Protokoll der Sitzung vom 24.01.2002

Denn die Antwort lautet eindeutig - Frau Ministerin, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das auch so deutlich gesagt haben -: Wir brauchen ein Haus der Geschichte.

(Beifall im ganzen Haus)

Für die historische Fachwelt in Schleswig-Holstein ist ein solcher zentraler Ort, an dem die Entwicklung von Staat und Gesellschaft im Land bis zur Gegenwart im historischen, im politischen, im kulturellen und im gesellschaftlichen Kontext dargestellt wird, ein mittlerweile jahrzehntelanges Desiderat, immer wieder formuliert, immer wieder postuliert.

Im Koalitionsvertrag zwischen Rot und Grün wird ebenfalls schriftlich festgehalten, dass es bei uns an einer zusammenhängenden Darstellung der politischen und sozialen Geschichte des Landes von den Anfängen bis heute mangelt. Es wird vereinbart, eine solche landesgeschichtliche Präsentation einzuleiten. Man legt sich sogar schon auf einen Standort fest: Eine Angliederung an die Landesmuseen auf Schloss Gottorf ist vorgesehen. Wo steht das Schloss Gottorf? - In Schleswig.

(Klaus Schlie [CDU]: Schöne Stadt! - Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Aber auch die CDU-Fraktion war nicht untätig: Unseren Antrag vom Februar letzten Jahres, die Landesregierung solle ein Konzept für ein Haus der Geschichte vorlegen, schlossen sich alle Fraktionen an, sodass es dann zu einem gemeinsamen Entschließungsantrag gekommen ist. Das hat uns und mich persönlich ganz besonders gefreut, weil es zeigt, dass dieses Anliegen der komplexen Darstellung unserer gemeinsamen Geschichte in diesem Land keine Parteienangelegenheit ist, sondern ein Thema, das uns alle angeht und uns alle berührt.

Allerdings frage ich mich, was passiert wäre, wenn wir diesen Antrag in der Februar-Tagung nicht gestellt hätten? - Wahrscheinlich nichts! Koalitionsvertrag hin, Koalitionsvertag her! In dieser Schublade schlummern ja noch mehr ehrgeizige Pläne. Aber egal!

Der Bericht liegt uns jetzt vor und wir freuen uns darüber. Mittlerweile haben sich Menschen an den bisher in Rede stehenden möglichen Standorten Kiel und

(Caroline Schwarz)

Schleswig zusammengetan und organisiert, Menschen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Bürgerschaft, Verwaltung und Selbstverwaltung. In Kiel ist es die Kulturoffensive für das Kieler Stadtmuseum im historischen Zentrum. Ich habe Herrn Dr. Jensen gesehen. Herr Dr. Jensen, schön dass Sie da sind. In Schleswig ist es der Förderkreis „Haus der Geschichte“, der hier zahlenmäßig hervorragend präsentiert ist. Toll, dass ihr da seid!

(Beifall bei CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es gibt also in der Frage, ob wir ein Haus der Geschichte brauchen, eine große Übereinstimmung zwischen Fachleuten, Politik und Gesellschaft, und zwar in dem vollen Bewusstsein, dass so etwas nicht zum Nulltarif zu bekommen ist. Woher kommt dieser auffallende Konsens? Zum einen ist es natürlich die emotionale Bindung an unser Land, die wir alle haben.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Beim SSW bin ich mir da nicht so sicher!)

- Ich mir bei Ihnen manchmal auch nicht, Herr Kubikki!

(Heiterkeit bei der CDU)

Sie wollen doch auch weg, oder?

Aber auch andere Gründe sind maßgebend: Die Menschen wissen oder fühlen, dass wir in einer fast grenzenlosen und unübersichtlich gewordenen Welt Orientierung brauchen. Die Menschen wissen oder fühlen, dass nur der, der die Vergangenheit kennt, die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten und bestehen kann, und dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft untrennbar zusammengehören. Die Menschen wissen oder aber fühlen, dass für die Gestaltung der Zukunft nicht nur die harten Faktoren Wirtschaftskraft, Arbeitsplätze und Technologien notwendig sind - sie sind natürlich außerordentlich notwendig; das haben wir in jeder Landtags- und Ausschusssitzung immer wieder präsent -, sondern dass die Kultur immer wichtiger wird zur Schaffung eines geistigen Klimas, das Identität schafft, Toleranz entwickelt, Visionen zulässt und Kommunikation fördert. Nicht zuletzt wird den Menschen immer bewusster, dass sich Kultur langsam, aber sicher und immer stetiger vom weichen zum immer härteren Standortfaktor entwickelt und neben Strand und Natur zum wichtigsten Pfund des Tourismus in unserem Lande zählt, Stichwort: Kulturwirtschaft. Der Begriff spielt auch im Museumsbericht, den wir in der vorletzten Sitzung behandelt haben, eine wichtige Rolle.

Wir brauchen also ein Haus der Geschichte, das

„in die gewachsene museale Angebotsstruktur des Landes integriert werden muss. Insbesondere sollte die Dezentralität des reichhaltigen musealen Angebots in Schleswig-Holstein bestätigt und unterstützt werden".

So heißt es in dem Papier der von der Kultusministerin eingesetzten Kommission, die ein Konzept für ein schleswig-holsteinisches Haus der Geschichte formuliert hat und der ich an dieser Stelle sehr herzlich danken möchte. Sie haben Herrn Professor Wolf schon gedankt. Ich möchte allen voran den Herren Professores Witt und Danker danken. Herr Professor Witt ist anwesend. Herzlichen Dank, Herr Professor Witt!

(Beifall im ganzen Haus)

Das schleswig-holsteinische Haus der Geschichte soll sich nach Auffassung der Kommission thematisch auf Schleswig-Holsteins Weg in der Moderne beschränken. Ich habe mich zuerst verlesen und gedacht, es hieße „Schleswig-Holsteins Weg in die Moderne“. Aber es heißt: Schleswig-Holsteins Weg in der Moderne. Dabei haben Sie sich sicherlich etwas gedacht.

Drei Themenfelder werden vorgeschlagen: Demokratisierung, wirtschaftliche Entwicklungen und Zusammenleben, ergänzt um landesgeschichtliche beziehungsweise nationale Eruptionen und schleswigholsteinische Spezifika. So soll nach Vorstellung der Kommission alles das, was Schleswig-Holstein in den letzten gut 150 Jahren ausmacht, von den Ständeversammlungen in Schleswig und Itzehoe über die Sängerfeste, Industrialisierung, Landwirtschaft, die Bedeutung von Sommerfrischen, über die friesische und plattdeutsche Sprache, das Leben der Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu den Olympischen Spielen und der Schneekatastrophe, zielgruppenorientiert, didaktisch aufbereitet und nach anerkannten musealen Grundsätzen in einem schleswig-holsteinischen Haus der Geschichte präsentiert werden. Dabei sollen die Vermittlungsmedien historische Ausstellung, aktive Interaktion und mediale Präsentation gleichrangig genutzt werden. Rein virtuellen Schau-, Erlebnis- und Forschungsmöglichkeiten wird eine klare Absage erteilt. Frau Birk, das war Ihr Vorschlag bei der ersten Lesung. Originale Exponate und Objekte zum Anfassen mit ihrem ganz eigenen Erlebniswert sind auch nach Auffassung der Kommission trotz aller modernen Kommunikationstechnologien nach wie vor notwendig, um Geschichte zu begreifen, gerade für die Jüngeren. In einem Gespräch mit den beiden Vordenkern der Kommission Danker und Witt wurde der Wunsch beziehungsweise die Erwartung geäußert, das Haus der Geschichte möge jedem schleswig-holsteinischen Schüler und jeder Schülerin mindestens einmal in der Schullaufbahn begegnen. Ich glaube, das ist ein

(Caroline Schwarz)

Wunsch, den wir alle angesichts der PISA-Studie unterstützen sollten und müssen.

(Beifall bei der CDU)

Großen Wert legt die Kommission auf die Eigenständigkeit eines schleswig-holsteinischen Hauses der Geschichte. Das neue Museum darf nicht als Abschnitt einer Stadtgeschichte nach dem Motto: „Wir erweitern unser Stadtmuseum", geplant werden. Das hat mit einem Haus der Geschichte nichts zu tun. Ein Haus der Geschichte kann keine Abteilung einer anderen Organisation sein, keine für Landesgeschichte reservierte Etage in einem Gesamtkomplex. Damit wendet sich die Kommission nicht gegen einen möglichen Standort Kiel, für den zum Beispiel auch die Landesbibliothek dort sitzt der Landesbibliotheksdirektor a.D., Rothert mit ihrem Fundus der landesgeschichtlichen Sammlung und ihrem Buch-, Musikalien- und Handschriftenbestand spricht. Die Kommission argumentiert damit aber gegen einen Standort in Kiel, Warleberger Hof/Alte Feuerwache. Wir sind zwar noch nicht bei der Diskussion über den zukünftigen Standort. Erst einmal muss von uns eine Grundsatzentscheidung für die Errichtung eines Schleswig-Holsteinischen Hauses der Geschichte erfolgen. Nichtsdestoweniger hat natürlich der Kampf der guten Argumente um den besten Standort im Land bereits heftig begonnen. Dass ich mich mit Kopf und Herz in jedem Fall für Schleswig entscheide, werden Sie sicherlich verstehen.

(Beifall bei CDU, SPD und SSW - Wolfgang Kubicki [FDP]: Wenn es denn hilft!)

- Herr Kubicki, ich bin mir sicher, dass Sie mich aus dem fernen Berlin dann unterstützen werden.

(Heiterkeit)

Das Haus der Geschichte gehört einfach nach Schleswig. Die Stadt Schleswig bietet ideale Voraussetzungen für ein schleswig-holsteinisches Haus der Geschichte. Schleswig ist über die Grenzen hinaus als Sitz der Kulturinstitute des Landes ein Begriff. In Schleswig wurde schleswig-holsteinische Geschichte geschrieben. Sie war übrigens, wie Kiel, auch Landeshauptstadt, Frau Erdsiek-Rave. Das lässt sich an unzähligen Beispielen festmachen, die aufzuzählen aber den heutigen Rahmen sprengen würde. Nur eines: Wo ist das Schleswig-Holstein-Lied gedichtet, komponiert und zum ersten Mal gesungen worden?

(Zurufe von der CDU: Schleswig!)

- In Schleswig, genau! Für den Standort Schleswig gibt es eine beeindruckende Anzahl an Mitstreitern, heute nachzulesen - Sie haben es gesagt, Frau Ministerin - in dieser wunderbaren Anzeige im „Flensburger Tageblatt“.

(Beifall der Abgeordneten Holger Astrup [SPD] und Peter Jensen-Nissen [CDU])

Da haben alle unterschrieben, von Lenz bis Hay. Das war wirklich eine große Tat.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Hay auch?)

Allerdings gebe ich zu: Manches Fraktionskollegenherz schlägt für Kiel und das kann ich verstehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es steht eine Zeit intensiver Beratungen und gründlicher Abwägungen vor uns. Die Kommission hat wertvolle Arbeit geleistet. Auf dieser Basis können und werden wir solide weiterarbeiten können. Aber wir sollten Gesichtspunkte, Vorschläge und Argumente aus der übrigen historischen Fachwelt nicht außer Acht lassen. Wir sollten zum Beispiel auch die Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, den Arbeitskreis für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, den Beirat für Geschichte, den Geschichtslehrerverband und viele andere mit einbeziehen.

Das übliche Prozedere, dem wir natürlich zustimmen, ist die Überweisung in den Bildungsausschuss. Ich möchte an dieser Stelle aber auch gern anregen, ein Landtagssymposium, sehr geehrter Herr Landtagspräsident, zu veranstalten, in dem intensiv und engagiert zu diesem Thema diskutiert werden kann. Ich bin der festen Überzeugung, dass das Interesse an einem Haus der schleswig-holsteinischen Geschichte in unserem Land groß ist und dass wir mit einem solchen Symposium wertvolle Erkenntnisse gewinnen können.

Es geht jetzt um eine rasche konkrete Umsetzung der theoretischen Vorgaben der Kommission. Es geht um die Standortfrage, um Finanzierungsfragen und die Einbettung in die vorhandene Museumsstruktur. Lassen Sie es uns alle gemeinsam zügig anpacken; denn darauf möchte ich hinweisen - das Zeitfenster bleibt nicht unendlich lange geöffnet!

(Beifall bei CDU, SPD und SSW)

Das Wort für die Fraktion der SPD erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Dr. Ulf von Hielmcrone.

Wenn Sie sich beruhigt haben, kann ich anfangen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kulturpolitiker können sich eigentlich nur freuen, denn wer hätte gedacht, dass Museen Schlagzeilen machen und ganzseitige Anzeigen provozieren würden. Kultur ist also doch ein Thema - das ist gut so.

(Dr. Ulf von Hielmcrone)

Der Idee eines neuen Museums für Zeitgeschichte mögen manche skeptisch gegenübergestanden haben. Die öffentliche Reaktion zeigt aber, dass hier offenbar eine Lücke empfunden wird, die bisher nicht geschlossen wurde. So ist also das ernsthafte Engagement der beiden Städte Schleswig und Kiel zu verstehen, die sich durch ein solches Haus der Geschichte eine Steigerung ihrer eigenen Attraktivität versprechen. Beide Städte werden von vielen Seiten unterstützt. Wie ich höre, will auch der Kreis Nordfriesland dieser Forderung beitreten.

(Zuruf von der CDU)

- Soweit ich weiß, hat der Kreistag das noch nicht beschlossen. Es wäre eine schöne Geste, wenn der Kreis Nordfriesland sich dann auch kontinuierlich finanziell beteiligen würde. Wer fordert, muss auch geben.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP], Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Lars Harms [SSW])

Selbstverständlich sind solche finanziellen Aspekte wesentlich. Sie werden auch in der Frage des Standorts eine Rolle spielen müssen, wenn wir ein solches Haus gründen werden. So weit sind wir heute noch nicht. Das sei der guten Ordnung halber gesagt. Wir diskutieren den Bericht. Weitere Beratungen und Beschlüsse müssen folgen. Dies sage ich im Gegensatz zur Presse, die wir heute lesen konnten.

Alle Parteien im Hause sind sich einig, dass ein Haus der Geschichte für unser Land wichtig ist. Es muss eigentlich eher verwundern, wenn wir dieses Haus bis heute noch nicht haben. Wie wenige andere Gebiete in Europa spiegelt Schleswig-Holstein europäische Geschichte geradezu archetypisch wider: Zerfall des dänischen Gesamtstaates, der das Ende Habsburgs und der Hohen Pforte - also des Sultanats - vorwegnimmt, Aufkommen des Nationalismus und die Revolution von 1848, die übrigens die einzige Revolution war, die damals in Deutschland erfolgreich war. Weiter sind das Eingreifen der Großmächte, die eine Revolution eben nicht dulden konnten, Annexion als preußische Provinz, Vereinigung mit dem deutschen Nationalstaat, Aufbau der Kaiserlichen Marine in Kiel, KaiserWilhelm-Kanal, Erster Weltkrieg, der Matrosenaufstand, 1920 Abstimmung und Teilung des Landes, Inflation, Arbeitslosigkeit, Machtergeifung und Terrorherrschaft der Nazis, Zweiter Weltkrieg, KZs, Zerstörung, Niederlage, Flüchtlingselend, Wiederaufbau, das neue Bundesland Schleswig-Holstein, Kalter Krieg, die 68er-Bewegung und vieles mehr zu nennen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wiedervereini- gung!)