Protokoll der Sitzung vom 26.09.2001

Wir müssen wieder dem näher kommen, was jeder vernünftige Menschenverstand sagt: Was in Schles

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

wig-Holstein entschieden werden kann, soll auch in Schleswig-Holstein entschieden werden.

(Beifall im ganzen Haus)

Das bedeutet, wir müssen die Gesetzgebungskompetenz der Länder stärken, und zwar sowohl in den Bereichen der konkurrierenden Gesetzgebung als auch bei der Rahmengesetzgebung. Bei der konkurrierenden Gesetzgebung kommt es darauf an, geeignete Themen in die Landeskompetenzen zurückzuüberführen. Die offene Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung erarbeitet gegenwärtig einen Katalog dieser Themen. Man kann sich dabei lebhaft vorstellen, dass die Diskussion unter den Ländern beim Versammlungsrecht und im Notariatswesen etwas einfacher ist als beispielsweise beim Besoldungs- und Versorgungsrecht.

Die Rahmengesetze des Bundes fallen häufig so engmaschig aus, dass den Ländern die Gestaltungsspielräume überhaupt genommen worden sind. Wir dürfen zwar noch etwas sagen, aber ob man auf uns hört, ist etwas anderes. Rahmengesetze sollen dem Landesgesetzgeber eigentlich Raum für Willensentscheidungen in der sachlichen Rechtsgestaltung überlassen, so der hehre Grundsatz. Trotz der 1994 eingeführten Einschränkung für rahmenrechtliche Gesetzgebung gibt es dringenden Reformbedarf, wie man es beispielsweise im Dienstrecht feststellen kann. Hier sollten geeignete Gegenstände des Katalogs nach Artikel 75 Abs. 1 des Grundgesetzes in die Landeskompetenz überführt werden.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Kähler [SPD])

Wir sind also gar nicht so weit voneinander entfernt. Genau wie bei der Entflechtung der Gemeinschaftsaufgaben müssen wir sicherstellen, dass eine grundlegende Reform die Erfordernisse und die Wahrung gleichwertiger Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet beachtet.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zentrales Element der Entflechtungsüberlegung ist ein neuer Verteilungsschlüssel, der nach 2019, also beim Verfallsdatum des Finanzausgleichs, greifen soll. Schleswig-Holstein hat in diesem Zusammenhang angemahnt, dass sich ein wie auch immer gestalteter neuer Schlüssel zur Verteilung der GA-Mittel auch an den unterschiedlichen Ausstattungsbedingungen der Länder orientieren müsse.

Diese resultieren nämlich nicht nur aus den direkten finanzwirksamen Leistungen und dem Finanzausgleich, sondern auch aus anderen Zuwendungen des Bundes.

Hintergrund unserer Überlegungen war, dass nicht nur abstrakte Verteilungskriterien wie Bevölkerungszahl und Finanzbedarf bei der zukünftigen Verteilung ab 2020 eine Rolle spielen dürfen, sondern es müssen auch die konkreten Bedarfe der Länder berücksichtigt werden. Es kann beispielsweise nicht unberücksichtigt bleiben, dass für den Stuttgarter Bahnhof in kürzester Zeit mehrere Milliarden DM locker gemacht werden konnten, während wir hier in Kiel Mühe haben, den Bahnhof innerhalb einer Generation zu restaurieren.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der CDU)

Zur Entflechtung der Gemeinschaftsaufgaben habe ich in meiner Regierungserklärung zum Föderalismus bereits im Juli das Notwendige gesagt. Es gilt nach wie vor, die Entflechtung muss an die zentrale Bedingung geknüpft werden, dass der Bund die derzeit eingesetzten Mittel vollständig, dynamisch und auf Dauer als freie Mittel zur Verfügung stellt, über die die Länder und die Parlamente dann allein entscheiden können und für die sie auch die Verantwortung zu tragen haben, wenn sie sie falsch eingesetzt haben.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Der Bund hat in der Vergangenheit im Bereich des Steuerrechts mit der Zustimmung des Bundesrats in außerordentlich großem Umfang von der Möglichkeit der konkurrierenden Gesetzgebung Gebrauch gemacht. Dabei ist den Ländern kein Raum für eine eigene Gesetzgebung verblieben; sie bringen zwar derzeit ihre Interessen im Bundesrat bei der Mitwirkung am Steuerrecht zur Geltung, haben aber nur geringe Möglichkeiten, die eigene Einnahmesituation zu beeinflussen, müssen Bündnisse schließen, die reine Zweckbündnisse sind, um ihre Interessen durchzusetzen, und müssen Zugeständnisse machen, wo sie normalerweise keine machen möchten.

Ich bin also wie Sie der Meinung, dass die Steuerautonomie der Länder gestärkt werden kann. Allerdings sollte die Übertragung von Steuerarten nur auf diejenigen beschränkt bleiben, bei denen die Ertragskompetenz bereits bei den Ländern liegt; davon sind die Grunderwerb-, die Grund- und die Erbschaftsteuer betroffen. Tarifgestaltung, Hebesatz- oder Zuschlagsrechte für die Länder bei der Körperschaftsteuer beziehungsweise bei der Einkommensteuer werden von uns im Moment nicht als positiv betrachtet.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dies mag für finanzstarke Länder attraktiv sein, für finanzschwache jedenfalls nicht.

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

Was die europäische Dimension Ihres Antrages anbetrifft, so hängt die Stärkung des Parlaments sehr stark mit der Stärkung von Bürgerrechten insgesamt zusammen, für die sich ja das Parlament und auch die Landesregierung wiederholt eingesetzt hat.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Die effiziente Einbeziehung der Landesparlamente in das Bundesratsverfahren und damit in den europäischen Rechtsetzungsprozess ist ein bedeutender Beitrag. Hier hat sich Schleswig-Holstein bundesweit an die Spitze gesetzt. Europäische Entscheidungen müssen transparenter, bürgernaher und effizient im Interesse der Bürger herbeigeführt und auch umgesetzt werden. Das dient dem Bürger, das dient der demokratischen Legitimation der Europäischen Union und das dient der Sache selbst.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Die notwendigen Kenntnisse für europäische Richtlinien und Verordnungen sind nun einmal nicht in der Kommission in Brüssel zu finden, sondern häufig vor Ort. Im Jahr 2004 werden wir auf europäischer Ebene eine Regierungskonferenz haben, deren Aufgabe es sein wird, eine europäische Verfassung auszuarbeiten. Zentraler Punkt wird unter anderem eine Präzisierung der Kompetenz zwischen den verschiedenen politischen Ebenen sein. Das heißt, wir werden uns darüber zu verständigen haben, wer der Lokführer auf dem europäischen Zug sein wird und welchen Einfluss die regionalen Weichensteller haben können.

Die Beratung auf deutscher Ebene hat im Rahmen der Europaministerkonferenz begonnen. Die Landesregierung wird sich in diesem Prozess eng mit dem Landtag abstimmen.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Kähler [SPD])

Auf europäischer Ebene wird der Ausschuss der Regionen eine wichtige Plattform für die entsprechenden Beratungen sein. Schleswig-Holstein wird dort in Zukunft mit einem Vertreter der Landesregierung und mit einem Mitglied aus dem Landtag als Stellvertreter vertreten sein. Dies versteht die Landesregierung als eine große Chance, die Interessen des Landes abgestimmt zwischen Ihnen und uns darzustellen.

Bereits 1982 hat der damalige französische Finanzminister und spätere Präsident der Europäischen Kommission, Delors, werbend auf das föderale System in Deutschland hingewiesen. Es sei eine Quelle des Reichtums Deutschlands. Wir können aus unserer Sicht ergänzen: Es ist nicht nur eine Quelle des relativen Wohlstandes in Deutschland, sondern auch Ausdruck einer weiter entwickelten Demokratie, die wir

Brüssel gern zur Nachahmung empfehlen würden. Die föderale Ordnung sichert den Bürgerinnen und Bürgern strukturell eine hohe Beteiligung an den politischen Prozessen und Entscheidungen zu.

Mit dem Anliegen des gemeinsamen Antrags der Fraktionen wird unser föderales System weiter entwickelt und den europapolitischen Erfordernissen angepasst. Insgesamt steht die Landesregierung also positiv zu diesem Antrag.

Wir ermuntern das Landesparlament ausdrücklich, sich in die Debatte über die Stärkung des Föderalismus und seiner europäischen Dimension einzubringen. Wir danken ausdrücklich für die bisherige Unterstützung unserer Bemühungen um die Stärkung unserer föderalen Ordnung und um die Stärkung des Regionalprinzips. Wir sind uns, glaube ich, alle einig, dass auch das Parlament in die Diskussion einbezogen werden muss, und wir sind uns einig darin, dass dabei die Kompetenz zwischen Landesregierung und Parlament nicht verwischt, wenngleich auch auf beiden Seiten gestärkt werden sollte.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Steenblock das Wort.

(Martin Kayenburg [CDU]: Das gibt aber Fraktionsstreit! - Zuruf des Abgeordneten Heinz Maurus [CDU])

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich diese Gelegenheit nutzen, mich noch einmal bei dem Präsidenten unseres Landtages zu bedanken; denn ich glaube, ohne sein Engagement an dieser Stelle wäre diese Debatte so nicht zustande gekommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP und vereinzelt bei der SPD)

Es ist sicherlich, auch wenn wir in einzelnen Sachen unterschiedliche Meinungen haben, für dieses Parlament ausgesprochen wichtig, sich mit den Fragen zu beschäftigen. Es sind aber zwei Themenkomplexe das hat diese Debatte auch gezeigt -, die im Grunde unterschiedlich diskutiert werden müssen: Einmal ist es die Frage des Parlamentarismus, die Frage, wie Legislative und Exekutive eigentlich zusammenarbeiten können, wenn sich die verschiedenen Verantwortungsebenen weiter so differenzieren.

(Rainder Steenblock)

Die Frage Bundesrat - Frau Kollegin Spoorendonk hat das ja angesprochen -, die Frage, ob dieses Parlament überhaupt in der Lage ist, das, was im Bundesrat verabschiedet ist, was die Landesregierung dort treibt, nachzuvollziehen, ist hier angesprochen. Wir alle kriegen die Informationen. Das ist überhaupt keine Frage.

(Martin Kayenburg [CDU]: Sehr spät!)

Ich weiß aber nicht, wie viel Kolleginnen und Kollegen sich einmal angeguckt haben, was darin steht, und wie viel Kolleginnen und Kollegen tatsächlich in der Lage sind, das nachzuvollziehen, oder wie viel Kolleginnen und Kollegen dann, wenn wir denn vorher gefragt würden, auch bereit und in der Lage wären, diese gesamte Prozedur nachzuvollziehen, mit zu bestimmen.

Ich glaube, unser Parlament ist dazu nicht in der Lage. Wenn wir über Stärkung von parlamentarischen Rechten diskutieren wollen, dann ist das auf jeder Ebene das Gleiche: Das Europäische Parlament diskutiert darüber - die haben nicht einmal das volle Haushaltsrecht -, der Bundestag debattiert darüber, auch die kommunalen Parlamente tun das. Ich glaube schon, dass die überbordende Macht der Exekutive, die sehr stark mit Bürokratisierungstendenzen dieser Gesellschaft und mit der Unmöglichkeit zusammenhängt, für Parlamente das letztlich in seiner Gesamtheit nachvollziehen oder kontrollieren zu können, ein Problem ist, mit dem wir uns selber auseinander setzen müssen. Dass wir als Parlament Macht verloren haben, liegt ja nicht nur daran, dass andere uns etwas weggenommen haben und wir etwas abgegeben haben, sondern es hängt auch mit unserer eigenen Schwäche zusammen. Das muss man auch selber sehen. Wir selber sind als Parlamentarier - so glaube ich jedenfalls - nicht ausreichend genug ausgestattet - das will ich auch so deutlich sagen -, um die Arbeiten, die wir eigentlich machen müssten, erledigen zu können. Hier geht es mir nicht um die Bezahlung, sondern es geht darum, dass die Ausstattung von Parlamentariern gerade mit Zuarbeit sie - jedenfalls aus meiner Sicht - nicht optimal in die Lage versetzt, diese Aufgaben wahrzunehmen. Das ist das eine.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP und vereinzelt bei der SPD)

Der zweite Gedanke, den ich gern noch einbringen möchte, ist folgender. Für mich ist nach dem 11. September eines sehr deutlich geworden: Wir sind auf der Schwelle dazu, dass sich die traditionelle Außenpolitik, dass sich die Beziehungen zwischen Ländern radikal verändern und wir sehr viel stärker zu einer Weltinnenpolitik kommen. Das heißt, wir müssen auf der globalen Ebene - die Globalisierung dieser

Prozesse schreitet voran - demokratische Strukturen schaffen. Das heißt, wir müssen noch einmal eine Ebene schaffen, auf die Kompetenz verlagert wird. Das ist es, was uns große Schwierigkeiten macht, nämlich zu definieren

(Glocke des Präsidenten)

- ich komme zum Schluss, Herr Präsident; es ist mein letzter Satz, auch wenn er ein paar Kommata beinhaltet -,

(Heiterkeit)

welche Kompetenzen wir auf diese Ebene schieben wollen. Ich glaube, es ist falsch, dass jede Ebene versucht, das für sich allein zu diskutieren. Wir müssen einen sehr viel umfassenderen Prozess haben zu definieren, was auf welcher Ebene möglich ist. Da, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wäre ich dafür, dass wir uns einmal ein Beispiel am Konvent für die europäischen Grundrechte nehmen und einmal eine Initiative ergreifen, dass wir diese Debatte um den Föderalismus nutzen, mehrere Ebenen miteinander zu vernetzen,

(Glocke des Präsidenten)