken zu können. Ich glaube, das ist erlaubt. Man darf dazu eine andere Meinung vertreten.
Vorhin wurden in meinen Augen Äpfel mit Birnen verglichen. Es kann nicht sein, dass man Küstenschutz mit Häuslebauen und Straßenbau vergleicht. So nett und lustig diese Spielchen auch sein mögen, so muss man doch sagen, dass unsere Intention eine völlig andere ist. Wir gehen davon aus, dass Küstenschutz eine notwendige Maßnahme ist. Häuslebauen ist an bestimmten Stellen nicht unbedingt notwendig. Damit ist auch die Ausgleichspflicht anders zu bewerten.
- Lieber Herr Kollege Hentschel, Moment! Mir wurde Populismus vorgeworfen und das möchte ich relativieren. Es sind nicht niedere Beweggründe, die den SSW dazu bewogen haben, diesen Antrag zu stellen. Dies ist unter anderem ein Antrag, der im nordfriesischen Kreistag - unter anderem auch von CDU und SPD gestellt wurde. Ich zitiere:
„Die Landesregierung wird aufgefordert, das Landesnaturschutzgesetz wie folgt zu ändern: Für Küstenschutzmaßnahmen darf keine Pflicht zur Zahlung von Ausgleichsgeldern bestehen.“
Das ist das, was die Basis von SPD und CDU denkt. Das vertreten wir gern im Schleswig-Holsteinischen Landtag.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich trete hier nicht ans Mikrofon, weil es zwischen mir und dem Umweltminister einen Dissens gibt.