Protokoll der Sitzung vom 07.06.2000

(Beifall bei F.D.P. und CDU - Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade, dass Sie immer das letzte Wort haben müssen! - Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das hat jetzt die Frau Ministerin!)

Ich erteile jetzt der Frau Justizministerin Lütkes das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kubicki, ich bin sehr froh, dass Sie noch einmal deutlich gemacht haben, dass Justiz ein langjähriges Thema in diesem Hause ist. Es hätte mich sehr enttäuscht und mich an meinem Job zweifeln lassen, wenn es anders wäre. Denn Justiz ist eine starke Säule der Demokratie. Wenn dieses Haus nicht viele Jahre lang hierüber diskutiert hätte, wäre ich doch sehr entsetzt. Ich glaube, dies ist eine Selbstverständlichkeit.

Sie wissen, dass ich aus der kommunalen Arbeit komme. In den vielen Jahren kommunaler Selbstverwaltungstätigkeit habe ich gelernt, dass urheberrechtliche Probleme in einem Parlament möglichst nicht diskutiert werden sollten. Es steht mir nicht an, als Regierungsmitglied Ratschläge zu erteilen. Für mich ziehe ich auch heute die Konsequenz, nicht zu Ihren Ausführungen Stellung zu nehmen, wie es dazu kommt, dass sich die Landesregierung intensiv mit dem Thema Strafvollzug, Ausübung des Strafvollzugs, aber natürlich auch mit dem materiellen Strafrecht zu beschäftigen hat.

Auf der Basis all Ihrer Debattenbeiträge, meine Damen und Herren, kann ich zusammenfassend festhalten, dass wir nicht jenseits, aber vielleicht trotz der Geschichte eine gemeinsame zukünftige Debatte führen können. So erlaube ich mir, Ihren Antrag zu verstehen und ihn nicht unter der Rubrik „hervorragende Öffentlichkeitsarbeit“ der Freien Demokratischen Partei zu verbuchen, die man natürlich auch kennt und von der wir in dieser Hinsicht eigentlich sehr viel lernen können.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Dann hätten wir es anders angefasst!)

Ich glaube und hoffe sehr, dass dieses Thema eben nicht in Presseveröffentlichungen zerredet wird.

Herr Kollege Geißler, Sie haben auf die letzten Veröffentlichungen hingewiesen. Wir haben seit meinem Amtsantritt versucht, sehr klar und deutlich mit der Situation in den Strafvollzugsanstalten umzugehen und die Debatte über die Situation in den Strafvollzugsanstalten immer mit der Diskussion um das materielle Strafrecht und mit der Diskussion um Haftvermeidungsstrategien und Veränderungen in den Sanktionsrechten zu verbinden. Wir haben aber auch deutlich gemacht, wie die Situation ist, und haben jeden Besuch in den Justizvollzugsanstalten mit einer Pressekonferenz verbunden, um unmittelbare Beziehung zur Öffentlichkeit herzustellen und auch keine Missverständnisse aufkommen zu lassen.

Die letzten Veröffentlichungen sind nicht in dieser Kette zu sehen. Sie weisen darauf hin, ich hätte von katastrophalen Zuständen gesprochen. Diesen Ausdruck habe ich in den letzten Wochen nicht benutzt. Ich bedauere sehr, dass die Presse Ihre gerade noch einmal vorgetragene Hochrechnung über die Notwendigkeit von Haftplätzen in Schleswig-Holstein, weil sie etwas kompliziert ist, offensichtlich missverstanden hat. Wir brauchen keine 1.200 Haftplätze in Schleswig-Holstein. Das ist eine theoretische Hochrechnung. Wir sollten uns beide einig sein, dass wir uns auf die reale Zahl beziehen,

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

die - ich sage ausdrücklich: dies ist keine verbindliche Zahl - bei zirka 160 liegt. Wenn wir also von dem, was in der Zeitung stand, eine Null abstreichen, kommen wir der Sache näher.

Ich gehe deshalb so ausführlich auf die letzte Presseveröffentlichung ein, weil sie zeigt, wie schmal der Grat in der Diskussion um den Zustand der Justizvollzugsanstalten und einen humanen Strafvollzug ist, den Sie zu Recht als gesetzliche Aufgabe der Landesregierung bezeichnet haben. Wir müssen alle, insbesondere natürlich die Landesregierung, aufpassen, dass die Akzeptanz des humanen Strafvollzuges in der Gesellschaft nicht dadurch kippt, dass wir in der Öffentlichkeit völlig unverantwortliche Darstellungen haben. Ich hoffe sehr, meine Damen und Herren, dass Sie künftig mit mir dahin gehend konform gehen und dass wir sehr klare Zahlen und Perspektiven formulieren.

Insofern bin ich für Ihren Antrag, Herr Kubicki, sehr dankbar. Seien Sie versichert: Das Ministerium arbeitet sehr intensiv, und zwar - das muss ich jetzt doch urheberrechtlich sagen - nicht aufgrund des Antrages, sondern aufgrund der auch schon vor meinem Amtsantritt sehr bekannten Situation.

Das kann ich mir jetzt nicht verkneifen. Sie wissen alle: Die Haftanstalten sind fast 100 Jahre alt. Ihren aktuellen baulichen Zustand der rot-grünen Koalition anzulasten, ist ein bisschen schwierig.

(Heinz Maurus [CDU]: Regierungszeit be- achten!)

Nichtdestotrotz sind wir uns einig: Der bauliche Zustand ist zu verändern. Es sind auch - theoretisch - alle Möglichkeiten zu prüfen, wie diese Situation geändert werden kann. Ich hätte mich sehr gefreut, wenn Sie alle am Anfang dieser Woche zur Schlüsselübergabe nach Schleswig gekommen wären.

(Zurufe von der CDU)

(Ministerin Anne Lütkes)

- Ich möchte das nicht als Vorwurf werten, sondern nur sagen: Ich hätte mich sehr gefreut, wenn Sie gekommen wären.

(Martin Kayenburg [CDU]: Wir hatten keine Einladung!)

Sie hätten dann besichtigen können - aber das können Sie ja noch nachholen -, wie moderner Strafvollzug auch architektonisch ein Blick in die Zukunft und auch ein Blick in die Freiheit sein kann.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich lade Sie ein: Nutzen Sie die Gelegenheit, die Jugendanstalt in Schleswig kurzfristig zu besichtigen.

Wenn ich das noch anmerken darf, Herr Präsident: Ich würde es begrüßen, wenn Sie es noch täten, ehe sie bezogen ist. Denn es hat immer einen schlechten Beigeschmack, wenn eine Justizvollzugsanstalt, in der Menschen in schwierigen Situationen leben, besichtigt wird und wenn sozusagen die Menschen besichtigt werden, die dort im humanen Strafvollzug über ihre sehr schwierige Lebenssituation nachdenken und Perspektiven entwickeln wollen. Es wäre also schön, wenn Sie es bald täten. Die Anstalt lohnt sich auch im leeren Zustand.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Zu einem Dreiminutenbeitrag hat der Kollege Thorsten Geißler das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, ich bedanke mich sehr herzlich für die Einladung nach Schleswig. Ich hätte mich noch mehr gefreut, wenn wir auch zur offiziellen Eröffnungsfeier eingeladen worden wären. Wir wären dieser Einladung gern gefolgt.

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

Frau Ministerin, natürlich lasten wir es Ihnen nicht an, dass es hier nach wie vor Einrichtungen gibt, die zu Kaisers Zeiten errichtet worden sind. Es wäre unrealistisch zu sagen, dass in der Zeit der rot-grünen Landesregierung alle diese Einrichtungen hätten erneuert werden können. Aber, meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen ein Beispiel.

Als es in Schleswig-Holstein zum Regierungswechsel kam, lagen Baupläne für eine hochmoderne Jugendanstalt vor, abgestimmt mit der Gemeinde, mit Schulungseinrichtungen, mit Werkstätten. Wir hätten in

Schleswig-Holstein längst einen hochmodernen Jugendvollzug haben können. Diese Pläne haben Sie damals in den Mülleimer geworfen.

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

Stattdessen haben Sie auf Dezentralisierung gesetzt und in Flensburg eine Einrichtung geschaffen, die zu keinem Zeitpunkt mit jugendlichen Strafgefangenen gefüllt war. Hier erfolgt mittlerweile wiederum die Mischung zwischen Jugendlichen- und Erwachsenenvollzug, die wir nicht haben wollen, die gesetzwidrig ist. Sie haben es in jahrelangen Bemühungen immerhin geschafft, für 73 jugendliche Gefangene eine, soweit ich dies beurteilen kann, vernünftige Einrichtung zu schaffen.

(Klaus-Peter Puls [SPD]: Trotz Ihres Wider- spruchs!)

Wir konnten uns die Anstalt in Schleswig bisher noch nicht ansehen, aber wir werden es nachholen. Allerdings, meine Damen und Herren, bleibt die Masse der jugendlichen Gefangenen weiterhin in Neumünster. Es wird ein neues Gebäude bezogen, aber aus den internen Analysen des Justizministeriums wissen wir ja auch, dass die neuen Hafträume nicht wesentlich besser sind als die alten. Das heißt: Für die Masse der jugendlichen Gefangenen gilt in Schleswig-Holstein weiterhin der Armutsvollzug. Das ist das Ergebnis mehrerer Jahre rot-grüner Justizpolitik in SchleswigHolstein, meine Damen und Herren. Das muss auch einmal festgestellt werden.

(Beifall bei der CDU - Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Grün hat das nichts zu tun!)

Wenn Sie von Versäumnissen der Vergangenheit sprechen: Wir hatten einmal eine Sozialtherapie in Schleswig-Holstein, eingerichtet von einer CDULandesregierung. Sie arbeitete vernünftig und hat gute Ergebnisse gerade im Bereich der Resozialisierung erbracht. Sie ist von der Vorgänger-Landesregierung abgeschafft worden. Gute Personalstrukturen sind aufgelöst worden. Jetzt wird sie aufgrund einer Verpflichtung des Bundesgesetzgebers mit viel Geld wieder errichtet werden müssen. Es macht natürlich keinen Sinn, eine funktionierende Einrichtung zu zerschlagen, und anschließend muss sie mit großem Aufwand wieder errichtet werden - und das in Zeiten knapper Kassen.

Wenn Sie sich anschauen, meine Damen und Herren, was der Landesrechnungshof gerade zum Jugendvollzug, zu Schleswig, vor einigen Jahren bemerkt hat, welche Millionenbeträge dort verschwendet worden

(Thorsten Geißler)

sind, dann kann ich nur sagen: Das ist keine stolze Bilanz.

(Holger Astrup [SPD]: Aber warum denn? Weil Sie das verzögert haben!)

Frau Ministerin, das ist Ihnen nicht anzulasten. Sie haben diese desolaten Verhältnisse übernommen. Aber ich sage es noch einmal, meine Damen und Herren: Wir werden natürlich sehr genau fragen: Was sagt der Bericht aus, welche konkreten Maßnahmen werden angekündigt und wie werden sie realisiert? Dann werden wir zum gegebenen Zeitpunkt Bilanz ziehen. Frau Ministerin, dann werden Sie dem Parlament darlegen müssen, was es an konkreten Verbesserungen gegeben hat. Daran werden wir Sie messen, nicht an dem, was vor Ihrer Zeit geschehen ist. Das ist desolat, aber Ihnen nicht anzulasten.

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer dem Berichtsantrag der Fraktion der F.D.P., Drucksache 15/120, zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag einstimmig angenommen worden.

Wir treten jetzt in die Mittagspause ein und sehen uns um 15 Uhr wieder.

(Unterbrechung: 13:22 Uhr bis 15:00 Uhr)

Meine Damen und Herren, wir wollen in der Abwicklung der Tagesordnung fortfahren. Ich denke, wir alle hatten eine angenehme Mittagspause.

Bevor wir mit dem Tagesordnungspunkt 10 fortfahren, begrüße ich auf der Besuchertribüne Besuch vom 4. Panzerflak-Lehrbataillon 610 aus Rendsburg; es sind 50 Soldaten. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich rufe jetzt Punkt 10 der Tagesordnung auf:

Förderung der Biotechnologie