Protokoll der Sitzung vom 26.09.2001

In der Finanzwissenschaft gilt der Haushalt als einer der wenigen ernst zu nehmenden Belege für die tatsächlichen Absichten einer Regierung - im Gegensatz zu den üblichen Sonntagsreden.

(Wolfgang Kubicki)

Die Investitionsplanungen in den vorliegenden Entwürfen widerlegen das andauernde Ankündigungsgerede der Regierung zur Zukunftssicherung eindeutig.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Uwe Eichelberg [CDU])

Zum Jahresauftakt erklärte die Ministerpräsidentin, bei der Bewältigung des kontinuierlichen Strukturwandels würde die Landesregierung „auf die Stärken unseres Landes und seiner Menschen setzen und damit die Chancen für Schleswig-Holstein weiter ausbauen“.

Was für ein Satz! Worauf wollte sich die Ministerpräsidentin bei der Bewältigung des Strukturwandels denn sonst stützen?

Aber auch das hat sie uns zum Jahresauftakt offenbart: Bei der Neuordnung des Länderfinanzausgleichs werde sie „keinem Vorschlag zustimmen, bei dem die wohlhabenden Länder den solidarischen Föderalismus aufkündigen“.

Im Klartext: Die Landesregierung hängt am Tropf der Ländersozialhilfe und wird sich verständlicherweise mit allen Mitteln dagegen wehren, aus eigener Kraft handlungsfähig und erfolgreich werden zu müssen.

Dagegen muss sie sich auch mit Händen und Füßen wehren, denn sie beweist beständig, dass sie es allein nicht kann.

Wie wollte die Landesregierung Schleswig-Holstein nach vorn bringen? Wie wollte die Ministerpräsidentin die Wohlfahrt der Bürgerinnen und Bürger steigern? Wohlfahrt, das klingt ein bisschen wie Wellness. Da war doch etwas? - Die Wellness-Offensive sollte Schleswig-Holstein zum Gesundheitsstandort Nummer 1 in Deutschland machen und uns aus dem Schlamassel führen. Kranke und Verletzte aus aller Welt, insbesondere aus dem Nahen und dem Fernen Osten, sollten Geld zu uns tragen. Und was geschah? - Nichts beziehungsweise fast nichts!

Eine Studie wurde erstellt und an Projektgruppen der Landesregierung überwiesen; die haben getagt und haben das Übliche gemacht und Ankündigungen produziert.

Es gilt auch hier das alte Sprichwort: Wenn alles gesagt und getan ist, dann ist meist mehr gesagt als getan. Bei Rot-Grün heißt das: Es wird über alles Mögliche geredet, wenig Konkretes gesagt und nichts getan.

Im Haushalt 2001 war von Wellness nichts zu lesen und seitdem ist das Thema anscheinend auch aus der Rhetorik der Landesregierung entschwunden. Dabei hätte schon der letzte Haushalt eine finanzpolitische

Frischzellenkur sehr gut vertragen können - ganz zu schweigen von den vorliegenden Entwürfen.

Was hat die Landesregierung sonst alles noch nicht geschafft? - Sie können es nachlesen, die Rede wird ja verteilt. Ich möchte auf das 35-Millionen-DM-Loch im Bildungsetat gar nicht eingehen; das ist eine so schöne Geschichte, die man eigentlich immer wieder erzählen muss. Dass sich die „arme Seelen“ - und zwar gleich mehrere - bei einem modernen Programm der Regierung zum Controlling um 35 Millionen DM verrechnen können und es keiner gemerkt hat, ist wirklich tragisch. Ich möchte mich - wie gesagt - auf die 35 Millionen DM nicht kaprizieren, aber die 35 Millionen DM sind zusammen mit den 62,5 Millionen DM Steuermindereinnahmen nach Veränderung der Steuerschätzung der Grund dafür, dass wir einen Nachtragshaushalt beraten müssen. Das sind 100 Millionen DM oder 5 Tausendstel des Etats. 5 ‰ im Blut bedeuten grundsätzlich den Tod des Trinkers. Wenn aber 5 ‰ Abweichung von der Haushaltsplanung richtig wäre, dann müsste jeder private Haushalt nach Erhöhung der Ökosteuer in die Insolvenz gehen.

Im Haushalt 2001 hatte der Finanzminister 210 Millionen DM Einnahmen eingestellt, die noch nicht da waren. Die mussten bis zum Nachtragshaushalt noch her. Und zufällig kamen sie dann auch. Der geplante Verkauf der LEG wurde Wirklichkeit: 216 Millionen DM! Rot-Grün hat erklärt: 6 Millionen DM über Plan - was für ein Erfolg der Regierung!

Herr Dr. Hellberg, der Vorstandsvorsitzende der B&L Immobilien AG, sagte dazu am 23. Mai dieses Jahres:

„Mit der Beteiligung... verdoppelt der B&LKonzern sein Immobilienvermögen von derzeit rund 1,1 Milliarden DM und wird sein Ergebnis zukünftig deutlich steigern.“

Dies hat er in einem Aktionärsbrief, den er an die Aktionäre verschickt hat und der veröffentlicht worden ist, wiederholt. Kollege Neugebauer, die Richtigkeit dieser Angaben hat er nicht nur versichert, sondern nach der neueren Rechtsprechung haftet er dafür auch mit seinem Privatvermögen.

Wenn diese Aussage nicht richtig sein sollte, dann wäre es Pflicht des Finanzministers, jetzt hier hochzukommen und zu sagen: Diese Aussage von Herrn Dr. Hellberg im Aktionärsbrief ist falsch. Unterlässt er dies, braucht er demnächst vielleicht einen Strafverteidiger, weil wir ja wissen, dass man sich in diesem Fall auch der Beihilfe zum Betrug oder Beihilfe zur Untreue durch Unterlassen schuldig machen kann.

1,1 Milliarden DM Wert verkauft zum Preis von 216 Millionen DM, Kollege Neugebauer, da bleibt ein Wert von 884 Millionen DM übrig - das kann man

(Wolfgang Kubicki)

auch ohne Taschenrechner ausrechnen -, den der Käufer nicht bezahlen musste. Er bekam ihn nach seiner eigenen Aussage geschenkt. 884 Millionen DM, das ist sicherlich die Obergrenze der Verluste beim LEG-Deal. Das gebe ich zu. In der Zwischenzeit sind viele weitere Wertschätzungen aufgetaucht. Eines bleibt: Die Landesregierung hat einen dreistelligen Millionenbetrag verschenkt. Eine schlüssige Begründung für diese Verschwendung von Landesvermögen fehlt bis heute - und das vor dem Hintergrund, dass ab jetzt endlich wirklich, aber auch wirklich gespart werden soll.

In Sachen LEG noch eine Nebenbemerkung an die regierungstragenden Fraktionen und das Finanzministerium: Die FDP-Fraktion übt ihre Aufgabe der parlamentarischen Kontrolle des Regierungshandels im Auftrag der Bürgerinnen und Bürger SchleswigHolsteins aus. Wir sind unserem Gewissen verpflichtet und halten uns an den Eid, den alle Abgeordneten dieses Hauses in der konstituierenden Sitzung geleistet haben. Wir beugen uns nicht den Forderungen der Regierungskoalition, Fragen auf Abruf zu stellen, wenn es Rot-Grün in den Kram passt. Denn es sind offensichtlich höchst unangenehme Fragen und auch die Diskussion ist offensichtlich höchst unangenehm. Wir stellen unsere Fragen, wann wir es für richtig halten, und behalten das Gesetz des Handelns in unserer Hand, um den Auftrag der Wählerinnen und Wähler zu erfüllen.

Erinnern wir uns: Auslöser für den Nachtragshaushalt war ein Fehlbetrag von knapp 100 Millionen DM, 5 Tausendstel des Haushaltsvolumens. Fast gleichzeitig verschenkt die Landesregierung einen dreistelligen Millionenbetrag, im schlimmsten Fall knapp 900 Millionen DM. Und dann kommt die Ministerpräsidentin und sagt: Jetzt wird endlich wirklich gespart. Dazu soll - das sage ich auch, weil es mich wirklich trifft und berührt - das Landesblindengeld in 100-DMBeträgen gekürzt werden. Kollege Lothar Hay, das ist das Gegenteil von sozial gerechter Politik.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich komme zu einem weiteren Rechenfehler im Bereich der Landesregierung. Im Entwurf des Nachtragshaushalts wird die Kreditobergrenze nach Artikel 53 der Landesverfassung um fast 12 Millionen DM überschritten. Dies ergibt sich, wenn man das Konzept des Landesrechnunshofs aus dem diesjährigen Bericht nachvollzieht. Ich konzediere dem Finanzminister, dass das Berechnungsmodell, mit dem das Finanzministerium arbeitet, von der überwiegenden Mehrheit der Bundesländer angewandt wird, was mit der Frage, ob das verfassungsgemäß ist, nichts zu tun hat. In dem Moment, in dem wir erklären, dass wir das für verfas

sungswidrig halten, unterstellen wir dem Finanzminister nicht, dass er damit das Parlament hinters Licht geführt hat oder führen wollte.

Kollege Neugebauer, wir müssen aber schlicht und ergreifend zur Kenntnis nehmen, dass die Koppelung der Verschuldungsgrenze an die Höhe der Investitionen einen ganz bestimmten Hintergrund hat und immer schon hatte, den Hintergrund nämlich, dass die Verschuldung nicht höher sein soll als das, was an künftigen Vermögenswerten aufgetürmt wird, sodass - wie im Bereich des privaten Haushalts - ein Return of Investment möglich ist. In dem Moment, in dem wir das unterlaufen, könnte man zu einem System kommen, in dem der Bund und die anderen Bundesländer einfach nur Beträge umschichten und hin- und herschieben, sodass sie alle, ohne auch nur eine einzige müde Mark zu investieren, die Investitionsquote jeweils erfüllen und damit die Verschuldungsgrenze nach oben treiben würden. Das ist nicht im Sinne des Erfinders. Wir wissen doch: Je stärker die Mischfinanzierungen werden, umso eher und wahrscheinlicher werden dann entsprechende Volumina in zwei Haushalten ausgewiesen, obwohl es eigentlich nur in einem Haushalt veranschlagt werden dürfte.

Immerhin will die Ministerpräsidentin jetzt die Werftenhilfe erhöhen. Das hilft einem der bedeutendsten Industriezweige Schleswig-Holsteins und hebt gleichzeitig die Investitionen. 8 Millionen DM vom Land, dazu kommen 4 Millionen DM vom Bund. „Jetzt“ ist allerdings übertrieben, in drei Jahren soll der erste Teil fließen.

Im Dezember hat die Ministerpräsidentin versprochen, dass kein Schiffbauauftrag an fehlender Werftenhilfe scheitern werde. Die fehlende Werftenhilfe zur Deckung vorhandener Aufträge beläuft sich auf insgesamt 72,4 Millionen DM. Davon will die Ministerpräsidentin in drei Jahren gut 16 % bezahlen. 16 % ihres Versprechens will sie erfüllen. Die Frage ist - die wird auch an Sie gestellt werden -: Wann werden die anderen 84 % dieses Versprechens erfüllt?

Wir schlagen vor, die 30 Millionen DM Reserve nicht zu bilden und das Geld stattdessen in die Zukunft der Menschen in Schleswig-Holstein zu investieren. „Investieren“ meine ich im Gegensatz zur Regierung wörtlich. Übrigens würden wir damit auch die von mir skizzierte Verfassungsgemäßheit des Nachtragshaushalts wieder herstellen.

Über 18 Millionen DM für unsere Werften, davon über 12 Millionen DM vom Land, um die Wettbewerbsfähigkeit und die Arbeitsplätze industrieller Hightechbetriebe und ihrer Zulieferer zu sichern. Über 11 Millionen DM für unsere Schulen, davon gut 3,5 Millionen DM für die Verbesserung der Unter

(Wolfgang Kubicki)

richtsversorgung und 7,5 Millionen DM für den Ausbau der maroden Gebäude, um das notwendige Humankapital für eine erfolgreiche Zukunft unserer Kinder und damit unseres Landes besser aufbauen zu können. Über 1,5 Millionen DM in die Pflegeinfrastruktur, um die Qualität der Versorgung zu steigern. Über 1,3 Millionen DM für unsere Polizisten und unsere Verfassungsschützer, damit uns diese Menschen alle besser schützen können und das umgesetzt wird, was gestern eigentlich beschlossen werden sollte. Außerdem wollen wir die Entnahme aus dem Kommunalen Investitionsfonds um über 5 Millionen DM mindern und so den Kommunen schon einmal zumindest einen Teil ihres eigenen Geldes zurückgeben.

Zur weiteren Finanzierung dieser Investitionen schlagen wir außerdem vor, die Ausgaben für den Biotopschutz auf den alten Ansatz zurückzufahren, übrigens nicht, um ihn gänzlich zu verfrühstücken, was ja wegen der Kopplung an die Grundwasserentnahmeabgabe gar nicht geht, sondern um vielleicht darüber nachzudenken, ob wir unsere Wälder nicht intensiver aufforsten sollten als bisher, was ich für sinnvoller halte, als in diesem anderen Bereich weiter Geld auszugeben.

(Beifall bei FDP und CDU)

Die Arbeitsgruppen der Landesregierung zum Bereich innere Sicherheit haben sich zwei Wochen lang gegenseitig besprochen und herausgekommen sind ein paar Absichtserklärungen und neue Aufträge für Polizei und Verfassungsschutz. Keine Mark mehr. Der Finanzminister will nur Geld umschichten. Umverteilung soll das Problem lösen. Es sollte der Landesregierung eigentlich bekannt sein, dass man für die Produktion von zusätzlichen Leistungen Produktionsfaktoren braucht. Auch bei den Sicherheitsdiensten. Für zusätzliches Personal und zusätzliche Sachausstattung braucht man zusätzliches Geld. Die Gewerkschaft der Polizei ist erschrocken und wundert sich über das Verhalten der Landesregierung. Die FDP ist darüber eigentlich nicht erschrocken, denn diese Ankündigungspolitik ist bei Rot-Grün doch total normal.

Mit der Umsetzung unserer Vorschläge zum Nachtrag wird nebenbei auch die Verfassungsmäßigkeit des Nachtrages erreicht. So ist das bei uns. Wir sagen investieren, wir meinen investieren und wir investieren. So sorgen wir für die Menschen unseres Landes, damit wir in Schleswig-Holstein auch in Zukunft Umsatz machen können und nicht nur sparen müssen und nicht nur die Kosten bis zum Rande des Konkurses kontrollieren. Kollege Neugebauer, bei einem Haushalt, der mit über 1 Milliarde DM kreditfinanziert ist, macht es in der Tat überhaupt keinen Sinn, Reserven zu bilden.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das muss auch Ihnen einleuchten. Dann sollten Sie lieber die Nettoneuverschuldung um 30 Millionen DM herunterfahren, als so etwas zu tun. Denn sonst machen Sie Zinsdifferenzgeschäfte zugunsten der Bank, bei der Sie einen Kredit aufnehmen, um im nächsten Jahr einen geringeren Kredit aufnehmen zu müssen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Herr Kollege Kayenburg und auch Kollege Hay haben darauf hingewiesen, dass wir uns wahrscheinlich noch in diesem Jahr, im November mit neuen Daten, die auch, aber nicht ausschließlich etwas mit dem Attentat vom 11. September 2001 zu tun haben, beschäftigen müssen, was die weitere wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung angeht.

Es wird mit Sicherheit für alle Beteiligten - egal wo sie stehen - kein Zuckerschlecken sein, in den Haushaltsberatungen das eine oder andere zu machen. Kollege Neugebauer, aber auch das kann ich versprechen: Bei all den Deckungsvorschlägen, die wir auch in der Vergangenheit immer gemacht haben -

(Günter Neugebauer [SPD]: Jedenfalls kon- struktiver als die CDU!)

- Das ist im Moment gar nicht das Thema, weil die Begründungselemente jeweils stimmen müssen. Die Begründungselemente müssen auch gegenüber den Verbänden stimmen, denen man Versprechen gemacht hat, die man nicht einhalten kann. In der Vergangenheit haben diese Elemente nicht immer gestimmt. Manchmal lagen sie hart an der Grenze.

Herr Wirtschaftsminister Rohwer hat schon am 7. September in den „Kieler Nachrichten“ kundgetan:

„Ich schließe nicht aus, dass das Wachstum im ersten Halbjahr deutlich unter 1 % bleibt.“

Das gilt auch für den Haushaltsentwurf 2002 und den neuen Finanzplan. Das war ausgesprochen vorsichtig, denn zu diesem Zeitpunkt haben alle Fachleute - übrigens alle fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstitute - schon für das ganze Jahr nur noch mit einem Wachstum von circa 1 % gerechnet. Herr Hentschel, ich gebe Ihnen die Liste, damit Sie die Institute einmal anrufen können. Bundes- und Landesregierung teilten diese Einschätzung natürlich nicht, aber ich sprach ja auch von Fachleuten.

Der Nachtragshaushalt und die Finanzplanung gehen nach wie vor von 2 % Wachstum für 2001 aus. Schon vor den schrecklichen Ereignissen der letzten Wochen war diese Zahl nicht mehr zu erreichen. Jetzt ist sie es erst recht nicht mehr. Wenn der Finanzminister nach wie vor glaubt, dass sich die Wachstumsentwicklung

(Wolfgang Kubicki)