Protokoll der Sitzung vom 19.02.2003

Ich fordere die Regierung ausdrücklich auf, an diesem Zeitplan festzuhalten, ihn nicht zu verlangsamen. Dazu brauchen wir allerdings dann Umschichtungen und auch Einwerbung von Bildungsmitteln in noch ganz anderer Größenordnung.

Wir gehen davon aus, dass, wenn wir einmal auf zehn Jahre hin sehen, allein durch ein schlaueres Zusammenführen der Oberstufenschüler, durch bessere Kooperation, ein Betrag von circa 50 Millionen € freigesetzt werden könnte, um diesen in die Grundschulphase und auch in eine sehr intensive Bildung im Kindergartenbereich zu stecken.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben das einmal überschlägig berechnet, natürlich nicht auf den Euro genau. Wir haben uns dabei von den PISA-Ergebnissen leiten lassen, die ja festgestellt haben, dass in Deutschland 9.519 US-Dollar in jeden Oberstufenschüler sozusagen - ich sage es einmal untechnisch - gesteckt werden, also pro Schüler zur Verfügung gestellt werden, während gleichzeitig die Grundschüler nur 3.531 US-Dollar pro Kopf erhalten. In Finnland sehen die Zahlen so aus: 4.641 Dollar pro Grundschüler und 5.515 US-Dollar pro Oberstufenschüler. Das heißt, die Zahlen sind

(Angelika Birk)

auch in Finnland nicht vollständig gleich für die Kleinen und die Großen, aber die Differenz ist nicht wie bei uns dreimal so groß.

Warum ist sind uns Abiturientinnen und Abiturienten - ich sage das jetzt einmal sehr drastisch - dreimal so viel Geld wert wie Erstklässler? Und wissen wir nicht, dass gerade die Grundlagen für die Bildung in den ersten Jahren gelegt werden? Hier müssen wir nicht im Hau-Ruck-Verfahren, aber Schritt für Schritt zu neuen Strukturen kommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Ich glaube, dass die Debatte, die wir auch zu späterer Stunde insgesamt zum Bildungsthema noch haben werden, Gelegenheit geben wird, uns hierzu auszutauschen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich seiner Sprecherin, der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk, das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle Fraktionen haben in letzter Zeit Briefe von Elternbeiräten zum Thema „verlässliche Grundschule“ erhalten, nicht zuletzt weil ein Erlassentwurf des Bildungsministeriums für Aufregung sorgte. Wer sich den regionalen Pressespiegel des Landtags in Erinnerung ruft, weiß, dass auch in Veranstaltungen die Fragen auftauchten, die in den genannten Briefen zu finden waren. Die wichtigste ist ohne Zweifel: Was passiert mit den existierenden Betreuungsangeboten? Wobei aus der Sicht der Eltern hinzugefügt wird: Und können wir weiterhin davon ausgehen, dass unser Kind betreut wird, während wir unserer Arbeit nachgehen?

Ich meine, eine berechtigte Frage, da die verlässliche Grundschule feste Unterrichtszeiten für Erst- und Zweitklässler von 8 bis 12 Uhr und für Dritt- und Viertklässler von 8 bis 13 Uhr vorsieht, während im Konzept der betreuten Grundschulen meistens private oder auch kommunale Träger den berufstätigen Eltern eine Beaufsichtigung ihrer Kinder grundsätzlich von 7 bis 14 Uhr zusichern.

Vor diesem Hintergrund begrüßt auch der SSW, dass die Ministerin laut Presseberichten und jetzt auch in ihrem mündlichen Bericht deutlich gemacht hat, dass die Einführung der verlässlichen Grundschule keine

Konkurrenz zur betreuten Grundschule darstellen soll. „Es wird keinen Knebelerlass geben“, sagt sie in einem Presseartikel und auch heute wieder hier.

Weiterhin wird zugesichert, dass es nicht darum geht, gewachsene Strukturen zu zerstören. Mit anderen Worten: Bestehende Angebote der betreuten Grundschule sollen in die verlässliche Grundschule integriert werden. Für die individuelle Ausgestaltung der Betreuung vor Ort sei aber die Schulkonferenz verantwortlich. Auch das ging aus dem Bericht der Ministerin hervor.

Dennoch stellt sich weiterhin die konkrete Frage, wie die bestehenden Betreuungsinitiativen im Land, die ja aus familienpolitischer Sicht eine hervorragende Arbeit leisten, sinnvoll in das vorgeschlagene Konzept integriert werden können. Der Teufel steckt ja bekanntlich im Detail. Es gibt nicht wenige Elterninitiativen, die dem Vorschlag des Ministeriums immer noch mit großer Skepsis entgegensehen. Hinzu kommt die Befürchtung, dass sich Kommunen aus finanzieller Not von der Förderung dieser Betreuungseinrichtungen zurückziehen. Es geht sogar das Gerücht um, dass schon Kündigungen ausgesprochen worden sind. Ein Gerücht ist das nur, möchte ich betonen.

Das Konzept der verlässlichen Grundschule hat eine bildungspolitische Zielsetzung im Gegensatz zu den in erster Linie familienpolitischen Zielsetzungen der betreuten Grundschule. Es geht dabei - so auch die Aussage der Ministerin - um die Stärkung der Grundschule.

Zu den bisher eingeplanten 50 zusätzlichen Lehrerstellen sollen - das wissen wir jetzt - weitere 25 neue Stellen hinzukommen.

Vorerst soll sie ab dem Schuljahr 2003/2004 in den vier Hamburger Randkreisen eingeführt werden. Wir begrüßen, was die Ministerin heute gesagt hat, nämlich dass es eine zweijährige Einführungsphase gibt und dass das Ganze als Prozess zu betrachten ist.

Der Antrag der FDP-Fraktion greift Fragen auf, die unbedingt erörtert werden sollten, denn aus unserer Sicht ist immer noch unklar, was mit den vorhandenen Schulprogrammen mit Einführung der verlässlichen Grundschule geschieht.

Im Informationsblatt des Schulleiterverbandes Nr. 44 vom Dezember letzten Jahres gibt es mehrere Artikel zu dieser Problematik. Teils wird der Versuch unternommen, auf Fragen und Problemfelder Antworten zu geben, teils wird auf der Grundlage einer Diskussionsveranstaltung deutlich gemacht, wo aus fachli

(Anke Spoorendonk)

cher, das heißt auch aus schulpolitischer und pädagogischer Sicht noch Klärungsbedarf besteht.

Auch der Ausschuss sollte sich der angeführten Punkte annehmen, weil sie die Voraussetzung für die eigentliche Akzeptanz des Konzeptes sind. Dabei geht es unter anderem darum, die Verlässlichkeit dadurch zu erreichen, dass die bisher zweckgebundenen Lehrerstunden - das ist heute schon mehrfach gesagt worden - sowie ergänzende Angebote zur Förderung und Differenzierung einschließlich Arbeitsgemeinschaften entfallen sollen. Die gerade begonnene Umsetzung der Schulprogramme, so heißt es dann, wird dadurch erschwert oder gar verhindert. Vorgeschlagen wird stattdessen, mit weniger Schulen, aber mit besserer Ausstattung in die Pilotphase einzusteigen. Ein erster Schritt könnte darin zu sehen sein, bestehende Stundenpläne verlässlich zu machen und - was das Bildungsministerium bereits angekündigt hat - bestehende Betreuungsinitiativen in das Konzept zu integrieren - so weit der Schulleiterverband.

Der SSW hat sich in der Diskussion über die Stärkung der Grundschulen immer wieder positiv über die Einführung einer verlässlichen Grundschule geäußert. Ich will aber nicht verhehlen, dass mir in letzter Zeit doch einige Bedenken gekommen sind. Ein Teil dieser Bedenken habe ich jetzt schon indirekt angesprochen. Übergeordnet betrachtet haben sie mit der Frage zu tun, ob die angepeilten organisatorischen Änderungen dazu geeignet sind, die pädagogischen Erwartungen zu erfüllen, die darin gesetzt werden.

Ohne jetzt die üblichen Verdächtigen verhaften zu wollen, sollte auch die Kritik der GEW ernst genommen werden. Insbesondere kritisiert die GEW, dass die angekündigten zusätzlichen 75 Planstellen für die erste Stufe bei weitem nicht ausreichen, die jetzt vorhandene Unterrichtsversorgung sicher zu stellen. Laut Berechnung der GEW sind dazu mindestens 125 Stellen notwendig. Die Flexibilisierung des Konzepts in Richtung Geld statt Stellen finde ich richtig und begrüße ich auch.

Wenn die GEW dazu sagt, der Erlass setze nur auf Quantität statt auf Qualität und habe zudem erhebliche Mängel und Probleme im organisatorischen Rahmen, die eine Erfolg versprechende Umsetzung unmöglich erscheinen lassen, müssen wir als Bildungspolitikerinnen und -politiker schon aufhorchen und diese Kritik ernst nehmen. Dazu sind die anschließenden Ausschussberatungen da.

Ich fasse zusammen: Wir begrüßen ausdrücklich die Präzisierung, die die Ministerin in ihrem Bericht deutlich gemacht hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen die Grundschule stärken. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite besagt, dass dabei nicht auf der Strecke bleiben darf, was mit der betreuten Grundschule erreicht worden ist.

(Beifall bei CDU und FDP)

Es geht natürlich auch in diesem Bereich darum, Qualitätsstandards zu setzen. Wir wollen keine Billiglösung. Das muss gesagt werden.

In diesem Sinne sagt Rolf Sommer vom Flensburger Verein betreute Grundschule, das Bewusstsein, ihre Kinder betreut zu wissen, erlaube den Eltern - darunter zahlreichen Alleinerziehenden - eine Berufstätigkeit, die sie auch unabhängig von Sozialhilfe mache. Das ist ein Punkt, der mit der Weiterentwicklung der Grundschule zu tun haben muss.

(Beifall bei der FDP)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache.

(Widerspruch)

Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Erdsiek-Rave das Wort.

Herzlichen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein paar Bemerkungen vorweg muss ich nun doch machen. Auch in anderen Bundesländern ist die Einführung der verlässlichen Halbtagsschule schrittweise vorgenommen worden. In Hamburg - Herr Abgeordneter Klug, weil Sie gerade darauf eingegangen sind; es ist ja gut, wenn man einen Staatssekretär hat, der die Hamburger Verhältnisse sehr gut kennt - gibt es beispielsweise keine Finanzhilfen, sie gab es auch nie für betreute Grundschulen. Die Einführung ist dort in ganz anderer Form vorgenommen worden. Wenn man das Volumen der Hamburger Stellen und der Hamburger Finanzmittel auf Schleswig-Holstein überträgt, entspricht es in etwa dem, was wir uns jetzt vorgenommen haben. Damit das einmal klar ist.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

- Gut, darüber können wir uns gern im Ausschuss weiter streiten.

Ich wundere mich wirklich über manchen Beitrag von Ihnen, der immer von demselben Tenor geprägt ist: Es ist alles nicht genug. Es muss für alles immer noch mehr Geld und mehr Stellen kommen. Das sind zum Teil dieselben Leute, die auf der anderen Seite sagen,

(Ute Erdsiek-Rave)

dieser Haushalt müsse endlich saniert, es müsse endlich gespart werden und mit den Ressourcen müsse ökonomisch umgegangen werden.

(Günther Hildebrand [FDP]: Es muss anders gemacht werden!)

Ich kann Ihnen nur sagen: Mit den vorhandenen Mitteln geht gar nichts. Oder wir können versuchen, schrittweise aus dem, was wir haben, soviel wie möglich zu machen. Es ist das Prinzip, nach dem wir hier vorgehen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch ich kann mir vorstellen, Frau Eisenberg, dass ich mit mehr Stellen noch mehr machen und das Ganze schneller umsetzen könnte. Natürlich wünsche ich mir das als Bildungspolitikerin. Aber ich muss auch zur Kenntnis nehmen, wie die Haushaltslage insgesamt ist und dass das Stellenvolumen, das wir haben, eben nicht beliebig vermehrbar ist, auch nicht durch solche Aussagen, wie Sie sie hier machen. Die Stellen kommen hier nicht vom Himmel gefallen, sondern ich muss mit dem auskommen, mit dem wirtschaften und sozusagen wuchern, was wir haben. Zum Thema Verlagerung von Stellen: Es wird keiner Grundschule - bitte erzählen Sie nicht dieses Märchen im Lande - etwas abgezogen, sondern die Schülerzahlen gehen im übrigen Landesteil zurück. Die Unterrichtsversorgung in den Grundschulen wird sich durch die Einführung der verlässlichen Grundschule im Hamburger Rand nicht verschlechtern. Das sage ich hier ganz deutlich.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man bei Veränderungen Widerstand, Kritik, Bedenken, Nachfragen erzeugt, finde ich das alles andere als ungewöhnlich. Das ist normal in solchen Situationen. Sie müssen bitte auch nicht jede Kritik und jede Äußerung, die vor Ort gemacht wird, für bare Münze nehmen. Das ist etwas, was mich bei Ihnen immer stört. Sie übernehmen das alles immer 1:1, hinterfragen es auch gar nicht.

(Günther Hildebrand [FDP]: Das stimmt nicht!)