Protokoll der Sitzung vom 25.01.2002

(Vereinzelter Beifall bei FDP und CDU)

Schlimmer noch: Diese Geisteshaltung ist eine denkbar schlechte Voraussetzung dafür, um auch in Schleswig-Holstein die Früchte der EU-Erweiterung ernten zu können. Deshalb muss ich zum Leidwesen der Menschen in Schleswig-Holstein feststellen, dass die Landesregierung unser Land vergleichsweise schlecht auf den Erweiterungsprozess vorbereitet hat.

(Beifall bei FDP und CDU - Widerspruch bei der SPD)

Die Beweise für diese Behauptung sind die gleichen Argumente wie bei den anderen Debatten über die Misserfolge von Rot-Grün.

(Widerspruch bei der SPD)

Ich zähle sie im Einzelnen auf: letzter Platz beim aktuellen Wirtschaftswachstum in Westdeutschland, unterdurchschnittliches Wachstum seit mehr als einem Jahrzehnt, niedrige und sinkende öffentliche Investitionen, überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit, Spitzenreiter bei der Pro-Kopf-Verschuldung und kein Konzept, um die Probleme zu lösen.

(Zurufe von der SPD)

Der erneute Hinweis auf gute Gründerzahlen befreit die Landesregierung nicht aus der Verantwortung. Denn damit reagiert die Landesregierung seit Jahren auf die Wirtschaftsdaten, aber die erfreulichen Gründerzahlen schlagen sich anscheinend nicht in der Wirtschaftskraft und damit der Wettbewerbsfähigkeit Schleswig-Holsteins nieder.

Was erwartet Schleswig-Holstein? Unser Land ist die Brücke zwischen Nord- und Westeuropa. Die geografische Bedeutung Schleswig-Holsteins könnte also steigen, weil der Handel zwischen den Ostseeanrainern und zwischen den Ostseeregionen sowie dem Rest der EU wachsen wird. Dazu muss es uns allerdings gelingen, die wachsenden Handelsströme durch und nach Schleswig-Holstein zu lenken. Die Vision von der Drehscheibe des Nordens kann nur Wirklichkeit werden, wenn wir dem Handel die Möglichkeit zum Strömen eröffnen. Wenn wir zum Engpass werden,

(Joachim Behm)

dann wird der Handel uns links und rechts liegen lassen.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Da liegen wir längst!)

Damit der Handel strömen kann, braucht er Verkehrswege. Gut ausgebaute Straßen, Schienen und Wasserverbindungen sind die Voraussetzungen dafür, Handelsströme und die damit verbundenen Vorteile nach Schleswig-Holstein zu ziehen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Und Flughäfen!)

Die Landesregierung ist in dieser Frage gespalten. Die SPD hat die Zeichen der Zeit zumindest erkannt, auch wenn es mit der Umsetzung hapert. Der Bau der A 20, der sechsspurige Ausbau der A 7, die feste Fehmarnbelt-Querung

(Gerhard Poppendiecker [SPD]: Du kommst nicht wieder nach Fehmarn! - Heiterkeit)

und die Leistungssteigerung der Eisenbahntransitstrekken, das sind die richtigen Antworten auf die sich abzeichnenden Entwicklungen. In dieser Frage stimme ich zumindest zu 50 % mit Herrn Poppendiecker überein.

(Heiterkeit - Wolfgang Fuß [SPD]: Behm baut eine halbe Brücke! - Weitere Zurufe)

Die Grünen bremsen, wo sie nur können. Sie stehen verschmitzt grinsend hinterm Knick, wenn es beim Ausbau der schleswig-holsteinischen Infrastruktur nicht vorangeht.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Denen wird das Grinsen auch noch vergehen!)

Insgesamt ist die Bremswirkung der Grünen leider größer als der Vorwärtsdrang der Sozialdemokraten.

(Beifall bei FDP und CDU)

Viele sinnvolle Projekte werden angekündigt und - ja, das war es dann leider auch. Als Ausgleich bietet die Regierung ihr Engagement im Rahmen der Nord- und Ostseekooperation an. Zusammenarbeit ist immer gut. Eine bessere Zusammenarbeit zum Nutzen der Menschen ist gerade das wesentliche Ziel der Europäischen Union und der Erweiterung. Es gibt viele Gremien, viele Absichten und viele Ankündigungen. Aber wo schlagen sie als Ergebnisse zu Buche? Die Feststellung der Ministerpräsidentin letztes Jahr im Bundestag, die Bundesregierung habe die norddeutschen Länder so unterstützt wie noch keine zuvor, hilft auch nicht weiter. Denn gerade die Bundesregierung hat es während ihrer Präsidentschaft im Ostseerat versäumt, entscheidende Impulse zu setzen, um die Produktivität der Ostseekooperation für die Menschen zu steigern.

(Beifall bei FDP und CDU)

Wenn als wesentliches Ergebnis nur die Erkenntnis bleibt: „Schön, dass wir einmal darüber gesprochen haben“, dann ist das kein Ruhmesblatt und Fehler in der heimischen Politik kann man damit erst recht nicht ausgleichen.

Das Gleiche gilt für die Nordseekooperation: Wenn der Nordseeradwanderweg wirklich das wesentliche Ergebnis aller Bemühungen ist, dann stellt sich die Landesregierung hier selbst ein Armutszeugnis aus.

(Beifall bei FDP und CDU)

Meine Damen, meine Herren, um dem Land zu helfen, wirtschaftliche Nachteile auszugleichen, sendet die EU viel Geld nach Schleswig-Holstein. Das ist zwar bequem für uns, aber kein Ausweis erfolgreicher Politik.

(Beifall bei der FDP)

Denn der Brüsseler Geldsegen unterstreicht nur, dass Schleswig-Holstein auch in der EU nicht auf den ersten Plätzen mitspielt. Dieser Geldsegen wird mit der ersten Beitrittswelle wegbrechen. - Und was dann?

Ich komme zum Schluss. Ein wirklicher Erfolg wäre es, wenn die Landesregierung vermelden könnte, dass die Abhängigkeit des Landes im Laufe von fast 14 Regierungsjahren gesunken ist oder wenigstens in den nächsten Jahren sinken wird. Dass aber genau das Gegenteil der Fall ist, deutet nicht darauf hin, dass diese Landesregierung die Chancen der Erweiterung für die Menschen in Schleswig-Holstein optimal zu nutzen vermag.

Die Ministerpräsidentin und namentlich der Landtagspräsident haben in der Ostseeregion viele Tore aufgestoßen. Arbeiten wir gemeinsam an den notwendigen Erfolgen!

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Steenblock das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Insbesondere liebe Kollegen von der FDP!

(Zurufe von CDU und FDP: Hört, hört!)

Geld macht sinnlich.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das hat die Mini- sterpräsidentin auch schon gesagt! - Heiter- keit)

(Rainder Steenblock)

Ich will jetzt gar nicht über die Diätenreform reden.

(Heiterkeit)

Ich möchte auf die Eingangsbemerkung der Ministerpräsidentin zurückkommen. Zu Beginn dieses Jahres haben 300 Millionen Menschen in zwölf Ländern Europas die sinnliche Erfahrung der Gemeinsamkeit gemacht. Wir hatten die Einführung des Euro als sinnliches Erlebnis. Das ist ein Erfolg, dessen Bedeutung wir überhaupt nicht überschätzen können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und FDP)

Wir haben einen Riesenerfolg damit gehabt. Wer von uns hätte vor drei, vier Jahren erwartet, dass das Thema Euro, die gemeinsame Währung und damit ein großes Stück gemeinsamer Identität der Menschen in Europa so schnell, so massiv auch die Herzen erreichen könnte? Ich glaube, es ist ein ausgesprochen positives Zeichen - gerade in einer Zeit, in der wir über Terrorismus, über harte Konflikte in dieser Welt reden müssen. Die Menschen in Europa haben gezeigt, dass das Zusammenstehen, die gemeinsame Identität für sie entscheidend wichtig ist. Darüber sollten wir uns freuen. Für uns gibt es - wir wissen das - keine Alternative zum Zusammenwachsen der europäischen Länder.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP sowie vereinzelt bei SPD und CDU)

Erst mit der Erweiterung der Europäischen Union um die Länder Ost- und Mitteleuropas wird die Teilung unseres Kontinentes als Folge des Zweiten Weltkrieges, auch als Folge der vorhergehenden tiefen Teilung und Zerrissenheit Europas durch Nationalismus, durch Ausgrenzung überwunden. Diese Vision eines friedfertigen Europas, das seine ökonomischen Interessen gemeinsam definiert und vorantreibt, hat gerade auch uns Grüne, die wir am Anfang durchaus Schwierigkeiten mit dem europäischen Gedanken hatten, zu vehementen Bekennern des europäischen Gedankens gemacht. Wir haben erkannt, dass es keinen anderen Weg zur Friedenssicherung gibt.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Lothar Hay [SPD]: Sehr gut!)

Wir müssen aber sagen, dass dieses Europa die Köpfe und die Herzen der Menschen trotz Euro noch nicht so erreicht hat, wie wir uns das wünschen. Deshalb brauchen wir Engagement gerade auch aus den föderalen Strukturen heraus.

Das, was die Menschen in Europa kritisieren, was sie mit Unbehagen erfüllt, ist die Undurchschaubarkeit dessen, wie zurzeit tatsächlich europäische Entschei

dungen getroffen werden, wie das Regieren auf europäischer Ebene vonstatten geht. Die Angst der Menschen, entfremdet regiert zu werden, die Angst, dass ihre Interessen in diesem Prozess nicht eingebracht werden können, lässt sich am besten dadurch korrigieren, dass Menschen, die sie vor Ort erleben, dass Leute, die sie kennen, in diesen Prozess involviert sind. Deshalb sind gerade die Regionen in Europa und die Länder in Deutschland zentrale Akteure in diesem Prozess, Europa den Menschen näher zu bringen. Deshalb haben gerade wir in Deutschland mit unserer föderalen Struktur gute Chancen - mit allen Vor- und Nachteilen, die man zweifellos deutlich machen muss. Gerade die PISA-Studie hat gezeigt, dass Föderalismus nicht nur positive Seiten hat. Aus dieser Erfahrung heraus haben wir sehr gute Voraussetzungen, dafür zu kämpfen.

Ich bin der Landesregierung und dem Landtagspräsidenten sehr dankbar dafür, dass sie diese Herausforderungen aufgenommen haben, die Transformierung nach unten, die Rücküberweisung von Aufgaben an die Basis, an die regionalen Parlamente ernst zu nehmen. Wir werden nur dann die Köpfe und Herzen der Menschen gewinnen, wenn sie merken, dass in ihrer Region Mitentscheidungen über das möglich sind, was in Europa passiert. Nur dann wird es gehen.