Protokoll der Sitzung vom 19.10.2001

Nun sind wir aber mehr als 50 Jahre weiter. Ich denke, wir könnten uns jetzt selbstbewusst einen Blick vorwärts leisten, der die Frage klärt: Ist diese Form, ist die Einschränkung, was die gesellschaftlich relevanten staatsbürgerlichen Weiterbildungsinstitutionen angeht, noch zeitgemäß? Wird nicht, wenn wir uns auf die Kirchen, die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände sowie die parteinahen Stiftungen beschränken, das ganze weite Feld, der ganze Reichtum politischer Bildung, die ganze Art, wie sich diese Bildung organisiert, ausgeschlossen?

Das klassische Seminar am Wochenende, der klassische Bildungsurlaub sind zwar in den 80er-Jahren dank dieser neuen Träger, die ich gerade genannt habe, zu neuer Blüte aufgelaufen, aber sie sind jetzt in einer Krise. Wir brauchen neuere, modernere Formen, um sowohl jüngere Leute anzusprechen als auch Seniorinnen und Senioren aktuell am Tagesgeschehen zu halten und ihnen die Möglichkeit zu geben zu begreifen, was passiert. Wir brauchen es jetzt auch für die immer überlasteten Berufstätigen, die sich in Zeiten knapper Arbeitsplätze erst recht dreimal überlegen, sich einen Bildungsurlaub zu leisten.

Vor diesen Herausforderungen steht die Landeszentrale für Politische Bildung und vor diesen Herausforderungrn steht auch das Parlament, wenn wir darüber nachdenken, welche angemessene Form die Landeszentrale braucht. Für meine Fraktion kann ich sagen: Es darf kein „closed shop“ werden. Es muss möglich sein, dass andere Träger der politischen Bildung in das Wirken der Landeszentrale mit eingebunden werden, dass sie die Chance haben, öffentliche Mittel zu erhalten, und dass der Wettstreit, in welcher Form politische Bildung erfolgt, offen ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Hierfür eine Konzeption zu finden, ist eine gute Aufgabe und wir sollten das nächste halbe Jahr hierfür gemeinsam nutzen. Ich bin gespannt auf das Ergebnis.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Krise der politischen Bildung ist schon lange ein Thema, aber leider nur in interessierten Kreisen und wissenschaftlichen Zirkeln. Diese Krise kann man nur

verstehen, wenn man sich die Geschichte der politischen Bildung ansieht. Die Ausgangsposition war, dass man mit pädagogischen Mitteln nach 1945 das politische Ziel erreichen wollte, die Entnazifizierung, die Demilitarisierung und die Demokratisierung in den Köpfen und Herzen der Deutschen zu verankern.

Die Einrichtung von Landeszentralen für politische Bildung in allen Bundesländern hat in dieser Geschichte ihren Ursprung. Aber heute können wir doch allen Unkenrufe zum Trotz und trotz aller Probleme, die es gibt, zu Recht mit den Worten von Hermann Giesecke aus „Politik und Zeitgeschichte“, August 1997, sagen:

„Die ursprüngliche Ausgangssituation, dass nämlich die politische Bildung erst die demokratische Verfasstheit mit konstituieren musste, anstatt sich auf sie berufen zu können, hat sich inzwischen normalisiert.“

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit anderen Worten: In einer aufgeklärten und demokratischen Gesellschaft braucht man die politische Bildung nicht von oben zu verordnen, sondern da wird Demokratie von unten gelebt. Das heißt, wir könnten eigentlich so verfahren, wie andere westliche Demokratien auch, wo man den Begriff politische Bildung ganz anders handhabt.

Dies ist auch der Grund dafür, dass sich der SSW aus seinem nordischen Demokratieverständnis heraus nie so richtig für eine von oben gelenkte politische Bildung hat erwärmen können, auch wenn es aus gesellschaftspolitischer Sicht treffliche Gründe dafür gab. Für uns ist politische Bildung keine staatliche, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Kähler [SPD])

In diesem Kontext stellt sich natürlich auch die Frage der Zukunft der Landeszentrale für Politische Bildung. Brauchen wir so eine Institution noch und - wenn ja - in welchem Umfang? Welche Aufgaben soll diese Institution in Zukunft übernehmen?

Schon 1998 wurde im Landtag und im Kuratorium der Landeszentrale über die zukünftige Arbeit der Landeszentrale debattiert. Wir sprachen uns damals für den Erhalt der Landeszentrale aus, denn es ging darum, ob wir sie erhalten wollen und wie sie finanziell ausgestattet werden sollte. Wir sagten damals auch: Wollen wir die Landeszentrale, dann muss sie auch so ausgestattet werden, dass sie funktionieren kann. Aber auch wir haben immer wieder ein neues Konzept ange

(Anke Spoorendonk)

mahnt, das der veränderten Ausgangslage angepasst wird.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein solches Konzept liegt jetzt von der Arbeitsgruppe Reform der Landeszentrale für Politische Bildung vor. Es wurde dem Kuratorium am Mittwoch vorgestellt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben jetzt bis Mitte nächsten Jahres Zeit, dieses Konzept zu diskutieren.

(Jürgen Weber [SPD]: So ist es!)

In diesem Zusammenhang begrüßen wir den Antrag der CDU, nicht weil wir inhaltlich einer Meinung sind, sondern weil er uns Gelegenheit gibt, diesen Prozess auch im Landtag und im Bildungsausschuss zu begleiten. Das finde ich okay.

(Vereinzelter Beifall)

Für den SSW ist die Zielrichtung allerdings klar: Die Landeszentrale für Politische Bildung muss sich zum Dienstleister weiterentwickeln, das heißt, die unterstützenden Funktionen einer künftigen Landeszentrale müssen in den Vordergrund gestellt werden.

(Beifall der Abgeordneten Lothar Hay [SPD] und Jürgen Weber [SPD])

Sie muss in Kooperation mit den schon vielfältig vorhandenen Angeboten an politischer Bildung in unserer Weiterbildungslandschaft für eine bessere Koordinierung, für bessere Zusammenarbeit zum Beispiel bei Vermarktung und Internetauftritt der verschiedenen Akteure sorgen. Das wird auch von den meisten so gesehen.

Generell müssen wir uns alle die Frage stellen: Wie erreichen wir junge Leute - auch die Kollegin Birk sprach das an -, wie sprechen wir sie an, ohne mit dem erhobenen Zeigefinger auf ihre Verantwortung als Staatsbürger aufmerksam zu machen? Auch hier brauchen wir unbedingt neue Konzepte.

Allerdings sind dies Fragen, die wir insgesamt mit den handelnden Akteuren in Schule, Jugendhilfe und mit den Trägern der politischen Bildung diskutieren sollten. Hier könnte die Landeszentrale eine moderierende Rolle spielen. Das wird künftig eine wichtige Rolle für die Landeszentrale sein.

Die Frage, in welcher Rechtsform die Änderung der Landeszentrale durchgeführt werden sollte, ob nun in einer GmbH oder nicht, ist für den SSW erst einmal zweitrangig. Wichtig ist, dass wir uns gemeinsam auf ein zukunftweisendes Konzept einigen.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die Landesregierung erteile ich jetzt der Kultusministerin, deren Part heute von Frau Ministerin Moser übernommen wird.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Haus ist sich einig, wir sind uns einig: Politische Bildung ist für eine funktionsfähige Demokratie unverzichtbar.

(Beifall der Abgeordneten Sylvia Eisenberg [CDU] und Thorsten Geißler [CDU])

Das Erlernen von Demokratie bleibt unverändert notwendig; Themen und Aufgabenstellungen dagegen ändern sich. Ich weiß nicht, ob wir uns auch noch einig sind, wenn wir sagen: Organisationsformen können sich ändern. Politische Bildung ist nämlich heute keineswegs allein Angelegenheit des Staates oder einer staatlichen Stelle wie der Landeszentrale für Politische Bildung.

(Beifall bei der SPD)

Sie ist eine bürgerschaftliche Aufgabe. Ich bin doch immer wieder irritiert, dass es bei programmatischen Äußerungen von FDP und CDU häufig um Staatsferne geht, um Modernisierung und Effizienzsteigerung durch Rückzug des Staates, wenn man aber im wirklichen Leben auf diesem Weg zu einer Status quo-Änderung kommt, eine unglaubliche Staatsgläubigkeit ausbricht. Sie müssen mir einmal erklären, wie man das verstehen soll.

Die Landesregierung will dem bürgerschaftlichem Engagement auf diesem Gebiet auch institutionell Rechnung tragen. Die von der Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave eingesetzte Arbeitsgruppe hat hierzu vorgeschlagen, die Landeszentrale für Politische Bildung in eine gemeinnützige GmbH umzuwandeln, in der alle demokratischen Kräfte Verantwortung übernehmen und sich aktiv und dauerhaft beteiligen können.

Dies ist ein praktikabler Vorschlag, den wir mit den gesellschaftlichen Gruppen erörtern werden. Viele der im Antrag der CDU-Fraktion genannten Einzelpunkte folgen auch nach unserer Wahrnehmung dieser Grundlinie der beabsichtigten Reform, also der Entwicklung der Landeszentrale zu einer Serviceeinrichtung für alle Anbieter politischer Bildung in Schleswig-Holstein.

(Ministerin Heide Moser)

Allerdings stellt sich doch die Frage, ob die Einzelpunkte des CDU-Antrags alle hinreichend passend sind zu dieser Grundlinie, ob sie hinreichend durchdacht sind, insbesondere ob das Engagement der Volkshochschulen und der vielen anderen Anbieter durch die dort genannten Einzelpunkte wirklich unterstützt werden kann. Ich nenne beispielhaft nur zwei Punkte.

Erstens. Der Bericht der Arbeitsgruppe zur Reform der Landeszentrale für Politische Bildung macht deutlich, dass zwischen der Entwicklung der Inhalte, der Organisation und dem Marketing von Veranstaltungen sowie der praktischen Durchführung zu unterscheiden ist. Ob die wissenschaftliche Aufarbeitung politischer Problemstellungen - wie es bei der CDU heißt - wirklich Aufgabe der Landeszentrale sein muss, möchte ich bezweifeln. Hierfür haben wir die Hochschulen und die wissenschaftlichen Einrichtungen wie etwa das IZRG.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Unruhe)

Zweitens. Die Anbieter politischer Bildung werden zu Recht danach fragen, ob es wirklich eine Koordination von Angeboten in der im Antrag vorgestellten Weise geben darf. Politische Bildung lebt ja gerade von der Vielfalt und auch von der inhaltlichen Pluralität.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Ja, deshalb soll es jetzt einen zentralen Lenkungsausschuss geben!)

Insofern hat Frau Spoorendonk darauf hingewiesen, dass verordnete politische Bildung nach einem einheitlichen Maßstab nicht die Vorstellung des SSW trifft; sie trifft auch unsere nicht. An dieser Pluralität und Vielfalt darf nicht gerüttelt werden.

Das Kuratorium für politische Bildung hat sich vor zwei Tagen mit dem eben angesprochenen Bericht der Arbeitsgruppe zur Reform der Landeszentrale befasst. Wir werden die Reformvorschläge jetzt einer breiten Diskussion zuführen und um die Stellungnahmen der gesellschaftlichen Gruppen bitten. Damit - wenn Sie so wollen - wird die Reform selbst ein Stück politische Bildung. Wir wollen einen breiten Konsens darüber herstellen, wie die unbestritten auch künftig erforderliche öffentliche Verantwortung für politische Bildung organisiert werden soll.

Ich bin sicher, dass am Ende eines breiten Diskussionsprozesses nicht nur eine neues Verständnis der Rolle des Staates bei der politischen Erwachsenenbildung, sondern ebenso ein neu angefachtes breites Engagement für die politische Bildung stehen wird.

Meine Damen und Herren, in diesem Sinne ist der Diskussionsprozess eröffnet und wird im Ausschuss und weit darüber hinaus in diesem Lande stattfinden, und zwar mit Erfolg.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)