Protokoll der Sitzung vom 19.02.2003

Erstens. Die zur Verfügung gestellten zusätzlichen Lehrerstunden - 1,1 pro Woche pro Klasse mit 22 Schülern - reichen nicht aus, um den planmäßigen Unterricht, das heißt die notwendige Unterrichtszeit, sicherzustellen, geschweige denn die geplanten Ergänzungszeiten. Zusätzlich werden diese Lehrerplanstellen von anderen Schulen abgezogen. Damit findet dort noch weniger Unterricht statt. Wenn Sie sich die Planstellenzuweisung neuester Art ansehen, so werden Sie feststellen, dass den Grundschulen - nicht im Hamburger Raum, aber in anderen Bereichen und auch in den Städten - 25 Stellen abgezogen werden, den Hauptschulen 26 Stellen und weitere 25 Stellen offensichtlich aus dem Sekundarbereich II abgezogen werden sollen. Ihre Ankündigung, Frau Erdsiek-Rave, mehr Zeit zum Lernen zur Verfügung zu stellen, ist mit der Tatsache, dass die Stunden nicht einmal ausreichen, um den Unterricht sicherzustellen, ad absurdum geführt.

(Werner Kalinka [CDU]: So ist das!)

Das, Frau Erdsiek-Rave, ist ärgerlich und würde in jeder Schule als Täuschungsversuch bestraft werden.

(Beifall bei CDU und FDP)

Zweitens. Bei dieser Ausgangslage stellt sich auch die Frage, ob denn Ihre zweite Ankündigung wahr gemacht werden könnte, mehr Zeit für Förderung zur Verfügung zu stellen. Mitnichten, meine Damen und Herren. Herr Klug hat darauf hingewiesen: Förderunterricht, Differenzierungsmaßnahmen, Chor oder

(Sylvia Eisenberg)

Deutsch für Ausländer finden in diesem Konzept keinen Platz, weil erstens die Zeit dafür fehlt und zweitens dafür keine Lehrerstunden mehr zur Verfügung stehen. Ich darf nur an den Brief aus Bad Oldesloe erinnern.

Damit werden auch viele, gerade erst mühsam formulierte und in mühsamster Kleinarbeit erstellte Schulprogramme zunichte gemacht, wie zum Beispiel in Wedel. Das befürchten jetzt auch schon Schulen, die erst im nächsten Jahr mit den verlässlichen Grundschulzeiten beglückt werden sollen, so zum Beispiel in Lübeck.

Frau Erdsiek-Rave, in Ihrer Presseerklärung vom 11. Februar sagen Sie nichts zu Förderzeiten oder Förderunterricht. Warum eigentlich nicht?

Ein dritter Punkt. Die gewachsenen betreuten Grundschulen - auch das wurde von Herrn Klug gesagt -, teilweise privat finanziert, teilweise vom Land gefördert, sind trotz Ihrer Aussage, diese erhalten zu wollen, auch weiterhin in ihrem Bestand bedroht. Für dieses Jahr sind die Fördermittel des Landes im Haushalt noch garantiert. Für das nächste Jahr können Sie keine Zusagen machen.

Laut Pressemitteilung des Bildungsministeriums vom 6. November letzten Jahres wird die Finanzierung umgestellt werden. Damit gibt es keine Planungssicherheit für die betreuten Grundschulen, die vom Land gefördert werden. Das sind zirka 200. Den vollständig privat finanzierten betreuten Grundschulen, die ebenfalls weitere 200 Schulen im ganzen Land ausmachen, droht schon jetzt das Aus, weil keine Betreuungskraft gefunden werden kann, die von 7 Uhr bis 8 Uhr und von 12 Uhr bis 14 Uhr einsetzbar ist. Herr Dr. Klug hat dies gesagt. Deshalb, Frau Erdsiek-Rave, werden sich die Bedingungen für die betreute Grundschule schon jetzt verändern. Insofern führt Ihre Presseerklärung vom 11. Februar auch mit dieser Aussage, die Bedingungen nicht ändern zu wollen, in die Irre. Ihr Ministerium hat die Situation dieser betreuten Grundschulen bei der theoretischen Planung am grünen Tisch offensichtlich überhaupt nicht bedacht. Eine vorausschauende Planung zum Beispiel mit Übergangsfristen oder Einbindung der bestehenden betreuten Grundschulen in die verlässliche Grundschule wie in anderen Bundesländern, die die verlässliche Grundschule eingeführt haben, hat offensichtlich in Ihrem Ministerium - jedenfalls bisher - noch nicht stattgefunden.

Hinzu kommt, dass mit den Kommunen als Träger der betreuten Grundschulen und der Grundschulen - nach meinem Wissen - offensichtlich keine Absprachen getroffen wurden. Wenn ich mir das „Stormar

ner Tageblatt“ vom 18. Februar ansehe, dann stelle ich fest, dass jedenfalls mit den Kommunen im Bereich Stormarn keine Absprachen getroffen worden sind. Wenn der Kreis Stormarn im Rahmen dieses Konzepts zusätzlich 80 Busse einsetzen muss, um alle Kinder zur gleichen Zeit zur Schule zu bringen, und wenn die Schulträger investieren müssen, um zusätzliche Räume für eine Küche und das Frühstücken vor Ort zu bauen, dann ist es notwendig, mit diesen Kommunen vorher - auch über die Finanzierung - Absprachen zu treffen. Das hat nicht stattgefunden.

Es gibt noch weitere Ungereimtheiten, die der vorgelegte Erlassentwurf beinhaltet. Ich nenne nur den Einsatz von teuer und gut ausgebildeten Lehrern zum Frühstückessen. Das ist meiner Auffassung nach Umfug. Die Schwierigkeiten des Lehrereinsatzes bei kombinierten Grund- und Hauptschulsystemen, die Zusammenlegung von Klassen, vor allem bei kleinen Grundschulen, die Schwierigkeit, in dem vorgesehenen Rahmen Integrationsklassen zu bilden; die Liste der Ungereimtheiten ist beliebig fortzusetzen. Insgesamt wird von Schulpraktikern und von Eltern befürchtet, dass die Unterrichtszeit zugunsten der Betreuungszeit verringert wird und damit das genaue Gegenteil dessen erreicht wird, was von PISA gefordert wird,

(Beifall bei CDU und FDP)

nämlich eine Verbesserung des Unterrichtsangebots und die Verbesserung der Qualität des Unterrichts.

Während andere Bundesländer wie Hessen, Niedersachsen, Hamburg und Baden-Württemberg im Rahmen der verlässlichen Grundschule zunächst die 100-prozentige Unterrichtsversorgung sichergestellt haben, dann zusätzliche Lehrerstunden für Fördermaßnahmen, Vertretungsreserven und Betreuungsbudgets bereitgestellt haben, versucht SchleswigHolstein halbherzig, aber besonders schnell und möglichst kostenneutral, dieses Projekt einzuführen. Frau Erdsiek-Rave, man möge sich dies auf der Zunge zergehen lassen. Das kann nicht klappen. Die Beschwerden der Betroffenen vor Ort zeigen dies auch. Ich fordere Sie daher auf, zunächst und zuallererst die 100-prozentige Unterrichtsversorgung auf der Basis verbindlicher Stundentafeln sicherzustellen. Diese Forderung stelle ich immer wieder. Wenn Sie dies immer wieder ablehnen, weiß ich auch warum. Wenn das so weitergeht, werde ich dem hohen Hause und der Öffentlichkeit auch sagen, warum Sie das immer wieder ablehnen. Das ist im Grunde eine Unverschämtheit!

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine harte Drohung!)

(Sylvia Eisenberg)

Die Tatsache, dass Sie das ablehnen, zeigt mir nur, dass Sie Angst vor dem Ergebnis einer tatsächlichen Erhebung zum Unterrichtsausfall haben. Das ist der Fall!

(Beifall bei CDU und FDP)

Frau Herdejürgen, wenn Sie schon ankündigen, dass Sie unseren Antrag zwar im Bildungsausschuss behandeln wollen, ihm jedoch so nicht zustimmen wollen, dann zeigt das genau in dieselbe Richtung. Warum haben Sie eigentlich solch eine Angst vor der Dokumentierung eines möglichen Unterrichtsausfalls? Das ist mir ganz unbegreiflich.

(Glocke des Präsidenten)

Wenn wir an verlässlichen Grundschulzeiten festhalten wollen, was von der Grundidee nicht schlecht ist, das haben alle Betroffenen gesagt, so ist es aber unsere Aufgabe im bildungspolitischen Bereich, zunächst die Qualität des Unterrichts und die Unterrichtsversorgung zu verbessern. Erst an zweiter Stelle kommt die Frage der Betreuung. Wie Sie aus den Beschwerden aus dem ganzen Hamburger Umland und aus anderen Bereichen gesehen haben, klappt diese Betreuung so, wie sie zurzeit läuft, mit Unterstützung der Eltern hervorragend.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Frau Abgeordneter Angelika Birk das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verlässliche Grundschulzeiten sind eine Chance für spannende Vormittage. Das sollten wir uns vor Augen halten, bevor wir ein Erfolg versprechendes Projekt zerreden, Frau Eisenberg.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Verlässliche Grundschulanfangs- und Schlusszeiten sind ein entscheidender Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ich möchte dies gerade für die anwesenden Frauen hier im Parlament noch einmal deutlich unterstreichen.

Wir fordern von verlässlichen Grundschulzeiten auch mehr Qualität. Zu Recht sind wir uns hierin im hohen Hause einig: mehr Unterricht, ein Schulvormittag, in dem konzentrierte Lernphasen im Klassenverband, gezielte Einzelförderung, aber auch gemeinsames Spiel und Entspannung für alle Kinder einem ganzheitlichen Bildungskonzept folgen. Ich rufe dies noch einmal in Erinnerung, weil gerade die letzten

einmal in Erinnerung, weil gerade die letzten Redebeiträge diese Vision etwas verloren gehen ließen. Jede Grundschule soll künftig mit ihrem verfügbaren Gesamtbudget aus Kommunalmitteln und Landesetat frei und flexibel den Vormittag gestalten. Das gilt für vier Zeitstunden in den ersten beiden Grundschuljahren und für fünf Zeitstunden in den letzten beiden Grundschuljahren. Die Aufhebung des starren Dreiviertelschulstundentaktes ist ausdrücklich vom Ministerium erwünscht. Ich sage das noch einmal, weil diese Chance zu sehr unterschätzt wird. Denken Sie einmal an Ihre eigene Schulzeit. Was für ein Segen ist es, wenn endlich einmal nach dem Rhythmus der Kinder gearbeitet werden kann, statt dass an dem starren Rhythmus festgehalten wird. Ich bitte Sie, sich dies vor Augen zu halten, wenn wir über Details reden.

Jede Reform braucht erste Erfahrungen und sie ist nicht zum Nulltarif zu haben. Deshalb begrüßen wir es sehr, dass das Bildungsministerium neben den 50 Lehrerstellen noch weitere 25 hinzunimmt, um tatsächlich mehr Flexibilität zu erreichen. Wir gehen davon aus, dass diese Stellen - wenn wir an die flächendeckende Einführung der verlässlichen Grundschule denken - aus dem Bereich der Sekundarstufe II kommen müssen. Ich komme darauf zurück. Wir sind sehr froh darüber, dass das Element „Geld statt Stellen“ in dieses Konzept mit eingebunden werden kann. Wir wünschen uns, ähnlich wie Herr Dr. Klug, dass dies schnell Schule macht und dass sich mehr Schulen an dem Projekt „Geld statt Stellen“ und an der verlässlichen Grundschule beteiligen werden. Dies muss miteinander verzahnt werden, denn sonst klappt es nicht. Da gebe ich Herrn Dr. Klug Recht.

Wir erwarten eine enge Abstimmung des Ministeriums mit den Akteuren vor Ort. Dies sind Kommunen, aber insbesondere die engagierten Eltern. Wir als Grüne haben in den letzten zehn Jahren in den Kommunen und auf Landesebene die vielen freiwilligen betreuten Grundschulinitiativen im Lande unterstützt. Wir wissen, wie viel Kreativität und wie viel Verlässlichkeit in diesem inzwischen breiten Spektrum von Elterninitiativen liegt. Nicht umsonst kamen aus den Reihen der Eltern sehr interessante Finanz- und Organisationskonzepte zur Weiterentwicklung des Grundschulvormittags. Wir werden uns auch im Bildungsausschuss damit auseinander setzen.

Alle diese Aktivitäten und das große öffentliche Interesse daran dokumentieren: Was in Hamburg bereits in den 90er-Jahren erfolgreich eingeführt wurde und was die Dänen schon lange schätzen, findet nun endlich auch in der Bildungslandschaft zwischen den Meeren und zwischen diesen beiden Ländern politi

(Angelika Birk)

sche Mehrheiten. Dies gilt es festzuhalten; denn mit Freude sehe ich auch, dass FDP und CDU das Prinzip „verlässliche Grundschulzeiten“ nicht mehr bekämpfen.

(Zuruf von der FDP: Hatten Sie etwas ande- res vermutet?)

Das war nicht immer so. Ich finde das sehr gut. Nun sollten wir diese Kraft auch bündeln, statt uns in Kleinlichkeiten zu zerstreiten.

Wir freuen uns insbesondere, dass auch die Kommunen bisher den Prozess mitgetragen haben. Wir haben uns hier im Landtag sehr lange dafür stark gemacht und sehen schon die ersten Erfolge auch bei den älteren Schülerinnen und Schülern, dass Jugendhilfe und Schule zusammenarbeiten, dass Schulen Schulprofile entwickeln. Gerade dass die Kommunen und die Grundschulen in der augenblicklichen Debatte ihr Schulprofil engagiert verteidigen und sagen: „Ihr müsst, wenn ihr unser Schulprofil akzeptiert, die verlässliche Grundschule mit anderen Rahmendaten versehen“ zeigt mir, dass das Konzept Selbstständigkeit der Schule, Schulprofile bilden, richtig war. Das heißt, dieses Konzept hat tatsächlich eine Verwurzelung gefunden. Es ist nicht nur einfach eine Idee, sondern es ist inzwischen im Lande Wirklichkeit. Auch dies ist sehr, sehr positiv und das sollten wir als Basis für die Weiterentwicklung gerade auch in der PISA-Debatte nutzen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen begrüße ich es sehr, dass der Anhörungsprozess zu dem schon viel zitierten Erlass tatsächlich lebendig war und das Ergebnis nicht schon von Anfang an feststand.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich begrüße es auch, dass die Ministerin angekündigt hat, dass der Prozess weiter evaluiert wird, und wir sollten uns im Bildungsausschuss auch immer wieder damit beschäftigen.

Damit komme ich zu dem Evaluationsvorschlag der CDU. Frau Eisenberg, gerade vor dem Hintergrund dessen, was wir hier besprochen haben - Profil der Grundschulen, Flexibilität -, ist das Festhalten an der Stundentafel als Grundlage nicht sehr zielführend. Wenn ich mir auch vorstelle, was Sie den Grundschulen an Bürokratie damit oktroyieren, wenn das, was Sie vorschlagen, wortwörtlich so umgesetzt wird, glaube ich, dass dann zu Recht ein Proteststurm noch ganz anderer Art auf uns zukäme.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Einem Grundgedanken Ihres Antrages kann ich allerdings folgen. Sie wollen wissen, ob rein rechnerisch an jeder Schule durch die Lehrerzuweisung ein Einhalten der Stundentafel überhaupt möglich wäre. Dann wollen Sie wissen, wie auf dieser Grundlage der zugeteilten Lehrerstellen die Schulen mit dem, was sie vorfinden, umgehen, ob sie lieber kleine Klassen machen, wie viel Förderunterricht sie machen, welche AG sie bilden und so weiter und wie sie auch mit anderen Trägern kooperieren. Nur, wenn man dies herausfinden will, ist dieser Antrag so, wie er vorliegt, nicht geeignet.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sollten im Ausschuss noch einmal darüber reden, welche praktikablere Form wir finden können, um ein realistisches und für die Schulrätinnen und Schulräte handhabbares Evaluationsinstrument zu haben. Ich gehe davon aus, dass uns das Ministerium hierzu Vorschläge machen wird.

Ich möchte aber meinen Redebeitrag zu diesem Thema nicht beenden, ohne ein klein wenig auch in die Zukunft zu schauen. Wir bleiben ja nicht bei dieser einen ersten Einstiegsphase stehen. Ich finde es richtig, dass sich die Landesregierung einen Zeitplan gesetzt hat und wir spätestens in fünf Jahren überall im Lande verlässliche Grundschulzeiten haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich fordere die Regierung ausdrücklich auf, an diesem Zeitplan festzuhalten, ihn nicht zu verlangsamen. Dazu brauchen wir allerdings dann Umschichtungen und auch Einwerbung von Bildungsmitteln in noch ganz anderer Größenordnung.