Protokoll der Sitzung vom 24.01.2002

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wiedervereini- gung!)

- Natürlich auch die Wiedervereinigung. Vor allem aber sind das Verhältnis zu den Minderheiten nördlich und südlich der Grenze und der besondere Weg Schleswig-Holsteins in der Beziehung in den Ostseeseeraum hinein wesentliche Gesichtspunkte. Alles in allem spiegelt die schleswig-holsteinische Geschichte die Zerstörung alter europäischer Strukturen des 18. Jahrhunderts durch den Nationalstaat und hoffentlich die Errichtung neuer Strukturen für das 21. Jahrhundert in einem geeinten und befriedeten Europa wider.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Noch ist das nationalistische Denken nicht überwunden. Auch dazu könnte ein solches Haus der Geschichte beitragen. Der geschichtliche Weg SchleswigHolsteins mag kein europäischer Sonderweg sein, aber Schleswig-Holstein hat einen Vorteil gegenüber anderen Regionen: Wir haben diese Entwicklung in vieler Hinsicht, gerade was die Minderheiten anbelangt, vorweggenommen und Erfahrungen gesammelt, die auch anderen zugute kommen können. Wie schwierig dieser Weg ist, zeigt auch die jüngere Geschichte im Verhältnis zu Dänemark. Das Eis ist immer noch brüchig, auch wenn wir uns alle Mühe geben. Deshalb ist die schleswig-holsteinische Geschichte in der Tat eine - auch im europäischen Rahmen - wichtige Geschichte.

Ein Museum ist also wünschenswert und wichtig, ja geradezu eine Verpflichtung, übrigens auch all denen gegenüber, die Opfer dieser Zeit waren. Es ist eine Verpflichtung gegenüber denen, die von den Nazis umgebracht wurden, gegenüber den Kriegsgefangenen, den Ausgebombten, den Flüchtlingen, die nicht in die neue Heimat kommen oder sie mit errichten konnten. Es ist auch eine Verpflichtung gegenüber der jungen Generation, damit sie aus der Geschichte lernen kann und sich alte Fehler nicht wiederholen. An sie muss sich das Haus der Geschichte vor allem wenden. Auch die Darstellung und die Didaktik müssen modern und interaktiv sein, also den Ansprüchen der jungen Generation genügen.

Wenn wir uns denn einig sind, dass wir ein solches Museum haben wollen, sind Fragen zu klären. Vor allem gilt das für die Finanzen. Außerdem muss geklärt werden, welche Schwerpunkte dieses Museum setzen soll. Wie soll es mit anderen Museen vernetzt werden, etwa den KZ-Gedenkstätten, die ja bereits Erinnerungsarbeit leisten? Vor allen Dingen ist zu klären, wo es stehen soll. Soll es an andere Museen angeschlossen werden oder selbstständig sein? Diese Fragen können wir heute noch nicht beantworten. Sie bedürfen sorgfältiger Beratungen. Einige Parameter sind durch den Bericht der Landesregierung festgelegt

(Dr. Ulf von Hielmcrone)

worden. Er liegt Ihnen nun vor und wir danken allen, die an diesem Bericht mitgearbeitet haben.

Ich persönlich wünsche mir generell eine enge Zusammenarbeit des neuen Hauses der Geschichte mit den Wissenschaftlern, die auf diesem Gebiet arbeiten, und den bestehenden Häusern, die sich die Erinnerung an die vergangene Zeit zur Aufgabe gemacht haben. Diese wollen wir nicht durch ein neues großes Haus ersetzen. Gerade sie halten das Gedächtnis in der Region wach. Sie tun dies besser, als es ein großes Haus in einem der Zentren könnte. Ich nenne die KZGedenkstätte Ladelund, das Industriemuseum in Elmshorn und das Haus Peters in Tetenbüll. Sie stehen auf einer breiten personell ehrenamtlichen Basis. Ihnen dürfen wir nicht schaden. Im Gegenteil: Es muss ein Organisationsmodell gefunden werden, das ihnen bei ihrer Arbeit hilft.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das neue Haus muss unabhängig sein. Damit erhebt sich auch die Frage nach der Organisation. Sie sollte weitgehend vom Staat gelöst sein, denn es wird sich nicht vermeiden lassen, dass auch aktuelle Vorgänge oder Handeln noch lebender Personen betroffen sind. Hier bedarf es hoher Kompetenz der Museumsmacher und einer kritischen Distanz zu staatlicher Einflussnahme. Ein Modell könnte das einer Stiftung sein, die auch Sponsoren und kommunale Geldgeber vereint.

Letztlich bleibt die Frage des Standorts. Wichtig erscheinen mir die folgenden Kriterien: Finanzielle Unterstützung durch die Gebietskörperschaften und die Bürgerinnen und Bürger der Region, Erreichbarkeit, Integration bestehender Strukturen, die die dargestellte Geschichte illustrieren können oder deren Schauplätze waren, genügend Platz - auch für größere Exponate und schließlich die Frage: Wo können wir die meisten Besucher ansprechen?

Derzeit sind offenbar zwei Standorte im Rennen, nämlich Schleswig und Kiel. Für beide Standorte spricht viel. Damit ist dies eine schwierige und wohl abzuwägende Entscheidung, die noch nicht gefallen ist. Ich freue mich auf intensive Beratungen im Ausschuss, bei denen es auch um den Standort gehen wird. Das Rennen ist eröffnet, der Ausgang ist offen. - Ich entschuldige mich, wenn ich Sie gestört habe.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Für die Fraktion der FDP erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Kubicki sagte, ich soll jetzt alle wieder aufwecken, soweit das notwendig sein sollte.

(Beifall bei FDP und CDU)

Meine Damen und Herren! Weit über den Bildungsund Kulturbereich hinaus sind Museen wichtige Anziehungspunkte für unser Land. Die Zahl von jährlich über zweieinhalb Millionen Besuchern, auf die der im letzten Jahr im Landtag diskutierte Museumsbericht der Landesregierung verweist, zeigt eindrucksvoll, welche Bedeutung das Museumsangebot auch für den Tourismusstandort Schleswig-Holstein besitzt.

Schleswig-Holstein ist ein junges Land mit alter, sehr vielfältiger und teilweise recht komplizierter Geschichte. Was uns fehlt, ist ein modernes historisches Museum zur neueren Landesgeschichte. Für die ältere Zeit gibt es in Schleswig bereits ein exzellentes Landesmuseum. Kollege Baasch, Kollege Geißler, die Hansegeschichte hat in Lübeck ihren angestammten Platz.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Die betrüblicherweise inzwischen unfreie Hansestadt Lübeck ist sich in dieser Beziehung natürlich selbst genug.

Der heute zu beratende Bericht der Landesregierung und die darin enthaltenen Überlegungen einer vom Land eingesetzten Arbeitsgruppe konzentrieren sich mit Recht auf das 19. und 20. Jahrhundert. Dies entspricht der Auffassung, die ich für die FDP-Fraktion bereits in der Debatte vom 22. Februar - unserer ersten Landtagsdebatte über das Thema - vertreten habe. Die konzeptionellen Vorstellungen, die die Arbeitsgruppe nun im Detail entwickelt hat, sind meines Erachtens durchweg überzeugend.

Ich begrüße es, dass dabei auch meine Anregung vom Februar letzten Jahres aufgenommen worden ist, im Haus der Geschichte Raum für wechselnde Ausstellungen zu schaffen. Ich denke dabei insbesondere an Ausstellungen, die sich auf die Geschichte und die Kultur des Ostseeraumes beziehen. Es sollte unser gemeinsames Ziel sein, die historischen und kulturellen Verbindungen in diesem Teil Europas, die Verbindungen, die unser Land zu diesem Raum hat, noch stärker als bisher ins Bewusstsein zu rücken. Dem entspricht auch der Ansatz, Landesgeschichte nicht als inselhafte historische Heimatkunde, sondern in ihrer Einbettung in größere räumliche und historische Bezüge zu präsentieren.

(Dr. Ekkehard Klug)

Dafür gibt es schließlich in der Geschichte Schleswig-Holsteins mehr als genug Anknüpfungspunkte, von der Einbeziehung Schleswig-Holsteins in den alten dänischen Gesamtstaat. Insoweit würde ich im Vorlauf zu 1848 zeitlich etwas weiter vorgreifen wollen. Diese Anregung möchte ich zur Diskussion stellen. Dann über 1848, 1864 bis hin zum Revolutionsjahr 1918. Wenn ich kurz zu Herrn von Hielmcrone, der 1918 als Misserfolg angesprochen hat, sagen darf -

(Dr. Ulf von Hielmcrone [SPD]: 1848 war ein Erfolg!)

- Ja, 1918 haben Sie demnach als Misserfolg bezeichnet.

(Dr. Ulf von Hielmcrone [SPD]: Nein, habe ich nicht!)

- Na gut, dann eben nicht.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Er will den Kai- ser wiederhaben! - Unruhe)

- Lesen Sie weiter in Ihrer Zeitung, Kollege von Hielmcrone. Kein Problem, da sind wir uns auch einig.

Ich wollte nur darauf hinweisen, dass Friedrich Ebert 1918 nicht als Misserfolg bezeichnet hätte.

(Beifall)

Aber gut, wenn Herr von Hielmcrone das auch so sieht, bin ich einverstanden.

Schließlich müssen der Zweite Weltkrieg und die Nachkriegszeit angesprochen werden. Ich meine allerdings, dass die Stichwortliste, die im Anhang des Berichts der Landesregierung abgedruckt ist, speziell für die Zeit nach 1945 noch einmal überarbeitet und vielleicht erweitert werden sollte. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist aus der politischen Geschichte unseres Landes noch etwas mehr erwähnenswert als nur der Konflikt um das Kernkraftwerk Brokdorf, Jochen Steffen, Baldur Springmann und die Schülerund Studentenbewegung von 1968.

Ich will hier bewusst auf eine Vollständigkeit beanspruchende Ergänzung verzichten, möchte aber zumindest darauf hinweisen, dass Schleswig-Holstein als eines der Bundesländer an der innerdeutschen Grenze in besonderer Weise vom Ost-West-Konflikt und von dessen 1989/90 erreichter Beendigung betroffen gewesen ist. Ich denke daran, dass sich im Ostseeraum bildlich gesprochen waffenstarrende Festungen gegenübergestanden haben, dass die Bundeswehrpräsenz auch aufgrund der militärischen Konfrontation der Blöcke in unserer Region enorm gewesen ist. Ich erinnere mich gut an die Zeit, als man auf dem Rückweg mit der Bahn von Berlin in Büchen von den Damen

vom Roten Kreuz mit Kaffeebechern als zurückgekehrt in der freien Welt begrüßt wurde oder als man den Grenzpunkt Zarrentin/Gudow überschritten hat. Das sind Dinge, an die man vielleicht auch in einer musealen Präsentation der jüngsten Geschichte mit anknüpfen sollte.

(Beifall)

Wie gesagt, wir haben bisher nur eine Themensammlung; über die weitere Ausgestaltung werden sich viele kluge Köpfe weiter Gedanken machen.

Meines Erachtens sollte der Landtag - am besten nach weiterer Detailberatung im Bildungs- und Kulturausschuss - einen Grundsatzbeschluss über ein Haus der Geschichte fassen. Die Umsetzung wird dann im Zusammenhang mit der dazu dann noch einzusetzenden Kommission, von der Frau Erdsiek-Rave gesprochen hat, Aufgabe in der nächsten Zeit sein.

Es ist ja kein Geheimnis, dass neben der Finanzierungsfrage die Standortfrage, die mit der Finanzierung natürlich eng zusammenhängt, noch für viel Diskussionsstoff sorgt. Mit Kiel und Schleswig sind bekanntlich zwei Bewerber im Rennen. Prinzipiell sind beide als Standort für das Haus der Geschichte denkbar. Ich will hier, wie ich das auch schon vorher in der Presse deutlich gemacht habe, meine persönliche Präferenz für den Standort Kiel kurz begründen.

Zum einen hat in der neueren Landesgeschichte - es geht um das 19. und 20. Jahrhundert - die Musik in der Tat eher in Kiel gespielt als in Schleswig.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP] und Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das gilt für die politische Geschichte wie auch etwa für die Wirtschaftsgeschichte. Die Geschichte der Industrialisierung unseres Landes in einem Museum in Schleswig darzustellen und nicht in Kiel, wäre schon etwas künstlich museal - um es einmal so salopp zu formulieren. Das heißt, es gibt aus meiner Sicht durchaus sachliche Gesichtspunkte, die in diesem Zusammenhang für eine Präferenz zugunsten der Landeshauptstadt Kiel sprechen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Es sei hinzugefügt, dass die landesgeschichtliche Sammlung der schleswig-holsteinischen Landesbibliothek - eine Einrichtung, die in Kiel sitzt - über zahlreiche Exponate verfügt, auf die bei einem solchen Museum zurückzugreifen wäre. Eine Entscheidung gegen Kiel hieße, dass die landesgeschichtliche Sammlung der in Kiel ansässigen Landesbibliothek

(Dr. Ekkehard Klug)

aus Kiel abgezogen werden müsste, nachdem in den vergangenen Jahren die völkerkundliche Sammlung aus Kiel nach Schleswig abgezogen worden ist und die Sammlung der Stiftung Pommern aus nachvollziehbaren Gründen aus Kiel nach Greifswald transfersiert wurde.

(Holger Astrup [SPD]: Du musst auch sagen, warum!)

- Das habe ich gerade gesagt. Das wäre sozusagen der dritte Schlag und der dritte Punkt, wo ein totaler kulturpolitischer Rückzug des Landes aus der eigenen Landeshauptstadt nicht mehr zu übersehen wäre. Auch dies ist ein Gesichtspunkt, der jenseits aller regionaler Überlegungen den Teilnehmern der Diskussion zu denken geben sollte.

Gleichwohl ist die Entscheidung für einen Standort gewiss kein Selbstgänger. Es gibt komplizierte Fragen, die auch die Finanzierung betreffen. Ich möchte an die Beteiligten im Raum Kiel, vor allem in der Kieler Kommunalpolitik, ausdrücklich appellieren, sich nicht auf den Lorbeeren auszuruhen, sondern mit Nachdruck weiter für ihre Konzeption, die sie der Arbeitsgruppe präsentiert haben, einzutreten, für die Realisierung weiter zu werben und entsprechende Beiträge einzuwerben.