Protokoll der Sitzung vom 12.12.2002

Mit dem Gesetz zur Errichtung des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein und zur Änderung des Hochschulgesetzes stehen wir vor einem der größten Reformvorhaben dieser Regierung. Wie Sie wissen – ich habe es hier schon oft gesagt, und es ist, glaube ich, inzwischen allen klar geworden -, geht es dabei um sehr viel. Es geht um den Fortbestand der universitären Medizin in Schleswig-Holstein auf hohem Niveau und es geht um eine optimale Krankenversorgung, sowohl im Bereich der anspruchsvollen Hochleistungsmedizin als auch im Bereich der Zentralversorgung. Diese ist in Schleswig-Holstein durch den Krankenhausplan den Universitätsklinika zugewiesen, und deshalb wirkt sich die Einführung des Fallpauschalensystems hier besonders folgenschwer aus. Es geht um qualifizierte Arbeits- und Ausbildungsplätze, und es geht um den medizinischen Standort Schleswig-Holstein. Es geht also insgesamt um nichts weniger als um die Zukunft eines Großbetriebes in Schleswig-Holstein, der für das Profil des Landes als Gesundheitsstandort von allergrößter Bedeutung ist.

(Beifall bei der SPD)

Weil es um so viel geht dabei, möchte ich mit Nachdruck an alle appellieren - auch an die Opposition, auch wenn sie uns heute nicht zustimmt -, uns bei dem Prozess, der uns noch bevorsteht, zu unterstützen.

(Zuruf von der CDU)

- Ich habe darauf gewartet, aber dass Sie schon an dieser Stelle mit einem solchen Zwischenruf kommen, ist ausgesprochen peinlich für Sie.

(Beifall bei SPD und FDP)

Es fällt auf Sie zurück.

(Martin Kayenburg [CDU]: Darüber ent- scheiden wir und nicht die Regierung!)

- Ich darf doch wohl sagen, wie ich einen solchen Zwischenruf empfinde, Herr Kayenburg. Solche Freiheiten nehmen Sie sich allemal heraus.

Ich will es noch einmal sagen; wenn Sie sich an dieser Stelle nicht mit dem Gesetz auseinandersetzen, sondern sich an dieser Frage hochziehen, dann ist das wirklich schlimm. Ich habe gehofft, dass Sie es nicht tun.

(Weitere Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren, weil es um so viel geht, möchte ich Sie herzlich bitten, nicht Angst und Verunsicherung zu schüren und auch nicht auf Dauer auf Nebenkriegsschauplätzen zu fechten wie etwa in der Frage des Verwaltungssitzes, auf die ich noch zurückkomme.

Zur Fusion der beiden Universitätsklinika zu einem Klinikum Schleswig-Holstein gibt es keine Alternative. Das zeigt allein schon der Blick auf die Zahlen. Im laufenden Haushaltsjahr finanzieren wir die gesamte Hochschulmedizin in Lübeck und Kiel mit 155 Millionen €. In dieser Summe ist die anteilige Finanzierung von Neubauten wie zum Beispiel des Neurozentrums hier in Kiel noch nicht enthalten. 39 % unserer Hochschulausgaben haben wir im Jahre 2001 für die Zuschüsse an die beiden Universitätsklinika aufgebracht. Das ist erst, wie ich sagen möchte, die Spitze des Eisberges oder das ist nur ein Blick auf die Problematik insgesamt, denn der Finanzbedarf der Klinika wird weiter steigen. Für 2001 – das zeigt Ihnen der vorliegende Bericht – weist die Bilanz des Universitätsklinikums Kiel 1,3 Millionen € Verlust aus, für 2002 wird ein Minus von zirka 10 Millionen € prognostiziert. Das Lübecker Klinikum wird wie im Vorjahr voraussichtlich auch im Jahre 2002 dank erheblicher Sparmaßnahmen noch eine ausgeglichene Bilanz vorlegen können. Dieser Status ist aber für das Jahr 2003 vermutlich schon nicht mehr zu halten, denn den Fallpauschalen und den gedeckelten Kassenbudgets stehen ständig steigende Ausgaben gegenüber, für Material- und Sachkosten, für Personal, für eine bessere und weitreichende aufwendige Patientenversorgung und für neue Forschungsansätze.

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Wir können bei absehbar rückläufigen Einnahmen und vor dem Hintergrund der finanziellen Notlage des Landes die Zuschüsse nicht endlos weiter erhöhen, im Gegenteil, die Haushaltslage und die gesundheitspolitische Gesamtsituation zwingen uns zu Reformen, zwingen uns zu Fusionen, zu Kooperationen und zu arbeitsteiligen Lösungen, übrigens auf allen Gebieten. Wir reden, wenn wir über Arbeitsteilung und Kooperation reden, natürlich nicht nur über die Klinika, sondern wir reden auch über die anstehenden Reformen der Hochschulstrukturen. Aber daraus abzuleiten, wie es etwa die FDP tut, dass die Klinikfusion dieser Umstrukturierung folgen müsse und nicht umgekehrt, das verkennt die Tatsachen und verkennt auch den Auftrag an die Erichsen-Kommission. Die Fusion wird dort ausdrücklich bejaht, und an ihr wird angeknüpft werden. Das ist die Aussage der Kommission. Die beiden Kommissionen, die ErichsenKommission und die wissenschaftliche Kommission, arbeiten bereits zusammen an der Problematik der künftigen Ausbildung in der Medizin. Eine Verzögerung der Fusion ist nach Auffassung der ErichsenKommission weder sachlich geboten noch wäre sie überhaupt wirtschaftlich verantwortbar. Es wird allerhöchste Zeit, dass das Gesetz beschlossen wird und die Grundlage für die Fusion bietet.

Im Jahre 2001 haben wir das Signal zur Fusion gegeben. Heute geht ein umfassender Gesetzgebungsprozess zu Ende. Er ist unter breiter Beteiligung entstanden. Ich danke bei dieser Gelegenheit allen Beteiligten, allen denjenigen, die an dem Gesetzentwurf mitgearbeitet haben, und ich danke den Regierungsfraktionen mit Nachdruck, dass sie unseren Entwurf in seinen großen Zügen akzeptiert haben. Ich danke auch dafür, dass wir uns über alle offenen Fragen, beispielsweise die Erweiterung des Vorstandes, einvernehmlich verständigen konnten.

Für komplizierte Prozesse wie diesen braucht man entscheidungsfähige und effiziente Gremien und Strukturen. Dies hat sich letztlich durchgesetzt, und dies ist mit dem Gesetz in seiner jetzigen Form gewährleistet.

Solche Umbauten komplexer Systeme sind nicht zu verwirklichen, ohne an scheinbar fest zementierten Interessen zu rütteln. Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten – ich sage das in Klammern – sehen, was in Hamburg mit dem UKE passieren wird. Was gerade in Schleswig-Holstein bisher gang und gäbe war, nämlich die Befriedigung der Regional- oder Territorialinteressen, das können wir uns in Zukunft nicht mehr leisten. Ich sage das mit allem Nachdruck, auch wegen der bevorstehenden Hochschulstrukturreform.

(Beifall bei der SPD)

Die Fusion steht auf einem breiten Fundament von Zustimmung; alle fachlich und politisch Beteiligten tragen ihn, leider mit Ausnahme der Opposition. Am Beispiel Berlin sehen Sie, dass Schleswig-Holstein mit dieser Art der Fusion keineswegs ein einmaliges Experiment wagt, sondern sich für eine konstruktive Lösung entschieden hat, die auch anderenorts praktiziert werden wird. Die Universitätsklinika sind bundesweit in einer schwierigen Situation, gerade vor dem Hintergrund der bevorstehenden Einführung der DRGs, und Überlegungen, wie die, die hier auf den Weg gebracht worden sind, werden überall angestellt.

Heute wird nun - so hoffe ich - das Gesetz verabschiedet; ab dem 1. Januar 2003 wird es ein Universitätsklinikum Schleswig-Holstein mit den beiden Standorten Lübeck und Kiel geben.

Wie wird die Umsetzung im Detail aussehen? - Im Gesetz sind Übergangsvorschriften vorgesehen. Das Gesetz sieht vor, dass es bis zur Bestellung eines neuen Vorstandes einen Übergangsvorstand gibt. Die Mitglieder des bisherigen Vorstandes konnten sich auf keinen internen Vorschlag einigen. Deshalb wird es einen externen Kandidaten geben. Ich freue mich sehr, dass für diese Aufgabe - wegen oder trotz seines am 1. Januar 2003 beginnenden Ruhestandes - der ehemalige Sozialminister Günther Jansen zur Verfügung stehen wird,

(Beifall bei der SPD)

übrigens - damit das klar ist - als One-Dollar-Man. Ich bin zuversichtlich, dass er die anstehenden Aufgaben bis zur Etablierung eines endgültigen Vorstandes ebenso kompetent wie erfolgreich lösen wird, allen voran die Ausschreibung der künftigen Positionen, die Vorbereitung der Bestellung eines neuen Vorstandes, die Weiterführung eines praktischen Fusionsprozesses mit dem notwendigen Interessenausgleich zwischen den Standorten. Unmittelbar nach der Verabschiedung des Gesetzentwurfs werden wir mit der Bestellung der Mitglieder des Aufsichtsrates beginnen und er wird die Aufgabe haben, vor allem die Hauptsatzung zu erlassen.

Damit die bestehenden Einrichtungen tatsächlich leistungs- und konkurrenzfähig bleiben können, müssen neue Organisationsstrukturen entstehen, müssen klinikübergreifende Zentren gebildet werden, muss eine zentrale Verwaltung etabliert werden und gerade Letzteres wird ja nach wie vor sehr emotional vor dem Hintergrund regionaler Interessen diskutiert.

Meine Damen und Herren, ich gestehe gern zu, dass die Frage des Verwaltungssitzes inzwischen eine

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

fast symbolische Qualität angenommen hat, aber faktisch hat sie die Qualität, die ihr zugeschrieben wird, nicht.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Damit wird nicht über das Wohl und Wehe der universitären Standorte entschieden, es ist keine Vorentscheidung zur zukünftigen Gestaltung der Medizinausbildung. Die Entscheidung wird dem Aufsichtsrat obliegen und sie soll dort ausschließlich in Abhängigkeit von wirtschaftlichen und sachlichen Kriterien getroffen werden. Deshalb bitte ich schon jetzt, im Vorfeld der Entscheidung, um Respekt für das Votum, egal, wie es ausfällt.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit die Kliniken tatsächlich leistungs- und konkurrenzfähig bleiben, müssen sie Schwerpunkte bilden. Die Unternehmensberatung arbeitet derzeit an einer Zwischenbilanz des Fusionsprozesses. Zu Jahresbeginn werden sich Übergangsvorstand, Aufsichtsrat und Ministerium über die Schwerpunkte der Beratungstätigkeit im Jahre 2003 abstimmen, also über die Realisierung von Einsparpotenzialen, über Schwerpunktbildung in den Bereichen Forschung und Lehre, über Zentrenbildung in der Krankenversorgung, über IT-Infrastrukturen und so weiter. Die wissenschaftliche Kommission wird sie das Jahr über dabei unterstützen.

Es geht dabei um zwei Ziele: Profilbildung und Kooperation statt Konkurrenz, das heißt, Konkurrenz um Forschungsgelder, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um Studierende und letztlich auch um Patientinnen und Patienten.

(Glocke des Präsidenten)

- Herr Präsident, ich komme zum Schluss.

Konkurrenz belebt nicht zwangsläufig das Geschäft, sie kann manchmal auch beiden Wettbewerbern schaden. Wir werden uns jedenfalls auf dem landesweiten, nationalen und internationalen Medizin- und Gesundheitsmarkt schlechter positionieren können, wenn wir die Konkurrenz Kiel versus Lübeck fortschreiben, statt alle Kräfte zu mobilisieren für den Wettstreit mit Hamburg, Hannover und dem außerdeutschen Raum, etwa im Baltikum. Allein darauf kommt es an.

Noch können wir - das sage ich, weil die Opposition ja immer irgendwelche Garantien verlangt - natürlich nicht sagen, ob diese Anstrengungen tatsächlich ausreichen werden, um die absehbaren Defizite schon ab

übermorgen zu decken, aber eines ist klar: Sie sind in jedem Fall unumgänglich, um die Defizite überhaupt in den Griff zu bekommen.

(Glocke des Präsidenten)

- Herr Präsident, ich muss noch etwas zu den Menschen sagen, die betroffen sind. Es geht ja nicht nur abstrakt um Geld und Fusionseffekte; es geht um Patienten, es geht um Studierende und es geht natürlich um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der beiden Klinika, die sich um ihre Arbeitsplätze sorgen. Ich wiederhole: Es wird keine fusionsbedingten Entlassungen geben. Der Fusionsprozess sichert - im Gegenteil - den Fortbestand der Klinika. Versetzungen werden nicht in jedem Fall zu vermeiden sein. Wir haben den Pflegekräften unser Wort gegeben, dass wir in ihrem Fall von Versetzungen absehen wollen, und zu diesem Wort stehen wir.

Aber eine vertragliche Zusicherung, dass für alle Zeiten betriebsbedingte Entlassungen ausgeschlossen werden, können wir als politisch Verantwortliche nicht unterschreiben. Das würde kein Großbetrieb tun. Niemand könnte eine solche Ewigkeitsgarantie abgeben.

Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir haben noch einen schwierigen Weg vor uns. Niemand bestreitet das. Aber dieser Weg ist richtig und eine entscheidende Etappe haben wir mit der Verabschiedung des Gesetzes heute erreicht. Dafür danke ich noch einmal und ich werbe nachdrücklich um Ihrer aller Zustimmung.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich danke der Frau Ministerin für den Bericht. Ich eröffne jetzt die Aussprache. Den Fraktionen stehen nach unserer Geschäftsordnung etwas verlängerte Redezeiten zur Verfügung. Ich erteile das Wort Herrn Abgeordneten de Jager.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Land Schleswig-Holstein geht mit der Fusion der Universitätsklinika Kiel und Lübeck bei gleichzeitiger Beibehaltung beider Fakultäten - das ist die besondere Situation in Schleswig-Holstein - bundesweit einen Sonderweg. Erstmals wird es so sein, dass nicht mehr ein Klinikum zu einer Fakultät gehört, sondern dass sich zwei Fakultäten ein Klinikum teilen. Wer wie die Landesregierung in Schleswig-Holstein einen solchen Sonderweg geht, muss in besonderer Weise begrün

(Jost de Jager)

den, dass der eingeschlagene Weg der richtige ist. Der Nachweis ist Ihnen in den vergangenen zwei Jahren nicht gelungen. So viel zu dem Thema Kritik und Alternative, das Sie selber angesprochen haben, Frau Erdsiek-Rave. Es ist doch so, dass zunächst einmal derjenige, der einen solchen Gesetzentwurf einbringt und eine Fusion herbeiführen will, nachweisen muss, dass er damit Vorteile erbringt, die er sonst nicht erbringen könnte. Das haben Sie in den vergangenen zwei Jahren nicht geschafft. Das ist der Grund dafür, dass wir den Gesetzentwurf ablehnen werden.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben nicht den Beweis erbringen können, dass nur über die Fusion beider Klinika die Probleme gelöst werden können, die wir im Bereich der Hochschulmedizin im Lande unbestritten haben. Stattdessen haben Sie - das möchte ich verfahrenstechnisch anmerken - in den vergangenen eineinhalb Jahren auf die Macht des Faktischen gesetzt und haben Arbeitsgruppen eine Fusion vorbereiten lassen, für die es eigentlich noch gar kein gesetzliches Mandat gab. Das Ergebnis ist, dass die Fakultäten und Kliniken den Fusionsprozess deshalb gar nicht mehr kritisieren konnten, weil sie schon lange ein Teil dieses Prozesses waren.

Der Gesetzentwurf der Landesregierung kommt nach unserer festen Überzeugung zur falschen Zeit und er gibt keine Antwort auf die meisten Probleme der Hochschulmedizin in Schleswig-Holstein. Denn es ist zwar richtig, dass es ein prognostiziertes Defizit beider Universitätsklinika von zusammengenommen etwa 50 Millionen € über die nächsten Jahre geben wird, allerdings wird es selbst nach den optimistischen und gegriffenen Schätzungen der Unternehmensberatung Roland Berger lediglich möglich sein, maximal 20 Millionen € über die Fusion zu erwirtschaften. Immerhin, könnte man sagen. Doch es ist auch davon auszugehen, dass ein gleicher Betrag ohne Fusion durch eine stärkere Kooperation beider Klinika miteinander hätte eingespart werden können. Ohnehin gilt es immer wieder festzustellen: Dieses Defizit ist zu einem guten Teil auch eine „self fulfilling prophecy“ ganz einfach deshalb, weil wesentliche Teile davon auf einer Kürzung der Landeszuschüsse beruhen.

(Zurufe von der CDU: Sehr richtig!)