Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie alle sehr herzlich zur letzten Sitzung dieser Plenartagung. Ich eröffne die Sitzung. Bevor wir offiziell in die Tagesordnung eintreten, möchte ich gern Gäste begrüßen. Auf der Tribüne haben Mitglieder des Vereins Haus&Grund, Norderstedt, Platz genommen. - Herzlich willkommen!
Einige Abgeordnete können an dieser Sitzung nicht teilnehmen: Frau Abgeordnete Monika Heinold ist erkrankt. Ich wünsche ihr von dieser Stelle aus gute Genesung.
Das Wort zur Begründung wird nicht mehr gewünscht. Dann erteile ich zur Beantwortung der Großen Anfrage der Frau Ministerpräsidentin das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit dem 1. Januar hat Europa nun endlich seine einheitliche Währung. Im Vorfeld von vielen skeptisch beäugt gehen wir nach knapp vier Wochen schon wie selbstverständlich mit Euro und Cent um. Der Sog des Euro ist so groß, dass sich selbst in den Ländern, in denen bisher Abneigung geherrscht hat, in der Zwischenzeit eine Mehrheit herausstellt. Das neue Geld hat sich schnell durchgesetzt, und zwar so schnell, dass viele Menschen bereits in der ersten Januarwoche in Bedrängnis gerieten, wenn sie irgendwo, wie bei den Schließfächern und Fahrkartenautomaten der Deutschen Bahn, noch alte DM-Münzen brauchten. In der Zwischenzeit haben die Ersten in ihrem Portemonnaie neben dem deutschen Euro auch schon italienische, belgische oder spanische finden können.
Der Euro ist also ein Stück Gemeinschaft zum Anfassen. Er gibt Deutschen, Italienern, Belgiern oder Spaniern das Gefühl, neben ihrer Nationalität, ihrer Identität als Bürger einer Region auch Bürger Europas zu sein.
Auf dem Weg zu einem größeren und geeinten Europa ist das ein entscheidender Schritt. Von einer gemeinsamen Währung haben ihre Gründungsväter der Union wie Jean Monnet, Robert Schuman, Alcide de Gasperi oder Konrad Adenauer nur als ferne Zukunftsvision träumen können. Heute halten 300 Millionen Bürgerinnen und Bürger in Europa diesen Traum in Händen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 und dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme in Mittel- und Osteuropa hat die Erweiterung der EU faktisch begonnen. Mit der Osterweiterung wachsen die bisher in Ost und West getrennten Staaten zusammen. Gemeinsam mit den Beitrittsländern wollen wir diesen Prozess gestalten.
Entscheidend für das Gelingen ist es, gegenseitige Vorbehalte und Ängste abzubauen. Die Europäische Union hat dazu beitragen, indem sie für jede Nachbarregion spezielle politische Strategien entwickelt.
Schleswig-Holstein ist in diesen Strategien ein aktiver Partner. Unsere langjährigen Kooperationen rund um die Ostsee, ein Netz von Schleswig-Holstein-Büros und vielfältige Kontakte unterhalb der regierungsamtlichen Ebene sind für diesen Prozess sehr nützlich.
So arbeiten wir seit Jahren mit dem Oblast Kaliningrad zusammen. Im vergangenen Oktober hat der Chef der Staatskanzlei in Kaliningrad das sechste Schleswig-Holstein-Büro eröffnet. Ein Schwerpunkt der Zusammenarbeit liegt auf Sicherheitsfragen, etwa bei der Kooperation der schleswig-holsteinischen Landespolizei und der Milizhochschule Kaliningrad.
Außerdem unterstützen wir den Oblast als künftige Enklave innerhalb der EU bei der Entwicklung von Zukunftsperspektiven mit weiteren konkreten Projekten. Im März 2001 haben wir gemeinsam mit befreundeten Ostseeregionen dazu eine internationale Konferenz unter dem Titel „Die Nördliche Dimension und Kaliningrad - Beiträge der subregionalen Zusammenarbeit im Ostseeraum“ organisiert. Anfang Juni werde ich mit einer Delegation nach Kaliningrad reisen, um dort mit der Gebietsverwaltung neue Kooperationsprojekte zu vereinbaren.
Die Europäische Union ist als Staatenverbund ein Erfolgsmodell, das auf Frieden, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit sowie sozial und ökologisch flankierten Wohlstand ausgerichtet ist. Schon mehr als ein halbes Jahrhundert lebt diese Region Europa in Frieden. Zusammen mit Nordamerika und Japan gehört die Union zu den drei wohlhabendsten Regionen der Welt. Das wird durch die Erweiterung um die Staaten Mittel- und Osteuropas nicht geändert, sondern vielmehr
gestärkt. Es wäre unverantwortlich, hier Ängste zu schüren und die Vorbehalte der Bürgerinnen und Bürger für parteipolitische Interessen auszunutzen.
Schwierigkeiten müssen klar beim Namen genannt werden, Lösungsmöglichkeiten müssen genannt werden, um Vorbehalte abzubauen, aber wir werden feststellen, dass am Ende Chancen und Vorteile überwiegen.
Mit der Osterweiterung wird die politische und institutionelle Einheit Europas wiederhergestellt. Sie liegt im politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interesse der bisherigen Mitgliedstaaten, in besonderem Maße Deutschlands, und durch unsere exponierte Lage auch früher innerhalb der NATO und Verteidigungsdoktrin auch im Interesse unseres Landes Schleswig-Holstein.
Die Landesregierung nutzt diese Chancen für unser Land und treibt die Kooperation mit den Ostseeanrainerstaaten weiter voran. Spätestens das Konzept einer „Nördlichen Dimension der Europäischen Union“, das die finnische Ratspräsidentschaft 1999 vorgelegt hat, zeigt: Schleswig-Holstein ist auf dem richtigen Weg.
Im Zuge des Erweiterungsprozesses kommt der Nordosten stärker ins Blickfeld. Ostseekooperation bleibt deshalb die richtige strategische Perspektive für unser Land.
Sie ist längst mehr als der Versuch, SchleswigHolstein über die Deichgrenzen hinweg mit benachbarten Regionen zu vernetzen. Mit der Zusammenarbeit stärken wir den Ostseeraum insgesamt und die positiven Effekte schlagen auf uns positiv zurück. Gemeinsam mit den anderen Ländern rund um die Ostsee wollen wir die Region in Europa positionieren, einem Europa, das mehr und mehr vom Standortwettbewerb der Regionen geprägt wird. Auf sich allein gestellt ist Schleswig-Holstein zu klein, um in diesem Wettbewerb zu bestehen, aber zusammen mit unseren Partnern im Ostseeraum haben wir gute Perspektiven.
Meine Damen und Herren, die Osterweiterung der Europäischen Union hat für unser Land wie schon die Norderweiterung um Finnland und Schweden eine besondere regionale und wirtschaftliche, allerdings auch geopolitische und sehr freundschaftliche Kompo
nente. Von den allgemeinen Wohlstandsgewinnen für Deutschland werden auch wir profitieren. Schon jetzt ist Deutschland wichtigster Außenhandelspartner der mittel- und osteuropäischen Staaten. Jeder zehnte Euro im deutschen Außenhandel kommt von dort, fast doppelt so viel wie vor zehn Jahren.
Wir verfügen in Schleswig-Holstein über ein dichtes Netz von Anlauf- und Kontaktstellen in den zukünftigen Mitgliedstaaten, das die schleswig-holsteinische Wirtschaft bei ihrem Zugang zu den neuen Märkten unterstützt. Viele Unternehmen nutzen diese Vorteile schon heute.
Das politische Gelingen der Erweiterung hängt ganz wesentlich davon ab, dass die Bürgerinnen und Bürger sie akzeptieren, in den Mitgliedstaaten, bei uns und in den Beitrittsländern. Dazu gehört einmal ein intensiver Dialog, wie wir ihn in Schleswig-Holstein seit Jahren führen. Genauso wichtig ist aber auch, dass die Menschen sicher sein können: Auch eine erweiterte Union wird stabil und erfolgreich arbeiten.
Deshalb ist für die Landesregierung der zentrale Maßstab für den Zeitpunkt des Beitritts, dass die Kandidaten die festgelegten Kriterien erfüllen. Im Vordergrund stehen dabei: erstens institutionelle Stabilität, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, Wahrung der Menschenrechte, Achtung und Schutz von Minderheiten,
zweitens eine funktionsfähige Marktwirtschaft und die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck innerhalb der Union standzuhalten, und drittens die Fähigkeit, die aus einer EU-Mitgliedschaft erwachsenen Verpflichtungen zu übernehmen und sich die Ziele einer politischen, wirtschaftlichen und monetären Union zu Eigen zu machen.
Im Moment erfüllt leider trotz erheblicher Fortschritte kein Beitrittskandidat diese Voraussetzungen völlig. Allerdings liegen zehn von ihnen nach dem jüngst in Laeken von der Kommission vorgelegten Berichten sehr gut im Zeitplan, sodass der Beitritt bis 2004 erreichbar ist und auch erreicht werden sollte.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum die zweite Ebene neben dem eigentlichen Verhandlungsprozess so wichtig ist. Mit Beitrittspartnerschaften und nationalen Programmen für die Übernahme des Acquis Communautaire werden die Kandidatenländer an die Mitgliedschaft herangeführt. Dabei kommen Twinning-Projekten, das heißt dem Aufbau leistungsfähiger Verwaltungsstrukturen in den Beitrittsländern, eine herausragende Bedeutung zu. Schleswig-Holstein ist daran mit verschiedenen Projekten beteiligt: In Estland
sind Langzeitexperten an einem Projekt zur Stärkung der Agrarverwaltung und an einem Projekt zur Drogenprävention und -bekämpfung beteiligt. Die Projektleitung sowie die Langzeitexperten werden von Schleswig-Holstein gestellt. In Polen ist die Landesregierung mit einem Langzeitexperten an einem Projekt zur Stärkung der Fischereiverwaltung beteiligt. In ein slowenisches Projekt zum Aufbau des Finanzwesens wurden ebenfalls Langzeitexperten entsandt. Unterhalb der offiziellen EU-Politik arbeitet SchleswigHolstein auf vielfältige Weise mit den Partnern in Polen und den baltischen Staaten zusammen.
Wir leisten unseren Beitrag für ein solidarisches und demokratisches Europa. Dieses Europa ist mehr, und zwar viel mehr, als das Gerangel um Fördertöpfe oder der Weg durch den Verordnungsdschungel. Und, Herr Oppositionsführer, es ist natürlich auch mehr als der Besuch von 300 Jugendlichen aus der Ostseeregion. Wenn die jungen Leute uns drei Tage besuchen und mit uns arbeiten, ist das das I-Tüpfelchen oder Sahnetöpfchen.
Ich lade Sie übrigens gerne ein, dabei zu sein. Sie werden sehen, wie fix die jungen Leute Ideen und Vorschläge zu einem gemeinsamen Europa aufgreifen.
Ein vereintes und starkes Europa ist ein gemeinsamer Erfolg aller Mitgliedstaaten. In ihrer Antwort auf die Große Anfrage stellt die Landesregierung im Einzelnen dar, was sie, unterstützt vom Parlament, zu diesem Erfolg beiträgt. An diesem Erfolg sollten wir gemeinsam arbeiten - im Interesse Schleswig-Holsteins und seiner Bürgerinnen und Bürger, aber auch im Interesse der Bürgerinnen und Bürger in den Ländern, die sich zu Europa bekennen und beitreten wollen.
Ich danke der Frau Ministerpräsidentin für die Antwort auf die Große Anfrage. Diese steht jetzt zur Aussprache. Zunächst erteile ich Herrn Abgeordneten Lehnert das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schleswig-Holstein ist von den europapolitischen Entwicklungen und der anstehenden EU-Erweiterung nicht nur positiv betroffen. Aufgrund seiner geographischen Lage und seiner Strukturen sind auch negative Auswirkungen zu befürchten - Grund genug, sich hier im Landtag mit diesem Thema intensiv zu beschäftigen.
Die CDU-Landtagsfraktion will mit ihrer Großen Anfrage zum Thema „Schleswig-Holstein und Europa“ deutlich machen, dass die CDU als Partei der Wiedervereinigung Deutschlands auch die Wiedervereinigung Europas energisch vorantreiben will. Die Landesregierung schmort europapolitisch seit Jahren im eigenen Saft. So darf es auch nicht verwundern, wenn sich eine Reihe von Fragen aufdrängen, für die wir eigentlich Antworten der Regierung erwartet hätten: Wie sieht die Zukunft Europas aus? Welche Auswirkungen hat die EU-Erweiterung konkret auf Schleswig-Holstein? Welche Chancen und Risiken bringt sie für die Menschen in unserem Land? Welche eigenen Ziele bringen wir in diesen Prozess der europäischen Wiedervereinigung ein? Nehmen wir die Menschen mit ihren Sorgen und Befürchtungen wirklich mit auf diesem Weg?