Protokoll der Sitzung vom 22.01.2003

Abgesehen davon, dass der Personalmangel in vielen Einrichtungen durch die Qualitätsoffensive natürlich nicht bewältigt wird, möglicherweise auch nicht bewältigt werden kann, fehlen mir bislang auch konkrete Schritte zur Etablierung eines wirksamen und unabhängig arbeitenden Kontrollmechanismus. Gerade das ist eine entscheidende Voraussetzung für eine kontinuierliche Qualitätssicherung.

Denn welchen Wert haben noch so hohe Qualitätsstandards, wenn deren Einhaltung nicht regelmäßig kontrolliert und Verstöße nicht sanktioniert werden?

Jedes Qualitätssicherungssystem ist ohne ein parallel arbeitendes unabhängiges Kontrollsystem weitgehend nutzlos. Das gilt natürlich auch für die Pflege.

Selbstverständlich beseitigt ein Kontrollsystem allein nicht vorhandene Missstände, dennoch ist ein Instrumentarium zu entwickeln, das dauerhaft geeignet ist, Fehlentwicklungen in Zukunft von vornherein zu verhindern.

(Helga Kleiner [CDU]: Also noch mehr Kon- trolle Ihrer Meinung nach!)

- In diesem Bereich ja; darin gebe ich Ihnen Recht.

Kann aber die Heimaufsicht oder gar der Medizinische Dienst der Krankenkassen diese Arbeit leisten? - Die Heimaufsicht ist dazu allein schon personell nicht in der Lage. Den MDK kann man schlecht als neutralen Dritten bezeichnen, auch wenn vonseiten der Landesregierung ein Zielkonflikt zwischen dem Medizinischen Dienst, der als Institution der Kostenträger bei der Einstufung und Begutachtung von Pflegebedürftigen tätig ist, und den Krankenkassen immer wieder bestritten wird. Es muss deshalb dem MDK, der bisher als letzte Entscheidungsinstanz allein und frei agieren kann, ein zusätzlicher unabhängiger Pflege-TÜV zur Seite gestellt werden, um genau diese Qualität zu gewährleisten.

(Veronika Kolb)

In vielen Bereichen der Wirtschaft und der Verwaltung wird mittlerweile von unabhängigen Dritten die Effizienz und Qualität der Arbeit kontrolliert.

Rechnungsprüfer und Wirtschaftsberater werden heute von den Institutionen freiwillig gerade deshalb angefordert, damit ein neutraler Dritter die Arbeit überprüft, Verbesserungsvorschläge erarbeitet und Betriebsabläufe gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - gemeinsam, darauf liegt die Betonung - im Haus optimiert. Das alles sind Dinge, die oftmals ein hausinternes Controlling nicht leisten kann.

Tatsächlich wäre die Arbeit eines Pflege-TÜVs ein Ansatz zur Prävention und Beratung und gleichzeitig wird - um dieses Beispiel auf den Pflegebereich zu übertragen - ein träger- und kostenträgerunabhängiges Kontrollsystem der eigenen Arbeit durchgeführt; denn Qualität kann letztlich nur dann zielgerichtet implementiert werden, wenn unabhängige Prüfer neben dem Votum für eine Einstufung durch den MDK den abzuleitenden Handlungsbedarf gemeinsam unter Einbeziehung des betroffenen Pflegepersonals und der Bewohner erörtern.

Die Pflegekräfte dürfen sich bei allen Qualitätsanforderungen nicht als Handlanger von Politik oder MDK begreifen, sondern sie sind diejenigen, die vor Ort die Entscheidungen treffen müssen.

(Beifall bei der FDP)

Erst das Zusammenspiel zwischen Prävention und Beratung sowie von Kontrolle und Intervention kann dazu beitragen, dass von allen Beteiligten gemeinsam die gewünschte Qualität erreicht wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn es bis heute diesen Ansatz einer unabhängigen Prüfung nicht gibt, stellt sich für mich die Frage, warum eigentlich der MDK ausweislich des vorgelegten Berichts im ersten Halbjahr 2002 die Pflegeheime der Fachkliniken nicht erneut überprüft hat. Haben die Prüfungsergebnisse des MDK ausgereicht, um beispielsweise die festgestellten Mängel in der Fachklinik Schleswig, die im Januar 2002 noch Thema einer Aktuellen Stunde waren, abzustellen? Konnte die Kündigung des Versorgungsvertrages der Fachklinik Schleswig zum 31. Januar 2003 abgewendet werden oder wurde ein entsprechendes Konzept für die Zeit danach entwickelt?

Wäre es gerade hier nicht von Vorteil gewesen, wenn durch eine unabhängige Instanz, die notfalls auch als Mittler zwischen MDK, Heimaufsicht und Fachklinik entsprechende Konzepte erarbeitet hätte, vermittelt worden wäre?

Wir sind uns sicherlich alle einig, dass der Erfolg langfristiger Konzepte damit steht oder fällt, dass die Pflege künftig als gesamtgesellschaftliches Problem gesehen wird.

Grundlegend dafür ist, dass wir nicht nur darüber reden, wie die Qualität der Pflege oder aber die Qualifizierung und Imageverbesserung der Pflege auszusehen hat, sondern auch den Betroffenen sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entsprechende Konzepte an die Hand geben.

Ein unabhängiger Pflege-TÜV könnte gerade in dieser Konstellation die entsprechende Hilfestellung leisten, sodass der Grundsatz der Prävention und Beratung verwirklicht werden kann.

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Das Wort hat die Frau Abgeordnete Birk.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Moser, ich möchte meine Bilanz nach dieser Antwort auf die Große Anfrage vielleicht so zusammenfassen: Die öffentliche Aufsicht über die Alten- und Pflegeheime wird besser, aber wir stehen noch längst nicht am Ende der Entwicklung.

Erinnern wir uns: Im Rahmen der konzertierten Pflegequalitätsoffensive wurden vom Medizinischen Dienst alle stationären Pflegeeinrichtungen im Land untersucht und die vielen Missstände haben alle Beteiligten unter der Federführung - ich betone das immer wieder - der Sozialministerin zu einem ganzen Bündel von Verbesserungen veranlasst.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD und Beifall der Abgeordneten Silke Hinrichsen [SSW])

Ein Beitrag - ich betone: ein Beitrag - neben vielem anderen in diesem Bündel von Zielvereinbarungen ist die Verbesserung der öffentlichen Heimaufsicht vor Ort. Zu Recht hat die Ministerin darauf hingewiesen, dass sie sich auch auf Bundesebene in die Gesetzgebung mit eingemischt hat, um eben diese Verbesserung gesetzlich zu verankern.

Nachdem wir dies auch hier im Landtag eingeklagt haben, wird nun von allen Kommunen und Kreisen nach einem einheitlichen Prüfbogen gearbeitet. Jedenfalls interpretiere ich so wohl wollend die Ausführungen auf Seite 7 der Antwort. Ich möchte auch

(Angelika Birk)

ausdrücklich mein Interesse an diesem Erhebungsbogen anmelden - sicherlich ist das auch eine Sache für den Fachausschuss -, denn er wird ja offensichtlich nach den praktischen Erfahrungen noch einmal überarbeitet; für die Landesfachkliniken gibt es ja noch einen eigenen, selbst entwickelten Prüfbogen. Auch der ist sicherlich vor dem Hintergrund unserer vielen Diskussionen zu diesem Thema für die Fachleute von Interesse.

Nun komme ich auf das Zahlenverhältnis zu sprechen. Zu Recht - so muss ich sagen - hat Frau Kleiner darauf hingewiesen, dass es circa 35.000 Alten- und Pflegeheimplätze in 625 Einrichtungen - das schwankt immer um wenige Zahlen - in SchleswigHolstein gibt. Knapp 1.000 Plätze davon sind in den Fachkliniken des Landes zu finden. Hierfür sind nach unseren Berechnungen auf der Grundlage der Daten des Berichts der Landesregierung 39 Personen zuständig und diese auch nicht als Vollzeitkräfte; denn nur 8,8 Stellen - Sie sehen, wir befinden uns hier schon im Kommabereich - sind so definiert, dass die Stelleninhaberinnen oder -inhaber allein für das Thema Pflege zuständig und mit der Aufsicht betraut sind.

In den Kommunen und Kreisen sind jeweils nur ein Zehntel oder bis zur Hälfte der gesamten Stellenkapazität mit Pflegefachkräften besetzt. Hier ist also erheblicher Nachholbedarf. Man kann diesen wenigen Menschen ja nicht vorwerfen, dass sie nicht überall „längsgekommen“ sind, wie das die Frau Kleiner gerade getan hat. Es sind einfach zu wenig Kräfte.

Es hat zwar leichte Verbesserungen gegeben - das muss man deutlich unterstreichen -, denn wir hatten ja bis vor kurzem noch Kommunen und Kreise, die überhaupt niemanden hierfür für zuständig gehalten haben. Aber das reicht nicht aus. Immerhin ist es erstaunlich, dass nun diese wenigen Leuten in einem halben Jahr zwischen 30 % und 60 % der Heime geprüft haben. Das ist gegenüber vorher ein gewaltiger Schritt nach vorn. Deshalb hat ja auch die Ministerin auf eine Anweisung an die Kommunen zu mehr Prüfung verzichtet. Dies ist zwar erfreulich, aber wir sind noch längst nicht am Ziel, denn zu Recht hat Frau Kleiner auf die Mindestanforderungen hingewiesen. Dazu braucht es sowohl quantitativ als auch qualitativ mehr Anstrengungen.

Ich möchte an dieser Stelle auch mein Interesse an den von der Ministerin angekündigten Tätigkeitsberichten unterstreichen. Denn der in der Antwort enthaltene Satz „Prüfberichte der Heimaufsichtsbehörden sind weder vom Ministerium angefordert noch von den Heimaufsichtsbehörden vorgelegt worden“ hat mich nicht zufrieden gestellt. Insofern bin ich sehr

froh darüber, dass wir hier zu einer qualitativen Verbesserung kommen.

(Beifall des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

- Herr Kalinka, Sie klatschen zu früh. Ich muss hier ganz deutlich sagen: Ich war nach diesem furiosen Angriff von Frau Kleiner und auch von Ihnen hier im Landtag - ich erinnere mich noch sehr gut daran - doch etwas erstaunt, dass Sie ausschließlich auf sehr oberflächliche, quantitative Fragestellungen abgehoben haben: Wer hat wann wie viel und so weiter. Es ist zwar erhellend, dass wir diese Zahlen haben, und ich weiß auch: Zahlen bergen Qualitätsaussagen in sich. Aber ich hatte mir nun doch erhofft, dass Sie sich diesem Thema angesichts des Bündels von Maßnahmen, die die Ministerin in der Pflegequalitätsoffensive vorangebracht hat, etwas inhaltlicher widmen, und ich hoffe, wir werden im Ausschuss noch dazu kommen.

Ich möchte einige Fragestellungen, die wir weiterverfolgen sollten, kurz zitieren.

Ich finde, die FDP hat natürlich Recht, wenn sie fragt: Wie unabhängig ist die Heimaufsicht?

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubi- cki [FDP])

Sowohl der MDK als auch die kommunalen Heimaufsichtsbehörden stehen natürlich in einem Abhängigkeitsverhältnis. Das ist nicht zu leugnen. Nun wissen wir auch: Die Ministerin musste, um ihre Vorschläge auf Bundesebene überhaupt mehrheitsfähig zu machen, Kompromisse eingehen. Wenn wir nun gesagt hätten: Wir bauen neue Institutionen mit ganz viel Geld auf, wer hätte das denn bezahlen wollen? Wir hätten doch einen Riesenstreit um die Finanzierung gehabt und wären keinen Schritt weiter gewesen. Insofern ist das, was wir haben, ein Schritt nach vorn, aber noch nicht die bestmögliche Konstruktion. Wir sollten zum Beispiel darauf hinwirken, dass die Heimaufsicht unabhängiger wird. Ich nenne einmal das Beispiel des Datenschutzes oder auch das Beispiel von Personalräten oder von Gleichstellungsbeauftragten. Diese Institutionen haben ein gesichertes Recht, sich auch gegen ihre Arbeitgeber kritisch äußern zu dürfen.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Einen Moment, bitte, Frau Abgeordnete. - Ich bitte

(Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau)

um etwas mehr Ruhe. Die Geräuschkulisse ist sehr groß. - Sie haben das Wort.

(Beifall)

Ich danke Ihnen, denn ich merke schon, wie ich durch Sie gezwungen werde, mich heiser zu reden. Eigentlich sind wir ja bei einem Thema, das mit Gesundheit und Wohlergehen zu tun hat, und das möchte ich auch in meinem Reden zum Ausdruck bringen können.

(Heiterkeit und Beifall)

Wir haben also die Frage, wie unabhängig die Heimaufsicht ist, durchaus pragmatisch zu beantworten, indem wir zum Beispiel eine Unabhängigkeit fordern, die wir dann auch im Gesetz verankern können, damit keine Zielkonflikte entstehen. Das scheint mir zumindest für die nächsten Jahre zielführender zu sein, als neue Institutionen aus der Taufe zu heben.

Außerdem bitte ich Sie, Folgendes sehr ernsthaft zu prüfen. Die Juristinnen und Juristen unter uns haben vielleicht die Möglichkeit gehabt, sich mit Urteilen zu befassen, die sich mit dem Thema der Fixierung beschäftigen. Dabei geht es knallhart um die Finanzen und um die Frage - ich sage das jetzt einmal bewusst so juristisch -: Wer zahlt, wenn eine Person im Pflegeheim zu einem Unfall kommt, weil sie nicht fixiert worden ist? Die Krankenkassen sagen: Wenn die Person nicht fixiert war, obwohl man sie hätte fixieren sollen, dann zahlen wir nicht. Wenn aber die Angehörigen und das Heim selbst sagen, die Fixierung sei unmenschlich, und wenn sie nicht beantragt worden ist, weder durch Angehörige noch durch das Heim, dann tut sich hier ein merkwürdiger Missstand auf. Sollen wir denn die Heime oder die Angehörigen dazu anhalten, sich vor Gericht um die Fixierung von Menschen zu bemühen? Soll das der neue Standard werden, um Unfälle zu verhüten und die Kosten der Krankenkassen zu senken? Das sind Fragestellungen, die die Pflegekräfte tagtäglich quälen, wenn sie drei oder vier Menschen gleichzeitig in einem Raum zu betreuen haben und dann als einzige Möglichkeit, um diesen Pflegenotstand zu beheben, die Fixierung erscheint. Denn wenn sie das nicht tun, ist das Pflegeheim nicht abgesichert, weil die Krankenkassen, inzwischen selbst gerichtlich verbrieft, in diesem Fall die Zahlung verweigern können. Mir liegen beispielsweise Urteile aus Lübeck vor. Wenn Sie das lesen, läuft es Ihnen kalt den Rücken herunter.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Solange wir diese Situation haben, ist natürlich ein solch zahlenmäßiges Abfragen nicht die Antwort auf die Misere. Dies sollten wir uns erstens noch einmal klar machen. Ich denke, solchen qualitativen Fragestellungen müssen wir uns stellen. Wir müssen hierzu auch die Partner, die bezüglich dieser Fragestellungen Verantwortung tragen, wie zum Beispiel die Krankenkassen, fordern.

Das Zweite, was ich ebenso wie der Kollege Beran positiv unterstreichen möchte, sind die Modellversuche, die durch das Ministerium vorangebracht werden. Einmal ist hier PLAISIR zu nennen, aber dann natürlich auch die Einbeziehung der Pflegekräfte in die Definition der Pflegestandards. Wir haben ja in der Vergangenheit verschiedentlich gehört, dass Pflegekräfte, die guten Willens sind, gesagt haben: Jetzt haben wir so viel Papierkram und so wenig Zeit; das kann doch nicht der Weisheit letzter Schluss ein. Wenn die Organisation und Dokumentation der Pflege in Papierkram endet, dann ist das wahrscheinlich noch nicht optimal organisiert. Aber sicherlich ist es richtig, dass man die Pflegekräfte bei der Organisation solcher Vorgänge auch einbeziehen muss, damit man zu einem richtigen Ablauf kommt.