Protokoll der Sitzung vom 30.05.2001

Die Lücke ist offensichtlich nicht bei der Umsetzung des Regierungsbeschlusses zur Verbeamtung der Lehrer entstanden. Dessen haushaltstechnische Umsetzung

erfolgte nämlich - Sie können das alles in den Haushaltsunterlagen nachlesen - bereits im Haushaltsentwurf 2001,

(Martin Kayenburg [CDU]: So ist es!)

den wir im September letzten Jahres in erster Lesung debattiert haben und der - wie gesagt - ursprünglich rund 27,5 Millionen DM mehr für Lehrergehälter vorgesehen hat als der dann im Dezember im Zuge der Nachschiebeliste veränderte Haushalt, der dann auch so beschlossen worden ist.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Er wäre sonst verfassungswidrig gewesen! Deshalb hat man das gemacht!)

Des Weiteren ist die Frage zu beantworten, ob denn das Finanzministerium sowohl beim Haushaltsentwurf als auch bei der Nachschiebeliste allfällige Vorlagen des Kultusressorts tatsächlich unbesehen übernommen hat, das heißt nicht nachgerechnet hat.

(Martin Kayenburg [CDU]: Das ist gar keine Frage! Das ist offensichtlich!)

Dass man im Finanzministerium den Rechenkünsten der Kollegen aus dem Kultusressort nicht über den Weg traut, pfeifen doch hier im Regierungsviertel die Spatzen von den Dächern.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist es!)

Das gestern aufgetischte Märchen von der einsamen „armen Seele“ aus dem Kultusministerium, die einen Rechenfehler produziert habe, ist völlig unglaubhaft. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Regierung die tatsächlichen Hintergründe dieses Haushaltsdesasters verschleiern will.

(Martin Kayenburg [CDU]: So ist das!)

Frau Erdsiek-Rave hat den Realschülern des Landes kürzlich in einer Vorlesestunde durch die Lehrer mitteilen lassen, sie sei keine Zauberin. Nun aber hat sie doch gezaubert: Schwuppdiwupp, weg sind sie, die 35 Millionen DM!

(Heiterkeit und Beifall bei FDP und CDU)

Da ich noch etwas zum Ursprungsantrag sagen möchte, will ich mich an dieser Stelle auf diese Anmerkungen beschränken. Wir werden am Freitag noch ausführlicher darauf eingehen. Ich sage Ihnen: Es gibt eine Reihe von weiteren Punkten, die die These stützen, dass die bisherigen Erklärungsversuche dieser Landesregierung völlig haltlos sind, dass sie nicht stimmen können.

(Beifall bei FDP und CDU)

(Dr. Ekkehard Klug)

Die heute vorliegenden Anträge enthalten teils sinnvolle, teils problematische Forderungen. Der Antrag der Union schweigt zum Thema „Ganztagsunterricht an Hauptschulen“. Die CDU blendet damit - wie ich finde - einen ganz wesentlichen Reformansatz aus, der vielfältige Möglichkeiten für eine bessere Förderung der Hauptschüler bietet.

Die Einführung einer Hauptschulabschlussprüfung das ist für sie ein ganz zentrales Anliegen - könnte die Situation dieser Schulart allenfalls dann verbessern, wenn sie auf einem von der fünften bis zur neunten Klasse personell verstärkten und inhaltlich wesentlich verbesserten Unterrichtsangebot aufbaut. Würde sie dieser Schulart in der jetzigen Situation von oben aufgepfropft, wäre eine solche Hauptschulabschlussprüfung entweder eine wirkungslose Beruhigungspille oder sie würde dieser Schulart regelrecht den Todesstoß versetzen. Denn eine Prüfung, die tatsächlich eine höhere Hürde für das Gelingen eines Hauptschulabschlusses aufbauen würde, würde in der heutigen Situation das Scheitern eines beträchtlichen Teils der jetzigen Hauptschüler provozieren.

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Auf diesem Weg würde auch bei den Eltern die Akzeptanz für diese Schulart nachhaltig zerstört. Ich warne in der jetzigen Situation davor.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Henning Höppner [SPD], Jürgen Weber [SPD] und Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Ich möchte noch kurz einige Sätze sagen; anderenfalls müsste ich mich zu einem Dreiminutenbeitrag melden. In dem Antrag der Union gibt es nach meiner Ansicht zu viel Wischiwaschi, was das Thema Praxisbezug angeht.

(Reinhard Sager [CDU]: Na, na!)

Wenn es darum geht, mehr berufsorientierende Inhalte vorzusehen, sage ich Ja. Das ist eine alte Forderung, die auch wir erheben. Aber wenn es darum geht, so eine Art Praktikerschule einzurichten - in dem Antrag der CDU heißt es: „Praxisunterricht und Methoden des manuellen Lernens“ -, dann ist das der Weg, aus der Hauptschule eine Art „Sonderschule H“ zu machen. Eine „Sonderschule H“, die primär auf Werkunterricht und ähnliche Dinge ausgerichtet ist, zerstört die Akzeptanz für die Hauptschule und führt dazu, dass ihre Schüler nicht mehr die Bildungs- und Lebensperspektiven bekommen, die wir ihnen durch eine verbesserte Struktur der Hauptschule gerade vermitteln wollen.

(Klaus Schlie [CDU]: Wo ist Ihr Änderungs- antrag?)

Diese Punkte und einige andere Dinge werden wir das haben wir ja nun gehört - im Ausschuss gemeinsam beraten.

(Klaus Schlie [CDU]: Also keine Alternati- ve!)

Es gibt sowohl in Ihrem Antrag als auch in dem der SPD einzelne Punkte, denen wir zustimmen können. Es gibt aber eine Reihe von weiteren Punkten, die ich Ihnen im Ausschuss als zusätzliche Vorstellungen präsentieren werde.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort hat jetzt Frau Abgeordnete Birk.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach allem, was wir gerade gehört haben, halten wir daran fest: Wir gehen davon aus, dass die Landesregierung die Beratungen zum Nachtragshaushalt für 2001 und zum Haushalt für 2002 mit einem Entwurf vorbereiten wird, der wie bisher den Koalitionsvereinbarungen und den jüngsten bildungspolitischen Landtagsanträgen, die wir zumindest von der Tendenz her in vielen Punkten einvernehmlich beschlossen haben, Rechnung trägt. Das heißt, dass es keine Einsparungen, sondern einen realen Ausbau der Personalressourcen für die Schulen geben wird. Das sind wir der Zukunft der Kinder schuldig.

Einer erneuten Aufforderung der FDP in Form von Landtagsanträgen, genau so zu verfahren, brauchte es allerdings nicht. Aber natürlich freut es uns, wenn die Opposition die Setzung der politischen Prioritäten der Regierung unterstützt. Wie schon mein Vorredner von der SPD gesagt hat, sind wir dafür, dass alle vorliegenden Anträge dem Bildungsausschuss überwiesen werden. Am Freitag werden wir die Haushaltsdebatte im Detail führen.

Nun zur Frage der Hauptschule. Hauptschule klingt eigentlich nach „Hauptsache“, nach „Main-Stream“, doch heißt es für die Minderheit der Jugendlichen, die diese Schule besucht, inzwischen einfach nur noch „Hauptsache Schule“, im Sinne von Hauptsache, überhaupt zur Schule zu gehen - egal, was dort geschieht. Diesem Problem stellen wir uns und deshalb ist es wichtig, dass wir zu Reformen kommen, und zwar nicht nur wegen des von der CDU überschätzten Absentismusses, sondern auch weil so viele Jugendliche an dieser Schule scheitern.

(Angelika Birk)

Die einzig konsequente Lösung wäre die Auflösung der Schularten in die Gesamtschule oder zumindest die Verlängerung der Grundschule auf sechs Jahre, wie es der SSW erneut fordert.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Damit erledigen Sie das Problem doch nicht!)

Diese Lösung wurde und wird von der CDU und auch von der FDP verbissen bekämpft. Dass das Leiden der Hauptschule eine logische Konsequenz des Festhaltens an drei Arten, weiterführender Schulen, die in ihrer Form in Europa einzigartig sind, ist, wollen Sie offenbar nicht sehen. Ein Teil der Vorschläge der CDU zielt auf die Forderung nach mehr Leistung mit einer zentralen, landesweiten Abschlussprüfung. Das erinnert mich an die Geschichte, die mit „Haltet den Dieb!“ endet. Wir als Grüne können diese Geschichte aber nicht rechthaberisch fortsetzen, indem wir die Mädchen und Jungen, die diese Schule besuchen, bestrafen. Angesichts gegebener Mehrheitsverhältnisse müssen wir uns vielmehr einer Debatte um die Reform dieser Schulform stellen.

Für uns ist wichtig - und das ist im Antrag von SPD und Grünen zum Ausdruck gekommen -, dass sich alle Kinder und alle Eltern am Ende des vierten Schuljahres klar sind, welche Schulform sie wählen und was das für ihre Zukunft bedeutet. Dabei sind insbesondere Kinder und Eltern mit einer nicht deutschen Muttersprache zu unterstützen. Insofern müssen wir bei der schriftlichen und mündlichen Beratung noch zu Verbesserungen kommen. Es muss Informationen in den Herkunftssprachen der Eltern und Kinder geben.

Für uns ist wichtig, dass sich alle Schularten der Notwendigkeit von Deutschunterricht stellen. Ich bin froh um die Debatte, die wir heute Morgen bezüglich der Migration hatten. Es kann nicht sein, dass die weiterführenden Schulen diese Aufgabe - wie mir von mehreren Hauptschulleitern berichtet wurde - allein der Hauptschule überlassen. Das führt nämlich dazu, dass Quereinsteiger, die erst kurz in Deutschland sind, aber hervorragende Leistungen bringen und sich eigentlich für Realschule, Gymnasium oder für eine Gesamtschule qualifizieren könnten, zunächst einmal von der Hauptschule in Empfang genommen werden, weil man davon ausgeht, dass Kinder mit nicht deutscher Muttersprache automatisch an eine Hauptschule gehören. Mit diesen Fehlwegen muss Schluss sein.

Für uns ist es weiterhin wichtig, an die Jugendlichen zu denken und ihnen so wenig Versagenserfahrung wie möglich zuzumuten. Deshalb begrüßen wir es sehr, dass wir mit der SPD Einigkeit über die Form erzielen konnten, wie die weiterführenden Schulen bei sich abzeichnendem Schulversagen zu reagieren haben. Jede weiterführende Schule hat erst einmal die Ver

pflichtung, Kinder, die ihr anvertraut sind, zu fördern. Erst wenn diese Fördermaßnahmen nicht den gewünschten Erfolg zeigen, sollte über eine andere Schulform nachgedacht werden. Es ist daher richtig, dass ein Schulwechsel nur jeweils zum Halbjahresende, nicht aber jederzeit erfolgen kann.

Zudem ist es wichtig, dass wir an der Hauptschule die Durchgängigkeit für die Kinder und Jugendlichen bis zur achten Klasse erreichen und nicht ein zwei- oder dreimaliges Sitzenbleiben diktieren. Wir stellen uns auch der Frage, wie ein Abschluss gestaltet werden kann. Wir finden es richtig, dass Kinder und Jugendliche Prüfungserfahrungen machen. Aber diese Erfahrungen müssen auf dem aufbauen, was an der jeweiligen Schule gelernt worden ist. Wir lehnen jede Form von neuen Hürden und zentralen Prüfungen ab.

Ganz wichtig ist auch das Thema der Verzahnung mit dem Berufsleben. Dazu kommt etwas, was ich unter der Überschrift „lebenskundlicher Unterricht“ zusammenfassen möchte. Die Schule soll beide Geschlechter auf ein selbstständiges und nicht auf ein an engen Geschlechterrollen orientiertes Leben vorbereiten. Es ist wichtig, dass Kinder wissen, wie ein Mietvertrag aussieht und was es bedeutet, wenn man für sein Handy bezahlen muss. Auch solche schlichten Dinge gehören in den Schulunterricht; sie sind oft lebensentscheidender als manches andere, was - obwohl es die Lehrpläne nicht mehr in dieser Form vorsehen - immer noch gelehrt wird.

Wir sind froh darüber, dass wir in diesem Punkt das Angebot der Wirtschaft zu Reformvorschlägen und für mehr Praktika für die Lehrer haben. Wir hoffen, dass die Lehrer zukünftig davon verstärkt Gebrauch machen. Selbstverständlich sind wir - wie es schon von meinen Vorrednern gesagt wurde - für mehr Ganztagsangebote. Dazu haben wir uns ja auch schon in den Landtagsanträgen im Laufe des letzten halben Jahres deutlich positioniert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD - Unruhe)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich darüber, dass dieses Thema zu so vielen Gesprächen zu zweit oder zu dritt Anlass gibt. Ich möchte aber doch sehr darum bitten, dass Sie diese nachher fortsetzen und den Rednerinnen und Rednern jetzt etwas mehr Aufmerksamkeit schenken.

Nun erteile ich der Frau Abgeordneten Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anfang März befasste sich der Bildungsausschuss in einer ganztägigen Anhörung mit dem Thema Hauptschule. Die vorliegenden Anträge stellen somit dar, was als Ergebnis dieser Anhörung herauskam. Doch vielleicht ist es auch ganz einfach so, dass die Probleme der Hauptschule so massiv sind, dass die Weichen neu gestellt werden müssen.

Dennoch stellt sich für den SSW weiterhin die Frage, in welche Richtung der Zug abfahren soll. Wir teilen die Auffassung der GEW, die in ihrer Stellungnahme die Lage der Hauptschule wie folgt umschreibt:

„Die Hauptschule heute ist Migrantenschule, Integrationsschule, Jungenschule und die Schule für das schwierige Kind, den schwierigen Jugendlichen.“

Für den SSW lautet daher die Schlussfolgerung, dass wir uns nicht kurzfristigen oder pragmatischen Vorschlägen zur Verbesserung der Situation an den Hauptschulen verschließen werden. Wir werden aus unserer Sicht aber nicht darum herumkommen, uns längerfristig mit der Reform der Schule - und nicht nur mit der Reform der Hauptschule - zu befassen.