Protokoll der Sitzung vom 21.02.2002

zeigen, was Europa für ihr Leben, für ihre Gemeinde, für ihre Arbeit und für ihre Sicherheit bedeutet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren - Herr Präsident, ich komme damit zum Schluss -, die Landesregierung wird ihren Teil beitragen, um die Interessen unseres Landes in Europa zu wahren. Nach meinem Eindruck reichen die formellen und informellen Mitwirkungsmöglichkeiten, die die Regionen seit dem Vertrag von Maastricht erkämpft haben, hierzu aus. Wir wollen sie weiter nutzen. Gleichzeitig wird die Landesregierung alles tun - dabei setze ich auch auf die Unterstützung durch Sie, durch den Landtag -, um die Akteure in unserem Land fit für Europa zu machen und sie im europäischen Konzert zu positionieren.

(Beifall bei SPD, FDP, SSW und des Abge- ordneten Joachim Behm [FDP])

Damit eröffne ich die Aussprache. Das Wort für die Fraktion der CDU erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Manfred Ritzek.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Kontinent zu einen, eine im globalen Maßstab wettbewerbsfähige, freiheitliche und soziale Ordnung in Europa zu schaffen, das sind die Inhalte allen europäischen Handels für ein in Frieden und Freiheit vereintes Europa.

Sehen das die Menschen auch so? Sind die Strukturen, die Kompetenzen, die Institutionen der Europäischen Union geeignet, Europa in die Zukunft zu führen? Die Beantwortung dieser Fragen ist leider nicht positiv. Die Meinung der Menschen ist ein Spiegelbild für das Erleben der Europäischen Union.

Nach der jüngsten Allensbach-Umfrage blicken 42 % der Deutschen mit „mehr Sorge“ auf die Vereinigung Europas, nur 28 % mit „mehr Freude“. Gar 54 % der Bundesbürger glauben, dass die Erweiterung um neue Mitglieder die EU schwächen wird. Bei der Frage nach der politischen Wichtigkeit der Erweiterung stimmen die Deutschen zu 68 % mit Nein und nur mit 20 % mit Ja. Mit dieser Bewertung sind wir das Schlusslicht in Europa.

Frau Ministerpräsidentin, ich hätte mir gewünscht, dass auch Sie in Ihrem Europabericht 2001 etwas über die Akzeptanz Europas der schleswig-holsteinischen Bürgerinnen und Bürger gesagt hätten, um daraus Schlüsse für das weitere Handeln zu ziehen. Diese Beurteilung wirft nämlich eine ernste Frage für die deutsche Europapolitik und vielleicht auch die Landespolitik auf. Warum ist die politische Führung nicht in

(Manfred Ritzek)

der Lage, Europa den Menschen näher zu bringen? Wie erkennen wir Europa vor Ort?

Wie Sie, Frau Ministerpräsidentin, in dem Europabericht 2001 schreiben, gibt es eine Arbeitsgruppe der Europaministerkonferenz, eine Arbeitsgruppe des Bundes, eine Erklärung des Bundesrates; alle sagen etwas zu der Zukunft Europas. Aber wo wird das wahrgenommen, wo sind die größten Gestaltungsmöglichkeiten der Länder - auch unseres Landes - bei der Umsetzung europäischer Politik?

Es ist eine der Aufgaben unserer Landesregierung, die Orientierung zur Kompetenzordnung, wie es auf der Ministerkonferenz vom 24. bis 26. Oktober 2001 definiert wurde, mit konkretem Leben zu füllen.

Deshalb war es sehr zu begrüßen, dass Sie Frau Ministerpräsidentin, heute noch einmal zu der Konferenz von Laeken Stellung genommen haben - Sie haben es ja in fünf Positionen dargestellt -, um auch in diesem hohen Hause die Begeisterung für die aktive Mitarbeit im europäischen Einigungsprozess zu stärken und zu fördern. Niemand sollte mehr fragen: Wo liegt denn Laeken? Niemand sollte es noch auf der Landkarte suchen. Wer es jetzt noch nicht weiß - ich sage es ihm -: Das ist ein Schloss in Brüssel.

(Beifall bei der CDU - Holger Astrup [SPD]: Oh!)

- Haben Sie es gewusst, Herr Astrup? Nein, nicht?

(Heiterkeit)

Direkt im Anschluss an das Gipfeltreffen von Nizza begann der Post-Nizza-Prozess, der die Reformbedürftigkeit der Europäischen Union aufdeckte. Das Europäische Parlament hat die bestehenden Defizite analysiert und offen aufgezeichnet. Die entscheidenden Erkenntnisse waren, dass der Prozess der Zukunft Europas ohne weit reichende Beteiligung der Landesparlamente, einschließlich der nationalen Parlamente der Beitrittsländer, nicht denkbar sei und dass die Union demokratischer, transparenter, effizienter werden müsse, um auch mit 27 Mitgliedern handlungsfähig zu sein.

Der Europäische Rat von Laeken hat am 14. und 15. Dezember 2001 den Startschuss zur Erweiterung gegeben und erstmals offiziell bestätigt, dass im Jahre 2004 zehn Staaten der Union neu beitreten werden, und Laeken hat endlich das Tor aufgestoßen zu mehr demokratischer Teilhabe der Länder in der Europäischen Union. Mit der Einsetzung des von 46 nationalen und europäischen Parlamenten dominierten öffentlichen Konvents könnte erreicht werden, was Regierungsvertreter und Diplomaten hinter verschlossenen Türen nicht mehr zustande brachten: Die

Institutionen, die Kompetenzen und Strukturen der Europäischen Union einer grundlegenden Überprüfung und Reform zu unterziehen. Amsterdam und Nizza jedenfalls haben es nicht geschafft.

Die Erklärung von Laeken enthält eine unmittelbar auf die Beseitigung der Schwächen der Europäischen Union bezogene Anhäufung von Fragen, die mit Zustimmung der Mitglieder der Regierungskonferenz definiert wurden, die im Rahmen des Konvents aufgegriffen und beantwortet werden müssen und die als Entscheidungsgrundlage für die Regierungskonferenz im Jahre 2004 gelten. Die Hauptforderungen für Reformen in einer Europäischen Union müssen auch die Anforderungen an unsere Landesregierung und an unser Parlament sein, auf die wir Antworten haben müssen, um diese Forderungen in den Konvent einzubringen.

Das sind zum Beispiel die Fragen zur besseren Verteilung und Abgrenzung der Zuständigkeiten in der Europäischen Union in den verschiedensten Politikbereichen. Ich frage zum Beispiel: Welches sind ausschließlich Zuständigkeiten der Union, welches ausschließlich Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten, welche betreffen Union und Mitgliedstaaten? Oder: Sollte nicht deutlicher formuliert werden, dass jede Zuständigkeit, die der Union nicht durch die Verträge übertragen worden ist, ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten gehört?

Weiter sind das Fragen zur Vereinfachung der Instrumente: Müssen die verschiedenen Instrumente der Union nicht besser definiert werden, muss ihre Anzahl nicht verringert werden, die Zahl der Normen, der Rahmengesetzgebung?

Weiter: Fragen zur Demokratie, zur Transparenz! Wie kann die demokratische Legitimation und die Transparenz der jetzigen drei Organe erhöht werden, wie soll der Präsident der Kommission bestimmt werden, soll die Rolle des Europäischen Parlaments gestärkt werden, soll das Mitentscheidungsrecht ausgeweitet werden und sollen die nationalen Parlamente in einem neuen Organ - neben dem Rat und dem Europäischen Parlament - vertreten sein? Was wäre seine Aufgabe?

Fragen zur Verfassung der europäischen Bürger! Ich frage zum Beispiel: Welches sind die Werte, für die die Union eintritt, welches sind die Grundrechte und Grundpflichten der Bürger?

Wir müssen uns in den Konventsprozess mit ganz

(Manfred Ritzek)

konkreten Vorschlägen und Wünschen für unsere politischen Gestaltungsmöglichkeiten aktiv einschalten.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD und Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wo sind - auf diese Fragen bezogen - konkrete Reformen notwendig? Ich hatte eigentlich gehofft, dass Sie, Frau Ministerpräsidentin, dazu heute etwas sagen würden. Sie haben es angedeutet, aber es ist mir nicht präzise genug.

An den Konvent werden hohe Anforderungen gestellt, soll er erfolgreich sein. Der Konvent muss für die interessierte Öffentlichkeit geöffnet sein. Foren zu zentralen Themen des Konvents sollten intensiv genutzt werden. Das ist auch eine Aufgabe unserer Landesregierung und des Parlaments. Die Beitrittsländer werden ebenso stark wie die Mitgliedsstaaten im Konvent vertreten sein, auch wenn sie bis zum Abschluss der Beitrittsverhandlungen noch auf ihr Stimmrecht verzichten müssen. Auch hier können und sollten wir über unsere Kontakte zu den entsprechenden Ostseeanrainerstaaten Ideen für die Einbringung in den Konvent austauschen. Es wäre gleichzeitig eine Gelegenheit, die Distanz zwischen alten und zukünftigen Mitgliedstaaten zu überwinden.

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

Natürliche Bündnispartner des Konvents sind die Parlamente: Sie müssen diese Partnerschaft ernst nehmen, indem sie ein effizientes Monitoringsystem entwickeln. Das gilt auch für unser Parlament. Regelmäßig werden die Parlamente der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union den Verhandlungsstand debattieren und sich eng mit den Delegierten abstimmen und sich unterstützen müssen. Der Konvent sollte mindestens einen Zwischenbericht seiner Arbeit vorstellen, der dann intensiv und kritisch vom Europäischen Parlament, den nationalen und Landesparlamenten und der Öffentlichkeit zu durchleuchten ist.

Die sechs Vertreter des Ausschusses der Regionen müssen von uns als Sprachrohr für unsere Anforderungen genutzt werden.

Die nationalen Parlamente - auch unser Parlament sollten sich als Bündnispartner des Konvents innerstaatlich neue Kompetenzen erstreiten, wie die Kommentatoren der Laeken-Konferenz es hervorheben.

Was dürfen wir von dem Konvent erwarten, der ab dem 1. März für ein Jahr seine Arbeit aufnimmt? Die Erklärung von Laeken eröffnet der Versammlung große Spielräume. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht alternativlos die Stärkung der Demokratie und der Hand

lungsfähigkeit. Der vom Konvent verfasste Vorschlag als Konventsergebnis kann nur schwer von den Staatsund Regierungschefs auf der Konferenz im Jahre 2004 abgelehnt werden; denn es wird ein Vorschlag sein, der mehrheitlich von direkt gewählten und damit von direkt demokratisch legitimierten Vertretern der europäischen Völker verfasst wurde, aber auch ein Vorschlag, in dem auch unsere Ideen einen Widerhall finden müssen.

In acht Tagen beginnt der Konvent, in acht Tagen, Frau Ministerpräsidentin, muss auch die Regierung aktiv werden - mit konkreten Vorschlägen, die in den Konvent einzubringen sind. Diese konkrete Definition habe ich etwas vermisst. Aber wir als CDU-Fraktion sind bereit, eine 100-prozentige Unterstützung auf dem Weg zu einem vereinten Europa zu geben.

(Beifall bei der CDU und der Abgeordneten Rolf Fischer [SPD] und Bernd Schröder [SPD])

Ich bitte darum, das Thema weiterhin im Europaausschuss zu behandeln.

(Beifall bei der CDU und der Abgeordneten Rolf Fischer [SPD] und Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Wort für die Fraktion der SPD erhält jetzt der Herr Abgeordnete Rolf Fischer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Rodust und ich werden uns dieses Thema teilen. Ich spreche zu Laeken, sie wird zum Bericht sprechen. Lassen Sie mich mit einem Zitat von Jacques Delors beginnen, der sehr treffend gesagt hat: Niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt. - Dieser Satz macht deutlich, dass allein eine Wirtschafts- und Währungsunion auch mit einem erfolgreichen Euro nicht ausreichen wird. Wir werden diesen Prozess durch eine Anzahl umfangreicher Reformen ergänzen müssen, die weit mehr als nur ökonomische Werte bringen werden: Neue Kompetenzen, neue Strukturen, gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Bildungspolitik sind Stichworte. Sie sind hier auch bereits gefallen; ich brauche sie deshalb nicht zu wiederholen. Sie stehen auf der aktuellen Agenda des Konvents.

Ich will an dieser Stelle an die Ministerpräsidentin und an die Europaabteilung Dank sagen, die uns über diesen Prozess, der ja nicht erst jetzt beginnt, sondern der schon seit einiger Zeit läuft, immer informiert haben. Vielen Dank!

(Rolf Fischer)

Der Konvent wird in wenigen Tagen seine Arbeit beginnen - Herr Ritzek hat darauf hingewiesen - und es ist nicht nur ein Auftrag an die Regierung, es ist auch ein Auftrag an das Parlament, diesen Prozess zu begleiten. Ich sage: Es wird ein wichtiges Jahr und es wird vielleicht das entscheidende Jahr für unseren alten Kontinent oder - besser! - für das neue Europa! Der Konvent muss den Bürgerinnen und Bürgern Europa näher bringen. Wir wollen uns dafür einsetzen. Wir wollen das tun, meine Damen und Herren, gemeinsam mit den Organisationen der Zivilgesellschaft; denn deren Erfahrung, deren Wissen muss in diesen Prozess hineinkommen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und Beifall des Abgeordneten Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Lassen Sie mich einen weiteren Aspekt ansprechen! Gerade die Landesparlamente, die immer sehr über Funktionswandel oder Funktionsverlust klagen, müssen erkennen: Wir können, ja wir müssen den aktuellen Prozess für uns nutzen, eigene Initiativen einbringen, Mittler für dieses neue Europa sein. Denn die Kommunen sind zu nah; Berlin und Brüssel sind zu weit. Die Landesebene, also die Ebene der Regionen, ist exakt die richtige für die Vermittlung des neuen europäischen Prozesses. Deswegen sind wir für ein starkes Europa der Regionen.

(Vereinzelter Beifall)

In diesem Punkt verbinden sich übrigens zwei Linien, die für uns interessant sind: Das ist die Reform des föderalen Europa auf der einen Seite und natürlich die Reform unseres Föderalismus in der Bundesrepublik auf der anderen Seite. Beides gehört zusammen, beides werden wir zusammen diskutieren müssen, und auf die Debatte freue ich mich.

Wir setzen auf die konstruktive Zusammenarbeit der Parlamente. Gestatten Sie mir den Hinweis: Die SPDFraktion hat mit der Gründung des Nordforums Europa - das sind die SPD-Europäer Norddeutschlands den ersten richtigen Schritt zu einer gemeinsamen Aktion getan.