Protokoll der Sitzung vom 25.01.2002

Ich erteile dem Abgeordneten Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In regelmäßigen Abständen haben wir im Landtag über die Folgen und Auswirkungen der „Pallas“Havarie und über das Problem des Chartervertrages mit der „Oceanic“ debattiert. Aus schleswig-holsteinischer Sicht war die Verschleppungstaktik des Bundes in diesem Zusammenhang äußerst unzufrieden stellend. Das haben wir in diesem Hause immer wieder kritisiert.

(Beifall des Abgeordneten Joachim Behm [FDP])

Dementsprechend sah auch mein erster Redeentwurf zu unserem gemeinsamen Antrag aus. Ich ärgere mich, dass ich den nicht halten kann; das hätte richtig viel Spaß gemacht!

(Heiterkeit)

Doch wie wir mittlerweile wissen, hat sich in Berlin etwas hinsichtlich einer Ausschreibung für einen neuen Chartervertrag gerührt. Und das ist dann ja auch gut so!

Das Bundesverkehrsministerium orientiert sich nun bei der Ausschreibung an den von Experten geforder

ten neuesten Stand der Wissenschaft und Technik. Diese Forderungen sind auch ganz im Sinne des SSW. Denn es muss klar sein, dass man sich auf den schlimmsten anzunehmenden Unfall einrichten muss. Ein solcher Schlepper muss - welche Problematik auch in Zukunft dahinter steht, hat Herr Kollege Maurus ja eben deutlich gemacht - in der Lage sein, die riesigen Containerschiffe und Tanker bei Sturm an den Haken zu nehmen. Dies gilt natürlich auch für die Zwischenlösung für die Zeit, bis der ausgeschriebene Schlepper da ist. Deshalb begrüßen wir die Bereitschaft des Bundes den Chartervertrag mit der „Oceanic“ erst einmal sukzessive zu verlängern. Dies fordern wir ja auch in unserem gemeinsamen Antrag. Der ist deshalb auch noch nicht tot, sondern hat noch seine Aktualität.

(Heinz Maurus [CDU]: Genau wie der von 1998!)

- So ist es, Herr Kollege Maurus. - Ich würde mir aber trotzdem wünschen, dass man öfter und vor allem schneller auf die Fachleute von der Küste - auch Herr Steenblock sprach die dort vorhandene Kompetenz ja eben an - hören würde. Wenn ich nun fordere, öfter auf die Fachleute von der Küste zu hören, dann gilt das selbstverständlich nicht nur für die Bundes-, sondern auch für die Landesebene und im Übrigen für alle Politikfelder dieser Welt.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Ich glaube aber, wir haben eine ganz gute Lösung bekommen. Bei dem Kollegen Malerius möchte ich mich bedanken, und zwar nicht einfach so, weil er einen Antrag geschrieben hat und weil wir zu einem gemeinsamen Antrag gekommen sind, sondern weil ich der Überzeugung bin, dass wir aufgrund dessen, dass wir in Schleswig-Holstein diesen Antrag formuliert haben, schon im Vorfeld Einfluss auf die Entscheidung genommen haben, die in Berlin getroffen worden ist. Ich glaube, man hat sich durch diesen von unten ausgeübten Druck leiten lassen. Hätten wir diesen Druck nicht ausgeübt, dann würde in Berlin immer noch alles schlafen.

(Beifall bei SSW, SPD und CDU)

Ich erteile Herrn Minister Dr. Rohwer das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn die Landtagsinitiative sozusagen vom Erfolg überholt wurde - ganz erledigt ist der Antrag mit Sicherheit nicht. Denn wir werden in den nächsten Wochen und Monaten sehr genau aufpassen müssen, ob die Vorga

(Minister Dr. Bernd Rohwer)

ben, wie sie jetzt besprochen worden sind, auch in unserem Sinne eingehalten werden. Dennoch meine ich, dass der fraktionsübergreifende Antrag sehr hilfreich war. Schon die Vorbereitung war hilfreich, denn das gemeinsame Votum von Landtag und Landesregierung, übrigens auch der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste, der Insel- und Halligkonferenz und anderen, also das gemeinsame Auftreten des Nordens, hat tatsächlich etwas bewirkt: Denn die Ausschreibung wurde in unserem Sinne angepasst. Dafür an dieser Stelle herzlichen Dank.

Von Ihnen, Herr Behm, ist infrage gestellt worden, dass man in zwei Stufen vorgeht. So habe ich Sie verstanden. Ich halte es für äußerst richtig, dies zu tun. Gerade die Zweistufigkeit ermöglicht das beste technologische Konzept für eine Zukunftslösung für unseren Küsten. Ich will dies nicht im Einzelnen ausführen. Der Kollege Malerius hat dies dargelegt. Die erste Stufe bedeutet ja nur, so schnell wie möglich eine Anschlusscharter sicherzustellen. Das kann die „Oceanic“ sein, das kann auch ein anderer Schlepper sein, der die gleichen Leistungen bietet. Aber es wird ja möglicherweise die „Oceanic“ sein. Auf jeden Fall wird kurzfristig eine Anschlusslösung herbeigeführt. Das ist der Sinn der ersten Stufe.

Der Sinn der zweiten Stufe, des jetzt beginnenden Interessenbekundungsverfahrens, ist doch gerade der, in diesem Verfahren so flexibel wie möglich die optimale Lösung für die Nordseeküste zu finden. Wir wissen, dass dies nicht so einfach ist, wie es auf den ersten Blick erscheint. Die vielen Experten, mit denen wir geredet haben, haben gesagt: Man kann verschiedene technologische Lösungen im Blick haben. Meine Damen und Herren, nebenbei bemerkt: Wir sollten in diesem Prozess darauf achten - auch deswegen ist der Antrag übrigens wichtig -, dass die schleswigholsteinischen Werften, die in diesem Bereich Expertise haben, in dem Interessenbekundungsverfahren Unterstützung von uns erhalten.

(Beifall)

Ich werde jedenfalls im weiteren Verfahren - dies gilt insbesondere für das Interessenbekundungsverfahren darauf achten, dass folgende Punkte Beachtung finden:

Wir brauchen einen Schlepper mit variablem Tiefgang, der - möglicherweise durch Ballasten; das kann man ja dadurch regeln - einen flexiblen Einsatz im Revier, in Flussmündungen oder im Wattenmeer erlaubt. Das ist eine unserer zentralen Forderungen. Wir brauchen einen Schlepper, der mindestens 180 Tonnen Pfahlzug aufbringt. Das ist bekannt. Das muss ich nicht vertiefen. Wir sollten darauf achten, dass ein Hubschrauberlandedeck vorhanden ist, dass Explosions- und Gasschutzvorkehrungen vorhanden sind, dass man

auch bei havarierten Tankern und Gefahrgutschiffen mit diesem Schlepper professionell operieren kann.

Dies sind einige Eckpunkte. Es gibt davon noch mehr. Wir müssen im Verfahren darauf achten, dass diese eingehalten werden. Dass diese Vorgaben einhaltbar sind, zeigen übrigens die Angebote, die aus einigen Werften schon vorliegen. Manche von Ihnen wissen das. Die technologisch interessanten Angebote liegen vor. Insoweit hat dies auch eine industriepolitische und technologiepolitische Bedeutung. Insofern bin ich persönlich über dieses zweistufige Verfahren, über dieses Interessenbekundungsverfahren, sehr glücklich.

Ich sage nochmals: Wir können mit dem jetzigen Stand zwar zufrieden sein, was die kurzfristigen Erfolge angeht, wir werden aber sehr sorgfältig darauf achten müssen, dass die Ausschreibung und das Interessenbekundungsverfahren so ablaufen, wie wir uns das vorstellen. Denn noch immer gilt: Die Interessen der Küste müssen von uns gemeinsam vertreten werden. Wir haben keine Gewähr, dass in Berlin genügend Sachverstand vorhanden ist. Ich denke, dass Sie uns nicht nur mit dem heutigen Antrag, sondern auch weiterhin unterstützen werden. Die Landesregierung tut dies ohnehin. Vielen Dank dafür!

(Beifall im ganzen Haus)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit schließe ich die Beratung. Die Debatte hat gezeigt, dass bei allem momentanen Erfolg eine Plattform erforderlich sein wird. Also werde ich dem Geschäftsordnungsantrag folgen, in der Sache abzustimmen.

Ich frage somit, wer der Drucksache 15/1509 (neu), wie oben bezeichnet, folgen will. Den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Wir haben einstimmig so beschlossen.

(Beifall bei der CDU)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:

Anonyme Geburten

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/1510

Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Somit eröffne ich die Aussprache und erteile der Frau Abgeordneten Scheicht das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Deutschland werden jährlich 40 bis 50 ausgesetzte Säuglinge aufgefunden. Nur die Hälfte von ihnen überlebt. Experten schätzen, dass in Deutschland etwa

(Jutta Scheicht)

800 Neugeborene heimlich zur Welt gebracht und von ihren Müttern aus Scham, Verzweiflung oder Panik ausgesetzt oder getötet werden. Ob die Dunkelziffer höher oder tiefer ist, kann niemand erfassen.

Oftmals, meine Damen und Herren, wenn so ein Kind gefunden wird und die Medien davon berichten, stellen viele erbost die Frage: Was sind das für Frauen, die so etwas tun können, und das in der heutigen Zeit? Ein Vertreter des Jugendamtes Hamburg, der versucht hat, die Situation dieser Frauen nachzuvollziehen, fand heraus, dass es vier Gruppen gibt, die besonders gefährdet sind: Die erste Gruppe sind drogenabhängige Mütter, die sich zum Teil in der Illegalität des Drogenkonsums bewegen. Die zweite Gruppe sind Frauen, die unter extremer Not und extremer Gewalt in ihrer Familie leiden. Die dritte Gruppe sind Migrantinnen, die sich aufgrund ihrer Herkunft und mangelnder Sprachkenntnisse zu Hause und in der Familie allein gelassen fühlen. Der größten Gruppe aber gehören junge, minderjährige Frauen an, die sich oft aus enormer Angst vor ihren Eltern nicht öffnen können und versuchen, die Schwangerschaft zu verdrängen und sie bis zur Geburt ihres Kindes zu verheimlichen, was das bestätigen Experten immer wieder - auch gelingt.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte deshalb eine Frage an alle Abgeordneten und besonders an unsere Ministerpräsidentin Heide Simonis richten: Wie verzweifelt muss eine Frau sein, die unter großer Angst, alleine, ohne jegliche medizinische Hilfe, auf der Toilette oder in anderen ungeeigneten Einrichtungen ein Kind zur Welt bringen muss, um es anschließend auszusetzen oder gar zu töten, damit niemand von dieser Geburt erfährt? Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, jedes ausgesetzte Kind ist ein Hilferuf an uns alle, hier endlich aktiv zu werden.

(Beifall bei CDU und FDP und der Abgeord- neten Birgit Herdejürgen [SPD])

Eine erste Hilfe bieten die so genannten Babyklappen, die es mittlerweile und Gott sei Dank schon in 22 Städten in Schleswig-Holstein gibt. Durch diese Einrichtung können Frauen ihre Säuglinge nach der Entbindung an einem geschütztem Ort straffrei ablegen. Dadurch können die Mütter sicher sein, das Leben ihres Kindes nicht dem Zufall überlassen zu haben. Dieses Hilfsangebot für die betroffenen Frauen setzt aber erst nach der Geburt an. Es ist für die Frauen zwar ein erster Schritt, für die Mutter und das Kind bleibt aber doch eine große Gefahr. Deshalb reichen Babyklappen alleine nicht aus.

Eine Möglichkeit, die diese Lücke schließt, ist die anonyme Geburt. Ein erster Schritt zur anonymen Geburt erfolgt mit der Änderung des § 16 des Personenstandsgesetzes. Dadurch soll es für die betroffenen

Frauen künftig möglich sein, ein Kind ohne Angaben der Personalien zur Welt zu bringen sowie vor und nach der Geburt medizinisch betreut zu werden. Die Finanzierung der Entbindungskosten, die in Berlin noch genau geregelt werden muss, könnte so gelöst werden, dass bei Annahme des Kindes, was Gott sei Dank auch hin und wieder der Fall ist, die Krankenkasse der Mutter bezahlt und die Kosten im Falle der Adoption von der Krankenkasse der Adoptiveltern übernommen werden.

Der Mutter wird eine Überlegungsfrist von acht Wochen eingeräumt, sich zu entscheiden. Im Falle der Adoptionsfreigabe könnte sie dann freiwillig Daten zur Angabe ihrer Identität sowie der des Vaters oder ihrer Familie machen. Daneben könnte sie alle Angaben machen, die für das Kind später dafür von Bedeutung sein könnten, etwas über seine Herkunft zu erfahren. Das könnte sie niederschreiben und in einem verschlossenen Umschlag hinterlegen. Der Umschlag würde dann - wie in anderen Ländern, wo es bereits die anonyme Geburt gibt - von einer Behörde aufbewahrt und dem Kind gemäß des Adoptionsrechts mit 16 Jahren auf Wunsch ausgehändigt. Ebenso könnte die Mutter gemäß Adoptionsrecht den Aufenthaltsort des Kindes erfahren. Es gibt auch heute schon eine Reihe von Krankenhäusern, die die Möglichkeit zur anonymen Geburt trotz Illegalität anbieten - zum Schutz von Mutter und Kind und um Leben zu retten. Hierfür möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken. Leider bewegen sich die Ärzte und Hebammen damit wissentlich in einer juristischen Grauzone und nehmen dabei sogar das Risiko auf sich, rechtlich belangt zu werden. Deshalb fordern auch sie möglichst schnell Rechtssicherheit.

Jetzt ist es Sache der Politik, sich für die Schaffung eines rechtlichen Rahmens für die so genannte anonyme Geburt einzusetzen. Deshalb würden wir es begrüßen, wenn auch aus Schleswig-Holstein ein starkes Signal gegeben würde, indem wir gemeinsam die Initiative der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Änderung des Personenstandsgesetzes unterstützen und eine gesetzliche Regelung zur Hilfe für Mütter in Konfliktsituationen schaffen, damit der Gesetzentwurf noch in der 14. Wahlperiode des Bundestages verabschiedet werden kann und wir nicht erst warten müssen, bis Herr Kubicki den Kollegen in Berlin Beine macht. Deshalb bitten wir um Ihre Zustimmung.

Wir hätten heute gern eine Abstimmung in der Sache durchgeführt. Gestern habe ich aber von den Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion erfahren, dass in der Fraktion noch Beratungsbedarf besteht. Wir stimmen deshalb auch einer Überweisung zum Beispiel in den Innen- und Rechtsausschuss und mitberatend in den Sozialausschuss zu, um in der Sache gemeinsam

(Jutta Scheicht)

ans Ziel zu kommen. Wir bitten aber darum, das Thema möglichst schnell auf die Tagesordnung zu setzen.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile Frau Abgeordneter Schlosser-Keichel das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Findelkinder und Kindestötung gibt es seit Menschengedenken - auch heute, auch in unserem Sozialstaat mit seinem dichten Netz von Beratungsstellen, auch in unserer aufgeklärten, freizügigen und toleranten Gesellschaft. Frau Scheicht hat die Zahlen genannt, ich möchte sie nicht wiederholen. Es gibt zirka 40 Neugeborene im Jahr, die ausgesetzt werden, viele von ihnen tot. Sie hat auch auf die Dunkelziffer verwiesen. Was sind das nur für Mütter, heißt es dann im Blätterwald. Bezeichnenderweise habe ich nirgendwo die Fragestellung gefunden, wo denn die Väter sind, die die Frauen und Kinder allein gelassen haben. Aber das ist wohl ein anderes Kapitel.

(Beifall)