Protokoll der Sitzung vom 31.05.2001

Damit steht jetzt folgende Beschlussempfehlung zur Abstimmung: Der Bildungsausschuss empfiehlt dem Landtag, den Antrag der FDP-Fraktion mit der Maßgabe anzunehmen, Nummer 1 sowie den dritten Spiegelstrich von Nummer 4 zu streichen. Wer dieser veränderten Beschlussempfehlung folgen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW gegen die Stimmen der CDU angenommen.

Ich komme zum zweiten Teil der Beschlussempfehlung bezüglich des Ursprungsantrags der CDU. Wir erklären die Nummer 1 des Antrags per Beschlussfassung für erledigt. Nummer 2 ist abzulehnen. Wer dem Erledigungsvermerk zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Dann haben wir das einstimmig für erledigt erklärt.

Wer der Ablehnung der Nummer 2 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Damit wird die Beschlussempfehlung mit den Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW gegen die Stimmen der CDU angenommen.

(Präsident Heinz-Werner Arens)

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 33:

Neue Wege in der Drogenpolitik

Landtagsbeschluss vom 22. Februar 2001 Drucksache 15/762

Bericht der Landesregierung Drucksache 15/975

Zunächst erteile ich der Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz, Frau Moser, das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Neue Wege in der Drogenpolitik“ lautete die Überschrift des Antrags. In dem Bericht, den ich heute vorzulegen habe, geht es nur um den Punkt 2 des Beschlusses und damit um das Dokumentationssystem HORIZONT. Das nur, damit hier keine falschen Erwartungen aufgebaut werden, ich würde jetzt einen Bericht über neue Wege in der Drogenpolitik abgeben. Ich habe über einen neuen Schritt zu berichten, nämlich über die Einführung dieses Dokumentationssystems, das zunächst unter wissenschaftlicher Begleitung modellhaft erprobt wurde und das jetzt zu einer flexiblen Anpassung des Hilfesystems an Veränderungen der Sucht- und Drogenproblematik sowie zu mehr Kostentransparenz führt. Es ist inzwischen landesweit implementiert.

Qualitätssicherung und Evaluation sind die Elemente, um die Beratungsstellen noch effizienter zu machen und so die gesundheitliche und soziale Situation suchtkranker Menschen zu verbessern. Die vorgesehene unabhängige wissenschaftliche Begleitung - auch über die Modellphase hinaus - sichert, dass die fachlich notwendigen und nachvollziehbaren Informationen zur Verfügung stehen, um das Hilfesystem insgesamt strukturell zu verbessern. Damit halten wir - auch als zuständiges Ressort - ein fach- und sachgerechtes Planungsinstrument in der Hand. Planung klingt immer so unsozial und irritierend. Wir halten dieses Instrument zum Nutzen der Suchtkranken in der Hand, die einen Anspruch auf optimale Hilfestellung haben.

Die einheitliche Form der Dokumentation ermöglicht Aussagen zu verschiedenen klienten- und einrichtungsbezogenen Fragestellung, etwa zur Einschätzung allgemeiner Trends, der sozialen und gesundheitlichen Situation von Konsumenten, zu Konsummustern, zu Drogenkarrieremustern, zur Veränderung von Nutzungsverhalten von Klienten bezogen auf das Hilfesystem und so weiter. Wir können damit auch einrichtungsspezifische Profile erstellen und wir können vor allen Dingen evaluieren, welche Intervention zu wel

chem Ergebnis führt. Solche Aussagen, die mit diesem Dokumentationssystem möglich werden, sind einfach die Voraussetzung für Zielvereinbarungen und Zielerreichungsmessungen. Ohne eine entsprechende Dokumentation können wir sie nicht verwirklichen. Damit wird es auch auf der kommunalen Ebene möglich, Leistungs- und Zielkontrolle besser zu verwirklichen und besser abzuwickeln.

Eine nachvollziehbare Dokumentation der Beratungsarbeit im Einzelfall ist im Übrigen auch Voraussetzung für die Einbindung alternativer Kostenträger in die ambulante Suchtkrankenhilfe. Damit sind sehr wohl auch die Krankenkassen gemeint, denn Sucht ist Krankheit. Daher gehört die Suchthilfe zum großen Teil auch in die gesundheitliche Regelversorgung.

(Beifall bei SPD, FDP und SSW)

Der Berichtsauftrag enthält auch den Hinweis, besonders geschlechtsspezifische Ergebnisse vorzutragen. Dieses kann ich heute noch nicht tun. Die wissenschaftliche Begleitung für das Datenmaterial des Jahres 2000 wird erstmals systematisch auch geschlechtsspezifische Ergebnisse ermitteln. Wir sind gern bereit, diese Ergebnisse als Nachtrag zu diesem Bericht dem Parlament zur Verfügung zu stellen, sobald wir sie haben.

Alle psychosozialen Dienstleistungsbereiche müssen sich den Anforderungen einer betriebswirtschaftlich orientierten Kosten- und Nutzenrechnung stellen, um Ressourcen ziel- und passgenau zu nutzen und für die Hilfebedürftigen einzusetzen. Mit dem Einsatz leistungsbezogener Daten können wir zukünftig auch in der Drogenpolitik und der Suchthilfe neue Wege sicherer erkennen und besser und genauer beschreiten. In diesem Sinne halte ich diesen Schritt der Einführung des Dokumentationssystems in der Tat für einen wichtigen Schritt auf neuen Wegen.

(Beifall bei SPD, FDP und SSW)

Ich danke der Frau Ministerin für diesen Bericht und eröffne die Aussprache. Frau Abgeordnete Tengler hat das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ministerin hat es gesagt, es sei ein Schritt auf neuen Wegen. Die CDU-Fraktion bedankt sich bei den Mitarbeitern für die Erstellung dieses Berichts. Die landesweite Etablierung des zunächst unter wissenschaftlicher Begleitung modellhaft erprobten Dokumentationssystems HORIZONT in der ambulanten Suchthilfe soll zu flexibler Anpassung des Hilfesystems an Ver

(Frauke Tengler)

änderungen der Sucht- und Drogenpolitik und zu Kostentransparenz führen. Das sind hoch gesteckte Ziele, die mit Hilfe des Dokumentationssystems aber scheinbar erfüllt werden können. Die Ministerin hat es erwähnt. Das Projekt zeigt einen Weg auf, wie sich das gesamte Hilfesystem für Suchtkranke in inhaltlicher, organisatorischer und zuwendungsrechtlicher Hinsicht erheblich weiterentwickeln könnte, wenn denn alle Chancen genutzt werden.

Gesicherte und standardisierte Daten, die präzise Auswertung über die Situation der Patienten und Einrichtungen zulassen und Leistungsvereinbarungen ermöglichen, sind unverzichtbar. Mit HORIZONT wurde eine zeitgerechte Software entwickelt, die diesen Umständen Rechnung trägt, indem sie eine kontinuierliche Leistungs- und Verlaufsdokumentation sowie Abrechnungen und Auswertungen ermöglicht. Die Dokumentation und Verwaltung von Patienten, die Erfassungen von Leistungen aller Art sowie biografischer Daten, die vielfältigen Datenauswertungen und die Abrechnung mit HORIZONT ermöglichen eine bedarfsgerechte Gestaltung der sozialen Dienstleistungen.

Diagnosen und Patientenentwicklungen können auf der Grundlage von Katalogen mit HORIZONT ebenfalls erfasst werden. Darüber hinaus können die ständig wachsenden Anforderungen der Leistungsträger an statistische Daten bedient werden.

Aber unter dem allgemeinen Dokumentationsdruck ich nenne nur das Stichwort Pflegeversicherung - darf der Patient, der Hilfe Suchende, nicht in den Hintergrund geraten, er muss Mittelpunkt jeder Beratungsstelle bleiben.

(Beifall bei der CDU und der Abgeordneten Silke Hinrichsen [SSW])

Deshalb bringt die Nutzung des Dokumentationssystems nur Vorteile, wenn die gewonnenen Daten in ein umfassendes Sucht-, Präventions- und Hilfekonzept eingebettet werden und Daten tatsächlich in Erkenntnisse umgewandelt werden. Das wiederum kostet Geld. Es reicht aber nicht aus, Probleme zu erfassen und zu verwalten. Die Daten müssen aus unserer Sicht als Planungsgrundlage für ein geschlossenes Konzept dienen, das es bisher noch nicht gibt - aber wir sind ja noch auf den neuen Wegen erst am Anfang - und das daher längst überfällig ist. Es darf nicht noch mehr Bürokratie geschaffen werden, indem die erfassten Daten am Ende nicht zu neuen Lösungsansätzen und beschlossenen Strategien führen.

Durch die Standardisierung und anschließende Aufbereitung von Daten kann Suchtkranken schneller und zielgerichteter geholfen werden. Die Übergabe eines

Patienten an einen anderen Betreuer wird vereinfacht. Zunächst bedeutet Dokumentation immer mehr Schreibtischarbeit, langfristig kann aber viel Zeit gespart werden, da man gezielt auf Erfahrungen zurückgreifen kann, richtige Behandlungs- und Hilfemöglichkeiten rechtzeitiger und gezielter angewendet werden können, was nicht nur Geld, sondern auch Zeit spart, Zeit, die den Patienten zugute kommt.

Deshalb darf es das Land aus unserer Sicht nicht bei der Anschubfinanzierung belassen. Immerhin werden rund 2,5 Millionen DM an Landesmitteln im Rahmen einer Modellphase eingesetzt. Doch wie geht es weiter? Die Ministerin hat bereits darauf hingewiesen, dass die geschlechtsspezifischen Ergebnisse des Modellprojekts noch nicht genannt werden konnten. Ich hoffe, dass der Antragsteller das der Ministerin auch so verzeiht.

Obwohl Horizont und Kompass in der Navigation eng verbunden sind, hoffen wir, dass HORIZONT als Dokumentationssystem nicht das gleiche Schicksal wie COMPAS-alt erleidet.

Meine Damen und Herren, gießen wir nicht jeden Tag eine neue Pflanze und lassen die anderen vertrocknen, erhalten wir nach beendeten Modellphasen und der laufenden Implementierungsphase bei guten Ergebnissen ein bewährtes Konzept. Zum ersten Schritt auf neuen Wegen in der Drogenpolitik sind noch einige Fragen vonseiten der Landesregierung zu beantworten. Es soll geprüft werden, ob das System in der Jugendhilfe und im Strafvollzug eingesetzt werden kann. Wann ist diese Prüfung abgeschlossen?

(Glocke des Präsidenten)

- Ich höre die Glocke. - Wann werden weitere Suchtberatungsstellen an der Dokumentation teilnehmen können? Wie wird die Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Begleitung gesichert? Das sind Fragen, die wir noch an die Landesregierung haben. Wir warten mit Spannung auf die Beantwortung.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Nabel das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Landtagssitzung am 22. Februar waren sich alle Rednerinnen und Redner einig, dass zu den geforderten neuen Wegen in der Drogenpolitik auch ein System zur Dokumentation und Evaluation der Drogen- und Suchthilfe gehört. Der gemeinsame Antrag aller im Hause vertretenen Parteien, ausgenommen die CDU,

(Konrad Nabel)

forderte in Punkt 2 die Landesregierung auf, einen Bericht zum Stand des Dokumentationssystems HORIZONT zu geben. Dieser Bericht ist heute gegeben worden.

Mit der Drucksache 15/975 und den Ausführungen der Ministerin Moser liegen uns wichtige Aussagen zum Stellenwert des Dokumentationssystems, zum derzeitigen Stand der Einführung und zu den Auswertungsmöglichkeiten vor, wenn auch - wie bereits im Vorfeld der heutigen Debatte klar war - eine umfassende Auswertung der bisher erhobenen Daten zum jetzigen Zeitpunkt nur begrenzt möglich ist.

Für die SPD-Landtagsfraktion danke ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Gesundheitsministeriums und der Ministerin für diesen Bericht.

(Beifall bei der SPD sowie des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Der Bericht zeigt auf, dass sich das Dokumentationssystem HORIZONT noch in der Einführungsphase befindet. Gleichwohl wird deutlich, dass die in der Modellphase von 1997 bis 2000 gemachten Erfahrungen erwarten lassen, dass die in das System gesetzten Erwartungen mehr als erfüllt werden - nicht nur scheinbar, wie die Frau Kollegin Tengler eben sagte.

Hierzu liegt ja bereits der im Herbst des vergangenen Jahres vorgelegte Bericht über die moderne Dokumentation in der ambulanten Suchtkrankenhilfe über die Modellphase vor, der zu Einzelaspekten wichtige Erkenntnisse lieferte, auch zur Frage der Differenzierung von Sucht- und Suchtkrankenhilfe bei Frauen und Männern.

Es ist zu begrüßen, dass bereits bei der Formulierung der über den so genannten Kerndatensatz hinausgehenden Anforderungen von HORIZONT in der Konfiguration Schleswig-Holstein - wie er heißt - der Fachausschuss „Frau und Sucht“ maßgeblich beteiligt worden ist.

Darüber hinaus ist klar, dass unser bisheriges Konzept der Drogen- und Suchthilfe durch die bisherigen Auswertungen eindeutig bestätigt wird.

Was die Finanzierung angeht, Frau Kollegin Tengler, so gehen wir davon aus: Sucht ist Krankheit, Sucht gehört bezüglich der Finanzierung in den Regelleistungskatalog der Krankenkassen.

Zu den angestrebten allgemeinen Zielen wie Dokumentation, Transparenz, Qualitätssicherung, Ausrichtung des Hilfesystems auf die Betroffenen und die Vernetzung im System sozialer und gesundheitlicher Dienste kommen Anregungen aus den im Rahmen der Einführung eingerichteten regionalen Arbeitskreisen, die auch die Einbeziehung lokaler, regionaler und

landesspezifischer Besonderheiten auch für die abschließende Auswertung möglich machen.

Das Dokumentationssystem HORIZONT wird helfen, die immer noch klaffende Lücke in der Erforschung von Sucht allgemein und Drogenkarrieren und Konsummustern sowie in der Einschätzung allgemeiner Trends in der gesundheitlichen und sozialen Situation betroffener Menschen zu schließen.

Damit ist Schleswig-Holstein wieder einmal Vorreiterin einer sowohl an den Suchtkranken orientierten als auch auf Wirtschaftlichkeit und Nachvollziehbarkeit ausgerichteten Suchthilfepolitik in Deutschland. Die Entscheidung anderer Bundesländer für HORIZONT als Dokumentationssystem auch für andere Bereiche als die Suchtkrankenhilfe lässt hoffen, dass sich bundesweit die Grundlage der Diskussion um die Suchthilfepolitik von allgemeinen Meinungen hin zu einer an Fakten orientierten, fachlich fundierten Einschätzung wandelt. Dafür ist ganz besonders zu danken, denn in dieser Diskussion ist es notwendig, eine rationale Grundlage zu haben.