Protokoll der Sitzung vom 16.05.2002

(Heiterkeit und Beifall bei CDU und FDP)

Sie haben einen Gesetzentwurf eingebracht, der in der Tat noch viele Diskussionen nicht nur hier im hohen Hause, sondern auch an den Standorten nach sich ziehen wird. Ich möchte zum Anfang daran erinnern - Sie haben es selbst gesagt, Frau Erdsiek-Rave -, dass wir bereits ziemlich exakt vor vier Jahren die erste Lesung einen Gesetzentwurfs in diesem hohen Hause gehabt haben, wo es auch schon um die Hochschulklinika ging und wo mit haargenau den gleichen Argumenten gesagt wurde, es müsste alles organisatorisch auf neue Füße gestellt werden, man müsse die Hochschulklinika für die Zukunft fit machen, und man dürfe nicht einfach so weitermachen wie bisher.

Das jetzige Gesetz, die Verselbstständigung der Hochschulklinika, ist gerade erst einmal drei Jahre in Kraft und es muss schon wieder geändert werden. Das zeigt, mit welcher Kurzatmigkeit Sie strukturelle Hochschulpolitik in diesem Lande machen.

(Beifall bei der CDU)

Ich wünsche Ihnen, ich wünsche uns und ich wünsche den betroffenen Standorten, den dortigen Mitarbeitern, den dort Studierenden, aber auch den Patienten, dass dieser Gesetzentwurf besser vorbereitet ist und dass er länger hält; denn in einer so wichtigen Frage kann man den Pott nicht alle vier Jahre neu umrühren.

Meine Damen und Herren, bislang ist die Fusion der Hochschulklinika eine Gleichung mit mindestens zwei offenen Variablen. Es ist zumindest für uns, oder auch für viele andere im Land nicht zweifelsfrei nachgewiesen, warum diese Fusion tatsächlich stattfinden muss. Uns Parlamentariern ist das zweite Gutachten von Roland Berger zur Fusion der Klinika überhaupt nicht bekannt, obwohl es bereits seit Ende April vorliegt. Ich frage mich, warum die Landesregierung um die Gutachten von Roland Berger eine solche Geheimniskrämerei veranstaltet. Wir mussten lange kämpfen, bevor wir das erste Gutachten bekommen haben. Wir erwarten, dass wir das zweite jetzt sehr schnell erhalten.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Jost de Jager)

Diese Gutachten sind wichtig; denn das Ministerium ist uns bislang den Nachweis schuldig geblieben, dass allein eine Fusion die angeblichen Einspareffekte erbringen kann, nicht aber eine normale Kooperation zum Beispiel beim Einkauf der Apotheken oder in der Datenverarbeitung.

Die zweite offene Variable dieses Gesetzentwurfs ist die Frage des Standortes des Verwaltungssitzes der gemeinsamen Klinik.

Lassen Sie mich an dieser Stelle, bevor ich auf die einzelnen Punkte näher eingehe, festhalten, dass ich es schlechterdings für ein Unding halte, einen Gesetzentwurf in die Beratung zu geben, ohne in diesen beiden wichtigen Fragen Klarheit geschaffen zu haben. Für uns als CDU-Fraktion ist eine Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf ausgeschlossen, solange diese beiden Fragen im Gesetzgebungsverfahren unbeantwortet bleiben.

(Beifall bei der CDU)

Ich erwarte von den Mehrheitsfraktionen, dass das Landesparlament der Landesregierung in einer so wichtigen Frage keinen Blankoscheck ausstellt.

Lassen Sie mich die beiden offenen Variablen näher beleuchten. Erstens die Frage des Warum: Wir kennen aus dem ersten Gutachten von Roland Berger die prognostizierten Defiziterwartungen; das ist richtig. Allerdings, Frau Erdsiek-Rave, sowohl in dem ersten als auch wahrscheinlich in dem zweiten Gutachten handelt es sich um Defiziterwartungen ohne Einspareffekte.

(Thorsten Geißler [CDU]: Richtig!)

Das heißt, wir arbeiten hier mit Rohdaten, die überhaupt noch nicht heruntergebrochen und abgeglichen sind mit dem, was man auch ohne Fusion an Einspareffekten erzielen könnte.

Wir kennen ebenfalls die Berechnung zu den erwarteten Einspareffekten durch eine Fusion. Allerdings generiert eine solche Fusion eigene Kosten in Höhe von mehreren Millionen Euro.

Wenn man die Gutachtergebühren hinzurechnet, dann entsteht eine Summe von allein 10 Millionen € Kosten, ohne dass bisher irgendetwas besser geworden wäre. Wenn man hinzurechnet, dass eine normale Kooperation, unterschwellig einer Fusion, etwa in Form eines Verbundes beim Einkauf und im Apothekenwesen ebenfalls zu Einspareffekten kommen würde, stellt sich die Frage, ob wirklich allein finanzielle Erwägungen für die Fusion sprechen.

Diese Fragen müssen zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens und nicht an seinem Ende geklärt werden. Deshalb fordern wir Sie auf, zu Beginn der Beratung

im Ausschuss alle Gutachten auf den Tisch zu legen und für eine größtmögliche Transparenz in diesen Punkten zu sorgen. Darauf haben wir als Gesetzgeber ein Anrecht.

(Beifall bei der CDU)

Es gibt in weiten Teilen die Einschätzung, dass die Absicht dieses Gesetzentwurfs, den Sie einbringen, nur in zweiter Linie eine große Fusion der Hochschulklinika ist und in erster Linie eine kleine Fusion der Fakultäten. Viele Punkte in diesem Gesetzentwurf deuten darauf hin, dass die Fusion der Klinika die bislang bestrittene Zusammenlegung der Medizinischen Fakultäten in Kiel und Lübeck vorbereiten soll. So ist Schleswig-Holstein meines Wissens das einzige Bundesland, in dem künftig das Prinzip durchbrochen wird, dass zu einer Medizinischen Fakultät auch eine Klinik gehört.

(Thorsten Geißler [CDU]: Richtig!)

In Schleswig-Holstein wird künftig eine Klinik zu zwei Fakultäten gehören - ein Zustand, der an sich nicht auf Dauer angelegt sein kann.

Einige Bestimmungen des Gesetzentwurfs verschieben zudem die Gewichte weg von den einzelnen Fakultäten und den einzelnen Hochschulen hin zu den gemeinsamen Strukturen der fusionierten Klinik, zum Beispiel bei dem gemeinsamen Ausschuss. Dieser wird von den Fachbereichen Medizin der Christian-AlbrechtsUniversität und der Universität Lübeck gebildet und wird die wesentlichen Leitungs- und Planungsfunktionen für den Teil der medizinischen Forschung und Wissenschaft mit übernehmen. Er wird gebildet aus dem Dekan und den Rektoren der beiden Universitäten und wird geleitet von einem Vorsitzenden, der von außen kommen wird. Hier gibt es eine klare Akzentverschiebung weg von der einzelnen Einheit hin zu dem gemeinsamen Dach.

Gleiches ist festzustellen bei dem künftig avisierten Berufungsverfahren. Die Berufung von Professoren soll künftig nicht mehr allein in der Hand der jeweiligen Fakultät beziehungsweise Universität liegen, sondern in der Hand eines Berufungsausschusses, in dem zwei Mitglieder des gemeinsamen Klinikvorstandes vertreten sind. Diese Vorstände werden künftig Externe sein, die mit den Hochschulen und mit den Medizinischen Fakultäten nicht mehr notwendigerweise personell verbunden sein müssen. Auch hier geht ein Teil der Autonomie der einzelnen Hochschule verloren. Hier bekommt der Vorstand der fusionierten Klinik bereits Kompetenzen in einem Bereich, der bisher den Hochschulen und Fakultäten vorbehalten war, ja sogar ein echter Kernbereich der Hochschulautonomie ist.

(Jost de Jager)

Diese beiden Gesichtspunkte sollen ausreichen, um deutlich zu machen, weshalb wir bei der Fusion der Klinika nicht nur über betriebswirtschaftliche Fragen debattieren, sondern auch über eine hochschul- und strukturpolitische Frage Schleswig-Holsteins.

Aus diesem Grund ist es so wichtig, dass auch die zweite offene Frage geklärt wird, Frau Erdsiek-Rave: das Wo. Jedermann ist klar, dass die Diskussion um eine mögliche Zusammenlegung der beiden Medizinischen Fakultäten in vollem Gange ist. Sie wird mit diesem Gesetzentwurf nicht kommen; sie wird auch noch eifrig von allen Seiten dementiert. Aber sie kann gar nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Aus diesem Grund wird zu Recht der Standort des Verwaltungssitzes als ein Präjudiz angesehen für den Standort einer irgendwann einmal zusammengelegten Medizinischen Fakultät. Deshalb, Frau Erdsiek-Rave, können wir Ihnen die Beantwortung dieser Frage nicht ersparen. Ich fordere Sie auf, Frau Erdsiek-Rave: Benennen Sie heute in der ersten Lesung, spätestens aber zu Beginn der Beratung über diesen Gesetzentwurf im Ausschuss den Verwaltungssitz, weil sonst der Verdacht einer Mogelpackung nicht vom Tisch zu wischen sein wird.

(Beifall bei der CDU)

Frau Erdsiek-Rave, es ist Ihre Pflicht und Ihre Aufgabe, wenn Sie eine geordnete Debatte um den Gesetzentwurf sicherstellen wollen, in dieser Sitzung Ross und Reiter zu nennen. Ich frage Sie: Wo soll der Verwaltungssitz angesiedelt sein? Wenn Sie glauben, dass Sie eine so wichtige Frage einem Aufsichtsrat zuschieben können, der noch nicht einmal gebildet ist, dann drücken Sie sich vor der Verantwortung. Das tun Sie auch deshalb, weil Sie nicht einerseits ein so großes Vorhaben auf die Schiene stellen und sich andererseits vor diesen Fragen drücken können. Das ist Wegdelegieren von Verantwortung auf eine untere Ebene, und das ist schäbig.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Die CDU-Fraktion wird sich an den Beratungen konstruktiv beteiligen; das haben Sie an meiner Rede gesehen. Es ist in der ersten Lesung noch zu früh, zu sagen, welchen Teilen des Gesetzentwurfs wir zustimmen können, ob wir das überhaupt können. Denn die Voraussetzungen, die ich bereits genannt habe, liegen darin, dass einige Fragen beantwortet werden müssen und dass wir zusammen in der Anhörung mit den betroffenen Standorten die Effekte dieses Gesetzes auf die Arbeit in den Kliniken abprüfen müssen.

Es gilt das, was wir bereits vor über einem Jahr in der ersten Diskussion zu dem Thema „Fusion der Kliniken“ gesagt haben: Wenn sichergestellt ist, dass damit

der einzig richtige Weg begangen wird, dann werden wir dem zustimmen. Aber den Beweis dafür sind Sie uns bislang schuldig geblieben.

(Beifall bei CDU und FDP)

Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich ein kleines redaktionelles Versehen korrigieren: Herr Umweltminister Müller ist anwesend, Herr Finanzminister Möller ist abwesend.

Jetzt hat für die Fraktion der SPD der Herr Abgeordnete Jürgen Weber das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege de Jager, herzlich gratulieren möchte ich Ihnen zur Wahl zum stellvertretenden Vorsitzenden Ihrer Fraktion. Zu Ihrer Rede kann ich Ihnen leider nicht gratulieren, weil sie genau die Erwartungen erfüllt hat, die ich dazu hatte: Sie haben versucht, Punkte zu finden, um einen unzweideutigen, unabweisbaren und unausweichlichen Prozess der Reform und der Fusion schlechtzureden. Nichts anderes war zu erwarten. Ich will das jetzt im Detail darlegen.

Meine Damen und Herren, die Fusion der beiden Hochschulklinika in Kiel und Lübeck zu einem gemeinsamen Hochschulklinikum ist ein unserer Auffassung nach notwendiger und unumgänglicher Schritt. Er ist, weil es hier um zwei gewachsene Strukturen geht, auch ein durchaus mutiger Schritt.

Ich knüpfe an das an, was Sie gesagt haben, Herr de Jager: Dieser Schritt ist vor dem Hintergrund, dass wir vor vier Jahren einen Reformprozess begonnen haben, der sich sehr dynamisch entwickelt, auch konsequent. Er geht nämlich genau den Weg zu mehr Transparenz und Wirtschaftlichkeit weiter, der 1998 beschritten wurde.

Wir haben mit dem Klinikum, das geschaffen werden soll, eine Einheit von über 2.500 Betten. Das ist nach dem Land Schleswig-Holstein der zweitgrößte Arbeitgeber gemessen an der Zahl der Beschäftigten. Es bildet sich hier eine Einheit, die auch wirtschaftlich stark und wichtig ist. Das zeigt, dass wir es mit einer Unumkehrbarkeit eines Prozesses zu tun haben, der auf den Weg gebracht worden ist. Noch - die Ministerin hat darauf hingewiesen - gelingt es den Klinika, ausgeglichene Wirtschaftspläne vorzulegen. Aber die wirtschaftlichen Risiken sind eindeutig und hier schon ausführlich beschrieben worden. Wir alle wissen, dass weder durch Zuführungen aus den Rücklagen noch aus Landesmitteln noch aus anderen Quellen die entstehenden Defizite gedeckt werden können.

(Jürgen Weber)

Nun kann man - das will ich gern zugestehen - konzedieren, dass man unterschiedlichen Optimismus darüber haben kann, welche Fusionsrendite, welche quantitativen Größenordnungen dieser Fusionsprozess entfaltet. Das ist schon deswegen etwas spekulativ, weil wir und auch ich die neuen, aktuellen Zahlen von Berger nicht kennen.

(Zurufe von der CDU: Aha!)

Eines aber ist sonnenklar.

(Zuruf des Abgeordneten Klaus Schlie [CDU])

Wenn wir nichts tun, werden wir die beiden Hochschulklinika an die Wand fahren. Wer das will, handelt unverantwortlich.

(Beifall bei der SPD)

Ich will gern an ein paar Details deutlich machen, wo wir als SPD-Fraktion Beratungs- und Diskussionsbedarf haben im Hinblick auf das, was die Landesregierung für die erste Lesung vorgelegt hat.

Wir sind sehr froh, dass deutlich gemacht worden ist: Es wird weiterhin ein Vollstudium der Medizin in Kiel und in Lübeck geben. Wir sind sehr froh, dass zukünftig die Möglichkeit bestehen wird, die wissenschaftliche Aufgaben konzentrierter als bisher abzustimmen und damit die wissenschaftliche Qualität auf hohem Niveau zu halten. In diesem Zusammenhang sage ich auch: Durch die Verknüpfung von Vorklinik und Klinik, die durch die neue Approbationsordnung im Bundesrat jüngst beschlossen worden ist, wird deutlich unterstrichen, dass es keine Abkopplung der theoretischen und praktischen Bereiche, in der klinischen und in der theoretischen Ausbildung gibt. Das ist ein richtiger Weg.