Protokoll der Sitzung vom 12.07.2001

(Präsident Heinz-Werner Arens übernimmt den Vorsitz)

Sie erweckt den Eindruck, als liege in der landwirtschaftlichen Produktion einiges im Argen. Die CDU folgt damit dem schleswig-holsteinischen Umweltminister, der diese Position mit dem Satz zusammengefasst hat, Lebensmittel seien teilweise Sondermüll.

(Widerspruch bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich warne davor, mit einem solchen Antrag den Eindruck zu erwecken, als hätten wir es in der Landwirtschaft ganz überwiegend mit Naturzerstörern, Umweltsündern und Tierquälern zu tun, mit Leuten, die auch Lebensmittelskandale billigend in Kauf nehmen. Das ist falsch, Kollege Ehlers; das ist auch ungerecht. Die Praxis zeigt, dass das falsch ist. Herr Kollege Ehlers, ich weiß nicht, warum die CDU so etwas aufgeschrieben hat.

(Zuruf: Die wollen alle Grüne werden!)

- Das ist traurig, denn die befinden sich gerade auf dem absteigenden Ast.

(Widerspruch bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Auch heute schon wird in Schleswig-Holstein und in Deutschland eine verantwortungsbewusste Landwirtschaft betrieben. Frau Künast wird das mit ihrem „Klasse statt Masse“-Slogan nicht zerreden können. Und ich freue mich, dass die Landwirtschaftsministerin dieses Landes in diesem Punkt meine Meinung teilt. In letzter Zeit geht die Quote der Umsetzung von FDP-Vorschlägen gegen 100 %.

(Widerspruch bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

- Verehrte Kollegen, wartet’s ab! Das lässt sich zumindest für die Übernahme der Kohorten-Lösung und die Orientierung am Schweizer Vorgehen bei BSE sagen.

(Beifall bei der FDP - Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Ich bin sehr dankbar dafür, dass die Landwirtschaftsministerin bereit ist, vernünftige Vorschläge umzusetzen.

(Beifall bei der FDP)

Doch zum Antrag der CDU im Einzelnen! Der Überschrift können wir uns durchaus anschließen. Auch wenn die Agrarreform 1992 einen Teil der damals

(Dr. Christel Happach-Kasan)

bestehenden Missstände abgebaut und die Überproduktion deutlich verringert hat, ist auch ohne den Nachweis von BSE in Deutschland klar, dass die Agenda 2000 im Jahre 2006 durchgreifend reformiert werden muss. Ein „Weiter so!“ kann es nicht geben. Wir brauchen weiterhin einen sozial begleiteten maßvollen Strukturwandel, wir brauchen Vorschläge für die Reform der Agenda 2000, die Umsetzung der Modulation: Doch solche Vorschläge fehlen weitgehend im Antrag.

Die Forderung nach einem absoluten Tiermehlverbot ist populär. Sogar die Ministerpräsidentin hat sie aus eben diesem Grund erhoben. Es steht ganz außer Frage - da sind wir uns auch alle einig -, dass gefallene Tiere und Risikomaterial unschädlich entsorgt werden, das heißt verbrannt werden müssen. Warum aber bedeutet es eine Gefährdung menschlicher Gesundheit, wenn Fleisch, Blut und Knochenreste von Tieren, die für den menschlichen Genuss zugelassen wurden, zur Herstellung von Tierfutter zum Beispiel für Schweine, die von Natur aus Allesfresser und keine Vegetarier sind, verwendet werden? Ich kann eine unmittelbare Gesundheitsgefährdung nicht erkennen.

Was bedeutet im Übrigen eine solche Verfahrensweise im Hinblick auf die Forderung nach Nachhaltigkeit? Welchen Sinn macht die Nachhaltigkeitsstrategie der Landesregierung, wenn Fette und Eiweiße, die unter sehr hohem Aufwand an Ressourcen produziert wurden, nicht rohstofflich, also als Nahrungsmittel für Tiere, sondern energetisch verwertet werden? Weiß die SPD noch, wie sie in der Abfalldiskussion über die Begriffe rohstoffliche und energetische Verwertung in diesem Hause gestritten hat und jeden gebrandmarkt hat, der wagte zu sagen, dass es bestimmte Dinge gebe, die man verbrennen können sollte? Drei Viertel eines Schlachttieres werden nun einmal nicht über die Ladentheke verkauft, gleichwohl sind diese Produkte für den menschlichen Verzehr zugelassen.

Die Agrarminister der skandinavischen Länder handeln daher im Sinne der Agenda 21, wenn sie diese Produkte als tierische Futtermittel nutzen wollen. Die grüne Bundesministerin handelt dagegen im Sinne der Symbolpolitik und gemäß den Emotionen ihrer grünen Klientel, die weitgehend städtisch bestimmt ist. Die FDP lehnt dieses Handeln ab. Wir brauchen sorgfältige Kontrollen, damit nur einwandfreies Ausgangsmaterial, das für den menschlichen Verzehr zugelassen ist, zur Herstellung von Tiermehl verwendet wird und bei der Herstellung die anerkannten Sicherheitsstandards eingehalten werden. Das ist im Sinne des Verbraucherschutzes und der Nachhaltigkeit. Ein unbefristetes pauschales Verbot ist dagegen nicht zu begründen.

Auch über die Frage der Haftung besteht nach meiner Meinung noch erheblicher Diskussionsbedarf. Die Einführung einer Qualitätshaftung mag vielversprechend klingen, ich warne aber davor, amerikanische Haftungsverhältnisse einzuführen. Das wird der Situation auf dem deutschen und europäischen Verbrauchermarkt nicht gerecht. Es würde auch zu einer weiteren Verteuerung von Lebensmitteln führen.

Die Forderung nach einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft lehnt die FDP ebenfalls ab. Ohne Frage müssen Verstöße gegen das Lebensmittel- und Futtermittelrecht geahndet werden. Das werden sie auch bereits heute. Das rechtfertigt aber keine Schwerpunktstaatsanwaltschaft, wie sie beispielsweise für die Bereiche Wirtschafts-, Rauschgiftoder Umweltkriminalität eingerichtet worden ist. Das hat mit Verbraucherschutz nichts zu tun. Das ist Aktionismus. Ich hatte eigentlich von der CDU erwartet, dass sie Vertrauen in unseren Rechtsstaat hat.

Ich komme zu einem weiteren Punkt, der Ausbringung von Klärschlamm und Biokompost auf landwirtschaftlichen Flächen. Auch hier ist die CDU inzwischen entgegen früheren Positionen der Ansicht, dass das mit einer verbraucherorientierten Agrarpolitik angeblich nicht mehr zu vereinbaren ist. Aber warum, werte Kolleginnen und Kollegen, beziehen Sie die Gülle nicht in Ihre Überlegungen mit ein? Zweifelsohne können auch über den Eintrag von Gülle belastende oder gar schädliche Stoffe in den Boden gelangen, kann eine Nitratbelastung des Grundwassers herbeigeführt werden. Ich erinnere nur an die vielen neuen Tierarzneimittel, die sich nachweislich in der Gülle wiederfinden lassen. Warum also führen Sie die Gülle nicht mit auf? Ist es nicht vielmehr so, dass wir auch auf diesem Sektor eine differenzierte Betrachtung brauchen?

Wir alle wissen, dass Klärschlamm nicht gleich Klärschlamm ist und dass wir eine Verordnung haben, die enge Grenzwerte vorschreibt. Wir sollten uns daher genau die Zusammensetzung von Klärschlämmen, Biokomposten und Gülle anschauen und in Relation setzen zu anderen Belastungen von mineralischem Dünger, bevor wir ein absolutes Verbot der Ausbringung aussprechen. Dabei sind wir uns alle einig, kein Landwirt kann und darf gezwungen werden, diese auf seinem Acker auszubringen, aber er sollte die Entscheidungsfreiheit haben. Wenn er es verantworten kann, soll er es machen können. Alles alternativ zu verbrennen, ist sicherlich keine Lösung. Mit Nachhaltigkeit hat es jedenfalls nichts zu tun.

Schließlich noch ein Wort zur Zertifizierung. Kollege Wodarz hat das angesprochen. Die FDP befürwortet ein nachvollziehbares Zertifizierungssystem, um die

(Dr. Christel Happach-Kasan)

landwirtschaftliche Produktion gläsern zu gestalten und damit für mehr Verbraucherfreundlichkeit zu sorgen. Dazu gehört auch die Zertifizierung von landwirtschaftlichen Betrieben wie auch von Betrieben der Nahrungsmittelproduktion. Ich warne allerdings vor einer Zerzertifizierung. Vier unterschiedliche Zertifikate sind eindeutig zu viel. Da muss man ja erst einmal studieren, bevor man in den Laden gehen und Eier kaufen kann.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Schon heute überbieten sich die Hersteller mit Biound Ökoaufdrucken auf ihren Produkten. Das trägt weder zur Übersichtlichkeit noch zum Vertrauen der Verbraucher bei. Wir brauchen deshalb ein einheitliches und nachvollziehbares Qualitätssiegel für ausgezeichnete Produkte mit höherer Qualität. Für die normale Qualität, und das bedeutet, dass Lebensmittel, die verkauft werden, unbedenklich im Verzehr sind, brauchen wir kein Qualitätssiegel. Unsere guten Erfahrungen beispielsweise mit dem von der Landwirtschaftskammer verliehenen Gütezeichen haben das gezeigt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDUFraktion, es hat mich im positiven Sinne sehr überrascht, dass die CDU ihren früheren Überlegungen zum Außenschutz für landwirtschaftliche Produkte nun eine Absage erteilt und die Notwendigkeit einer Orientierung am Weltmarkt erkennt. Es ist ein bisschen spät, aber immerhin. Es kommt spät, wobei ich weiß, dass Landwirte einen starken Außenschutz wünschen. Dies ist auch verständlich, weil sie sich wünschen, ihr Einkommen über die Preise zu erzielen. Wir können Ihnen jedoch diesen Wunsch aufgrund gesamtwirtschaftlicher Überlegungen nicht erfüllen und wir sollten das den Landwirten auch sagen.

Die Überlegungen zum Ökolandbau sind nicht innovativ. Daher gehe ich darauf nicht ein.

Insgesamt enthält der Antrag der CDU eine Reihe guter, wenngleich nicht immer innovativer Anregungen. Ich hatte das schon gesagt. Ausführungen zur Modulation fehlen leider ganz. Das wäre ein aktuelles Thema gewesen. In seiner Zielrichtung kann die FDP den Antrag befürworten. Über die Einzelheiten werden wir uns im Ausschuss unterhalten müssen. Ich freue mich auf die Beratungen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU und der SPD)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Steenblock.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eines hat - glaube ich - die Diskussion der Vorgänge um BSE und die Folgen in den letzten Monaten gezeigt, dass nämlich Verbrauchervertrauen letztlich wichtiger ist als alle Beihilfen, die wir uns für die Landwirtschaft ausdenken können. Dieses Verbrauchervertrauen gilt es wieder herzustellen und ich glaube, auch die Landwirte haben, auch wenn wir den letzten Bauerntag - ich jedenfalls - als nicht sehr konstruktiv erlebt haben, guten Grund, sich bei der Bundeslandwirtschaftsministerin zu bedanken, dass sie in den letzten Monaten sehr viel dazu beigetragen hat, dass deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher wieder Vertrauen in Lebensmittel gewonnen haben und dass wieder mehr Rindfleisch gekauft wird. Das ist ja nicht nur darauf zurückzuführen, dass Leute ganz hervorragend mit einem Kurzzeitgedächtnis ausgestattet sind, sondern es hat auch damit etwas zu tun, dass die vertrauensbildenden Maßnahmen, die die rotgrüne Bundesregierung getroffen hat, greifen und dass sie viele in der Bevölkerung überzeugt haben.

(Zuruf von der SPD)

- Ja, Sie haben auch Claus Ehlers überzeugt; denn man muss sagen, wenn wir uns den Antrag der CDU ansehen, dann ist der in der Qualität doch meilenweit positiv von dem entfernt, was in Teilen des Bauernverbandes jetzt wieder an rückwärts gewandter Politik formuliert wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Deshalb bin ich Claus Ehlers auch dankbar, dass er hier einen sehr differenzierten Antrag vorgelegt hat. Allerdings kann ich, lieber Claus, deine Einschätzung zu Frau Künast überhaupt nicht teilen, denn ein ganz großer Teil der Forderungen, die hier vorgetragen worden sind, haben etwas damit zu tun, Vertrauen wieder aufzubauen: Das Verbot von antibiotischen Leistungsförderern, der Einsatz von Frau Künast auf europäischer Ebene zum Fortbestand des Tiermehlverfütterungsverbotes, die offene Deklaration bei Futtermitteln, die Positivliste sind alles Sachen, die massiv von der Bundesministerin vorangetrieben worden sind, die sich auch in eurem Antrag wiederfinden und die etwas mit Vertrauen zu tun haben.

Deshalb kann man doch nur sagen: Das hat Frau Künast klasse hingekriegt, indem sie die Teile, die ihr in euren Antrag aufgenommen habt, schon in die Realität umgesetzt hat. Ich glaube, dass wir an dieser Stelle sehr viel weniger Differenzen haben, als dargestellt wurde - bis vielleicht auf die Begrifflichkeit „Agrarwende“. Egal, ob wir es Agrarwende nennen,

(Rainder Steenblock)

Weiterentwicklung, Umsteuern, neue Agrarpolitik ich will da gar keine semantische Exegese machen -, sondern es geht darum, dass wir uns im Inhalt einig sind, worum es in Zukunft gehen muss, und dass es dazu keine Alternative gibt.

Es gibt keine Alternative zu dem, was ich als Agrarwende bezeichne, weil es ein qualitatives Umsteuern ist. Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben mit ihren Reaktionen deutlich gemacht: Sie wollen gesunde und qualitativ hochwertige Nahrungsmittel. Die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen umweltfreundlich erzeugte Energie und nachwachsende Rohstoffe, die unter diesen Bedingungen produziert werden. Sie wollen auch Dienstleistungen, die über die Landschaft hinausreichen, die sich beispielsweise in der Nutzung von Freizeit im ländlichen Raum, Urlaub, attraktiver Landschaft und schönen Dörfern äußern. Sie wollen sich in intakter Natur erholen.

Zur Agrarwende gibt es aber auch deshalb keine Alternative, weil die Osterweiterung der EU vor der Tür steht. Die für die Landwirtschaft verfügbaren Haushaltsmittel der Europäischen Union werden nicht größer, sondern eher kleiner.

Bei der im Herbst beginnenden heißen Phase der WTO-Verhandlungen steht die Subventionspolitik der EU auf dem Prüfstand. Im Rahmen dieser internationalen Abstimmung über den Agrarhandel wird es zu neuen Regelungen kommen. Unser Interesse bei den WTO-Verhandlungen muss es dabei sein, nicht neue Schutzzäune aufzurichten, sondern die Belange von Verbraucherschutz, die hohen Qualitätsstandards, die wir in unserer Landwirtschaft haben, in die internationalen Regelwerke einzuführen, denn wir werden jeden Wettbewerb, der in Richtung Preisdumping geht, verlieren. Wir werden mit unserer Landwirtschaft nur gewinnen können, wenn wir in den internationalen Vereinbarungen die Erhöhung von Qualitätsstandards absichern und uns dafür einsetzen.

(Lars Harms [SSW]: Genauso ist es!)

Einen Aspekt würde ich aber gern noch ansprechen, nämlich das Verbrauchervertrauen. Verbrauchervertrauen und Tierschutz gehören untrennbar zusammen. Das ist leider ein Bereich, der in dem Antrag der CDU-Fraktion völlig fehlt. Wir wollen mit der Täuschung und Irreführung bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln Schluss machen. Auf jedem Ei aus Käfighaltung muss in Zukunft erkennbar sein, dass es in Käfighaltung produziert wurde.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW sowie der Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD] und Friedrich-Carl Wo- darz [SPD])

Auch auf jeder Nudelpackung muss stehen: Mit Eiern aus Käfighaltung produziert. Idylle vorgaukelnde Bildchen mit schönen Bauernhäusern und glücklichen Hühnern müssen ein Ende haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW sowie der Abgeordneten Renate Gröpel [SPD] und Günter Neugebauer [SPD])

Wir wollen, dass der Einzelhandel tatsächlich mit Produkten aus artgerechter Tierhaltung werben kann. Erst dann haben die Verbraucherinnen und Verbraucher wirklich die Chance, Politik mit dem Einkaufswagen zu machen. Darauf wollen wir hinaus.

Wir wollen in diesem Bereich des Verbraucherverhaltens und des Tierschutzes aber auch die Investitionen verändern. Investitionsförderung muss in Zukunft heißen: Keine Förderung mehr von Käfigbatterien bei Geflügel oder von Vollspaltenböden bei Schweinen.