Protokoll der Sitzung vom 11.07.2001

Das hat natürlich sehr viel mit der Interessenlage der Beteiligten und noch mehr mit der kommenden Bundestagswahl zu tun. Das meine ich gar nicht abwertend. So funktioniert unser Modell ja auch.

Der Grundsatz dieses Modells ist relativ simpel. Ziel des föderalistischen Systems ist die Schaffung möglichst einheitlicher Lebensbedingungen im ganzen Bundesgebiet, ein Ziel, das der SSW immer unterstützt und beispielsweise für den Landesteil Schleswig ganz

konkret eingefordert hat, ein Ziel, das von den Vätern und Müttern der Verfassung auch in Artikel 104 a des Grundgesetzes festgeschrieben worden ist.

Der Länderfinanzausgleich soll die einheitlichen Lebensbedingungen durch Umverteilung so sichern, dass alle Bundesländer zumindest 95 % der Finanzkraft des Bundesdurchschnitts bekommen. Allerdings ist der Länderfinanzausgleich im Detail schon seit Jahren scharf kritisiert worden, weil er schwer durchschaubar, viel zu komplex beziehungsweise kompliziert und ineffizient wirkt.

1999 hat dann sogar das Bundesverfassungsgericht die Ausgestaltung des Finanzausgleichs für verfassungswidrig erklärt, weil er die Rangfolge der Länder hinsichtlich ihrer Finanzkraft durcheinander wirbelt. Nach Ansicht der Verfassungsrichter muss das Steueraufkommen so verteilt werden, dass im Prinzip am Ende das ökonomisch stärkste Land weiterhin vorn liegt. Ich füge hinzu: Das ist ein nachvollziehbares Argument. - Um Druck auszuüben, hatten die Verfassungsrichter gefordert, dass bis zum 1. Januar 2002 eine Neuordnung vorliegen sollte.

Nach Ansicht der meisten Experten erfüllt die gefundene Lösung die Anforderungen der Verfassungsrichter. Aber der große Wurf ist die Neuordnung wirklich nicht und einfacher oder verständlicher ist der Finanzausgleich dadurch auch nicht geworden. Die Grundprinzipien des bisherigen Finanzausgleiches bleiben bestehen. Dazu gehören die Einwohnerwertung für Stadtstaaten und die Berücksichtigung der Hafenlasten sowie die Bundesergänzungszuschüsse für Berlin.

Die Solidarität unter den Bundesländern bleibt also erhalten. Dennoch gibt es mit dem so genannten Prämienmodell, das normale Menschen in seinen Details wirklich kaum noch verstehen, erstmals Anreize dafür, dass leistungsstarke Länder mehr von ihren eigenen Steuereinnahmen behalten können. Dies war bekanntlich eine der Hauptforderungen der Geberländer Hessen, Bayern und Nordrhein-Westfalen.

Der gleichzeitig beschlossene Solidarpakt II sichert den neuen Ländern bis 2019 weiterhin jährlich Milliardenzuschüsse von Bund und Ländern für den Ausbau ihrer Infrastruktur und die Verbesserung ihrer Finanzausstattung zu.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ganz toll!)

- Das muss sein, lieber Kollege Garg. Ich kann nur hinzufügen: Der Kollege Hentschel hat Recht, wenn man bedenkt, was vor zehn Jahren zum Thema deutsche Einheit gesagt worden ist. Daran geht kein Weg vorbei. Der Solidarpakt ist somit wirklich ein Beitrag zur Verwirklichung der deutschen Einheit und zur

(Anke Spoorendonk)

Herstellung gleicher Lebensbedingungen in Ost und West.

Wenn alle Bundesländer und der Bund über das Ergebnis der Verhandlungen erfreut sind, so liegt dies natürlich auch daran, dass die Verlängerung der Tilgung des Fonds Deutsche Einheit die Finanzierung sichert. Ehrlicherweise muss man sagen, dass dadurch die kommenden Generationen die Neuordnung des Finanzausgleiches bezahlen.

Wir hatten gehofft, dass man die durch das Verfassungsurteil notwendige Änderung des Finanzausgleichs gleich dazu nutzt, endlich auch die Finanzbeziehungen und Aufgabenverteilungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen neu zu ordnen. Der Landtag hat sich mit diesem Thema bereits mehrfach auseinander gesetzt.

Des Weiteren hat der Landtagspräsident - Kollegin Kähler sagte das schon - eine Arbeitsgruppe einberufen, um eben diese Debatte über die Zukunft des Föderalismus voranzubringen. Was bisher in der Arbeitsgruppe zur Zukunft des Föderalismus formuliert worden ist, kann der SSW voll und ganz unterstützen; denn der Kernpunkt ist, dass der Bund und auch die EU in den letzten Jahrzehnten immer mehr Macht an sich gerissen haben. Wenn man es ernst meint mit dem föderalen System in Deutschland, dann brauchen wir eine Reform des Föderalismus mit dem Ziel, die Länder zu stärken.

Die Vorschläge, die Ministerpräsident Clement für eine Neuordnung der Beziehungen zwischen Bund und Ländern gemacht hat, sind unserer Meinung nach eine gute Ausgangsposition, um diese Stärkung der Länder zu erreichen. Es ist der richtige Weg, um im Bereich der Finanzen und auch beim Gesetzgebungsverfahren mehr Kompetenzen für die Länder einzufordern. Eine Entflechtung der Mischfinanzierung, beispielsweise der Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern, ist genauso überlegenswert wie die von Clement vorgeschlagene Gesetzgebungskompetenz der Länder für solche Steuern, deren Ertrag ihnen ohnehin zustehen, wie die Grund- und Grunderwerbsteuer, die Erbschaftsteuer, die Schenkungsteuer oder die KFZSteuer.

Man darf natürlich nicht vergessen, dass die Kehrseite von mehr Kompetenz und von Entflechtung der Aufgaben darin besteht, dass dies zu einem stärkeren Wettbewerb zwischen den Ländern führen wird. Allerdings, lieber Kollege Garg, stehen diesen Risiken unserer Meinung nach mehr Chancen gegenüber. Als Stichwörter dazu sind die Stärkung der Länderparlamente und mehr Transparenz in den Entscheidungswegen der Politik zu nennen. Natürlich wird es schwer sein, gegenüber dem Bund eine solche radikale Neu

ordnung durchzusetzen; da sollten wir uns nichts vormachen. Wichtig ist aber, dass wir dieses Thema endlich anpacken; denn die Zeit drängt. Der Handlungsspielraum der Länder wird von Jahr zu Jahr geringer. Diese Entwicklung müssen wir stoppen. Dafür ist die Arbeitsgruppe eingesetzt worden. Die Debatte über das Thema muss im Landtag fortgesetzt werden.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Ich erteile Herrn Minister Möller das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nimmt man die Reden einiger Ministerpräsidenten der südlichen Bundesländer, die diese mit Schaum vor dem Mund vorgetragen haben, aber auch den ersten Entwurf der Bundesregierung für ein Maßstäbegesetz, das für uns Einnahmeverluste von bis zu 200 Millionen DM vorsah, als Ausgangspunkt, so ist das jetzige Ergebnis, das deutlich eine schwarze Null zum Gegenstand hat, für uns ein Erfolg. Kollege Kayenburg, in Anlehnung an eine Überschrift einer Landeszeitung von heute sage ich: Schleswig-Holstein hat keine Federn lassen müssen. Darüber freuen wir uns natürlich.

(Beifall bei der SPD - Wolfgang Kubicki [FDP]: Das liegt daran, dass wir keine Federn mehr haben!)

Es kann doch auch nicht verwerflich sein, wenn der Bund den alten Ländern Schulden in Höhe von 12,8 Milliarden DM aus dem Fonds Deutsche Einheit abnimmt.

(Holger Astrup [SPD]: Wohl wahr!)

Waren es nicht Sie, die gefordert haben, wir sollten zum Verfassungsgericht gehen, weil uns der Bund zu wenig, zum Beispiel was UMTS angeht, abgibt?

(Beifall bei der SPD)

Jetzt plötzlich wehklagen Sie, es handele sich um eine Maßnahme zulasten des Steuerzahlers.

(Holger Astrup [SPD]: Wie es gerade passt!)

Man kann ja darüber streiten, ob es der ganz große, der mittlere oder der kleinere Wurf ist. Ich sage nur: Sowohl der Finanzausgleich als auch der Solidarpakt sind ein ganz fairer Kompromiss und stellen eine wirkliche Bewährung des Föderalismus dar.

(Minister Claus Möller)

Das, was Sie hier anmahnen und was auch früher immer eine Rolle gespielt hat, ist uns doch gelungen. Der Länderfinanzausgleich enthält drei Anreizmodelle: Das ist die Abflachung des Tarifs. Das ist ein möglicher Deckel. Als Drittes - darauf allerdings haben wir bestanden - gibt es ein Anreizsystem auch für die Länder, die zurzeit noch eine unterdurchschnittliche Finanzkraft haben. In den Jahren - das wird besonders für die ostdeutschen Länder und auch für uns eine Rolle spielen -, in denen wir einmal gegenüber anderen überdurchschnittliche Steuereinnahmen haben, greift dieses Anreizsystem auch in Schleswig-Holstein. Ich denke, das ist gut so.

(Beifall des Abgeordneten Günter Neugebau- er [SPD])

Ich habe von Bewährung des Föderalismus gesprochen und es tauchte wieder das Wort vom Nordstaat auf. Ich sage Ihnen: Es ist ein Wert an sich, auch für den Föderalismus und für die Zusammenarbeit, dass zwischen die Verhandlungspositionen der norddeutschen Länder kein Blatt Papier passte. Wenn wir uns nicht so einig gewesen wären, hätten wir dies nicht herausgeholt.

(Beifall bei der SPD)

Der Solidarpakt hat drei Komponenten: die Bundesinvestitionen, den Nachholbedarf bei der Infrastruktur und den Ausgleich für die unterdurchschnittliche Finanzkraft der Kommunen. Ich halte es für richtig, dass die Komponente „Nachholbedarf Infrastruktur“ degressiv heruntergefahren wird; denn - manchmal ist man etwas verwundert, wenn man durch die Länder fährt - die Verkehrsinfrastruktur ist dort teilweise mindestens ebenso gut wie bei uns. Diese Degression gibt uns hoffentlich - nicht in den nächsten drei bis vier Jahren, aber irgendwann später - die Möglichkeit, den Soli degressiv zu gestalten.

Ich komme zum letzten Punkt: Wettbewerbsföderalismus. Wie sieht es damit aus? Ja, es ist richtig, dass noch nicht alles geklärt ist. Es soll eine Reform des Föderalismus und eine Entzerrung der Mischfinanzierung geben. Wenn es keine Mischfinanzierung mehr gibt und Geld nicht mehr an Vorgaben des Bundes gebunden ist, werden dadurch automatisch die Rechte der Parlamente gestärkt, indem allein hier entschieden wird, wie das Geld ausgegeben werden soll. Das ist auch gewollt.

Aber den Leuten, die dem Wettbewerbsföderalismus das Wort reden, sage ich: Vorsicht an der Bahnsteigkante! So wie wir - das hat Frau Simonis auch gesagt unterschiedliche Lebensbedingungen zwischen Ost und West haben, so ist die Infrastruktur im Verkehrsbe

reich oder im Forschungsbereich zwischen Nord und Süd ungleichgewichtig.

(Zuruf des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD])

Wir haben für die Elektrifizierung der Strecken noch Landesmittel einsetzen müssen, andere Länder haben sie vom Bund bezahlt bekommen.

(Zuruf des Abgeordneten Holger Astrup [SPD])

Schauen Sie sich einmal die großen Forschungsinstitute an und schauen Sie sich einmal die Infrastruktur im Bildungsbereich an: Das ist eine einseitige Verteilungspolitik des Bundes zugunsten einiger Länder gewesen.

(Beifall bei der SPD - Martin Kayenburg [CDU]: Da kann man einmal sehen, welch schlechten Ruf Sie haben!)

Solange die nicht angeglichen ist, sage ich:

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Vorsicht an der Bahnsteigkante, was die reine Lehre des Wettbewerbsföderalismus anbetrifft.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD - Zuruf des Abge- ordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Es war richtig, dass die Ministerpräsidentin die europäische Dimension deutlich herausgestellt hat.

(Martin Kayenburg [CDU]: Wettbewerb war für Sie immer schon ein Fremdwort!)

Gerade Sie, Herr Kayenburg, sollten auch nicht unterschiedlich argumentieren. Waren Sie es nicht, die gesagt haben, wir können keine Ökosteuer einführen, sie muss europaweit gleich sein? Waren Sie es nicht, die gesagt haben, wir haben eine Wettbewerbsverzerrung, wir brauchen gleiche Körperschaftssteuersätze?

(Beifall der Abgeordneten Ursula Kähler [SPD])