Protokoll der Sitzung vom 02.04.2003

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was rechtfertigt eigentlich, was wir jetzt tagtäglich an Elend, Tod und Zerstörung in den Medien sehen? Salam Hussein ist fraglich ein Diktator, der die Iraker und die Menschenrechte mit Füßen tritt. Unbestritten ist auch, dass er die Weltgemeinschaft lange vorgeführt hat. Das verurteilen wir auf das schärfste. Aber das allein ist kein Grund für einen Krieg.

Es ist auch nicht gerechtfertigt, den Irak-Krieg als weiteres Kapitel der amerikanischen Fortsetzungsgeschichte War and Terror zu sehen. Bisher konnten keine schlüssigen Belege für eine Verbindung zwischen dem Irak und den islamistischen Terrororganisationen erbracht werden. Die UNO-Waffenkontrolleure haben auch keine Beweise für die Existenz von Massenvernichtungswaffen gefunden. Es gibt keine Belege dafür, dass die Amerikaner in den USA durch den Irak bedroht sind.

Keine Frage: Der Diktator muss entwaffnet und sein Volk muss von ihm befreit werden. Die Argumentation und die Beweise der USA und ihrer Verbündeten haben uns aber nicht von der Notwendigkeit und dem Sinn eines Krieges überzeugen können. Es geht hier um einen reinen Präventivkrieg, der bestenfalls von einer abstrakten Gefährdung der Welt durch den Irak ausgeht. Vorbeugende Kriege entbehren aber jeglicher moralischen und rechtlichen Legitimation.

Als politische Vertreter der dänischen Minderheit bedauern wir deshalb sehr, dass eine knappe Mehrheit im dänischen Parlament dies anders sieht und sich an der Kriegshandlung beteiligt. Wir bedauern, dass der dänische Außenminister Per Stig Møller damit auch seine Position, nämlich die Forderung nach einem UNO-Mandat, aufgegeben hat.

Eigentlich ist es nicht einmal entscheidend, ob es darum geht, die irakische Bevölkerung von ihrem Tyrannen zu befreien. Vielleicht geht es doch eher um die vorbeugende Vernichtung einer terroristischen Gefahr oder um die Sicherung der Energieversorgung der größten Industrienation.

(Anke Spoorendonk)

Es ist völlig indiskutabel, dass sich eine oder mehrere Nationen das Recht herausnehmen, als „Weltpolizisten“ dort präventiv militärisch zu intervenieren, wo sie ihre politischen oder ökonomischen Interessen bedroht sehen. Dieses Recht gebührt allein der UNO.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Krieg gegen den Irak ist ein Schlag ins Gesicht der Vereinten Nationen.

(Beifall des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

Obwohl entscheidende Mitglieder des UNSicherheitsrates sehr deutlich gemacht haben, dass sie den Krieg nicht wollen, führt George Bush den Feldzug durch - unter Berufung auf einen Beschluss desselben Sicherheitsrates.

Es ist katastrophal, dass die UNO zu Beginn des 21. Jahrhunderts so zu einer humanitären Hilfsorganisation herabgewürdigt wird. Allein die Vereinten Nationen haben die moralische Legitimation, über Krieg und Frieden zu entscheiden.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb können die Menschen in einer Welt gar nicht laut genug sagen: Wir lehnen eine Weltordnung ab, in der die Regierung der USA nach eigenem Gusto die Welt in gut und böse einteilt und sich das Recht nimmt, „böse“ Länder in die Steinzeit zurückzubomben.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind zutiefst erschüttert, wenn sich der Präsident der USA dabei sogar noch auf eine „göttliche Mission“ beruft. Kreuzzügler haben schon in vergangenen Jahrhunderten Tod und Verderben über die Menschen gebracht.

(Beifall bei SSW, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Heute bedrohen Politiker mit einem solchen Sendungsbewusstsein und einem modernen Waffenarsenal den Frieden der gesamten Menschheit. Mit ihren Drohungen gegen Syrien und den Iran machen die USA aber leider deutlich, dass der Irak nicht das letzte Kapitel ist. Die Folge: Radikal islamistische Führer - und jetzt auch Saddam Hussein - finden Resonanz, wenn sie zum heiligen Krieg aufrufen.

Niemand kann absehen, wohin uns ein Konflikt der Kulturen führen wird. Er bringt aber mit Sicherheit

nichts Gutes. Deshalb muss diese Streitaxt so schnell wie möglich wieder begraben werden.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Aussichten dafür stehen aber denkbar schlecht.

Die Koalition hat den Irak angegriffen, ohne zu erklären, wie sie die irakische Gesellschaft wieder aufbauen möchte. Die unerwartet geringe Unterstützung für die Invasoren durch die irakische Zivilbevölkerung verdeutlicht, dass die Iraker - jenseits des Hasses gegen den Despoten Saddam Hussein - auch eine große Skepsis gegenüber den Zielen Amerikas hegen. Der Verbleib US-amerikanischer Streitkräfte im Irak würde dem radikalen Islamismus großen Zulauf bescheren und den israelisch-palästinensischen Konflikt anheizen. Deshalb können und dürfen nur die Vereinten Nationen die Verantwortung für die Friedenssicherung und einen stabilen politischen Wiederaufbau im Irak übernehmen.

Das hat Tony Blair immerhin noch erkannt. George Bush hat bisher aber keine Antwort darauf gegeben, wie und durch wen der Irak mit seinen vielfältigen religiösen und ethnischen Gruppierungen zu einem friedlichen Zusammenleben finden soll. Nach dem Krieg muss der Irak eine demokratische Staatsform bekommen, die von der Bevölkerung bestimmt wird. Der neue Staat muss allen im Irak ansässigen Volksgruppen und Minderheiten politische, soziale und kulturelle Rechte garantieren. Dabei können nur die Vereinten Nationen die tragende Rolle spielen.

Bisher scheint die UNO aus der Sicht der Amerikaner aber hauptsächlich die Rolle eines Weltwohlfahrtsverbandes zu spielen. Es ist ein Hohn für die Weltorganisation, wenn die US-Regierung jetzt die Vereinten Nationen auffordert, humanitäre Hilfe zu finanzieren. Erst umgeht George Bush die UNO, um unbedingt seinen Krieg führen zu können, und nachher reicht er sozusagen die größten Quittungen bei Kofi Annan ein. Das geht nicht. Die USA und ihre Verbündeten müssen die volle finanzielle Verantwortung dafür übernehmen, das wieder aufzubauen, was sie jetzt zerstören.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Kriegskoalition hat mit ihrem eigenmächtigen Vorgehen die UNO zu Boden geschlagen und wir müssen darum bangen, ob sie unbeschadet wieder auf die Beine kommt. Das gilt ebenso für die NATO und die Europäische Union. Die EU steht jetzt da wie eine heillos zerstrittene Wohngemeinschaft, die nur aus finanziellen Gründen nicht auseinander ziehen kann.

(Anke Spoorendonk)

Wir brauchen aber ein starkes Europa, das der BushRegierung klar macht: Wir wollen keine Weltordnung, in der „Big Brother“ die Bedingungen von Krieg und Frieden diktiert.

Gerade im Scheitern einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik wird deutlich, dass wir sie dringender denn je brauchen. Der IrakKrieg hat bisher auf allen Ebenen nur Zerstörung gebracht. Die europäischen Länder müssen sich jetzt schnell darauf verständigen, wie ein stabiler Neuanfang aussehen muss - im Irak, in der UNO, in der NATO und in der EU.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Schleswig-Holsteinische Landtag kann darauf leider nur begrenzt Einfluss nehmen. Eines können wir aber alle: Denjenigen Schutz und Zuflucht geben, die vor Krieg, Zerstörung und Verfolgung aus ihrer Heimat flüchten müssen. Hier kommt eine große Aufgabe auf uns zu. Wir appellieren an die Schleswig-Holsteiner, ihre Empörung über den Krieg und ihr Mitgefühl mit den Menschen im Irak auch durch Spenden und durch Gastfreundschaft auszudrücken.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt jetzt sehr viele Menschen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind. Die Landesregierung und der Landtag werden ihren Teil der Verantwortung dafür übernehmen und übernehmen müssen.

Noch ein Wort zu den vorliegenden Anträgen. Wir hätten uns gewünscht, wenn es uns gelungen wäre, einen gemeinsamen Antrag zu formulieren. Es sah gestern auch noch danach aus, dass es klappen würde.

Zum CDU-Antrag ist zu sagen: Der Antrag ist aus unserer Sicht der Versuch, an einem Bild festzuhalten, das es schon lange nicht mehr gibt, dessen Konturen schon lange so verschwommen sind, dass es nicht mehr wiederzuerkennen ist. Ich bin in meinem Redebeitrag auch darauf eingegangen. Die Stichworte sind hier: Was soll mit der NATO passieren, was soll mit der Weltordnung passieren, in der die USA anstreben, eine monopole Rolle zu spielen? Das heißt, diesem Antrag können wir nicht zustimmen.

In dem FDP-Antrag können wir zustimmen, dass die Verletzung des Völkerrechts ausdrücklich deutlich gemacht wird. Das ist unserer Meinung nach die richtige Formulierung. Wenn aber die FDP in ihrem Antrag sagt, dass die Uneinigkeit der Europäer eine Ursache für den Krieg ist

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Auch!)

- auch, wenn es heißt „auch“ -, müssen wir sagen: So ist es nicht.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unser Eindruck ist ein ganz anderer. George Bush hat diesen Krieg um jeden Preis gewollt und hätte sich auch durch eine starke europäische Stimme nicht davon abhalten lassen -

(Veronika Kolb [FDP]: Was ist das denn für ein Argument?)

egal, was sie gesagt hätte.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden dem Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zustimmen. Da hätten wir uns eine schärfere Position hinsichtlich der Völkerrechtsverletzung gewünscht. In diesem Antrag wird konkret gesagt, dass wir in Schleswig-Holstein gefragt sind, die Flüchtlinge zu empfangen, die die wirklichen Opfer dieses Krieges sind.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist an unsere Adresse gerichtet.

(Glocke des Präsidenten)

Das muss in dieser Debatte auch deutlich werden.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)