Ich würde vorschlagen, dass zunächst die Frau Ministerpräsidentin zur Berichterstattung das Wort erhält. Frau Ministerpräsidentin Simonis, ich erteile Ihnen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin froh, dass die Abgeordneten des Europaausschusses den Stau überwunden haben; denn das zeigt: Mit Europa geht es weiter.
Die Bedeutung Europas für die deutschen Länder wird in den kommenden Jahren weiter wachsen. Schon heute gibt es kaum einen Bereich, in dem europäisches Recht und europäische Bezüge nicht eine wichtige Rolle spielen.
Mit dem ersten Europabericht legt die Landesregierung heute eine Bilanz der europapolitischen Arbeit des Jahres 2001 vor. Gleichzeitig diskutieren wir die Ergebnisse des Europäischen Rats von Laeken - was die Aussprache dieses Namens angeht, höre ich auf den Oppositionsführer; der kommt nämlich aus einer Gegend, in der Dehnungs-e’s in Mode sind - vom 15. und 16. Dezember 2001.
In Laeken wurden wichtige Weichen für die Zukunft der Europäischen Union gestellt. Mit dem Beschluss, einen Verfassungskonvent einzusetzen, hat die Union unter der belgischen Präsidentschaft einen entscheidenden Schritt nach vorne getan. Aber wir werden erst im Jahre 2004 Bilanz ziehen. Entweder hat der Konvent als Motor einer ausgewogenen Reform gewirkt oder aber Europa wird für Jahre weit zurückgeworfen werden. Letzteres wollen wir uns nicht wünschen.
Ich möchte Ihnen heute gern in fünf Thesen die Haltung der Landesregierung zu zentralen politischen Entwicklungen in Europa vorstellen.
Erstens. Die Europäische Union als Beispiel des Zusammenlebens von Staaten in Frieden, Freiheit und Wohlstand ist für unseren Kontinent ein einzigartiges Erfolgsmodell. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus bietet sich für die Europäische Union eine einzigartige Chance: Die Europäische Union steht vor der Vollendung der Einheit Europas.
Damit steht die EU vor nie da gewesenen Herausforderungen. Ohne ausgewogene Reformen würde eine erweiterte Union handlungsunfähig werden. Die Nationalstaaten müssen weiter Kompetenzen abgeben und sich Mehrheitsentscheidungen beugen. Gleichzeitig muss die Union demokratischer und die Entscheidungsprozesse für die Europäer - für die Bürger müssen transparenter werden.
Europa begann mit der Idee, Integration über die Herstellung des Gemeinsamen Marktes zu schaffen. Die Einheit Europas wird aber nur gelingen, wenn alle begreifen, dass die europäische Integration mehr ist als nur ein Wirtschaftsbündnis, nämlich ebenso ein Sozial- und ein Kulturmodell.
Manchmal hat man das Gefühl - das müsste man auch den Mitgliedern der Kommission sagen -, dass Wettbewerbsfragen zwar durchaus wichtig sind, aber nicht die tragenden Momente eines geeinten Europas.
Europa lebt auch von der regionalen Vielfalt. Die tragende Idee Europas ist Sicherheit und Teilhabe, gerecht verteilte Chancen und geteilter Wohlstand für alle seine Bürgerinnen und Bürger.
Jeder Herausforderung gerecht zu werden ist ein schwieriger und langwieriger Prozess. Aber trotz widerstrebender Interessen und manchmal handfesten Auseinandersetzungen in der Sache - die manchmal auch mit Feuereifer ausgetragen werden -, herrscht unter den Mitgliedern und Beitrittskandidaten Einigkeit darüber, dass dieser Prozess gelingen muss. Manch Streit dient ja am Ende auch einer klareren Einschätzung der Lage.
Dazu gehört, dass wir uns einer neuen Ausrichtung der Struktur- und Kohäsionspolitik nach 2006 nicht verschließen. Bis 2006 gelten die mit der Agenda 2000 verabschiedeten Regelungen fort. Danach wird es Übergangsregelungen geben. Wir müssen begreifen, dass dauerhafte Stabilität in Europa nur über eine schrittweise Angleichung der Lebensverhältnisse in Europa zu erreichen ist.
Wir dürfen den Beitrittskandidaten im Prinzip und auf Dauer nicht das verweigern, wovon wir selbst erheblich profitiert haben.
Zweitens. Der in Laeken beschlossene Konvent bedeutet eine Chance für eine neue Qualität der europäischen Zusammenarbeit. Das Ergebnis der Arbeit des Konvents wird über die Zukunft Europas entscheiden. Dabei wird es am Ende darauf ankommen, ob die Mitgliedstaaten der Empfehlung des Konvents folgen, in welchem Maß und in welchem Ausmaß.
In der Wahl seiner Themen ist der Konvent frei. Diesen Freiraum kann er nutzen, um sich neben den in Nizza formulierten Fragen nach dem Status der Grundrechte-Charta, der Kompetenzordnung, der Rolle der nationalen Parlamente, der Vereinfachung der Verträge weitere Fragen vorzulegen.
Ein großes offenes Thema ist zum Beispiel, wie die Jahrhunderte alte Wertetradition unseres Kontinents für das 21. Jahrhundert erhalten und konkretisiert werden kann. Was bedeutet soziale Gerechtigkeit in einer „Union der 25“ mit mehr als 400 Millionen Menschen und einem eklatanten Wohlstandsgefälle? Wie kann man demokratische Teilhabe für jeden Bürger garantieren, wenn so viele unterschiedliche historische und politische Traditionen in Einklang gebracht werden müssen?
Für diese Diskussion bietet der Konvent mit seiner breiten Zusammensetzung aus Vertretern der mitgliedstaatlichen Regierungen, der nationalen Parlamente, des Europaparlaments, der Kommission und der Regierungen und Parlamente der Beitrittskandidaten ein sehr gutes Forum.
Drittens. Die Beteiligung der Parlamente an der Arbeit des Konvents schafft Transparenz und Legitimität.
Für die Parlamentarier ist diese aktive Rolle im Konvent eine neue Situation. Bisher haben die Regierungen in Europafragen häufig etwas beschlossen und die Parlamente durften es zur Kenntnis nehmen, manchmal durften sie sogar noch zustimmen. Das soll jetzt anders werden.
Wenn die Vorschläge des Konvents, an denen die Parlamentsvertreter mitgearbeitet haben, realistisch sind, werden die nationalen Regierungen die Parlamente zu einer zentralen Grundlage ihrer Entscheidung machen.
Der Konvent muss der Beginn einer breiten, offenen und konkreten Diskussion über die Zukunft der Europäischen Union sein. Die Landesregierung wird in diesem Prozess den parteiübergreifenden Dialog mit dem Schleswig-Holsteinischen Landtag suchen. Sie alle haben als Multiplikatoren in die Regionen eine wichtige Rolle wahrzunehmen. Die Landesregierung wird den Europaausschuss regelmäßig über die Fortschritte der Diskussion informieren und ihm alle Beschlüsse und Dokumente des Konvents zur Verfügung stellen.
Ich würde es sehr begrüßen, wenn sich der Landtag dieser Debatte auch weiter annimmt und sie mit den regionalen Akteuren im Land fortführt. Je mehr Menschen sich beteiligen, je mehr Ideen entwickelt werden, desto besser. So viel Teilhabe in europäischen Fragen wie jetzt hat es bisher noch nicht gegeben.
Unsere Erfahrungen jedenfalls haben gezeigt: Die Zukunft Europas muss konkret diskutiert werden, damit sich die Menschen für dieses Thema interessieren und begeistern können.
Viertens. Theoretische Diskussionen über die Kompetenzverteilung zwischen der Union und ihren Mitgliedern haben uns in der Vergangenheit nicht weit gebracht. Die Landesregierung wird dafür eintreten, Interessen und Positionen in die Diskussion der Fachpolitiken einzubringen. Dabei geht es weniger um Kompetenzabgrenzung als um Kompetenzausübung.
Wir werden Europa weder im Konvent noch in der Regierungskonferenz 2004 neu erschaffen. So zu tun, als könnten wir das und könnten Europa nach dem Modell des Grundgesetzes organisieren - das uns allen bekannt ist -, ist eine Illusion. Tatsächlich geht es darum, unsere Interessen konkret zu formulieren und zwar so zu formulieren, dass sie von anderen nicht als Bedrohung empfunden werden.
Im Kontext des Lissabonner Prozesses hat es zum Beispiel Sinn, über die Beschäftigungspolitik in der Europäischen Union nachzudenken. Das kann aber nicht bedeuten, dass in ganz Europa das gleiche Lohnniveau, das gleiche Sozialversicherungssystem, das gleiche Verfahren für Tarifabschlüsse zu wählen ist. Als Regionen brauchen wir vor allem eine Erweiterung der Gestaltungsfreiheit unterhalb der Vertragsänderungen. Dann können wir immer noch entscheiden, wie wir uns mit unseren Nachbarn einigen, um die Probleme zu lösen.
Wenn Europa regionale und nationale Besonderheiten akzeptiert, wenn Europa die Verfahren der Rechtsetzung einfach und transparent gestaltet, dann werden die Bürgerinnen und Bürger auch wieder mehr Vertrauen in die Europäische Union und ihre Institutionen entwickeln.
Fünftens. Europapolitik ist Landespolitik und hat einen direkten Einfluss auf das Leben der Bürgerinnen und Bürger. Die Landesregierung ist seit Jahren erfolgreich aktiv, um Schleswig-Holsteins Chancen im europäischen Wettbewerb zu nutzen und zu erweitern.
Unser erster Europabericht bietet einen systematischen Überblick über die aus unserer Sicht wichtigsten aktuellen europapolitischen Entwicklungen. Außerdem zeigt er anhand ausgewählter Beispiele, wo die Landesregierung die Schwerpunkte setzt und wo besondere Aktivitäten zu verzeichnen sind. Aus dieser Gesamtmenge, einer langen Liste, möchte ich nur drei Punkte herausgreifen.
In der Arbeitsmarktpolitik wird Schleswig-Holstein von der EU-Gemeinschaftsinitiative EQUAL profitieren. Ziel des Programms ist es, Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt abzubauen und innovative Projekte zu fördern. Fünf Projekte aus Schleswig-Holstein haben einen Zuschlag bekommen und können bis 2005 mit Zuschüssen in Höhe von rund 7 Millionen € rechnen. Das ist eine Menge Geld für ein gutes Thema.
In der europäischen Medienpolitik spielt SchleswigHolstein im Konzert der Länder in der ersten Reihe mit. Ich habe mich entschlossen, als Beauftragte des Bundesrates auf europäischer Ebene für die Länder Medienpolitik verantwortlich mitzugestalten. Medienpolitik liegt in der Verantwortung der Länder; daher werde ich in den Gremien der EU die Verhandlungsführung für Deutschland übernehmen. Hier wird es in den kommenden Monaten um die Verhandlung über die Fernsehrichtlinie gehen. Zu entscheiden ist über eine neue europaweite Regelung für Rundfunk, Medien und Teledienste.
Schließlich hat sich das Landesprogramm „e-Region Schleswig-Holstein“ in einem europaweiten Qualitätswettbewerb gegen 100 Mitbewerber durchgesetzt. Im Rahmen der EU-Förderung „Innovative Maßnahmen“ stehen jetzt insgesamt 5,84 Millionen € für 14 Projekte aus den Bereichen „Qualifizierung und Wissenstransfer“ und „Innovative Anwendungen von Informationstechnologie“ zur Verfügung. Allen Beteiligten, die sich beworben und so erfolgreich durchgesetzt haben, möchte ich ganz herzlich gratulieren und ihnen bestätigen, dass sie damit den Ruf SchleswigHolsteins als einen innovativen Standort verstärkt haben.
Gemeinsam mit der Technologie-Stiftung SchleswigHolstein fördert das Wirtschaftsministerium zukunftweisende Initiativen, die unsere Position auf dem Weg in die Informationsgesellschaft weiter ausbauen sollen.
Das sind nur drei Beispiele. Was wir wollen, ist, an diesen Beispielen zu zeigen, dass die Menschen von Europa profitieren können. Wenn wir das beweisen können, wird es einfacher werden, den Menschen zu