Protokoll der Sitzung vom 28.09.2001

(Beifall bei der SPD)

Das Wort für die Fraktion der CDU erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Tengler.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Nabel hat mich gebeten, nicht so böse zu sein. Das bin ich eigentlich nie.

(Zurufe von der SPD: Oh, oh!)

Sehr geehrter Herr Dr. Garg, es tut mir außerordentlich Leid. Aber die CDU-Fraktion sieht sich außerstande, Ihrem Antrag zuzustimmen. Ich denke, inzwischen haben Sie dafür auch Verständnis.

(Zuruf: Nein!)

Ich werde mich aber bemühen, unsere Ablehnung für Sie nachvollziehbar zu begründen. Die am Modellversuch beteiligten Länder und Städte hat der Kollege Nabel bereits genannt. Das muss ich jetzt nicht mehr tun. Dennoch - das hat er auch begründet - hätte Schleswig-Holstein dabei sein wollen, hätte es sich darum bemühen können und aus Ihrer Sicht sogar müssen. Aber da wir dieses massive Problem nicht haben, wie von Herrn Nabel dargestellt, haben wir es nicht getan.

Die CDU Schleswig-Holstein hat in ihrem Programm 21 beschlossen: „Die CDU befürwortet eine ärztlich kontrollierte Abgabe von Heroin an verelendende Schwerstabhängige, die keiner Therapie mehr zugänglich sind.“ Auch heute noch wollen wir diesen Schwerstabhängigen aus humanitären Gründen helfen, weil sie keiner Therapie mehr zugänglich sind, die das Ziel Heilung, sprich Abstinenz, hat. Sie haben einen etwas anderen Ansatz.

Das belegt auch der Zwischenbericht des Schweizer Modellversuchs zur kontrollierten Heroinfreigabe, der eindeutig sagt: Die Verabreichung eines Suchtstoffes verankert Süchtige noch mehr in der Sucht. - Ich denke, das können wir nicht wollen.

Deshalb wird von uns auch die Aussage der Drogenbeauftragten der Bundesregierung bezweifelt, die glaubt, über staatliche Heroinabgabe Abhängige aus der Sucht führen zu können.

Aus unserer Sicht muss das Ziel verantwortlichen Handelns in der Drogenpolitik sein, die Abhängigen

(Frauke Tengler)

von ihrer Sucht zu befreien. Der Staat darf aus unserer Sicht nicht zum Dealer werden.

(Beifall bei der CDU)

Wie bereits gesagt: Die Ausnahme von dieser Regel stellen die nicht mehr therapierbaren Schwerstabhängigen dar. Hinzu kommt unsere Sorge, dass das Heroinprojekt zulasten der etablierten Drogenhilfe geht. Die für das Gesamtprojekt ermittelten Kosten sind bundesweit dreimal so hoch wie der Betrag, der derzeit für Prävention ausgegeben wird.

Wenn es dann allerdings der Einstieg unter Umgehung des BtMG, dessen Änderung nicht gelungen ist - auch das ist hier angesprochen worden -, sein soll, Schwerstabhängigen ein etwas würdigeres Leben zu ermöglichen, ihnen zu helfen, hat die Intention, Herr Dr. Garg, zumindest meine Sympathie.

Was wir fordern, meine Damen und Herren, sind verbindliche Mindeststandards und die Ausweitung für die psychosoziale Betreuung Methadon-Behandelter sowie Erfolgs- und Nichterfolgskontrollen.

Wir hatten laut Kleiner Anfrage von 1998 in Schleswig-Holstein 597 Personen, die mit Methadon substituiert wurden. 2001 handelt es sich bereits um 1.200 substituierte Heroinabhängige in Schleswig-Holstein.

(Konrad Nabel [SPD]: Sie müssen die Ver- änderung der Rahmenbedingungen sehen!)

Das ist ein Anstieg um 100 %; Tendenz steigend. Daraus ergeben sich Probleme - ich denke, die Ministerin stimmt mir zu -, die im Interesse der Abhängigen dringend gelöst werden müssen.

In Schleswig-Holstein werden circa 30 % aller Substituierten nach den Richtlinien des MTK-Vertrages, also nach sozialer Indikation, behandelt. Der Methadonvertrag Schleswig-Holstein schreibt zwingend eine psychosoziale Betreuung vor.

70 % aller Substituierten werden seit zwei Jahren nach der NUB-Richtlinie nach SGB V - medizinische Indikation - behandelt. Da diese Richtlinie keine psychosoziale Betreuung vorschreibt, findet sie auch nicht statt. Die psychosoziale Betreuung während der Methadon-Substitution ist aber nach wissenschaftlichen Erkenntnissen der entscheidende Faktor für einen Erfolg der Maßnahme.

70 % aller Methadon-Substituierten ohne psychosoziale Betreuung und immer mehr Ärzte, die sich aus der Behandlung zurückziehen - das ist die Problematik, die es in Schleswig-Holstein zu lösen gibt.

Herr Dr. Garg, wir sollten dieses Thema, wenn Sie mögen, gemeinsam anpacken. Wie gesagt: Ihrem heu

tigen Antrag können wir nicht zustimmen. Im Ausschuss sollten wir darüber reden.

Dem Antrag des SSW, im vorauseilenden Gehorsam, stimmen wir zu. Auch wir wüssten gern, was die Ministerin erarbeitet hat.

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Angelika Birk.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer Beschaffungskriminalität bekämpfen will, muss den Heroinhandel unterlaufen. Der FDP-Antrag unterstützt die Strategie, Heroinabhängige wenigstens aus der zusätzlichen Abhängigkeit von kriminellen Dealern zu lösen und ihnen ihren Suchtstoff unter ärztlicher Aufsicht legal anzubieten mit dem Ziel, Schritt für Schritt einen Ausstieg aus der Sucht einzuleiten. Im Gegensatz zu Frau Tengler denke ich, es ist nicht ausgemacht, ob es nicht doch gelingt, einige Abhängige - vielleicht nicht alle, aber eine größere Anzahl als bei bisherigen Therapieformen - auf den Weg des Ausstiegs zu bringen.

Dem bundesweiten und in mehreren Ländern beginnenden Modellversuch, um auszuprobieren, wie sich ein solcher Weg realisieren lässt, wünschen wir deshalb viel Erfolg. Ich freue mich, dass im ganzen Haus große Aufmerksamkeit und Zuspruch für diesen Modellversuch erkennbar wird.

Wer immer in unserem Nachbarland Hamburg regiert, ist gut beraten, diesen von Fachleuten der Polizei, Medizin und Sozialarbeit maßgeblich mit entwickelten und empfohlenen Weg in Hamburg - gerade in Hamburg - zu beschreiten. Er ist übrigens seit Jahren in verschiedenen Bundesländern federführend gerade auch von Gesundheitspolitikerinnen und -politikern der Grünen vorbereitet und erstritten worden. Wir freuen uns, dass wir in Schleswig-Holstein in diesen Fragen mit der Gesundheitsministerin keinen Dissens haben.

Diese Art der Drogenbekämpfung verspricht mehr Sicherheit als viele populistische Plakate des Hamburger Wahlkampfes. Warum schließt sich SchleswigHolstein hier also nicht an? Die Drogenszene in unserem Land ist zwar nicht so groß wie in Hamburg und auch nicht so konzentriert, aber da Modellversuche immer in verschiedenen Milieus ausprobiert werden sollen, spräche auch einiges für Schleswig-Holstein, insbesondere weil die Gesundheitsministerin mit dem

(Angelika Birk)

Methadon-Programm vor Jahren auch zu den Ersten gehörte, die eine Abkehr von der Kriminalisierung Süchtiger unterstützte.

Zu bedenken ist allerdings: Die Anmeldefrist ist verstrichen und es würden sicherlich auch eine Reihe von Landesmitteln in einen solchen Modellversuch hineinzugeben sein. Wir haben - gerade aus der Szene derjenigen, die sich um Süchtige kümmern - immer wieder die Hinweise, dass es dringend ist, Aussteigewilligen mehr Therapieplätze und Ausgestiegenen mehr Berufswiedereinstiegschancen zu verschaffen. Auch steht die Frage, wie gut das Methadon-Projekt begleitet wird, im Raum. Insofern müssen wir fragen, wie in einem solch kleinen Bundesland wie SchleswigHolstein in den nächsten zwei Jahren die Ressourcen einzusetzen sind.

Wenn wir uns auch angesichts der von mir dargestellten Probleme und der Probleme, die Herr Garg eingesteht, nicht direkt beteiligen, denke ich, dass es richtig ist, dass wir diesem Modellversuch durch Befassung im Ausschuss unsere Aufmerksamkeit schenken. Damit signalisieren wir Unterstützung.

Immer noch befindet sich dieses Thema in einer Tabuzone. Insofern begrüßen wir, dass der SSW gleich den nächsten Schritt tut. Auch diesen Antrag unterstützen wir.

Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass wir uns vor einigen Monaten entschlossen haben, eine gemeinsame Anhörung zum gesamten Komplex der illegalen Drogen durchzuführen. Wir haben uns im Sozialausschuss inzwischen entschlossen, dieses Thema gleich Anfang des Jahres - nach den Haushaltsberatungen - zu behandeln. Inzwischen denke ich, dass wir die Anzuhörenden auch nominieren können. Da wir zum Teil Kapazitäten hören wollen, sollten wir dies bald tun. Das Thema ist also nicht in Vergessenheit geraten. Es ist auf gutem Wege. Aus Sicht des Landtages sind wir in der Zeit. Wir sollten uns dennoch nicht in allzu großen Aktionismus stürzen. Ich unterstütze die Überweisung des FDP-Antrages. Wir sehen dann zu, dass wir im nächsten Jahr zu Handlungen kommen, die aus unserer großen Anhörung resultieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für den SSW erteile ich Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Heroinvergabe verspricht in der Theorie unter anderem, das Leiden der Betroffenen und ihrer Angehörigen zu mindern, den Ausstiegswillen der Abhängigen zu fördern, Neueinsteiger abzuschrecken, der Verbreitung von ansteckenden Krankheiten wie Aids vorzubeugen, den Drogenmarkt auszutrocknen, Beschaffungskriminalität zu verhindern, Kräfte der Polizei frei zu machen und die Geldquellen von Terroristen zu blockieren.

Die praktischen Erfahrungen mit der kontrollierten Vergabe von Heroin sind aber spärlich. Gesicherte Erkenntnisse sind wohlfeil. Es gibt in Großbritannien eine lange Praxis der Heroinverschreibung durch Ärzte. Die ist aber schlecht dokumentiert. Es gibt in Schweden und Australien kaum dokumentierte Erfahrungen mit Opiatvergaben, die zudem noch viele Jahrzehnte zurückliegen.

Es gab in Großbritannien Experimente mit kontrollierter Heroinvergabe. Diese sind aber veraltet und können wegen zu kleiner Teilnehmerzahlen nicht verallgemeinert werden. Die Erfahrungen der Versuche sind nicht durchweg positiv, was aber nicht an der Heroinvergabe an sich lag.

Gegenwärtig gibt es in den Niederlanden einen laufenden Versuch. Am besten dokumentiert ist das in der Schweiz im Rahmen des in den 90er-Jahren durchgeführten Projekts zur Verschreibung von Betäubungsmitteln. Dieses Projekt lief so gut, dass man es permanent beibehalten hat. Damit konnte man die Probanden gesundheitlich, sozial, wohnungsbezogen und arbeitsmäßig stärken und die Kriminalität senken. Kurz gesagt: Die Versuchsteilnehmer leben nicht alle enthaltsam, aber viele leben ein geregeltes Leben und der Staat spart Geld. Die heroingestützte Behandlung ist heute fester Bestandteil der schweizerischen Drogenpolitik. Sie ersetzt weder andere Therapien, die direkt auf Abstinenz ausgerichtet sind, noch die MethadonAbgabe, sondern sie ergänzt diese um eine weitere drogenpolitische Alternative.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Entscheidend ist letztlich, was man als Erfolg ansieht. Wenn man auch Ziele unterhalb der totalen Enthaltsamkeit akzeptiert, dann verspricht die kontrollierte Heroinvergabe enorme Fortschritte. Deshalb will man das Experiment auch in Deutschland wagen. Man macht es erst einmal im Rahmen eines Modellversuchs, denn der Erfolg solcher Maßnahmen hängt entscheidend von den Modalitäten der Abgabe und von dem Umfeld ab. Ähnliche Drogenpolitiken können in

(Lars Harms)

unterschiedlichen Ländern sehr unterschiedliche Wirkungen zeigen. Deshalb will man die Methode in Deutschland auch erst einmal im Rahmen eines wissenschaftlich kontrollierten Modellversuchs testen. Ganz abgesehen davon kann so auch behutsam um die Akzeptanz in der Bevölkerung geworben werden.

Gerade weil vieles von den genauen Abgabemodalitäten, dem Teilnehmerkreis und anderen Faktoren abhängt und gerade weil eine Menge zusätzlicher Programme für die psychosoziale Begleitung, die Begleitforschung und vieles mehr organisiert werden müssen, dauert die Vorbereitung eines Modellversuchs Jahre. Auch die Finanzierung ist nicht leicht.

Das Heroinprojekt ist viel kleiner als ursprünglich geplant, weil das Ganze sehr teuer geworden ist. Deshalb ist es vollkommen utopisch zu glauben, dass wir da noch schnell mitmachen können.

Punkt eins des Antrags der FDP ist somit unrealistisch. Andererseits macht es wenig Sinn, dass die Bundesrepublik einen aufwendigen Modellversuch durchführt und wir gleichzeitig mal schnell etwas Ähnliches ausprobieren. Es wäre auch nicht zu bezahlen und würde gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen. Somit ist auch der zweite Teil des Antrags der FDP nicht nur unrealistisch, sondern unmöglich. Herr Kollege Garg hat dies aber erkannt und ich finde es gut, wie er die Rede hier gehalten hat.