Protokoll der Sitzung vom 26.09.2001

Dieses Bewusstsein sieht die Vielzahl einzelner Bereiche bürgerschaftlichen Engagements, seine vielfältigen Formen und Initiativen als Ganzes, als ein gesellschaftliches Handlungsfeld eigener Art. Diese Entwicklung und die damit einhergehende Diskussion über den dritten Sektor, eben das bürgerschaftliche Handlungsfeld zwischen Staat und Wirtschaftsunternehmen, hat dazu beigetragen, dass freiwilliges Enga

(Peter Eichstädt)

gement, bürgerschaftliches Engagement als eigenständiges Politikfeld gesehen wird.

Ich bin sicher, dass das bürgerschaftliche Engagement ohne Ehrenamt überhaupt nicht denkbar ist. Gleichwohl geht bürgerschaftliches Engagement über das klassische Ehrenamt weit hinaus.

Zunächst zur ehrenamtlichen Arbeit! Ehrenamtliches Engagement wird in allen gesellschaftlichen Bereichen geleistet, und es wird von Menschen aller Altersgruppen geleistet: in der Sozialarbeit, in der Familien-, Kinder-, Jugend- und Seniorenarbeit, in der Frauenarbeit, im Sport, für Behinderte, in den Wohlfahrtsverbänden, in den Kirchen, für den Umwelt-, Tier- und Naturschutz. Ich könnte diese Reihe noch weiter fortsetzen, aber ich kürze es ab; denn Sie alle wissen das. Es sind ungefähr 22 Millionen Menschen bundesweit und wie Sie gehört und gelesen haben, 700.000 Menschen in Schleswig-Holstein. Keiner hat sie genau gezählt. All diese Menschen leisten eine wichtige gesellschaftliche Arbeit, deren Wegfall bedeutete, dass unser gesellschaftliches und soziales Gefüge zusammenbrechen würde. Es ist eine Arbeit, die wir getrost im wahrsten Sinne des Wortes als unbezahlbar bezeichnen können.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Ich denke, dafür ist jedem und jeder Einzelnen, der beziehungsweise die diese Arbeit tut, sehr herzlich zu danken.

(Beifall bei der SPD)

Ein lebendiges und vielfältiges bürgerschaftliches Engagement ist eine unverzichtbare Voraussetzung für eine solidarische Gesellschaft. Wir wollen die Vielfalt der Formen von Selbsthilfe, Ehrenamt und bürgerschaftlichem Engagement unterstützen, stärken und vernetzen. Stärker noch als bisher wollen wir die Bereitschaft fördern, sich für das Gemeinwesen zu engagieren und neue Strukturen gegenseitiger Hilfe, Unterstützung und Kommunikation zu bieten.

Ohne die eindrucksvollen Leistungen des Ehrenamtes in unserem Lande in irgendeiner Weise schmälern zu wollen, ist aber zu ergänzen: Das Engagement in der Bürgergesellschaft ist weit mehr als nur die Ergänzung staatlichen Handelns. Eine Demokratie, die von ihren Bürgerinnen und Bürgern gelebt wird und in die sich die Menschen entsprechend ihren Einstellungen, Neigungen und Kenntnissen einbringen, ist auf die umfassende Beteiligung möglichst vieler angewiesen. Insofern sehen wir in allen Organisationen, Initiativen und Verbänden wichtige Partner bei der Erreichung gemeinsamer gesellschaftlicher Ziele.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Niemand, der Mitglied einer Regierung oder eines Parlaments irgendwo in der Welt ist, kann Bürgerinnen und Bürgern verordnen, sich persönlich in ihrer Gesellschaft zu engagieren und an der Verwirklichung ihrer Ziele mitzuarbeiten. Die Gesellschaften, die dies versucht haben, sind kläglich gescheitert.

Wir können aber durch die Gestaltung von Rahmenbedingungen, durch politisches Handeln dafür sorgen, dass sich mehr Bürger entschließen, im Rahmen bürgerschaftlichen Engagements an der Verwirklichung unserer gesellschaftlichen Ziele mitzuwirken.

Was wir hierfür tun können und wie wir dies tun können, sollten wir in Zukunft diskutieren. In jedem Falle geht die Weiterentwicklung dieses Handlungs- und Motivationsrahmens weit über die finanzielle Absicherung ehrenamtlicher Betätigung hinaus. Ich meine auch, dieser Aspekt wird in der Diskussion überschätzt. Es geht vielmehr um neue Formen der Teilnahme von Bürgerinnen und Bürgern auch an politischen Entscheidungsprozessen, und zwar ganz wesentlich auch in den Kommunen. Das heißt, es geht im Kern um die Stärkung der Zivilgesellschaft. Ich setze in diesem Haus voraus, dass wir alle das so wollen. Es geht um das zukünftige Verhältnis von staatlicher und privat organisierter Solidarität. In diesem Zusammenhang hat die Frage nach der Rolle des Staates eine zentrale Bedeutung. Ich nenne nur das Stichwort des aktivierenden Staates.

Der Bundestag hat im Jahre 1998 eine Enquetekommission eingesetzt, die Vorschläge für die Förderung von Ehrenamt und Bürgerengagement in unserem Lande erarbeiten soll. Meine Fraktion wird nach Vorliegen des Berichts der Enquetekommission Vorschläge in die parlamentarischen Beratungen einbringen, die diese Ergebnisse und Empfehlungen im Rahmen eines Handlungskonzeptes für die Entwicklung und Förderung bürgerschaftlichen Engagements in SchleswigHolstein aufnehmen. Wir wollen in SchleswigHolstein eine leistungsfähige Infrastruktur zur Stärkung und zur Ermutigung bürgerschaftlichen Engagements schaffen.

Einige der Elemente dieser Infrastruktur will ich an dieser Stelle nennen.

Da ist erstens die selbstverständliche und kontinuierliche Kooperation mit den Wohlfahrtsverbänden und Kirchen, in denen schon heute eine unermessliche Arbeit an ehrenamtlicher Betätigung, aber auch an Aktivierung von Bürgern zum gesellschaftlichem Engagement geleistet wird.

(Peter Eichstädt)

Da sind zweitens die Förderung, Beratung und Unterstützung von Initiativen und Selbsthilfegruppen, die Unterstützung ehrenamtlicher Tätigkeiten in der Verbands- und kulturellen Jugendarbeit sowie die Förderung des Freiwilligen Ökologischen und Sozialen Jahres.

Drittens. Natürlich wollen wir die unschätzbare freiwillige Arbeit in den Feuerwehren, den Sportvereinen, den gemeinwesenorientierten Projekten und in den Kriminalpräventiven Räten weiter unterstützen.

Sie haben dem Bericht entnommen, was in diesem Bereich bereits getan wird. Ich will hier nur beispielhaft anführen, dass bereits in der Vergangenheit die lokale Infrastruktur von Kontakt- und Informationsstellen sowie ein landesweites Informationsnetz für engagierte Menschen aufgebaut worden sind, die weiter ausgebaut werden sollen. Zurzeit ist durch die Landesregierung gemeinsam mit den großen Dachverbänden der Aufbau einer Internetplattform in Vorbereitung, die als zentrales Angebot Informationen über bestehende Vereine und Initiativen sowie eine landesweite Mitmachbörse enthalten soll.

Die Antwort auf die Große Anfrage der CDU zum Ehrenamt zeigt das große Engagement der Menschen in unserem Land in vielfältiger Weise. Die Antwort zeigt aber auch, dass es erforderlich ist, den Begriff des Ehrenamtes in seiner klassischen Ausprägung zu erweitern und dabei Konzepte für die Unterstützung eines breit angelegten bürgerschaftlichen Engagements im Sinne eines eigenständigen politischen Handlungsfeldes zwischen Wirtschaft und Staat zu betrachten.

Wir stehen in der Ehrenamtlichkeit in Deutschland und in Schleswig-Holstein mitten in einem Paradigmenwechsel, der für uns alle große Chancen beinhaltet. Auch von dem Erfolg, den wir dabei haben, Bürger bei der Beteiligung an gesellschaftlichen Prozessen zu unterstützen, wird es abhängen, wie stabil und wie wehrhaft unsere freiheitliche, demokratische, humane Gesellschaft in der Zukunft sein wird.

(Beifall bei SPD, FDP, SSW und vereinzelt bei der CDU)

Nun erteile ich dem Herrn Abgeordneten Hildebrand das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Lieber Kollege Eichstädt, die Perspektive, die man hat, ist natürlich vom Standort abhängig. Das mögen Sie uns und sicherlich auch Frau Kollegin Tengler zubilligen. Insofern kommen wir, was die Antwort auf die Große

Anfrage der CDU angeht, möglicherweise doch zu unterschiedlichen Beurteilungen.

Das Fazit der Antwort auf die Große Anfrage zum Ehrenamt ist schnell gezogen: Die Landesregierung misst - wie sollte es auch anders sein? - dem freiwilligen Ehrenamt herausragende Bedeutung bei. Wenn man allerdings hinter die Kulissen der immer wieder benutzten Superlative schaut, stellt man fest, dass die Landesregierung kaum wirksame Maßnahmen zur Förderung des Ehrenamts ergriffen hat beziehungsweise ergreift.

Dies ist umso erstaunlicher, als Sie in Ihren Erklärungen und Sonntagsreden immer flammend an die Menschen appellieren, sich für das Ehrenamt zu engagieren. So ist auch das Vorwort in der Großen Anfrage ausgestaltet. Daher sind für uns die Rahmenbedingungen für ehrenamtliche Tätigkeit das Wichtigste. Hieran können wir den Stand und die bereits geleistete beziehungsweise nicht geleistete Arbeit der Landesregierung ablesen.

Im Bereich der Jugend-, Sozial- und Sportarbeit gibt es in Schleswig-Holstein eine Vielzahl von Verbänden, die sich in besonderer Weise auf ehrenamtliches Engagement stützen. Nähere Angaben liegen der Landesregierung aber leider nur über die Verbände vor, die Haushaltsmittel des Landes erhalten.

Ich bin der Ansicht, dass Konzepte, die man zur Förderung des Ehrenamts erarbeitet, nur dann sinnvoll sind, wenn zuvor ein genauer Überblick über die Struktur und Arbeit dieser Verbände hergestellt wurde. Dies scheint allerdings nicht oder nur ungenügend geschehen zu sein. Wenn dann nach der Konzeption der Landesregierung zur Stärkung des Ehrenamts gefragt wird, kann man angesichts des oben erwähnten Iststands auch nichts Vernünftiges erwarten. So fällt denn auch die Antwort aus.

Zunächst wird betont, dass im Jugendförderungsgesetz die Verpflichtung fortgeschrieben ist, das ehrenamtliche Engagement von Jugendlichen in Verbänden besonders anzuerkennen und zu fördern. Sie informieren über die Existenz der Demokratiekampagne mit den Leitideen Mitbestimmung und Mitverantwortung, der Aktion „Kinderfreundliches Schleswig-Holstein“, des Projekts „Mitbestimmung“ sowie „Nutze dein Recht“.

Wie diese Verpflichtung und die Projekte organisatorisch umgesetzt werden, bleibt aber offen. Auch zum Thema „Ich mach’ mich stark für Schleswig-Holstein“ werden nur Zielmarken, jedoch keine konkreten Umsetzungsprojekte genannt.

(Beifall bei der SPD)

(Günther Hildebrand)

Auf des Pudels Kern stoßen wir dann ab Seite 22 der Antwort. Dort wird feierlich verkündet, dass durch das Jahressteuergesetz 1999 der steuerfreie Betrag von Einnahmen aufgrund nebenberuflicher Tätigkeiten, die meist der Ausfüllung eines Ehrenamtes dienen, von 2.400 DM auf 3.600 DM erhöht wurde. Außerdem soll das Ehrenamt durch die Änderung des Betreuungsänderungsgesetzes des Bundes und die damit verbundene Aufstockung der jährlichen Aufwandspauschale von 375 DM auf nun 600 DM attraktiver gemacht werden.

Sie verkennen also nicht - und das zu Recht -, dass heutzutage für Ehrenamtler in Schlüsselpositionen, wie es beispielsweise Übungsleiter sind, eine finanzielle Absicherung erforderlich ist.

Die Änderung des Bundesbetreuungsgesetzes aber als eigenen Erfolg zu verkaufen, ist schon bemerkenswert. Wir haben bereits in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass die Einigung zum Steuerfreibetrag ein fauler Kompromiss war. Der Betrag reicht nicht aus; das wissen auch Sie. Bei dieser Regelung gibt es gravierende Probleme, die wir Ihnen schon oftmals genannt haben, leider bisher ohne Erfolg.

Da ist zunächst der extrem hohe Verwaltungsaufwand zu nennen. Die vielen An-, Ab- und Ummeldungen sind durch einen ehrenamtlichen Sportvereinsvorstand nicht mehr zu leisten. Dies gilt für den Aufwand wie auch für den erforderlichen steuerlichen und versicherungstechnischen Sachverstand.

Darüber hinaus werden die ehrenamtlich Tätigen, die ein normales Beschäftigungsverhältnis ausüben, am meisten bestraft; denn sie benötigen für den 300 DM pro Monat überschreitenden Betrag eine zweite Lohnsteuerkarte mit Lohnsteuerklasse VI.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, ich bin sehr für Dialog. Aber an dieser Stelle ist doch ein bisschen mehr Zuhören gefordert.

Oder aber der Verein muss neben dem zehnprozentigen pauschalen Krankenkassenbeitrag, dem zwölfprozentigen Rentenversicherungsbeitrag zusätzlich noch 22 % pauschale Lohnsteuer aus seinem Beitragsaufkommen abführen. Das macht, wenn noch die Beiträge zur Berufsgenossenschaft hinzugerechnet werden, eine Belastung von circa 50 % auf die Beträge aus, die die Ehrenamtler für ihr Engagement erhalten.

Ich finde es auch völlig unangebracht, wenn davon gesprochen wird, dass man nicht für jeden Handstreich die Hand aufhalten könne. Das tun ehrenamtlich Tätige mit Sicherheit nicht!

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Frauke Tengler [CDU])

Wir wollen eine Aufstockung des Steuerfreibetrages, die sich an dem Betrag für geringfügig Beschäftigte orientiert. Hätte man diese Anpassung bereits vorgenommen, dann stünden dem Ehrenamtler heute 630 DM pro Monat als steuerfreie Pauschale zur Verfügung. Das ist ein Betrag, den wir für angemessen halten, der aber mit Sicherheit nicht ausreichen würde, wenn für jeden Handstreich die Hand aufgehalten würde.

Geradezu zynisch ist Ihre Antwort auf die Frage, welche Erkenntnisse die Landesregierung über die Auswirkungen des neuen 630-DM-Gesetzes auf Verbandsstrukturen - besonders im Bereich Sport - hat. Hier schreiben Sie, das ehrenamtliche Engagement von Übungsleitern sei in Einzelfällen gerade bei Übungsleitern und Vereinsvorständen zurückgegangen. Darüber hinaus lägen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor, aus denen sich konkrete Auswirkungen des 630-DM-Gesetzes auf Verbandsstrukturen ableiten lassen. Die Landesregierung sei sich der Problematik, die die Neuregelung für das Ehrenamt mit sich bringt, aber bewusst.

Das ist sie sich meines Erachtens eben nicht! Ich möchte Ihnen daher noch einmal - wie schon im März - einen Fall aus der Praxis vorstellen: Mein Sportverein in der Gemeinde Ellerbek hat ungefähr 2.000 Mitglieder. Für die in diesem Verein ehrenamtlich tätigen Mitarbeiter muss der Verein 5.000 DM an Sozialversicherung abführen. Dazu kommt die pauschale Lohnsteuer. Da die Abwicklung dieser Zahlung nicht von den Ehrenamtlern selbst geleistet werden kann - das sagte ich eben bereits -, muss ein Steuerberater beauftragt werden, der den Verein zusätzlich mehrere Tausend DM im Jahr kostet. Das bedeutet, dass pro Mitglied circa 5 bis 10 DM zusätzliche Kosten entstehen. Hochgerechnet auf 900.000 Mitgliedern in Sportvereinen in Schleswig-Holstein ergibt sich so ein Betrag von mindestens 5 Millionen DM pro Jahr. Das ist eine Summe, die den Sportvereinen in vielen anderen Bereichen fehlt. Man könnte mit diesem Geld wesentlich mehr erreichen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Wären Sie diesem Beispiel in der Konsequenz gefolgt, hätten Sie auch feststellen können, welche Auswirkungen die jetzige 630-DM-Regelung auf die Sportver

(Günther Hildebrand)