Wir fahren in der Beratung fort. Für die Fraktion der SPD erteile ich jetzt dem Abgeordneten Dr. Ulf von Hielmcrone das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht der Arbeitsgruppe zur Reform der Landeszentrale stellt fest: Politische Bildung ist nicht mehr allein eine staatliche Aufgabe. Dies scheint mir eine Untertreibung und auch nicht richtig zu sein. War sie denn je schwerpunktmäßig eine staatliche Aufgabe und sollte sie das überhaupt sein? Eines scheint mir sicher: Politische Bildung wird heute in allererster Linie von den Massenmedien geleistet: Fernsehen, Tageszeitungen, Wochenzeitschriften, aber auch Internet. Gerade jetzt, wo die Aufmerksamkeit der ganzen Welt in eine Region gerichtet ist, die in den letzten Jahren allenfalls dann Schlagzeilen machte, wenn es dort wieder einmal besonders abstrus und abstoßend zuging, ändern sich die Dinge. Heute haben die Taliban in Afghanistan ihr ganzes Land zur Operationsbasis für terroristische Angriffe gemacht und so wächst dann auch das Interesse vieler Menschen daran, zeitnah über die Geschehnisse in Afghanistan, aber auch über den Islam informiert zu werden.
Übrigens: Liegt dort nicht auch ein schweres Versäumnis der Vergangenheit, nämlich das, dass wir uns alle nicht rechtzeitig um den Islam gekümmert haben, wo doch so viele Muslime bei uns leben? Viele von uns wissen doch gar nichts über diese Religion und die Menschen, die sie ausüben. Auch das hat meiner Meinung nach zur Krise mit beigetragen. Vor 100 Jahren war es übrigens anders. Reisen zum Sitz der Hohen Pforte oder zum Heiligen Grab gehörten zum Bildungsprogramm.
Zurück zur heutigen politischen Bildung, nicht nur für die Reichen. Es kann nicht Aufgabe von Weiterbildungsinstitutionen sein, der Aktualität der Satellitenbilder hinterherzulaufen. Sie können zusätzliche Angebote machen, die dazu beitragen, diese Bilder zu verstehen und einzuordnen.
Die Träger der politischen Bildung müssen sich aber darüber im Klaren sein, dass sie unter keinen Umständen auch nur einen erheblichen Anteil derjenigen erreichen werden, deren Informationsquellen Fernseher, Tageszeitung und Net sind.
Es gibt auch weitere Träger der politischen Bildung, die in das jetzt vorgelegte Konzept nicht eingebunden sind und wohl auch kaum eingebunden werden können. Wenn sich allein in Schleswig-Holstein circa 70.000
Menschen in den demokratischen politischen Parteien engagieren, so sind dies viel mehr Menschen, als eine Landeszentrale je erreichen kann. Vergessen wir in diesem Zusammenhang auch nicht das segensreiche Werk der parteinahen Stiftungen zur politischen Bildung - aller Parteien übrigens.
Zurück zum Antrag. Ich möchte eines klarstellen, weil es in einigen Gesprächen dazu bereits Missdeutungen gegeben hat. Die Notwendigkeit, die öffentlich verantwortete politische Bildung neu zu strukturieren, resultiert aus den neuen Anforderungen an die politische Bildung, aus der Konkurrenzsituation zu anderen Formen der Bildung, so wie ich sie eben angerissen habe, und sie ergibt sich natürlich auch aus der Notwendigkeit, mit möglichst ökonomischem Einsatz öffentlicher Mittel eine hohe Effizienz zu erreichen. Dabei einzig und alleine, wie Sie es getan haben, Frau Eisenberg, auf die öffentlichen Finanzen abzustellen, ist zu kurz gesprungen.
Weitermachen wie bisher können wir eben nicht, wenn wir diese Aufgabe verantwortungsvoll übernehmen wollen.
Die Arbeitsgruppe favorisiert aufgrund dieser Überlegungen das Modell einer GmbH als einer gemeinnützigen Gesellschaft. Die zum Netzwerk für die politische Bildung gehörenden Institutionen und Organisationen werden am Stammkapital beteiligt. Schutzklauseln sollen eine freundliche, aber auch eine unfreundliche Übernahme verhindern. Die Verantwortung des Landes wäre so zu sichern, dass die Landesregierung die Mehrheit der Anteile hält. Die Landeszentrale hätte demnach in Zukunft die Aufgabe einer Agentur zur Beratung, Unterstützung und Förderung der Aktivitäten von politischen Meinungsträgern. Sie würde eigene Veranstaltungen im Sinne von Pilotprojekten und Modellvorhaben durchführen. Auch die in der Vergangenheit immer wieder gestellte Frage der Reisetätigkeiten wäre beantwortet und das fände ich auch gut so.
Wie Sie wissen, hatten wir vorgestern im Kuratorium Gelegenheit, uns zu diesen Papieren auszutauschen. Wahrscheinlich wird es eine sehr aufschlussreiche und heftige Diskussion im Bildungsausschuss geben. Auch das ist gut so. Wir werden häufig Gelegenheit haben, uns mit diesem Papier der Arbeitsgruppe und mit dem Konzept des Ministeriums, das auf dieser Grundlage erstellt werden wird, auseinander zu setzen.
Den Antrag der CDU halte ich - jedenfalls in diesem Augenblick noch - für nicht unbedingt notwendig, eher für überflüssig, aber er ist auch unschädlich. Der Antrag sollte deswegen in den Ausschüssen behandelt werden. Wir werden ihn mit den übrigen Papieren erörtern.
(Beifall der Abgeordneten Ursula Kähler [SPD] - Klaus Schlie [CDU]: Eine klare po- litische Aussage!)
Wie am Ende die angestrebte Neukonstruktion aussehen wird, das wird auch von unseren Beratungen abhängen.
Um aber das zu Beginn Gesagte aufzugreifen: Es ist vernünftig und notwendig, die politische Bildung der verschiedenen Träger zu bündeln, nicht um sie zu kontrollieren oder zu bestimmen, sondern um Synergieeffekte zu erreichen. Denn das muss jeder von ihnen machen. Letzten Endes hilft es allen Trägern und führt zu einem vernünftigen Mitteleinsatz. Diesen Weg von vornherein abzulehnen, obwohl man ihn nicht ausgelotet hat, obwohl man nicht wissen kann, wie die Konstruktion später im Einzelnen aussehen wird, ist nicht sachbezogen, sondern unklug.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Antrag der CDU-Fraktion können wir in einem Punkt zustimmen. Dies betrifft die Unabhängigkeit, die auch für die zukünftige Struktur und Positionierung der Landeszentrale für Politische Bildung eingefordert wird. Ansonsten meine ich aber, Frau Eisenberg, dass der Unionsantrag doch zu sehr in die gleiche Richtung geht, die die Landesregierung schon seit langem verfolgt, nämlich die Landeszentrale zu einer reinen Serviceagentur - so lautet ja immer die Überschrift - zu machen und ihr das Recht, aber auch die Möglichkeit für eigene Aktivitäten zu nehmen.
- Doch, das ist eindeutig der Schwerpunkt, auch in Ihrem Papier. Wenn Sie sich die Punkte, die Sie nennen, vor Augen führen, so wird dies ganz deutlich.
Gerade die jüngste Entwicklung hat gezeigt, dass das Instrumentarium der Landeszentrale unverzichtbar ist, um schnell reagieren zu können. Der Bund hat Mittel für ein Veranstaltungskonzept „Fundamentalismus Terrorismus“ bereitgestellt. Die schleswig-holstei
nische Landeszentrale ist die erste Einrichtung dieser Art in der ganzen Bundesrepublik, die dieses Angebot aus Berlin aufgegriffen hat und nun eine Veranstaltungsreihe mit zehn landesweit angebotenen politischen Informationsveranstaltungen zu diesem aktuellen Thema anbietet.
Ich denke, das ist ein sehr gutes Beispiel auch für die Leistungsfähigkeit unserer Landeszentrale, obwohl sie in den letzten Jahren sehr stark heruntergefahren wurde.
Noch sehr viel kritischer sehen wir die Überlegungen, die in dem Bericht der Arbeitsgruppe auftauchen, die die Regierung oder - besser gesagt - das Kultusministerium eingesetzt hat. Da wird der Gedanke geäußert, dass die Landeszentrale künftig eine gemeinnützige GmbH sein soll, an der sich Gesellschafter wie die Volkshochschulen, die Kirchen, die Gewerkschaften, die Arbeitgeberverbände und andere beteiligen können. Das sind alles sehr hoch ehrenwerte und auch wichtige Beteiligte im Bereich der Bildung - auch im Bereich der politischen Bildung, aber natürlich nicht nur in diesem Sektor -, aber es sind - jedenfalls zu einem Teil, wenn wir etwa an die Volkshochschulen denken - auch Zuschussempfänger. Wenn die in einer Einrichtung mit im Boot sitzen, die dafür zuständig ist, Mittel zu vergeben - die verstärkte Umsteuerung in Richtung auf die Projektförderung wird im Bericht des Kultusministeriums ja ebenfalls angesprochen -, kommt es naturgemäß zu Interessenkonflikten.
Nachdem das vorgestern in einer Presseerklärung des Kultusministeriums abgestritten wurde, verweise ich heute auf das, was in dem Bericht, den uns das Ministerium vorgelegt hat, zu lesen ist. Dort ist davon die Rede, dass das sich gegenseitig blockierende Eigeninteresse der Gesellschafter bei einer solchen Konstruktion der Arbeitsfähigkeit entgegenstehen könnte.
Ich frage mich: Wenn die „Desinformationsabteilung“ des Kultusministerium etwas abstreitet, was in den eigenen Papieren des Kultusministeriums dokumentiert ist, wie weit sind wir dann? Wir müssen uns also über die Ausgangsbasis bei einer solchen Diskussion klar werden und dürfen nicht die Fakten, die uns das Ministerium in seinen eigenen Unterlagen vorlegt, in öffentlichen Erklärungen vonseiten der Presseabteilung in Abrede stellen wollen. Diesen Stil können wir auch als Parlament nicht akzeptieren.
Für uns ist es wichtig, den Aspekt der parlamentarischen Kontrolle für eine Landeseinrichtung weiter zu gewährleisten. Das ist in der bisherigen Form mit einer unabhängigen Landeszentrale besser gewährleistet
als mit der neuen Struktur, bei der eine sehr unübersichtliche und vom Land abgekoppelte Trägerkonstruktion gewählt werden soll. Diesen Aspekt halten wir für sehr wichtig und darauf sollte man durchaus noch einmal zurückkommen. Die Landeszentrale hat im Bereich der Ostseearbeit Aufgaben der Durchführung von Aktivitäten der politischen Bildung weit in die Ostseeregion hinein übernommen. Sie ist seit zwei Jahrzehnten dabei, den Pädagogenaustausch zwischen Deutschland und Polen zu organisieren, durchzuführen und zu betreuen. Das ist eine Aktivität, die gerade für die Schulen in unserem Land ungeheuer wichtig ist.
Außerdem werden seit neun Jahren litauische Bürgermeister in Fortbildungsveranstaltungen in SchleswigHolstein im Hinblick auf das Kommunalrecht und die kommunalen Verwaltungsstrukturen fortgebildet.
Wenn es also darum geht, die Ostseezusammenarbeit zu fördern, Kontakte herzustellen und gemeinsame Aktivitäten zu organisieren, dann hat gerade die Landeszentrale in diesem Bereich in all den letzten Jahren eine ganz wichtige Funktion gehabt. Dies sollte sie auch in Zukunft weiter tun können. Man darf sie deshalb nicht auf die Aufgaben einer reinen Serviceeinrichtung beschränken.
Ein letzter Hinweis. Aus einer Übersicht, die uns die Bundeszentrale für Politische Bildung zugesandt hat, geht hervor, dass Schleswig-Holstein für seine Landeszentrale gerade einmal 8 Pfennig pro Einwohner aufwendet; das ist der niedrigste Satz aller Bundesländer. Bayern liegt bei 53 Pfennig. Wir müssen uns fragen, was uns die politische Bildung in SchleswigHolstein wert ist. Wir brauchen für die politische Bildung auch eine aktionsfähige Landeszentrale.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Neukonzeption und Rechtsform der Landeszentrale für Politische Bildung in diesem Lande muss die ganze Vielfalt, die wir hier inzwischen haben, widerspiegeln. Das ist für uns die Leitlinie. Welche Rechtsform dafür die richtige ist, darüber lässt sich sicherlich trefflich streiten. Auch wir werden natürlich das vorgeschlagene Modell der gemeinnützigen GmbH in alle Richtungen prüfen.
Ich möchte, bevor wir uns mit dieser Frage vielleicht voreilig einengen, noch einen Blick auf das werfen, was wir an Vielfalt haben; denn auch über die Frage, was politische Bildung eigentlich ist, werden wir uns auseinander setzen müssen.
Ich möchte ganz bewusst einige Beispiele nennen, die nicht im üblichen Mainstream dessen liegen, was vielleicht darunter verstanden wird.
Wenn Kinder darüber bestimmen, wie ein Schulhof gestaltet wird und wie sie mit dem Verkehr umgehen oder wie sie Konflikte untereinander regeln, dann ist das die erste Lehrstunde politischer Bildung, die sie in der Schule erhalten können. Ich glaube, dieses Land Schleswig-Holstein hat schon vor der gemeinsamen Regierung von Rot-Grün, aber erst recht danach sehr viel dazu beigetragen, dass vielfältigste Beiträge und auch eine vielfältige Förderung aus diversen Ministerien den Prozess voranbringen.
Das ist politische Bildung. Wenn Naturschutzverbände Touristen davor warnen, zur Brutzeit durch Dünen zu wandern, und den Zusammenhang zwischen Ökosystem, internationalem Schiffsverkehr und dem eigenen möglichen Verhalten als Tourist darstellen und dafür sensibel machen, wie wir nachhaltig leben können, dann ist das ein Stück alltagspraktischer Bildung im Urlaub, die eine ganze Menge an Verhaltensänderung zeigen kann.
Wenn es möglich ist, dass inzwischen auch Polizisten ihre Meinung in Blick auf schlagende Ehemänner deutlich verändern und wenn internationale Kongresse stattfinden, in denen Frauen sich darüber austauschen, welches denn das beste Konzept ist, um gegen Gewalt der Männer gegenüber Frauen und Kindern vorzugehen, und wenn sie Strategien absprechen und damit als NGOs die Regierungspolitik europäischer Staaten beeinflussen, dann ist das politische Bildung und es ist gleichzeitig die Reform von Sozialarbeit und Sozialpolitik.
Diese Formen der politischen Bildung hat es nach 1945 in Deutschland nicht gegeben. Deshalb gab es den vergleichsweise einmaligen Akt, dass damals die Alliierten gesagt haben, es muss eine staatlich organisierte politische Bildung geben. Es darf nicht nur die Parteien geben, sondern es muss auch eine staatliche Institution geben, die darauf achtet, dass die parteinahen Bildungsstiftungen und dass andere große gesellschaftlichen Gruppen öffentliche Mittel erhalten. Das war nach der Nazi-Diktatur ein sehr heilsamer Schritt; für dieses Stück Friedenspolitik sollten wir den Alliierten sehr dankbar sein.
Nun sind wir aber mehr als 50 Jahre weiter. Ich denke, wir könnten uns jetzt selbstbewusst einen Blick vorwärts leisten, der die Frage klärt: Ist diese Form, ist die Einschränkung, was die gesellschaftlich relevanten staatsbürgerlichen Weiterbildungsinstitutionen angeht, noch zeitgemäß? Wird nicht, wenn wir uns auf die Kirchen, die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände sowie die parteinahen Stiftungen beschränken, das ganze weite Feld, der ganze Reichtum politischer Bildung, die ganze Art, wie sich diese Bildung organisiert, ausgeschlossen?