Protokoll der Sitzung vom 20.03.2002

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, wenn man das genauer unter die Lupe nimmt, stellt sich doch auch die Frage: Was ist es eigentlich für ein Gesellschaftsbild, das dahinter steckt? Das ist ein Gesellschaftsbild, das recht autoritär ist, das wenig damit zu tun hat, dass Gesellschaft von Partizipation, von aktiver Mitwirkung lebt und dass ein demokratisches Miteinander, ein Aufeinanderzugehen auch die beste Prävention ist. Davon ist hier keine Rede. Es wird etwas anderes gesagt und das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen.

Der Kollege Wadephul sagte etwas in Richtung RotGrün, da aber auch der SSW der Änderung des Kommunalwahlrechts zugestimmt hat, fühle ich mich ange

sprochen. Sie sagten, wir trauten Kindern und Jugendlichen immer mehr zu. Das Beispiel ist hier das kommunale Wahlrecht ab 16. Also weg mit dem Normalfall, dass man das Jugendstrafrecht bei Heranwachsenden anwenden soll. Im Umkehrschluss deutet dies auch auf Ihr autoritäres Staatsverständnis hin.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie trauen anscheinend den Kindern und Jugendlichen nichts zu und sind auch nicht für das Wahlrecht ab 16. Unter diesen Umständen sollten Sie auch nicht dafür sein, dass man das Jugendstrafrecht ändert.

(Zuruf von der FDP: Das wäre konsequent!)

- Das wäre konsequent. Es war auch die Logik für Fortgeschrittene, die der Kollege Wadephul hier anbrachte.

Ich möchte zusammenfassen: Hier ist nicht von Sozialromantik die Rede, wenn gegen Ihren Antrag gesprochen wird. Hier ist davon die Rede, dass Prävention, dass Jugendpolitik nichts mit solchen Maßnahmen zu tun hat. Sie befinden sich auf dem falschen Dampfer. Sehen Sie zu, dass Sie wieder an Land kommen.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir treten in die Abstimmung ein, den Antrag der CDU, Drucksache 15/1713, federführend in den Innen- und Rechtsausschuss, mitberatend in den Sozialausschuss, zu überweisen. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenprobe? - Stimmenthaltungen? - Einstimmig so angenommen.

Wir treffen uns um 15 Uhr wieder.

(Unterbrechung: 13:14 bis 15:02 Uhr)

Meine Damen und Herren, die Sitzung ist wieder eröffnet.

Bevor wir wieder in die Tagesordnung einsteigen, will ich Gäste auf der Tribüne begrüßen: Mitarbeiter des Landgerichts Lübeck mit Justizanwärterinnen und Justizanwärtern. Herzlich willkommen!

(Beifall)

(Präsident Heinz-Werner Arens)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Situation der Justiz in Schleswig-Holstein

Große Anfrage der Fraktion der FDP Drucksache 15/1153

Antwort der Landesregierung Drucksache 15/1581

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Zur Beantwortung der Großen Anfrage erteile ich der Frau Ministerin für Justiz, Frauen, Jugend und Familie, Frau Lütkes, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass die Anwesenden Interesse an der Lage der Justiz in diesem Lande haben. Wir haben Ihnen eine schriftliche Antwort vorgelegt. Ich hoffe, dass sie Ihnen gefällt.

(Holger Astrup [SPD]: Mir gefällt sie!)

- Danke schön. - Vorweg möchte ich die Quintessenz der Ihnen vorliegenden Fakten zusammenzufassen versuchen. Die Funktionsfähigkeit der Justiz war und ist trotz enger, sich zuspitzender Haushaltslage gegeben. Die Enge des öffentlichen Haushalts trifft natürlich die Justiz. Trotz hoher Arbeitsbelastungen wurden aber gute Arbeitsergebnisse erzielt. Allerdings sieht man unseren Zahlen an, dass die Notwendigkeit zur Differenzierung besteht.

(Zuruf von der CDU)

- Schauen Sie nur genau hin!

Vielleicht hören wir uns erst einmal die Antwort an und diskutieren dann.

In Teilbereichen der ordentlichen Gerichtsbarkeit, insbesondere beim Oberlandesgericht, kann die derzeitige durchschnittliche Verfahrensdauer nicht befriedigen. Dafür gibt es Gründe. Diese haben nichts mit mangelnder Personal- und Sachausstattung oder gar mit mangelnder Motivation oder mangelndem Fleiß unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu tun.

Bei vielen Oberlandesgerichten - so auch bei unserem - ist es üblich, einem Antrag auf Fristverlängerung für Begründungen im Einvernehmen mit Gericht und Anwälten stattzugeben, was natürlich zu einer entschei

denden Verfahrensverlängerung führt. Wir bemühen uns aber, im Austausch mit den Nutzerinnen und Nutzern unserer Justiz eine stetige Verbesserung unseres Angebots - um es einmal so zu sagen - und auch der Verfahrensdauern zu erreichen.

Es gibt positive Rückmeldungen. Eine Kunden- beziehungsweise Nutzerbefragung beim Landgericht Itzehoe erbrachte ein gutes Ergebnis, das eine große Zufriedenheit deutlich machte.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir erforschen die Ursachen der Verzögerungen. Zum Beispiel bei Großverfahren sind die Strafkammern außerordentlich stark beansprucht. Der Aufwand für die Durchführung einzelner Verfahren ist erheblich gestiegen. Die Bildung neuer Strafkammern erfolgt durch die Hinzuziehung von Zivilrichtern, was wiederum die Zivilgerichtsbarkeit tangiert; das liegt auf der Hand.

(Thorsten Geißler [CDU]: Das ist wohl wahr!)

- Sie wissen es sehr genau, Herr Geißler.

Die zum Teil immer längeren oder langen Verfahrensdauern können nicht befriedigen und dürfen auch nicht hingenommen werden.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU])

- Danke schön. - Sicherlich muss im Einzelfall - genau das tun wir - mit Personalverstärkungen reagiert werden. Wir haben das in den letzten Jahren, insbesondere in den letzten beiden Jahren, also in den Jahren meiner Amtszeit, getan. Der Personalbestand im höheren Dienst, also bei den Richtern und Staatsanwälten, ist in den letzten Jahren nicht nur gehalten worden, sondern es sind auch aufgrund der angespannten Situation fünf Richter für Strafkammern hinzugekommen. Auch im Hinblick auf die Situation nach dem 11. September 2001 haben wir die Richterschaft verstärkt.

Seit Jahren haben wir - das ist bundesweit einmalig mit den Personalvertretungen eine Einigung über den Umfang der Besetzungen erzielen können. Verstärkungen haben wir, wie gesagt, vorgenommen, wenn sie nötig waren, zum Beispiel bei Einführung der Insolvenzordnung. Wir haben auch zusätzliche Gerichtsvollzieher vorgesehen, nachdem neue Aufgaben übernommen worden sind, Stichwort: Abnahme der eidesstattlichen Versicherung. Auf der anderen Seite haben wir als Ergebnis von Modernisierungserfolgen Personalreduzierungen vorgenommen.

(Ministerin Anne Lütkes)

Die derzeitige durchschnittliche Pensenbelastung in Höhe von 1,3 ist vertretbar. Aber Pensen sind keine absoluten Zahlen, sondern sie sind Hilfsinstrumente. Notwendig ist eine analytische Betrachtung der Arbeitsbelastung.

Aktuell liegt eine Studie aufgrund bundesweiter Erhebungen, die so genannte Pepsi-Studie, vor. Daraus geht hervor, dass das Personal im höheren und gehobenen Justizdienst unseres Landes aufgrund der Ausstattung arbeitsfähig ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Einen nicht aktuell gestundeten, sondern rechnerisch vorhandenen Verstärkungsbedarf gibt es bei den Staatsanwaltschaften. In der ordentlichen Gerichtsbarkeit liegt Schleswig-Holstein, was die Richterdichte der Flächenländer angeht, über dem Bundesdurchschnitt.

Wir haben der weiterhin hohen Arbeitsbelastung durch ständige Personalverstärkungen Rechnung getragen. Aber wir wollen der Belastungssituation in der Justiz auch durch vielschichtige Arbeitsansätze begegnen, und zwar in organisatorischer, personeller und gesetzgeberischer Hinsicht.

Ein wichtiger Teilaspekt in diesem Zusammenhang ist die konsequente Fortführung der Projekte aus dem Gutachten „Strukturanalyse der Rechtspflege“, Stichworte: MEGA und MESTA. Insoweit konnte ich bei meinem Amtsantritt auf eine erfolgreiche Vorarbeit aufbauen. Wir haben seitdem erfolgreich weiter gearbeitet. 1995 hat Ihnen mein Amtsvorvorgänger an dieser Stelle von einem Modellgericht in Plön berichtet, dessen Organisationsabläufe optimiert worden sind und das mit einer für damalige Verhältnisse sehr modernen Informationstechnik ausgestattet worden war. Mittlerweile können wir fast einen Quantensprung für die Justiz verzeichnen. In den vergangenen sechs Jahren haben Organisationsprozesse stattgefunden, nach denen in allen Gerichten des Landes eine hervorragende IT-Vollausstattung vorhanden ist. Eine spezielle Software in allen Gerichten garantiert nicht nur in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, sondern in Kürze auch bei allen Fachgerichten, dass wir bei der Modernisierung der Gerichte bundesweit ein großes Stück vorangekommen sind, was aus meiner Sicht ausgesprochen beispielhaft ist.

Wir verfügen über ein Landesnetz, mit dem von allen Richterarbeitsplätzen der Zugriff auf eine moderne juristische Datenbank möglich ist. Das sichert die so genannte Waffengleichheit zwischen Justiz einerseits und Anwälten andererseits.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Gleiches gilt - ich meine nicht die Waffengleichheit, sondern den Zugriff - auch für die Staatsanwaltschaften.

Auch die Automation des Grundbuchwesens ist für Schleswig-Holstein gesichert. Der Echtbetrieb ist eröffnet und nach einem genauen Plan kann nun Amtsgericht für Amtsgericht auf das elektronische Grundbuch umgestellt werden.